In meinem Kopf ist nur noch das Bild meiner Mutter. Wie sie dort hängt, so schwach. Ihr fast nackter Körper voller Blutergüsse.
Selbst in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich nicht daran gedacht, wie schlecht es ihr dort ergeht. Ich wünschte, ich könnte an die Zukunft denken. Daran, dass es ihr bald besser ergehen soll. Aber es geht einfach nicht. Außerdem glaub ich nicht so richtig daran, dass Mak irgendetwas bewirken kann.
Torsos hasst meine Mutter doch.
Davor wieder in die Todeszone zu kommen habe ich ein wenig Angst. Ob die glauben, dass ich in der Zeit bei Gasard gewesen bin? Auch weiß ich nicht, was ich Moriphos und Nora sagen soll. Sie merken doch sicher, was los ist.
***
Ich sitze im Raumschiff und schaue in ins Weltall, Mak trainiert wieder, scheinbar ist das etwas, dass er gerne macht. Diesmal ist etwas anders. Mak hat die Projektion angelassen. Ob er dies aus Mitleid tut?
In der ganzen Zeit, wie der Transporter unterwegs ist, wirft mir Mak hin und wieder einen besorgten Blick zu, während ich ins Weltall schaue. Doch kein Wort kommt von ihm.
So geht es den ganzen Flug über.
Dabei wünsche ich mir doch so, dass er mich anspricht, irgendetwas Beruhigendes zu mir sagt. Ich wünsche mir einfach jemanden, an dessen Schulter ich mich ausweinen kann. Vielleicht hätte ich dann sogar sein Angebot angenommen.
So aber betrachte ich nur das All, bis plötzlich ein sandfarbener Planet vor uns auftaucht, der immer größer wird.
Dasura.
Nach einer Weile taucht daneben die Station auf. Diesmal werde ich mir der Größe des Planeten richtig bewusst.
Die Station ist nicht gerade klein. Jedenfalls die Teile, die ich bisher gesehen habe. Doch neben diesem gewaltigen Planeten wirkt sie wie ein Winzling. Ein Winzling, der immer größer wird, je näher wir ihm kommen.
Langsam fliegt das Raumschiff den Weg entlang, dem es auch schon auf dem Hinweg gefolgt ist. Um die Station herum und dann in eine dunkle Schleuse, die im Hangar endet, in dem wir gestartet sind.
„Wenn ich dich das nächste Mal mitnehme, wird die Zeit dort sicher angenehmer enden als heute", sagt Mak, während wir den Transporter verlassen. Mein Blick senkt sich zum Boden. Ich hoffe so sehr, dass er sein Versprechen hält, auch wenn ich nicht daran glauben kann, dass es ihm gelingt.
Sobald wir aus dem Transporter steigen, kommt ein rothaariger, gut aussehender Mann auf uns zu. Gasard. Er wirkt regelrecht freudig den Krieger zu sehen und begrüßt ihn auch sofort mit einer Umarmung.
„Du wirst es nicht glauben!", kommt es von dem Rothaarigen. „Bist du mal einen Tag nicht da, ist es hier total langweilig."
„Ich weiß doch, wie schrecklich ich von euch vermisst werde", meint Mak lachend.
Als Nächstes begrüßt Gasard mich, indem er mit seiner Hand mein Haar zerzaust. „Stimmt's, mit dem Kerl ist es richtig lustig?" Auf seinen Lippen liegt ein Lächeln. Doch erwidern kann ich es nicht. Jedenfalls nicht im Moment.
Verwundert schaut Gasard zu Mak.
„Habe ich dir eigentlich schon mal die Zwillinge vorgestellt?", kommt es von dem Krieger.
„Diese beiden süßen Mädchen, die du mir letztens mal im Palast vorgestellt hast?" Trotz Maks Nicken, scheint Gasard nicht zu wissen, worauf der Andere hinaus will.
„Ihr ehemaliger Besitzer ist jetzt der Oberaufseher im Gefängnis von Kaera", erklärt ihm Mak.
„Armes Mädchen!", kommt es in einem mitleidigen Ton von Gasard.
Ein Ton, der mir nur weiter die Tränen in die Augen treibt. Der Rothaarige zieht mich in seine Arme, seine Hand fährt tröstend über meinen Rücken.
Es ist schön, von ihm getröstet zu werden.
„Die Sachen für dich gebe ich Akara", ruft Mak und läuft in Richtung des Fahrstuhls los. Gasard will schon mit mir losgehen, als der Schwarzhaarige stehen bleibt und sich uns zuwendet.
„Ach Gasard!", ruft er laut. Über sein Gesicht zieht sich ein Grinsen. „Der Schutzschild, den du mir letzten zum Ausprobieren mitgegeben hast, funktioniert einwandfrei."
Gasard lacht laut auf. „Wusste ich es doch! Neue Erfindungen gebe ich lieber dir, so selten, wie du Kämpfen aus dem Weg gehst."
„Hey, hey!", dringt es im schmollenden Ton von Mak. „Diesmal ist es nicht meine Schuld, dass es zum Kampf kam." Er zwinkert mir zu und jetzt wird mir klar, was er meint. Bei dem Kampf, als er nicht von dem Schuss getroffen wurde, das muss er mit Schutzschild meinen. „Stimmt es nicht, Kleine?"
Gasard schaut kurz verwundert zu mir, dann lacht er den Freund wieder an. „Jetzt sag bloß, du hast dich nicht darüber gefreut." Ein Kopfschütteln kommt von Gasard. „Ich kenne dich! Wenn es Streit gibt, bist du sofort da!"
Mak schaut den Rothaarigen kurz mit Unschuldsblick an, bevor er pfeifend davon schlendert.
„Hast du Hunger?", erkundigt sich Gasard.
„Ein bisschen", kommt es nickend von mir.
Sein Arm wandert um meine Schultern, dann führt er mich zu einem anderen Fahrstuhl als den, den Mak genommen hat.
Den ganzen Weg hinunter liegt mein Blick auf dem Boden, meine Gedanken sind bei meiner Mutter. Schmerzliche Gedanken, die nicht mal durch Maks Worte zu vertreiben sind.
Dass mich Gasard die ganze Zeit besorgt ansieht, merke ich erst, als er mich an sich zieht.
Ich erröte leicht, als ich seinen durchtrainierten Körper an meinem spüre. Verlegen schaue ich in sein aufmunterndes Lächeln.
„Torsos hasst solche Typen! Ich glaube kaum, dass er noch lange dort ist!"
Sein Versuch mich aufzumuntern, gelingt ihm nicht ganz.
Die Fahrstuhltür öffnet sich. „Das, was ich über das Gefängnis von Kaera gehört habe, klingt so, als sei es dort normalerweise nur minder angenehmer", teile ich ihm meinen Eindruck mit, während wir den Fahrstuhl verlassen.
Das Gasard plötzlich stehen bleibt und mich fest an sich drückt, macht mir wenig Hoffnungen. Mein Kopf sinkt an seine Brust. Ich kann einfach nicht mehr und heule los. Seine Hand fährt dabei sanft durch mein Haar.
