Gift? Wem das wohl gilt?
Ich sitze einfach nur auf dem Stuhl und beobachte Gasard bei dem, was er macht. Helfen würde ich ja gerne, doch im Moment kann ich nur dasitzen und ihm zuschauen.
Ob ich ihm wohl irgendwann richtig helfen kann?
***
Nachdem Mak das Zimmer verlassen hat, gibt mir Gasard den Armreif zurück. Etwas, das mir schlagartig klar macht, dass ich, sobald er fertig ist, wieder ins Gefängnis muss. Ein Gedanke, bei dem mir unwohl wird.
Gasard geht zu einer Wand. Genau, wie ich es schon in Maks Zimmer gesehen habe, verschwindet auch hier ein Teil davon, als er etwas in das Bedienfeld eingibt, und es wird ein Fach mit Geschirr und Gläsern geöffnet. Er nimmt sich eines der Gläser und betätigt erneut ein paar Tasten des Bedienfeldes. Was sich jetzt öffnet, gleicht einem Kühlschrank. Es ist ein kleines Fach, in dem ein paar der Früchte liegen, daneben befindet sich eine Aussparung, in die gerade mal ein Glas passt. Wie ich jetzt sehe, ist es auch dafür.
Gasard stellt das Glas hinein, das sich sofort mit klarem Wasser füllt. In der Todeszone gibt es eine kleine Wasserstelle, die allerdings etwas anders aussieht.
Neugierig folge ich Gasard mit meinem Blick, wie er mit dem Wasserglas zu einem Tisch geht und es untersucht. Ich trete zu ihm, mein Blick wandert voller Neugier über seine Schulter.
„Janine", spricht er mich an. „Würdest du dich bitte hinsetzen. Im Moment störst du nur."
Ich will seiner Aufforderung folgen, doch als ich losgehe, springt er plötzlich auf. Sofort trete ich einen Schritt erschrocken zurück.
Neugierig wandert mein Blick zu seiner Arbeitsfläche, dann in sein vor Schreck bleiches Gesicht.
Sein Blick ist starr auf das Glas gerichtet. Ob darin das Gift ist?, frage ich mich.
„Was ist los?", erkundige ich mich. Meine Hand legt sich auf seine Schulter, mein Blick liegt besorgt auf ihm.
Der Rothaarige sieht mich an, ein Seufzen dringt über seine Lippen. „Wenigstens hatte ich mit meiner Vermutung recht." Nachdem Gasard sich beruhigt hat, wirkt er nicht mehr so erschrocken, sondern eher erleichtert. „Nur wird es Torsos nicht gefallen."
Neugierig sehe ich ihn an.
„Eigentlich wird es wohl niemandem gefallen", sagt Gasard, während er in die Luft greift. Unter seiner Hand wird ein Bedienfeld projiziert, diesmal gleich mit einer Art Bildschirm. Lauter Abbildungen und Zeichen sind darauf, mit denen ich nichts anfangen kann, dennoch bleibt mein Blick neugierig darauf liegen.
Nach einer Weile tritt Mak wieder ins Zimmer.
Er ist vollkommen außer Atem. Sein schwarzes Haar ist nass vor Schweiß, über seine Wange kullert eine Schweißperle.
„Gasard, du hättest die Station auch ruhig etwas besser ausstatten können. Mit irgendwas, dass einen schneller und bequemer durch die Gänge bringt, als zu Fuß."
Langsam geht er zu der Wand, aus dem Gasard vorhin das Wasserglas geholt hat.
„Die Krankenstation liegt den Hangars näher als mein Zimmer!", bemerkt der Rothaarige, dabei nimmt er seinen Blick nicht vom Bildschirm.
Wie Gasard vorhin, nimmt Mak eines der Gläser und stellt es in die Aussparung für das Wasser. Verwirrt schaut er auf das Glas, das leer bleibt und sich nicht, wie bei Gasard vorhin, von alleine füllt.
Er will schon etwas sagen, doch der Rothaarige kommt ihm zuvor.
„Übrigens, ich hab das Wasser abgestellt", sagt er im richtig beiläufigem Ton. Aber selbst Maks Reaktion darauf wirkt ungerührt. Er zuckt nur mit den Schultern und geht dann zu einem anderen Fach um eine Flasche herauszuholen.
„Willst du was davon haben?", erkundigt er sich bei Gasard.