„Ich rede später mit Torsos, mal schauen, was er vorhat", sagt Gasard. „Vielleicht kann ich ihn ja überreden, dass er sie an einen anderen Ort bringen lässt."
Eine Weile stehen wir so da, bis meine Tränen versiegt sind. Dabei stelle ich mir eine Frage. Wie kann man ihn nur hassen? Er ist doch so nett.
Der Gang, den wir nach einer Weile weiter entlang gehen, ist genauso, wie die anderen Gänge der Station. Wände, Decke und Boden wirken wie eine Einheit und ohne eine Unebenheit. Eine Tür in der Wand ist erst zu erkennen, als Gasard mit mir davor tritt und sie sich automatisch öffnet.
Es ist eine Kantine, nur etwas kleiner als die bei den Gefangenen, aber nicht komfortabler.
Gasard tritt an das Fenster und klopft an. Als Akara öffnet, ist es die gleiche Reaktion wie bei Mak. Eine richtig stürmische Umarmung. Mich dagegen lächelt sie nett an.
„Du kannst was von Torsos rausrücken", ruft Gasard. Beim Nächsten zwinkert er ihr zu. „Wir haben wieder frische Früchte und du kennst ja seine Essgewohnheiten am Besten."
Akara nickt und verschwindet eine Zeit lang in der Küche.
„Wie kommt es eigentlich, dass hier jeder dieses Mädchen mit rumschleppt und sie behandelt, als wäre sie keine Gefangene, sondern ein Gast?", erkundigt sich Tosa. Sie sieht ihn nicht mit ihrem gewohnt giftigen Blick an, dennoch ist ihr Ton und ihr Verhalten ihm gegenüber eher schroff.
„Jeder?" Gasard schaut das Mädchen verwundert an.
„Du, dieser Idiot Mak und dieses Biest." Aus ihrer Abneigung gegen alle drei macht sie dabei kein Hehl.
Als Akara zurückkommt, schimpft sie zuerst Tosa wegen ihrer Worte.
„Tosa, das erfährst du noch früh genug!", kommt es von Gasard. Sein Blick wandert auf mich. Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen, als er sagt: „Also wer sie sich genau anschaut und meinen besten Freund kennt, der kann sich die Frage selbst beantworten."
Jetzt mustert mich Akara voller Neugier ganz genau. Tosa dagegen scheint das alles zu dumm zu sein. Sie verschwindet mit einem wütenden Schnauben in der Küche.
„Ich hab mir zwar dieselbe Frage gestellt, aber auf die Antwort wäre selbst ich nicht gekommen", gesteht sie.
„Jemand Bestimmtes hat es sofort vermutet, als er mich das erste Mal sah", bemerke ich kurz.
Gasard sieht mich fragend an. „Wer?"
Einen Augenblick lang überlege ich, wie Kaia ihn genannt hat, doch mir fällt sein Name einfach nicht mehr ein. „Ich weiß nicht, wie er heißt", antworte ich ihm. „So ein blonder Typ, der ist mit Moriphos mit dem Raumschiff zusammengestoßen ist."
„Moriphos?" Fragend sieht mich Gasard eine Zeit lang an. Mir wird mein Fehler alleine klar, doch er kommt mir zuvor. „Du meinst sicher diesen Zeitstürmer." Ein Nicken folgt von mir als Antwort, worauf von ihm ein Seufzen kommt. „Ach der." Das Nächste, was er sagt, klingt schmollend. „Der meint seit einigen Jahren, meine Erfindungen sind dazu da kaputtgemacht zu werden oder verloren zu gehen."
Akara schaut ihn verwirrt an. Als Gasard ihren Blick bemerkt, lacht er auf.
„Otscharsan." Er seufzt. Mit seiner Hand fährt er sich über die Augen, dann schüttelt er den Kopf. „Dem trau ich sogar zu, dass der mir mit sämtlichen Teilen seines explodierten Raumschiffes ankommt und meint, ich könnte es ja mal reparieren."
„Das hat er tatsächlich in Erwägung gezogen." Ein Lachen kommt von der Tür. Es ist einer der Aufseher, dieser Marto.
Von Gasard kommt erneut ein Seufzen. „Marto, dann richte ihm bitte aus, wenn er es macht, findet er Kaia nur noch halb so schlimm wie früher."
Marto kommt zu uns. Er bittet Akara um sein Essen und geht mit uns zu einem der Tische.
„Als ob du so was wirklich tun würdest", ruft Marto und lacht dabei laut auf.
„Irgendwann ist selbst meine Geduld dahin! Kann man es mir verübeln?" Ein Seufzen kommt dabei von ihm. „Otscharsan ist immerhin derjenige, der es sich nicht nur zur Aufgabe gemacht hat Torsos zu necken, sondern scheinbar auch zu testen, wie reizbar ich bin."
„Jetzt übertreibst du!", ist Martos Meinung. Er nimmt sich den Löffel und isst etwas.
„Nein, ich übertreibe nicht!", sagt Gasard wieder mit einem Seufzen. „So oft, wie ich dank ihm etwas reparieren muss. Heute erst hat er eine der Schleusen nach draußen als Rennstrecke missbraucht."
„So schlimm wird das doch nicht sein", ist Marto der Ansicht.
„Leider öffnen sich die Tore nicht schneller, wenn man auf sie zurast. Das weiß der Gute jetzt auch." Marto wirkt unglaubend. „Und das Verwenden sämtlicher Bewaffnung des Schiffes gegen ein einzelnes Tor, aus reinem Selbsterhaltungstrieb macht mich auch nicht glücklicher."
„Das erfindest du jetzt aber!" Der Aufseher sieht ihn immer noch unglaubend an. Ich lausche der Geschichte nur interessiert.
„Nein, das hat er mir wirklich angetan!", sagt Gasard. „Ich glaube sogar, das war Absicht!"
Marto beginnt zu lachen, dabei schüttelt er ungläubig den Kopf. Ich stelle mir derweilen die Frage, wieso Gasard das alles tun muss. Aus seinen Worten vermute ich, dass er es alleine repariert.
„Jetzt wirst du aber paranoid, Junge!" Von Marto kommt ein lautes Lachen.
Gasard schüttelt den Kopf. „Wenn es eine Seltenheit wäre, dass er was zerstört, sähe es nicht schlimm." Plötzlich beginnt selbst er zu lachen. „Der Vorteil: Ich hab jetzt ein schönes Gegenargument, falls jemand von mir will, dass ich ein paar Schiffe repariere."
Marto hebt seine Augenbrauen. „Und du meinst, sie bringen die Schiffe gleich in die Verwertung?"
„Nimm mir nur jede Hoffnung!", kommt es seufzend von Gasard. „Ich weiß selber, dass sie die Dinger nur irgendwo abstellen, damit ich sie mir anschauen kann, wenn ich mal Zeit habe."
Gasard stochert lustlos in dem Brei herum, der vor ihm steht. Als er merkt, dass ich ihn mustere, lächelt er mich an. „Wenn du magst, kannst du mir helfen."
Ich nicke, dann wende ich mich meiner Schüssel zu und beginne zu essen. Marto steht auf, um ein paar der Früchte zu holen.
„Liege ich mit meiner Vermutung richtig, dass du sagen sollst, du wärst die ganze Zeit bei mir gewesen?", erkundigt sich Gasard und nimmt er einen Löffel des Breis.
Ich nicke. Mehr braucht es nicht.
„Was ist eigentlich mit dem Mädchen?", erkundigt sich Marto. Er stellt einen Teller mit geschnittenen Früchten auf den Tisch. „Nachdem ihr sagtet, sie soll mit nach Tormahs, dachte ich, sie soll dort bleiben. Nur jetzt frag ich mich, weswegen sie wieder hier ist?" Marto setzt sich und nimmt sich eine Scheibe der Früchte.
„Wenn ich dir das sage, dann hältst du Torsos für irre", ruft Gasard, während er isst.
Ich schiebe mein Schälchen beiseite und nehme mir auch eine Scheibe.
Marto schaut mich zwar etwas erbost an, lässt mich aber gewähren. Er wendet sich an Gasard. „Ach, ich weiß doch, dass der Junge eine komische Denkrichtung hat", meint Marto.
„Junge?" Gasard schaut ihn an, dann beginnt er zu lachen. „Das klingt so, als redest du von jemand, der jünger ist als du."
„Gasard, ihr drei benehmt euch kaum wie man es von jemanden erwartet, der so alt ist, wie ihr", meint Marto.
„Stimmt!" Gasard lacht laut auf, dann schüttelt er den Kopf. „Aber wenn ich dir sage, wer sie ist, dann meinst du, Torsos hätte den Verstand verloren." Marto schaut ihn nur weiter fragend an. „Ihr Vater hieß Malgard. Du kannst dir sicher denken, was los ist, wenn das irgendjemand außerhalb erfährt. Selbst wenn nach außen dringt, dass sie zu derselben Rasse gehört wie Torsos."
„Das erfindest du aber jetzt!", ist Martos Meinung, dabei liegt sein Blick unglaubend auf mir. „Das letzte Mal, das von Malgard irgendetwas erzählt wurde, war vor Jahrhunderten. Wenn die ganzen Gerüchte um seine Person außer Acht gelassen werden."
Ich lausche neugierig dem Gespräch. Ob mein Vater wirklich so bekannt ist, wie Mak erwähnt hat! Für mich selbst ist das alles noch ziemlich unglaublich.
„Außerdem soll Malgard doch einen Sohn gehabt haben", bemerkt Marto noch kurz.
Gasard nickt. „Malgard hatte einen Sohn gehabt. Olurato. Das letzte Mal, dass einer von uns ihn und Malgard sahen, war, als Makkos starb. Bloß in den Geschichten wird nie erwähnt, dass er auch eine Frau hatte. Janera."
„Mir ist bewusst, dass es zu dem Kind auch eine Mutter gab", bemerkt Marto.
„Und wieso ist es dann so schwer, daran zu glauben, dass es noch ein Geschwisterchen gab?"
Marto schaut ihn an und lacht auf. „Das Mädchen sieht aber nicht so aus, als hätte sie die Zeit erlebt."
Gasard erwidert sein Lachen. „Okay, wenn ich den Hauptfakt nicht erwähne, ist es noch unglaublicher", sieht er ein. „Als ich das letzte Mal vor Janera stand, hat sie überall herumerzählt, sie würde ihrem Mann endlich ein zweites Kind schenken", erzählt Gasard weiter. „Damals, als es die Rebellion gab, wollte Malgard einfach nur von allem weg. Weg von allem, was mit dieser dummen Prophezeiung zu tun hat. Von der sinnlosen Hoffnung sein Sohn würde den Thorn übernehmen. Also haben sie sich in einen Kälteschlaf begeben."
Ich senke meinen Blick auf den Boden. Wie mein Vater und mein Bruder wohl so waren?
„Und was ist aus Malgard und seinem Sohn geworden?", erkundigt sich Marto.
„Beide sind schon verstorben", antwortet Gasard ihm.
„Dann nenne mir einen Grund, weswegen ihr meint, sie sei Malgards Tochter." Marto wirkt skeptisch.
„Weil auch nirgends erzählt wird, wie nah sich Makkos und Malgard standen", erklärt Gasard ihm. „Außerdem. An ihre Mutter erinnern wir drei uns sehr gut und die lebt noch."
Mein Blick wandert wieder bedrückt auf den Boden. Gasard streichelt tröstlich über meinen Rücken.
„Ich glaub es trotzdem nicht", gibt Marto zu.
Gasard lächelt ihn an. „Ist mir schon klar. Würde ich auch nicht, wenn es mir irgendjemand erzählt."
„Aber es würde erklären, wieso sie dauernd jemand Bestimmtes beobachtet", bemerkt Marto. „Ich hab mich schon gefragt, was er plötzlich hier unten sucht."
Jemand, der mich dauernd beobachtet? Ich kann mir denken, dass er Mak meint, aber aufgefallen ist es mir bisher noch nicht.
„Kann ich darauf hoffen, dass der Junge noch öfters hier ist?" Marto grinst. Irgendwie schaut er ziemlich vorfreudig aus.
„Du weißt aber schon, dass er sehr nachtragend sein kann?" Gasard grinst ebenfalls. Scheinbar amüsiert ihn Martos Vorhaben.
„Das ist egal, solange ich ihn mal herumkommandieren kann." Marto steht auf und verlässt die Kantine mit ein paar der Fruchtscheiben.
Ich nehme mir auch noch eine der Scheiben, Gasard folgt meinem Beispiel.
„Ich sollte dich wieder zurückbringen", bemerkt Gasard. Plötzlich schaut er mich bedrückt an. „Ich hoffe nur, dass es keinen komisch vorkommt, dass du fehlst."
Von mir kommt nur ein Nicken, mein Blick liegt immer noch traurig auf dem Boden.
Gasard streichelt mir weiter über den Rücken.
„Meinst du, du schaffst es dort unten?", erkundigt sich Gasard. Er sieht besorgt aus.
Ich nicke wieder, dann nehme ich mir noch eine der Scheiben.
Gasard folgt meinem Beispiel. „Du kannst ruhig zugreifen!", fordert er mich lächelnd auf.
„Ich bin satt!", kommt es von mir.
Gasard nimmt sich selbst noch zwei der Scheiben, dann ruft er zum Aufbruch. Ich folge ihm.
Er führt mich wieder in den Gang, von da aus geht es zum Arbeitsraum. Jetzt erst verstehe ich, wo wir uns befinden.
Die Tür zum Arbeitsraum öffnet sich und sofort verbeugten sich ein paar der Wachen vor ihm, als sie ihn sehen. Mich musterten einige Blicke ziemlich interessiert. Nur einer der Wachen sieht mich drohend an.
Dieser Kyle.