„Gerne!", kommt es von dem Rothaarigen, während er weiter mit dem Bedienfeld beschäftigt ist.
„Also im Trinkwasser ist das Gift?" Mak stellt das Glas und die Flasche auf einen Tisch. Gasard nickt, auch wenn weder er noch der andere einen Blick auf den Gesprächspartner wirft. „Weißt du auch schon, wer als Letztes dort drinnen war?", fragt Mak, der zum Schrank geht. Er holt zwei weitere Gläser heraus.
Mein Blick wandert immer von Einem zum Anderen. Dass sie das Thema so kühl diskutieren, wundert mich. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass eine Panik die falsche Art wäre, an so etwas heranzugehen.
„Leider ja", kommt es mit einem Seufzen von Gasard. Sofort hat er Maks Aufmerksamkeit, der gerade alle Gläser mit Saft füllt. „Einer aus Martos Truppe war als Letztes drinnen."
„Aus Martos Truppe?" Aus dem Blick des Schwarzhaarigen spricht Unglauben über die Worte des anderen. „Der hat doch seine Truppe im Griff!" Er schüttelt den Kopf, dann wendet er sich dem Glas zu.
„Es wird eine Zeit lang dauern, bis ich alles wieder in Ordnung gebracht habe", kommt es seufzend von Gasard. „Das wird ein stressiger und protestreicher Tag. Nachher sag ich in der Küche bescheid, dass soweit wie möglich die Früchte verteilt werden …"
„Aber die hab ich doch erst geholt!", protestiert Mak, während er unsere Gläser bringt. „Wieso ausgerechnet diese leckeren Dinger? Ein Tag hungern, vertragen die Jungs sicher auch!"
„Machst du da freiwillig mit beim Hungern?" Gasard lacht lauthals auf.
Ich nehme einen Schluck aus dem Glas und betrachte die Beiden neugierig. Gespannt bin ich auf Maks Reaktion.
„Ich kann dich eh nicht daran hindern, also schleiche ich mich nachher in die Küche und klau mir ein paar!", kommt es lachend von Mak. Er geht zu seinem Glas und setzt sich auf den Tisch.
„Das sieht dir mal wieder ähnlich!", sagt Gasard mit einem Kopfschütteln.
„Unten im Gefängnis wird es sicher wieder Ärger geben", meint Mak. Er nimmt einen Schluck aus dem Glas.
Ärger klingt in meinen Ohren nicht gerade angenehm. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich dann besonders darauf achten muss, niemandem auf die Füße zu treten.
„Bleibe einfach in Musators Nähe. Da dürfte dir nichts passieren." Mak zwinkert mir zu.
„Und sag bitte niemandem etwas davon, was du hier gehört hast", bittet mich Gasard.
Ich nicke zu beiden. Maks Rat ist mir selbst schon klar. Musator scheint dort sehr viel Respekt zu genießen aber auch sehr viel Macht zu besitzen, das hab ich ja bei dem Angriff auf Nora und mich gesehen. Die Gefangenen gehorchen ihm ja fast sogar aufs Wort.
Mak leert sein Glas.
„Ich bring die Kleine mal wieder dahin, wo sie hingehört", ruft Mak zum Aufbruch. Er stellt sein Glas hin und läuft los. Ich leere meines schnell, dann folge ich ihm.
Mak führt mich durch die Gänge der Station bis wir an der Tür angelangen, die zu den Wachen auf das Podest führt.
Als sich die Tür öffnet, dringen Protestschreie zu uns. Die Gefangenen protestieren gegen die Abstellung des Trinkwassers und Streichung sämtlicher Mahlzeiten. Sie schreien mit der Bitte um Erklärung, doch die Wachen sagen nur, dass sie darüber keine Auskunft geben dürfen.
Ich bekomme von Mak einen leichten Schubs mit der Aufforderung weiter zu gehen. Brav folge ich und gehe langsam die Treppe hinunter. Hinter mir unterhält sich Mak mit Marto. Es scheint ein hitziges Gespräch zu werden. Mak wirkt geschockt und aufgeregt, doch über was sie reden, das kann ich nicht verstehen.
Auf der Hälfte der Treppe stehe ich auch schon vor der wütenden Meute. Sie werfen mit Beschimpfungen und Flüchen nach den Wachen, rufen etwas von Ungerechtigkeit und was denen einfällt sie einfach hungern und dursten zu lassen.