Als ich seinen Blick bemerke, beginnt mein Herz vor Angst schneller zu schlagen. Automatisch rücke ich ein Stück näher an Gasard. Doch hier sind wir nicht mehr unter uns, sondern im Gefängnis, wo mir zu viel Vertrautheit mir jemandem wie ihm, schnell zum Verhängnis werden könnte.
Er gibt mir einen kleinen Schubs zur Aufforderung weiter zu gehen, die Treppe hinunter.
Meine Schritte werden schneller, unter Kyles Blick. Ich will nur weg von diesem Typen. Dabei stolpere ich fast die Treppe hinunter, kann aber gerade noch mein Gleichgewicht halten und laufe weiter.
Unten werde ich von zwei starken Männerarmen gestoppt, die mich umschlingen. Seine braunen Augen sehen mich voller Sorge an.
„Geht es dir gut?", erkundigt sich Moriphos bei mir. „Haben sie dir etwas getan?"
„Keine Sorge, mir geht es gut!", versuche ich ihn zu beruhigen. „Ich sollte Gasard bei etwas helfen!" Meine Lüge scheint ihn wenig zu beruhigen. Was wohl eher daran liegt, dass ich sonst nicht so traurig drin blicke wie heute.
Ich atme tief durch und versuche wenigstens ein etwas fröhlich aussehendes Lächeln zustande zu bringen. Es gelingt mir sogar.
„Mir geht es wirklich gut!"
Moriphos lässt mich aus seiner Umarmung frei, dennoch wirkt er immer noch besorgt. Sein Blick wandert das Podest hinauf zu Gasard. Moriphos' Blick, den er dem Rothaarigen zuwirft, wirkt jetzt voller Abscheu und Hass.
„Es gibt etwas, dass ich gerne an der Vergangenheit verändern würde", gesteht er mir, seinen Blick nimmt er dabei nicht von dem Rothaarigen. „Wären sich die Drei nicht begegnet, wäre diese Spezies komplett ausgelöscht worden."
Ich sehe ihn verwundert an.
Mir ist klar, dass er damit die Spezies von Kaia und Gasard meint. Nur wieso er sie so sehr hasst, frage ich mich. Die Beiden scheinen nett. Obwohl Mak meint, ich irre mich bei Kaia. Doch besonders Gasard ist so freundlich zu mir. Wieso wird er nur so gehasst?
Als Moriphos meinen Blick bemerkt, seufzt er. Ein Lächeln bildet sich auf seinen Lippen. „Aber so etwas verbietet uns unser Kodex!"
Den Rest des Tages stellt mir Moriphos nur Fragen zu meiner Person. Von welchem Planeten ich komme, wie es dort ist und was ich dort immer gerne gemacht habe. Die meisten seiner Fragen sind mir egal, nur die zu meiner Familie schmerzen. Dennoch erzähle ich ihm etwas über mich. Von der Zeit vor meinem 16. Geburtstag.
Ihm stelle ich keine Fragen, auch wenn er mich dazu auffordert und es mich eigentlich sehr interessiert. Aber Gasard hat mir ja gesagt, wozu der Armreif dient und ein Spitzel will ich nicht sein. Das will ich Moriphos nicht antun.
Wir reden noch eine Weile, bis die Wachen den Gefangenen befehlen in die Zellen zu gehen. Und die ganze Zeit ist sehr deutlich, dass mich Moriphos nicht nur beschützt, weil ich ein Mädchen bin. Er scheint sehr interessiert an mir.
Auch wenn ich seine Gefühle nicht erwidern kann, ein Freund ist er mittlerweile für mich.
In der Zelle sehe ich, dass Mak meinen Wunsch erfüllt hat.
Nora hat die Zelle mit Moriphos getauscht. Statt des dürren Kerls, der auch am Angriff auf mich und Nora beteiligt war, sitzt jetzt ein mir vollkommen unbekannter Mann in Noras Nachbarzelle, der kaum Interesse an uns zeigt.
„Wo warst du die ganze Zeit?", erkundigt sich jetzt Nora bei mir. Auch sie sieht mich besorgt an, das erkenne ich noch, bevor das Licht gelöscht wird.
„Ich sollte Gasard helfen." Die Mühe zu lächeln mach ich mir nicht mehr, dennoch ist meinem Ton deutlich anzumerken, wie mies es mir geht.
„Geht es dir gut?", lautet ihre nächste Frage, ihre Stimme klingt dabei besorgt.
„Ja", antworte ich, auch wenn ich spüre, wie in mir die Tränen aufsteigen. Vorhin bei Moriphos, als er mich über meine Familie ausgefragt hat, habe ich mich beherrschen können, doch jetzt geht es nicht mehr. Die Bilder von meiner Mutter sind in meinem Kopf und nicht mal Maks Versprechen kann sie vertreiben.
Ein paar Tränen laufen mir über die Wange.
„Geht es dir wirklich gut?" Mein Ja scheint sie nicht überzeugt zu haben.
Mit meiner Hand wische ich mir die Tränen weg. „Nicht wirklich!", gestehe ich. Die Wahrheit traue ich mich nicht ihr zu sagen. Hier wäre es sicher auch zu gefährlich. Deswegen sage ich: „Ich habe einfach nur Heimweh."
Langsam gehe ich zur Liege und lege mich darauf. Sanft tätschelt Nora meinen Rücken um mich zu trösten und ich kann meine Tränen nun absolut nicht mehr zurückhalten.
Ich beginne zu schluchzen.
Ein lauter Knall ertönt, als ob jemand gegen die Gitterstäbe gehauen hätte. Eindeutig ist, dass es von Moriphos kommt.
„Mir fällt schon was ein", prophezeit er. „Ich schaff es hier heraus und dann bring ich euch zwei auf euren Planeten!"
Sein Versprechen ist lieb gemeint, doch Hoffnungen, dass er es schafft, mache ich mir nicht. Was will ich auch auf der Erde? Für Nora wünsche ich es mir, doch mein Problem ist, das sich meine Mutter auf Tormahs befindet. Selbst wenn ein Fluchtversuch gelingen könnte, würde mich die Angst um meine Mutter hier festhalten.
„Flucht?" Ein Lachen kommt von einem der Gefangenen. „Hier gibt es keinen erfolgreichen Fluchtversuch. Jeder dem es gelungen ist, wurde getötet. Aber vorher wurde noch aus ihnen raus geprügelt, wie sie es geschafft haben."
„Ich finde eine Möglichkeit!", ist Moriphos sich sicher.
Ein beeindruckendes Selbstvertrauen, das er hat, ist meine Meinung.
Nora streichelt die ganze Zeit beruhigend meinen Rücken. „Meinst du, ob er es schafft?", will sie von mir wissen. „Ich will wieder nach Hause zu meinem Vater."
Ich beginne, noch mehr zu schluchzen. Wieso? Wieso nur mussten meine Eltern auf diesem Planeten landen?
Nicht nur das Heimweh nach meinem Vater und die Sorge um meine Mutter quälen mich, sondern auch Schuldgefühle. Dank mir und meiner Familie ist Nora in so eine Lage geraten.
Vielleicht sollte ich Mak fragen, ob er etwas für sie finden könnte. Falls er nein sagt, vielleicht würde es hier als Argument helfen eines der Angebote anzunehmen.
Ich wische meine Tränen weg, doch es hilft nicht, dass sie versiegen. Erst als meine Augen vor Müdigkeit zu fallen, hören auch meine Tränen auf zu fliesen.
***
„Hey du!", dringt die Stimme eines Mannes durch meinen traumlosen Schlaf. Eigentlich will ich die Augen nicht öffnen, aber als er mich antippt, kann ich nicht anders.
Ich bin überrascht in zwei grüne Augen zu blicken, die mich freundlich ansehen. Sein blondes Haar fällt ihm bis auf die Schultern, über seine Lippen wandert ein schönes Lächeln.
„Munter?", erkundigt er sich bei mir.
Zuerst bin ich sprachlos. Ich starre ihn nur an, bin überrascht und weiß nicht, was er hier will. Er ist mir schon einmal begegnet. Bei meiner Ankunft hier. Etwas, das mich noch mehr verwirrt.
Was macht jemand wie er hier unten?, frage ich mich.
Dann fällt mein Blick auf Moriphos. Er schaut auf dem Blonden und scheint nur Hass und Verachtung für ihn zu empfinden.
„Otscharsan, was führt jemanden wie dich hier herunter?", ruft Moriphos. Seine Stimme klingt voller Hohn. „Wurdest du wegen Unfähigkeit degradiert?"
„Unfähigkeit?" Der Blonde lacht auf. Er schaut zu Moriphos hinauf. Sein Blick wirkt dabei ziemlich abschätzig. „Würde dieses Wort nicht eigentlich eher dich beschreiben?" Otscharsan fährt sich durchs Haar, ein Grinsen zieht sich über sein Gesicht. „Oder wollten dich deine Kameraden einfach nur loswerden?"
Der Blonde wendet sich wieder an mich. Auf seinem Gesicht bildet sich erneut dieses freundliche Lächeln. „Komm, du bekommst ab heute eine besondere Aufgabe." Er steht auf und verlässt meine Zelle.
Ich folge seiner Aufforderung. Gähnend stehe ich von dem Bett auf, recke mich kurz, dann laufe ich ihm hinterher.
Das schwarze Armband, dass er trägt, scheint auch so etwas wie ein Notizbuch zu enthalten. Von dem Armband aus wird ein Zeichen in die Luft projiziert.
Was das wohl ist?, frage ich mich. Vielleicht ja die Bezeichnung einer Zelle.
Jedenfalls scheint er nach irgendwas zu suchen.
Vor einer der Zellen bleibt er stehen. Der Gefangene darin betrachtet sich den Blonden neugierig.
„Ich bin hier nur als Laufbursche angestellt", kommt es seufzend von dem Blonden, während er die Zelle öffnet. „Die Belehrung kann ich mir hoffentlich sparen." Otscharsan schaut weiter auf den Bildschirm, während ein anderes Zeichen angezeigt wird. „Wo ist denn das jetzt schon wieder?", grübelt er und kratzt sich am Kopf. „Wieso mach ich das nur?" Otscharsan seufzt erneut, danach bricht er zur nächsten Zelle auf.
Der Gefangene hebt die Augenbrauen, als er das Zeichen auf dem Bildschirm erkennt.
Ich will Otscharsan schon folgen, als sich die große Hand des Gefangenen auf meine Schulter legt. „Du bist doch nicht wirklich so blöd und läufst dem überall nach?", lautet seine Frage an mich. Ich sehe ihn fragend an, dann auf Otscharsan, der sich gerade überlegt, wo die nächste Zelle wohl liegenden könnte. Auf meinen fragenden Blick bekomme ich eine Antwort in der Form eines Deutens nach oben. „Es macht doch sicher nichts aus, dass wir am Eingang warten?", erkundigt sich der Gefangene.
Otscharsan schaut kurz zu ihm und winkt dann. „Ja, ja, aber schön brav sein!" Er kratzt sich erneut am Kopf. „Wo liegt nun diese verdammte Zelle?"
„Ich würde es etwas weiter oben versuchen", schlägt der Gefangene vor.
Otscharsan schaut kurz zu ihm, dann erkundigt er sich: „Wie weit oben?"
„Ganz oben!", erklärt der Gefangene.
Der Blick des Blonden geht nach oben. Ein Seufzen kommt von ihm. „Hätte der mir keine ordentliche Karte geben können", grummelt Otscharsan, dann läuft er weiter.
Der Gefangene schaut ihm nach und schüttelt den Kopf. „Was ist heute los, normalerweise holen uns die Wachen und mein Zellennachbar ist auch mit dabei."
Ich zucke mit den Schultern. „Ich hab gestern aufgeschnappt, dass er was an der Station kaputtgemacht hat."
„Oh!", kommt es kurz von ihm. Ein Grinsen zieht sich jetzt über sein Gesicht. „Dann brauch ich mich nicht zu wundern, dass ihm niemand etwas von dem Fahrstuhl erzählt hat."
Irgendwie tut mir Otscharsan jetzt leid.
Der Gefangene ruft zum Aufbruch, ich folge ihm.
„Diese Geschöpfe scheinen sehr launisch zu sein", bemerkt der Mann. Ich vermute, dass er mit Geschöpfe Kaia und Gasard meint. „Gasard wird ziemlich wütend, wenn irgendjemand etwas an der Station beschädigt."
An der Tür warten wir. Otscharsan läuft nach oben, um einen der Gefangenen aus der Zelle zu lassen. Danach muss er wieder nach unten und jetzt ist der Zellennachbar von dem Mann neben mir dran.
„Sag mal, der Junge ist wohl etwas durcheinander?", kommt es von einem weiteren Gefangenen, der zu uns kommt.
Der Erste lacht etwas. „Nein, er kennt sich hier nur nicht aus", erklärt der Mann kopfschüttelnd. Dann zwinkert er ihm zu. „Er muss sich außerdem bei Gasard unbeliebt gemacht haben."
„Ach so", kommt es nur von dem Zweiten. Beide schauen zu dem jetzt wieder nach oben laufenden Otscharsan. „Was meinst du? Sollten wir ihm sagen, dass es einen Fahrstuhl für so etwas gibt?"
Die erste Wache lacht auf. „Ist doch ein Spaß jemanden wie ihn mal bei so etwas zuzusehen!"
Der Dritte der Gefangenen kommt zu uns. Er wirkt auch etwas verwundert über Otscharsan, doch der Rest klärt auch ihn auf. Als Nächstes spekulieren sie darüber, was ich wohl hier zu suchen habe.
Ich frage mich, wieso sie nicht einfach fragen können. Mein Blick liegt auf Otscharsan, der wieder nach unten darf, diesmal auf die zweite Etage. Das Ganze wiederholt sich, bis er nur noch in der obersten Etage einen der Gefangenen raus lässt.
Ein großer und dicker Kerl, der Otscharsan zu einer der Wände schleift. Sogar wir hören deutlich die Proteste des blonden Mannes.