Am liebsten würde ich zurückgehen, doch es geht nicht, also versuche ich, mich durch die Menge zu kämpfen. Es ist nicht einfach. Hin und wieder werde ich weggeschubst, von einem der Männer bekomme ich sogar einen Schlag auf den Oberarm, der sich gerade mit einem der anderen Gefangen prügelt.
Meine Hand reibt über die schmerzende Stelle, als ich endlich aus der Masse trete. Glücklich darüber endlich raus zu sein, lehne ich mich an die Wand.
„Hat irgendeiner was ausgefressen, von dem ich nichts weiß?", dringt es an meinen Ohren.
Außerhalb der Masse steht Musator, sein Haar ist noch nass vom Duschen, seine Hände liegen am Kragen von einem der Mitgefangenen. Er wirkt wütender. Noch mehr sogar, als er von dem anderen die Antwort bekommt, dass dieser es nicht weiß.
Eine Antwort, nach der er den Mann loslässt, doch es dauert nicht lange, bis er mich entdeckt.
„Kann ich mal mit dir reden, Mädchen?" Musator sieht mich direkt an, der Zorn ist dabei nicht aus seinem Blick gewichen.
Eingeschüchtert von seinem Ton und seinem Blick bringe ich ein Nicken zustande, auch wenn ich ungern in so einem erregten Zustand mit ihm reden möchte. Da macht Musator selbst mir Angst, obwohl er bisher ganz nett und umgänglich auf mich gewirkt hat.
Er fordert mich auf, ihm zu folgen. Trotz meiner Furcht und bedenken folge ich ihm brav, abseits der Meute, in eine eher ruhige Ecke, wo er sich sofort gegen die Wand lehnt. Einen Augenblick scheint er zu warten, dabei hält er die Augen geschlossen und legt seinen Kopf in den Nacken. Scheinbar um sich etwas abzuregen. Ich hoffe auch, dass er sich beruhigt und mich nicht genauso ruppig befragt wie den anderen Gefangenen.
„Du bekommst doch ziemlich viel mit", spricht er nach seiner kurzen Pause. Er wirkt jetzt deutlich ruhiger. Der Blick, der auf mir liegt, ist auch nicht mehr voller Zorn, sondern neugierig auf meine Antwort.
„Als ich Gasard geholfen habe, wurde auch über dieses Thema gesprochen", antworte ich ihm.
„Mädchen, du hast Gasard nicht geholfen, eher behindert!", schnaubt Musator auf. Dabei braucht er es mir nicht mal so deutlich zu sagen. Ich weiß, dass ich Gasard keine große Hilfe gewesen bin. „Alleine hätte er es heute sicher hinbekommen, dass das Transportmittel für die Schleuse wieder einsatzbereit ist. Der lässt sich von dir sicher nur behindern, weil er Mitleid mit dir hat."
Auch wenn Musator sich beruhigt hat, seine harten und ehrlichen Worte machen mich wütend. Ich habe mich doch angestrengt, ihm zu helfen.
Ein Seufzen dringt über Musators Lippen. „Ich weiß, ich sollte es nicht sagen, aber dem tut es mal gut, dass ihn jemand von der Arbeit abhält. Der muss ja kaum Freizeit haben und ist immer hier unten, da bekommt ja man ja Mitleid mit dem Kerl."
Selbst ich finde es übertrieben, dass er in seiner Position so viel macht.
„Was ist nun los?" Musators Blick liegt fordernd und streng auf mir, doch ich darf ja nichts sagen.
„Gasard hat mir gesagt, ich darf es niemandem erzählen", kommt es von mir.
„Verdammt Mädchen, ich bin kein niemand!", geht er mich an, dabei steigt Zorn in seinem Blick auf. „Dieser Haufen kann ziemlich schnell ungemütlich werden, wenn sie niemand zurückhält und ich mache nichts, wenn ich nicht weiß, was los ist."
Ein beklemmendes Gefühl bildet sich in meiner Brust unter seinem zornigen Blick. Ich trete einen Schritt zurück, dabei hebe ich beschwichtigend meine Hände.
Ein Fehler.
„Es tut mir leid, aber Gasard …!"
„Gasard hat nichts dagegen, wenn ich irgendetwas erfahre!", unterbricht Musator mich und schreit mich dabei regelrecht an. „Denkst du, ich hab Lust bei allem zu den Wachen zu rennen, um dort nur dumme Sprüche zu bekommen." Sein Blick wandert plötzlich über meinem Körper und bleibt auf meinen Handgelenken liegen. Einen Augenblick spricht Verwirrung daraus.
Erst jetzt fällt mir mein Fehler auf.
„Du bist also nichts weiter als eine kleine Spionin", kommt es seufzend von ihm, während ich meinen Ärmel hochziehe, der heruntergerutscht ist, als ich meine Hände erhoben habe.
„Ich bin keine Spionin!", protestiere ich, doch mir ist schon klar, dass er mir nicht glaubt. Die Wahrheit würde er mir sicher auch nicht glaube. Selbst ich habe damit Probleme, dass mein richtiger Vater als Held bekannt sein soll.
„Und was sollst du sonst sein?", kommt es mit einem Auflachen von ihm, dass sein Unglauben klarer macht. „Als das letzte Mal ein Spion unter den Gefangenen war, wurde der sehr schnell enttarnt und von den Typen vor seinem Tod gefoltert. Die Wachen haben dabei nur zugeschaut. Ich will nicht wissen, was passiert, wenn irgendjemand der Armreif auffällt."
Ich schlucke laut. Das beklemmende Gefühl in meiner Brust wird noch stärker. Eine unbändige Angst steigt in mir auf. Er wird mich denen doch hoffentlich nicht ausliefern, jetzt wo er den Armreif gesehen hat. Bisher scheint er ganz nett.
„Sag mir endlich, was hier los ist!", verlangt Musator von mir zu erfahren. Seine Stimme klingt fordernd, sein Blick wirkt ungeduldig, als sei er es leid mit mir zu diskutieren. „Ich könnte dich auch diesem Haufen vorwerfen." Er deutet mit seinem Blick zu den Gefangenen. Sofort zuck ich ängstlich zusammen. „Damals, beim letzten Spion, waren sie nicht so wütend wie heute."
„Ich bin kein Spion!", protestiere ich erneut, aber nicht so energisch wie vorhin. Er glaubt es mir eh nicht, das macht mir sein wütender Blick klar, der auf mir liegt. „Okay, okay", kommt es seufzend von mir. „Nicht nur hier unten in der Todeszone wurde das Trinkwasser abgestellt. Gasard hat was davon gesagt, dass er weitestgehend Früchte verteilen wird, was mir stark danach klingt, als würden diese nur für einen Teil der Besatzung der Station reichen."
Der Zorn aus Musators Blick weicht Verwirrung. Es scheint so, als versteht er meine Worte noch nicht ganz.
„Irgendjemand hat das Trinkwasser verseucht", komme ich zum Punkt.
„Und da ist die Station dafür bekannt, es Attentätern und Spionen schwer zu machen", sagt Musator. Dabei schüttelt er den Kopf. „Selbst die Besatzung besteht hauptsächlich aus den loyalsten Untertanen von Torsos."
Musator deutet mir an ihm zu folgen. Sein Weg führt zur Kantine.
„Ich bin trotzdem kein Spion!", protestiere ich leise und mit deutlich schmollendem Ton, als wir am Eingang der Kantine ankommen. Ich weiß er glaubt mir nicht, aber was kann ich denn dafür, dass ich das dämliche Ding trage? Habe ich mich denn darum gerissen, hierher zu kommen? Am liebsten wäre ich zuhause bei meinen Eltern.
Mein Blick wandert bedrückt zum Boden.
Wie sehr wünsche ich mir, dass alles beim Alten wäre.
Musator bleibt nach meinem Protest sofort stehen und wirbelt zu mir herum. Seine Aktion kommt für mich so überraschen, dass ich gegen ihn stoße. Sein Blick, der auf mir liegt, wirkt genervt von meinem Protest.
„Und was bitteschön sollst du sonst sein?", verlangt er von mir zu erfahren.
Es ist deutlich, wie leid er es ist, von mir immer das Gleiche zu hören. Doch wie weit würde er der Wahrheit Glaube schenken, wenn es sogar für Marto unglaublich klingt?
„Wenn ich nichts weiter als eine Spionin wäre, würde Gasard mich dann bei seiner Arbeit dabei haben wollen?", frage ich ihn.
Von Musator kommt nur ein Kopfschütteln. Als sein Blick danach auf mich fällt, scheint er mich von oben bis unten zu mustern. Er wirkt dabei leicht skeptisch.