„Was fällt dir ein?", hallt es durch das Gefängnis. „Du musst meinen Befehlen gehorchen und ich will nach unten!"
Plötzlich verstummt Otscharsan, nach einer Weile erfahre ich auch wieso. Ihm wird der Fahrstuhl gezeigt. Die Tür öffnet sich und ein dicker Kerl tritt heraus.
Musator, wie ich jetzt erkenne.
„Tz! Dieser Otscharsan! Denkt der etwa ich hätte Sport nötig?" Der Dicke lacht auf.
Otscharsan trottet hinter ihm her. Er wirkt etwas erzürnt, doch als er die Worte des Dicken hört, horcht er auf. Auf seinem Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.
„Na ja Musator, etwas hättest du doch Sport nötig." Der Blonde lacht laut auf. „Besonders, wenn man dich mit mir vergleicht."
„Was hast du?", ruft Musator. Er klopft sich auf seinen dicken Bauch. „Ich sehe doch toll aus!" Erst jetzt fällt sein Blick auf mich.
Im ersten Moment scheint er überrascht, doch kurz darauf lächelt er mich an.
„Was für ein Glück haben wir denn heute?", ruft Musator. „So eine nette Gesellschaft."
Otscharsan ruft zum Aufbruch.
Die Gruppe wird von ihm herausgeführt. Ein paar Wachen stehen vor dem Eingang, die sich vor Otscharsan verneigen. Vom Gefängnis aus geht es in den Fahrstuhl, der gerade groß genug für die Gruppe ist. Erst in einem der Hangar kommt der Fahrstuhl zum Stehen.
Voller Staunen folge ich der Gruppe, mein Blick geht dabei über die ganzen Raumschiffe. Es ist der Hangar, in dem ich vor ein paar Tagen erwacht bin, das erkenne ich an dem schwarzen Schiff, das von einem Podest aus über allen anderen thront.
„Otscharsan, was hast du eigentlich angestellt?", erkundigt sich einer der Männer.
Der Blonde bleibt stehen. Sein Blick wandert verwundert über die Gruppe. „Wer hat euch dass denn erzählt?", verlangt er zu erfahren.
Sofort deuten alle auf mich.
„Ich hab nur einen klitzekleinen Fehler gemacht", kommt es mit einem Seufzen von Otscharsan. Er läuft weiter zu der Schleuse.
„Was kann man dort drinnen nur für Fehler machen?", rätseln die Männer, als wir den Gang betreten.
Ich beschließe nichts weiter zu sagen. Nur nach einem klitzekleinen Fehler hat es sich nicht gerade angehört, bei dem, was Gasard berichtet hat.
Von der Decke wird ein schwaches Licht auf uns heruntergeworfen. Es reicht, dass wir gerade noch so, die Decke, den Boden und die Wände erkennen können, der Weg vor uns wird komplett von einem schwarzen Nichts verschluckt.
Als ich mit Mak durch die Schleuse geflogen bin, war alles dunkel. Allerdings hat damals der Weg kürzer gewirkt, als er es zu Fuß ist.
„Sag mal Junge, hier gibt es doch sicher auch etwas zum Transport", protestiert Musator. Er scheint genervt über den langen Fußmarsch, genauso wie der Rest der Truppe. Selbst ich wäre froh über etwas, dass uns schneller ans Ziel bringt.
Von Otscharsan kommt nur ein Schulterzucken. „Weiß nicht", gesteht er. „Ich lauf hier normalerweise nicht durch."
Trotz des langen Weges folgt ihm die Gruppe.
Es dauert noch eine ganze Weile, bis wir in der Ferne ein helleres Licht erkennen. Das Licht an der Decke scheint ab hier auszufallen. Überall stehen Lampen, durch die Wände und Decke hell erleuchtet werden.
Ab hier erkennt man auch, was für einen Schaden Otscharsan angerichtet hat.
An den Wänden sind mal links, mal rechts Dellen. Einige Stellen sind sogar aufgerissen. Etwas weiter die Schleuse entlang hören zwar die Risse auf, aber hier sind die Wände schwarz gefärbt.
Als wir am Ende ankommen, stehen wir vor den Überresten eines gewaltigen Tores, hinter dem notdürftig eine Wand errichtet wurde.
Gasard hat ja gesagt, dass Otscharsan sein Leben retten musste, indem er das Tor beschoss, aber nicht nur ich schaue mir die Trümmer verwundert an. Die Männer stehen davor und tauschen verwirrte Blicke. Scheinbar können sie nicht verstehen, wie man so etwas anstellen kann.
Vor dem Tor steht ein Gleiter, neben dem sich etliche Materialien (Bleche, Kabel und andere Ersatzteile) befinden.
„Ich sag doch, die haben hier Transportmittel!", ruft Musator laut.
„Die haben wir tatsächlich", kommt ein Knurren von der rechten Seite. Die Wand ist so geschwärzt, dass die offene Tür gar nicht auffällt, aus der jetzt Gasard tritt. „Nur lass ich den garantiert nicht so schnell noch mal an irgendetwas ran, das fliegt oder sich irgendwie anders fortbewegt."
„Was hat der Kerl hier eigentlich gemacht?", erkundigt sich Musator, dabei wandern seine Augen über den Schaden.
„Er hat versucht einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen, den so schnell sicher niemand brechen wird." Der zornige Blick des Rothaarigen wandert auf Otscharsan.
Dieser hat sich mittlerweile auf den Boden gesetzt. Klagend über seine Füße und den langen Weg, den er schon dreimal laufen durfte, schaut er auf Gasard. „Aber ich habe doch versucht, zu stoppen", protestiert Otscharsan. „Was kann ich denn dafür, wenn die Dinger nicht so schnell halten?"
Gasards Hände ballen sich zu Fäusten. Er wirkt angespannt. So als könne er sich kaum noch beherrschen, dem Blonden nicht plötzlich eine zu verpassen. „Otscharsan!" Seine Stimme klingt leise und warnend. „Wenn du nicht willst, dass ich dich ein paar Runden durch die Schleuse jage, dann solltest du lieber nichts mehr sagen!"
Otscharsan steht auf. Über sein Gesicht wandert ein Lächeln, während er zu Gasard geht. Er klopft dem Rothaarigen auf den Rücken und sagt: „Ach komm schon, das bisschen hast du doch bald wieder hergerichtet!"
Der Blonde macht sich schon daran fortzugehen, als ihn Gasard zurückhält. „Wo willst du jetzt eigentlich hin?", erkundigt sich der Rothaarige. Seine Wut ist immer noch nicht aus seiner Stimme gewichen.
Otscharsan bleibt stehen. „Na mein Job ist es nicht gerade hier herumzustehen", kommt es von ihm. „Da dachte ich mir, geh ich erst mal wieder auf mein Zimmer und ruhe mich von dieser ganzen Lauferei aus."