„Also, wenn man sich dich genauer betrachtet, kann man auf die sehr abwegige Idee kommen, du stammst von derselben Rasse wie Torsos", kommt es von Musator. Ich schweige und er schüttelt erneut den Kopf. Dann geht er weiter. „Pass nur auf, dass niemand anderes das Ding zu Gesicht bekommt", warnt er mich noch, bevor wir an das Fenster für die Essensausgabe kommen.
Ich nicke. Dass so etwas noch einmal passiert will ich nicht, dafür hänge ich zu sehr an meinem Leben.
Musator klopft an die das Fenster, um sich kurz noch einmal bei Akara über die Situation zu erkundigen. Doch mehr als ich kann sie ihm nicht sagen. Als Nächstes versucht er die Gefangenen zu beruhigen.
Ich bin überrascht, wie die Anderen auf ihn hören. Es kommen zwar einige Proteste, doch am Ende beruhigen sie sich wieder.
Er scheint hier wirklich von vielen respektiert zu werden. Etwas, dass ich beeindruckend finde bei solchen Gesellen.
Als sich alles wieder beruhigt hat, gehe ich los um Nora zu suchen. Sofort, nachdem ich sie gefunden habe, erkundigt sie sich danach, was ich gemacht habe. Sie fragt mich ja regelrecht aus, bis zum Abend.
Gerade als sie fertig ist, wird Moriphos wieder in die Todeszone gebracht. Er wirkt aufgeregt und besorgt, als er zu mir kommt.
„Geht es dir gut, hat dieser Bastard dir noch irgendwas angetan?", ist seine erste Frage an mich.
Ich versuche ihn zu beruhigen, doch es klappt nicht. Er ist einfach zu aufgeregt von der Sache.
Erneut frage ich mich, ob es nur sein Beschützerinstinkt ist, doch seine Reaktion ist eindeutig. Süß finde ich es ja. Besonders da er ein netter Mann ist. Doch mehr als Freundschaft empfinde ich nicht für ihn.
Den Rest des Abends unterhalten wir uns weiter über irgendwelche belanglosen Dinge.
***
Dank Musator haben sich die Gefangenen zwar beruhigt, doch je später der Abend wird, umso mieser wird die Stimmung. Selbst dem Dicken fällt es schwerer, alle unter Kontrolle zu halten.
Jetzt liege ich auf der Liege, in der Hoffnung etwas Schlaf zu finden. Bisher sind die Gefangenen mit ihrem Protest so laut gewesen, dass keiner einschlafen konnte. Zwar schlafen jetzt alle, doch mir gelingt es immer noch nicht. Immer wenn ich meine Augen schließe, sehe ich die Bilder meiner Mutter vor mir. Wie sie in den Ketten hängt, ihr zerschundener Körper. Es ist einfach schrecklich und ich hoffe sie sehr bald wieder zu sehen, um mich davon zu überzeugen, dass es ihr besser geht.
Moriphos hat bis eben noch mit mir geredet. Er wollte wissen, wieso ich ihn gebeten habe von Mak abzulassen. Als Nora das mitbekommen hat, erfuhr Moriphos ihre Meinung, die ziemlich laut gewesen ist. Sie hat ihm auch gleich die Antwort gegeben, das Mak unser Retter ist.
Damit hat er dann Ruhe geben, auch wenn er eifersüchtig auf Mak zu sein scheint.
Ich beschließe erneut es mit Schlaf zu versuchen und drehe mich auf die andere Seite. Gerade als ich meine Augen geschlossen habe, wird leise meine Zelle geöffnet. Schritte kommen auf mein Bett zu. Sofort reiße ich meine Augen auf.
Mein Herz beginnt bis zum Hals zu schlagen, als sich eine Hand auf meinen Mund legt, um einen Schrei zu unterdrücken.
Kyle!, geht es mir durch den Kopf. Will er mich zum Schweigen bringen? Damit ich Tosa nichts sage oder aus einem anderen Grund. Oder er will das nachholen, an dem ihn Mak gehindert hat?
Mit leichtem Druck zwingt mich der Mann ihn anzusehen und was ich sehe überrascht mich sehr.
Von dem Armband aus kommt ein schwacher Lichtschein, der gerade dazu genügt in ihm einen Mann zu erkennen. Mit wunderschönen haselnussfarbenen Augen und einem hübschen Gesicht, in das ein paar der Strähnen seines rabenschwarzen Haares wirr fallen. Seine Uniform ist die einer Wache, auch wenn ihm diese nicht so ganz steht, wie seine eigene. Auf seinem Gesicht liegt ein Lächeln und er deutet mir an, ruhig zu sein.
Auf seinem Hals prangen immer noch die Male der Kette, mit der Moriphos ihn gewürgt hat.
Mak nimmt mir langsam die Hand vom Mund.
„Hey Kleine, hast du Lust auf etwas Spaß?", will er im leisen Ton von mir wissen, sein Blick dabei ist auffordernd. So sehr sogar, dass er mich misstrauisch werden lässt.
„Was für eine Art Spaß?", will ich skeptisch wissen.
„Das siehst du schon!", kommt es nur von Mak. Seine Hand erfasst meine und zieht mich einfach mit sich. Als ich mich zu wehren beginne und losreißen will, nimmt er mich in seine Arme.
„Es passiert schon nichts Schlimmes!", sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich gebe Ruhe und werde von Mak an die Tür zum Arbeitsraum getragen. Hier werden wir sofort von einer Gruppe bestehend aus insgesamt 27 Männern empfangen. Alles Gefangene, zehn davon haben heute Gasard geholfen.
„Kleines, hin und wieder mach ich mir einen netten Abend mit den Jungs", erklärt er mir. „Und ich dachte, du hättest gern mal etwas Spaß."
Ich sehe Mak mit einem zuckersüßen Lächeln an, mit dem ich auf der Erde schon so manchen Jungen bezaubert habe.
„Mein Name lautet Janine, also nicht Kleines!", sage ich ihm.
Sofort lässt mich Mak herunter und stellt sich vor mir auf.
„Du bist kleiner als ich und jünger, also passt es doch prima", bleibt er stur.
Wieso gebe ich die Hoffnung eigentlich nicht einfach auf, dass Mak mich irgendwann beim Namen nennt.
Ein Seufzen kommt von mir. Als Mak und die Männer weitergehen, folge ich ihnen. Vielleicht wird die Nacht ja ganz angenehm.
„Wozu ist eigentlich das Mädchen da?", erkundigt sich einer der Männer bei Mak. Alle haben mir schon eine Weile verwunderte Blicke zugeworfen, er ist der Erste, der es anspricht.
„Ach ich dachte mir, etwas weibliche Gesellschaft ist doch mal ganz nett", antwortet Mak ihm.
„Aber ein Kind, wie sie zu einem zünftigen Saufabend mitnehmen?", ruft Musator. Etwas das mich leicht erzürnt.
„Wir alle hätten da lieber was Älteres und ein netter Anblick, nicht so ein kleines Kind", meint ein anderer Gefangener.
„Ich bin kein Kind, ich bin schon 16!", protestiere ich sofort laut. Ich bin so verdammt wütend darüber, dass sie mich als Kind betiteln. Zwar bin ich jünger als sie, aber kein Kind mehr!
„Stimmt!", ruft Mak laut. Was mich im ersten Moment wundert. Der betitelt mich doch am häufigsten als Kind. Doch es dauert nicht lange und er geht näher zu den Männern. Er spricht leise aber laut genug, dass auch ich es verstehe. „So ganz Kind ist die Kleine auch nicht mehr. Was haltet ihr davon, wenn wir sie abfüllen und dann unseren Spaß mit ihr haben. Hüllenlos auf dem Tisch tanzen und so." Er schaut die Jungs auffordernd an, dann grinsend zu mir.
„Das kannst du vergessen!" Eingeschnappt wende ich meinen Blick von ihm ab.
Mak tritt direkt vor mich. „Glaub mir, dass will auch keiner!", ruft Mak. Über sein Gesicht zieht sich dabei ein Grinsen. „Ich hab dich in der Dusche ja schon nackt gesehen und glaub mir, auf einem Mann wirkt das nicht gerade anziehen, Kleine!"
Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Noch ein Wort von Mak und er bekommt erneut eine Ohrfeige. Was sich dieser Kerl herausnimmt, mich erst so zu necken und dann so beleidigend zu sein?
Die Männer beginnen untereinander zu tuscheln.
„Ja was sagt ihr denn dazu? Mak schleicht sich sogar in die Dusche, wenn kleine Mädchen duschen."
„Dass hätt' ich auch nicht erwartet."
„Ja Mak, scheint in Wirklichkeit ein Spanner zu sein."