„Das kannst du vergessen, mein Lieber!" Über Gasards Gesicht zieht sich ein Grinsen. Otscharsan dagegen sieht nur fragend zu dem Anderen. „Wenn ich dir etwas befehle, musst du dem Folge leisten!", erinnert er den Blonden. „Diesmal habe ich nicht vor, wieder brav alles zu reparieren, was du kaputtgemacht hast. Und dich dann auch noch straflos davon kommen lassen, das werde ich auch nicht." Otscharsan wirkt verwirrt. „Du mein Freund, spielst hier die nächste Zeit den Laufburschen." Gasard wendet sich an die Männer und grinst sie auffordernd an. „Das gefällt euch doch sicher auch. Wenn ihr mir diesmal helft, bekommt ihr nicht nur leckeres Essen, sondern könnt auch ihn herumscheuchen."
Den Männern scheint der Gedanke sichtlich zu gefallen. Otscharsan dagegen hat sich noch nicht damit abgefunden.
„Was sagt eigentlich Torsos dazu, dass du einen seiner besten Männer von seiner Arbeit abhalten willst?", verlangt er zu erfahren. Auf seinem Gesicht bildet sich ein selbstsicheres Lächeln.
Gasard seufzt. Er hat sich scheinbar wieder etwas beruhigt. „Den solltest du lieber nicht kontaktieren", rät Gasard ihm. „Mit deiner Aktion hast du seine Politaris still gelegt und darüber ist er nicht gerade froh. Du weißt genauso gut wie ich, wie oft er sein Schiff benötigt."
„Dann bau doch eine weitere Schleuse ein", schlägt Otscharsan vor, der sich nun mit seinem Schicksal abgefunden hat. Er trottet langsam wieder zurück zu der Gruppe.
Musator deutet auf mich. „Ist das Mädchen eigentlich nur hier um uns Gesellschaft zu leisten?", erkundigt er sich.
Ein Nicken kommt von Gasard. „Ich habe mir gedacht, wenn euch die Arbeit nicht zusagt, dann kann sie mir etwas Gesellschaft leisten."
„Ein Kommandant als Laufbursch, dann hoffentlich eine Menge Essen", zählt Musator auf. „Wieso sollten wir ausgerechnet diesmal zu der Arbeit nein sagen?"
„Essen habe ich jedenfalls reichlich mit." Gasard will alles selbst holen, doch vorher fällt ihm Otscharsan ein.
Der Blonde trottet etwas grummelnd los und kommt mit einem großen Korb Früchte zurück.
„Und was ist mit mir?", erkundigt sich Musator.
„Ach, du findest dieses schreckliche Zeug, das es in der Kantine gibt ja ziemlich schmackhaft", kommt es lachend von Gasard.
Seine Kameraden klopfen dem Dicken auf die Schulter. „Du kannst unsere Rationen haben", rufen sie einstimmig.
„Das heißt wohl dann ja?", ruft Gasard begeistert. Die Männer nicken. „Okay, dann schaut ihr, ob ihr irgendetwas reparieren könnt." Gasard wendet sich an den Blonden. „Otscharsan, du bringst den Herren, was sie benötigen." Ein Seufzen kommt von dem Kommandanten, er lässt sich auf den Boden nieder und nimmt schmollend eine der Früchte.
„Ich wünsch dir, dass du Torsos nicht über den Weg läufst, der ist noch etwas wütender als ich", bemerkt Gasard. Er lässt sich neben dem Blonden nieder.
Auch ich setze mich neben den Korb und nehme mir eine der Früchte. Ein richtig angenehmer Start in den Tag.
„Aber ich bin nicht so und mach dir ein Angebot", spricht Gasard weiter. Otscharsan horcht neugierig auf. „Wenn du brav den Laufburschen spielst, dann darfst du Torsos sagen, du hättest dich freiwillig angeboten mir zu helfen, weil dir deine Tat so leidtut. Das würde ihn sicher etwas fröhlicher stimmen. Ich würde es sogar bestätigen."
„Klingt nett", ruft Otscharsan mit vollem Mund. „Gibt es da noch einen Haken?"
„Nein", lautet die Antwort. „Nur, dass du alles machst, was dir befohlen wird und das ohne dich zu beschweren."
„Und was hast du von der Sache?" Otscharsan sieht Gasard misstrauisch an, der jetzt begonnen hat zu grinsen.
„Mir reicht es, dass du mal so richtig herumgeschupst wirst." Gasard deutet auf die zehn Männer, die sehr vorfreudig ausschauen. „Ich glaub, das übernehmen die sehr gerne."
„Okay, Okay, was macht man nicht alles dafür, der Freund unseres allseits gehassten Imperators zu bleiben", grummelt er, nicht leise genug, dass Gasard es nicht gehört hätte.
„Lass ihn das nicht hören!", kommt es mit einem Zwinkern zu dem Blonden von Gasard.
„Ist doch nur die Wahrheit!", protestiert Otscharsan.
Gasard wendet sich mir zu. „Janine, Liebes."
Neugierig schaue ich zu ihm. Was er wohl von mir will?, frage ich mich.
Seine Hand streichelt durch mein Haar, auf seinen Lippen liegt ein nettes Lächeln. „Du bist doch sicher so lieb und holst mir noch etwas aus der Kantine."
„Das kann ich doch machen!", wirft Otscharsan ein.
„Nein, du bleibst hier! Bei dir wüsste ich nicht, wann du zurückkommst."
„Gerne!", kommt es von mir.
Gasard führt mich zu dem Gleiter und gibt mir dort so ein schwarzes Armband, wie auch Mak es trägt.
„Damit kannst du den Gleiter bedienen und hast auch die Berechtigung für ein paar Bereiche", erklärt er mir. Gasard nimmt meinen linken Arm und streift den Ärmel hoch. Das schwarze Armband, das er mir ummacht, ist nur hauchdünn und sehr elastisch. „Der Armreif, den du trägst, ist etwas komplizierter. Hier reicht es, wenn du das Band berührst." Er fährt mit seinen Fingern über das schwarze Band und schon wird ein Bedienfeld in die Luft projiziert.
Ich versuche mir zu merken, was er macht.
Gasard berührt eine Taste und schon wird eine Karte angezeigt, auf der die Umgebung zu sehen ist. Darauf ein Punkt. Dass es unser Standpunkt ist, braucht er mir nicht zu erklären.
„Du brauchst einfach nur Akara nach dem Essen fragen. Nur wo steckt die Gute gerade?" Gasard stellt etwas auf der Karte ein, dabei werden ein paar Räume angezeigt. „Ganz unten in der Station, in dem Bereich des Gefängnisses befindet sich auch die Küche, dort kannst du es ja mal versuchen." Auf der Karte wird eine rote Linie angezeigt, die zu einem der Räume führt. „Schau einfach dort vorbei." Er drückt erneut eine Taste und die Karte, samt des Bedienfelds, verschwindet.
Ich schaue das Armband an, dann auf ihn. Auch wenn es mir ein bisschen unangenehm ist, alles habe ich mir nicht gemerkt. Doch Gasard erklärt es mir noch mal genauer, wie ich die Karte aufrufe.
Als Nächstes ist der Gleiter dran. Gasard stellt alles so ein, dass ich nur noch eine bestimmte Taste drücken muss. Die Route hat er in den Gleiter eingegeben.