Während dem Tuscheln der Männer wirkt Mak einen Augenblick sprachlos, jetzt dagegen protestiert er energisch. „Hey, hey!", kommt es von Mak. „Ich hab es ganz sicher nicht nötig kleinen Mädchen nachzustellen. Es gibt genug Frauen, die sehr gerne mit mir zusammen sind." Hilfesuchen wirkt sein Blick, als er zu mir schaut. Scheinbar ist er um seinen guten Ruf besorgt. „Sag du doch, wie es wirklich war!"
Soll ich, oder soll ich nicht? Einen Augenblick denke ich darüber nach, zu erzählen, was in der Dusche passiert ist, beschließe dann aber mal genauso mies zu ihm zu sein, wie er zu mir.
„Spanner!", rufe ich nur laut und strecke ihm die Zunge raus.
Die Jungs lachen lauthals auf. Musator ist es, der zu Mak tritt. Er klopft dem Jüngeren derb auf den Rücken und ruft dabei lachend: „Es war eine gute Idee das Mädchen mitzunehmen! So amüsant hat ein Abend noch nie begonnen."
Langsam gehen wir alle zur Kantine.
Der Raum ist hell erleuchtet. Auf einem der Tische stehen ein paar Gläser und Flaschen. Dahin gehen die Männer auch sofort. Ich selbst habe allerdings keine Chance mir einen Platz zu suchen. Mak sorgt schon dafür, dass ich mich neben ihn setze. Zu meiner Rechten ist ein Mann, der mir eigentlich nur vom Sehen her bekannt ist. Links neben Mak sitzt Musator.
Die Männer nehmen sich die Gläser und füllen sie mit dem Inhalt der Flaschen, einer klaren Flüssigkeit. Ziemlich starker Alkohol, wie ich mitbekomme, als der Mann neben mir einen Schluck trinkt.
Ich sehe zu Mak. „Hast du nicht für mich irgendwas mitgebracht?", frage ich ihn. Hier herumsitzen, den Männern zusehen und nicht einmal etwas Saft zu trinken zuhaben, ist nicht gerade etwas, dass ich unter einem netten Abend verstehe. Aber wirklich scharf darauf, das Zeug zu probieren, dass ein paar der Männer wie Wasser ihre Kehle herunter kippen, bin ich auch nicht.
„Sorry Kleine, aber Drinks für Kinder habe ich nicht mitgebracht!", sagt Mak zu mir.
„Ich bin kein Kind!", protestiere ich.
Sofort bekomme ich von Mak sein Glas zugeschoben. Dabei zieht sich über sein Gesicht ein Grinsen. „Dann trink doch!"
Neugierig aber dennoch vorsichtig schnuppere ich daran. Von der Ferne riecht es schon stark nach Alkohol, aber jetzt kipp ich fast alleine vom Geruch um.
Mein Blick wandert zu Mak, der mich gespannt ansieht, abwartend, was ich nun mache.
„Ist doch nicht das richtige für ein kleines Mädchen wie dich." Er lacht auf.
Oh verdammt, worauf habe ich mich hier nur eingelassen? Das stärkste, was ich bisher trank – jedenfalls von dem meine Eltern wissen –, ist ein Glas Sekt gewesen. Kurz vor meinem Geburtstag. Die Drinks, von denen sie nichts wissen, waren harmlos im Vergleich zu dem.
Aber ich will in Maks Nähe auch nicht als kleines Kind dastehen.
Meine Hände ergreifen das Glas, sofort schauen mich alle gespannt an. Mak wirkt sogar überrascht. „Ich bin kein kleines Mädchen!", rufe ich erneut laut und strecke dabei Mak die Zunge raus. Sofort danach kippe ich mir das Zeug komplett in den Mund und lass es meine Kehle herunter laufen.
Ein Fehler.
Ich beginne kräftig zu husten, während der Geschmack von dem Zeug auf meiner Zunge und in meinem Hals regelrecht brennt. Das Glas landet vor mir auf den Tisch.
„Kleines, wusste ich doch, dass so was nichts für dich ist!" Mak lacht lauthals auf, dabei füllt er sein Glas erneut, lässt es jetzt aber vor sich stehen. „Ich sag ja, es ist kein Drink für Kinder!"
Mein Blick liegt zornig auf ihm. Wieso muss er immer so fies zu mir sein?
Mak stellt ein anderes Glas vor mich, das er mit einer saftähnlichen Flüssigkeit füllt. „Das ist mehr was für kleine Kinder", kommentiert er.
„Ich bin kein Kind und vertrage schon was", schmolle ich, doch meine Lüge glaubt mir keiner am Tisch.
„Bitte!", ruft Mak, nachdem er die Flasche wieder weggestellt hat und mir jetzt wieder sein Glas vor die Nase stellt.
„Aber ich glaube, das reicht mir schon für heute", rufe ich mit einem Seufzen. Ob ich von dem anderen Glas einmal versuchen sollte?, frage ich mich.
Mak schiebt es vor mich. „Das ist etwas harmloser", sagt Mak dabei.
„Saft?", erkundige ich mich.
„Probieren!", kommt es lächelnd von ihm.
Okay, ich sollte misstrauischer sein, nach dem letzten Mal. Doch meine Neugier ist groß. Daher nehme ich das Glas und mustere es. Optisch wirkt das Zeug wie der Saft, den ich auch in Gasards Zimmer getrunken habe. Als Nächstes kommt ein vorsichtiger Geschmackstest. Nur einen Schluck. Und auch hier schmeckt es wie der Saft.
Lecker!
Sofort leere ich das Glas, besonders nachdem heute das Wasser abgestellt wurde und ich seitdem nichts mehr trinken konnte.
Dass in dem Glas kein Saft ist, merke ich nach einer Zeit. Doch dann ist es mir egal. Selbst das Tuscheln von Mak und Musator bekomme ich nur halb mit. Für Ablenkung sorgen schon ein paar der Männer, die angefangen haben, sich mit mir zu unterhalten.
„Meinst du nicht, du solltest dem Mädchen sagen, dass einiges an Alkohol in dem Cocktail ist?", erkundigt sich Musator bei Mak, von dem allerdings nur ein Kopfschütteln kommt. „Aber sie sieht mir kaum aus, als ob sie es gewöhnt ist." Musator wirkt regelrecht besorgt um mich. „Hast du denn kein schlechtes Gewissen dabei?"
„Nein!", antwortet Mak nur knapp.
„Du willst das doch nicht wirklich machen, was du vorhin vorgeschlagen hast!", fragt Musator und sieht den Schwarzhaarigen dabei erschrocken an. Scheinbar traut er ihm sehr viel zu.
„Das wäre zwar wirklich amüsant aber nein", kommt es von Mak.
„Janine, tut mir leid. Das arme Mädchen fühlt sich morgen doch sicherlich dreckig."
„Das hoff ich doch!" Mak nickt energisch und wirkt richtig fröhlich bei dem Gedanken daran.
Ein Seufzen kommt von Musator. „Womit hat das arme Mädchen nur so etwas verdient?"
„Zuallererst, weil sie diese freche Göre mich alt genannt hat."
„Ansichtssache", wirft der Dicke ein.
Maks Blick liegt weiter auf mir, als er weiter aufzählt. „Dann wegen der Ohrfeige heute." Jetzt wirkt Musator überrascht. „Und zu guter Letzt, weil sie mich vorhin vor den Jungs so dumm dastehen lassen hat und das, wo sie mir eigentlich für ihre Rettung danken müsste."
„Sie hat dir eine Ohrfeige verpasst?", fragt Musator unglaubend, worauf Mak seufzend nickt. „Ich mag das Mädchen!" Laut lacht der Dicke auf, und beobachtet mich dann genauso wie Mak.
Während die Beiden miteinander erzählen, quatsche ich mit den anderen Männern. Sie fragen mich zu meinem Planeten und meiner Familie aus. Auch was ich gerne gemacht habe. Dabei füllen sie mir immer wieder mein Glas.
Bereitwillig erzähle ich ihnen alles.
Es werden harmloses Spielchen gespielt, bis dahin weiß ich noch alles. Nur was danach kommt, ist wie aus meinem Schädel gewischt.
***
Ob sie denjenigen finden, der das Trinkwasser vergiftet hat? Ich hoffe es doch.
Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass es hier keine Möglichkeit gibt, ihn zu schnappen.
Noch etwas anderes beschäftigt mich.
Bin ich Gasard wirklich nur ein Klotz am Bein? Vielleicht sollte ich mich mehr bemühen, ihm zu helfen.
Und was ist mit dem Armreif? Wird Musator wirklich niemandem davon etwas erzählen?
Aber irgendwie vertraue ich ihm da.