Nachdem Gasard ausgestiegen ist, mache ich, was er mir gezeigt hat. Der Gleiter setzt sich in Bewegung und ist schneller im Hangar, als ich mir dachte.
Zu Fuß ist es wirklich deutlich länger.
Sofort beim Verlassen des Gleiters öffne ich die Karte. Jetzt wird darauf die Umgebung des Hangars angezeigt und die rote Linie, der ich sofort folge.
Die Wege in der Station sehen alle gleich aus, sodass ich mir nicht vorstellen kann, wie man sich hier zurechtfindet. Ohne die Karte würde ich wahrscheinlich ziellos umherstreifen.
Sie führt mich direkt zu einem Fahrstuhl, dann durch ein paar Gänge, bis ich kurz vor meinem Ziel stehen bleibe.
Nicht, weil ich mich etwa doch verlaufen habe, nein dafür ist die Karte zu genau. Vor mir steht ein Paar. Eng umschlungen und sich leidenschaftlich küssend.
Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, mein ganzer Körper ist regungslos vor Angst, als ich beide erkenne.
Kyles Lippen lösen sich von denen seiner Geliebten. Tosa sieht ihn aus ihren grünen Augen heraus an und wirkt richtig glücklich. Er erwidert ihren Blick.
Aus der Ferne betrachtet geben beide schon ein süßes Paar ab, das frisch verliebt ist. Doch ich bezweifle, dass Kyles Gefühle für sie echt sind. Bei ihr dagegen zweifle ich weniger.
Seine Hand, die bis eben noch ihr braunes Haar gestreichelt hat, wandert jetzt unter den grünen Anhänger der Kette, den er ihr schenkte, und fährt sanft mit seinen Fingern darüber.
„Es steht dir ausgezeichnet, mein Liebling", haucht er
Tosa ist die Erste, die mich bemerkt. Ihre giftgrünen Augen sehen mich Störenfried zornig an.
Wir sind hier alleine. Wenn es die Beiden wollten, würden sie mich ganz schnell loswerden können, ganz ohne Zeugen, geht es mir durch den Kopf. Ich trete ängstlich einen Schritt zurück.
Kyle schaut ebenfalls zu mir, beachtet mich aber nicht weiter.
Er haucht ihr einen Kuss auf die Lippen und sagt: „Ich muss eh wieder gehen." Seine Hand fährt zärtlich über ihre Wange, bevor er auf mich zukommt. Seine Schritte stoppen neben mir.
Mein Herz beginnt vor Angst stark zu schlagen. Vielleicht sollte ich mit Mak über ihn reden.
„Vergiss nicht." Seine Stimme klingt drohend und er spricht so leise, dass ich genau hinhören muss, was er sagt. „Wenn Tosa erfährt, was passiert ist, dann sorge ich dafür, dass du Miststück von diesen Idioten umgebracht wirst!"
Ich zucke sichtlich zusammen. Doch Kyle sieht auch danach aus, dass er weitergehen will. Meine Knie fühlen sich fast an wie Pudding aber ich bin auch froh darüber, dass er endlich verschwindet. Bis er kurz zögert.
„Solltest du jemandem davon erzählen, dass du mich mit dieser miesen kleinen Sklavin gesehen hast, wird es dir sehr leidtun!"
Seine Worte beim letzten Satz klingen verächtlich. Er scheint nicht nur mit ihr zu spielen, sondern sie auch noch zu verachten. Nur was bezweckt dieser Kerl mit diesem Versteckspiel?, frage ich mich. Verwundert sehe ich ihm noch nach, bis er um die Ecke biegt.
Ob ich es ihr vielleicht sagen sollte?
Tosa sieht ihm die ganze Zeit mit einem Lächeln nach, doch als er weg ist, wandert ihr Blick auf mich und wirkt zorniger als sonst. Scheinbar gibt sie mir die Schuld, dass er fort ist.
„Was willst du hier?", knurrt sie mich an. „Die Gefangenen müssten doch alle noch brav in ihren Zellen stecken."
„Ich bin im Auftrag von Gasard hier", antworte ich. „Und ich soll bei Akara was abholen."
Tosa wendet sich ab. Barsch sagt sie: „Akara ist nicht da und wird so bald sicher nicht wiederkommen."
Oder ich sage es ihr doch nicht und lass dieses Biest selbst sehen, was für ein übler Kerl ihr geliebter Kyle in Wahrheit ist, geht es mir durch den Kopf. Zorn steigt in mir auf über Tosas biestige Art mir gegenüber.
Dabei hab ich der doch nicht mal was getan.
„Wo könnte sie sein?", erkundige ich mich bei ihr. Ich versuche ruhig zu bleiben, was sie mir allerdings nicht gerade leicht macht.
Tosa wirbelt zu mir herum und wirkt von mir genervt. „Keine Ahnung!", brüllt sie mich an. „Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es dir sicher nicht sagen."
Mittlerweilen kann ich mich nicht mehr beherrschen. „Denkst du, ich bin scharf darauf mit dir Biest reden zu müssen?", gehe ich sie zornig an. Eingeschnappt wende ich mich von ihr ab und will schon losgehen, doch stoße mit einem muskulösen Mann in grauer Uniform zusammen.
Sein Blick, der auf mir liegt, wirkt verwirrt. „Müsstest du nicht eigentlich woanders sein?" Seine schwarzen Haare fallen ihm wirr in sein hübsches Gesicht, seine braunen Augen sehen mich gespannt an. Schade finde ich nur, dass er nicht die gleiche Uniform wie gestern trägt. Schwarz sieht besser an Mak aus, als dieses Grau.
Ob ich froh sein soll, ihm zu begegnen, immerhin könnte ich von meiner Angst vor diesem Kyle erzählen. Doch seine nächste Bemerkung zeigt mir, dass ich auf ein Treffen mit ihm gut und gerne verzichten kann.
„Du könntest auch in einem weichen Bett liegen." Beim nächsten Satz, den er sagt, grinst er mich an. „Mit einem wirklich gut aussehenden Mann."
„Und der bist sicher du!" Ein Seufzen dringt über meine Lippen. Das folgende Nicken kann er sich eigentlich auch sparen. Mir ist die Antwort schon klar. „Du bist mir aber definitiv zu alt!", knalle ich ihm an den Kopf.
Mak zuckt mit den Schultern.
„Ich kann mir schon denken, wen du suchst", kommt von ihm. „Akara. Die kommt sicher auch gleich. Aber bis dahin könntest du mir bei einem Problem mit einem guten Bekannten von dir helfen. Deswegen suche ich dich schon eine Weile."
***
Gasard wird mir immer sympathischer, auch wenn ich nicht verstehe, wieso ihn alle hassen. Ich fühle mich richtig wohl in seiner Nähe.
Meine Meinung zu Mak hat sich immer noch nicht geändert. Seine Art ist mir einfach zu aufdringlich. Doch was er damit meint, ich solle ihm bei Moriphos helfen?
Doch das werde ich nur erfahren, wenn ich einwillige.