"Denkt daran, dies ist zum Wohle des Königreichs. Du bist das notwendige Opfer für das Biest. Sicher willst du dich wenigstens einmal nützlich machen, für mich und deine Schwester, oder?" mahnte Königin Anastasia Swan ein letztes Mal. Swan biss sich auf die Lippe und hielt ihre Tränen zurück. Sie nickte erneut und besiegelte so ihr Schicksal.
Swan tat sich schwer, den sicheren Schritten Anastasias zu folgen. Sie ging langsam, gehemmt durch die Krücken, aber auch, weil Aria ihr immer wieder in den Weg kam und sie bei jedem Schritt, den sie setzte, quälte. Bis zu dem Punkt, an dem Swan nicht umhin kam, sie zu warnen: "Pass auf, Aria. Ich möchte nicht, dass ich aus Versehen auf deine Schuhe trete."
"Das ist deine eigene Schuld, weil du so tollpatschig bist", kicherte Aria. Sie umkreiste Swan, die daraufhin vollkommen stehen blieb. "Na los, tritt mir auf die Schuhe, dann werde ich die Wachen bitten, dir die Krücken wegzunehmen, und du kannst dich einfach durch den Flur schleppen."
"Aria, wir haben keine Zeit für solche Spielchen", tadelte Anastasia ihre Tochter schließlich. "Das Biest..."
Aria schmollte und nickte: "Ich möchte nur noch ein wenig mit ihr spielen, bevor sie stirbt."
"Ich denke, du solltest dich in deinem Zimmer verstecken. Du bist unsere wunderschöne, goldene Prinzessin. Das Biest könnte Gefallen an dir finden, wenn es dich zu Gesicht bekommt", riet Anastasia aus Liebe zu ihrer Tochter. "Es gibt viele erschreckende Geschichten über ihn. Ich möchte nicht, dass du von ihm verschleppt wirst."
Aria war sich des Risikos bewusst, doch fand sie den Gedanken, ein Monster so zu bezaubern, dass es diesen Krüppel links liegen lassen würde, viel verführerischer.
Daher schlug sie den Rat ihrer Mutter in den Wind und stolzierte direkt in die Haupthalle, wo das Ungeheuer auf seine Braut wartete.
"Aria! Wachen, bringt sie zurück in ihr Zimmer! Lasst nicht zu, dass das Biest sie erblickt!" befahl Anastasia, und die Wachen, die ihnen gefolgt waren, beeilten sich sofort, auf Aria zuzugehen.
Doch Sorgenlosigkeit übermannend, rannte die fröhliche goldene Prinzessin so schnell sie konnte, um mit ihnen zu spielen, und stieß dabei plötzlich auf etwas, das sich anfühlte wie eine Mauer aus Ziegelstein.
"Autsch!"
Die Wachen stoppten auf der Stelle, gelähmt vor Angst. Aria rieb sich die Nase und blickte hoch, nur um eine feste Brust vor sich zu sehen. Sie keuchte, als sie den attraktiven Mann wahrnahm, mit dem sie gerade zusammengestoßen war. Er war robust und muskulös, bronzefarbene Haut wie die eines Kriegers zur Schau tragend. Sein Haar war kurz und pechschwarz, und sein markantes Kinn verlieh ihm eine präsente Ausstrahlung.
Leider konnte Aria die Farbe seiner Augen nicht erkennen, da er sie mit einer schwarzen Augenbinde bedeckte. Aber er schien nicht blind zu sein, denn er schaute kurz auf sie herunter, bevor er sich wieder den Wachen und dann Königin Anastasia zuwandte.
"Ich bin wegen meiner Braut hier."
Aria, zuerst zu betäubt durch das Aussehen des gutaussehenden Mannes, fing sich wieder, als er mit seiner tiefen Stimme sprach. Ihr wurde klar, dass dies das Biest war, das vor zwei Tagen im Palast gewütet hatte. Daher wich sie schnell zurück.
Auch wenn sie von der Statur und dem Äußeren dieses Mannes beeindruckt war, war sie klug genug, ihn nicht zu verführen und ihm nicht das Gefühl zu geben, sie wäre ein leichtes Ziel für eine Ehe.
"Ich bin nicht deine Braut! Denk nicht einmal daran!" rief Aria aus.Aria erwartete, dass der Mann ihr schmeicheln würde, so wie es viele Männer taten, die ihr den Hof zu machen pflegten.
…
Doch zu ihrem Bedauern reagierte das Biest nicht. Es ignorierte Aria vollkommen und wartete darauf, dass Königin Anastasia ihm eine Antwort gab. Es dauerte eine Weile, bis Anastasia ihre Angst überwinden und ein gezwungenes Lächeln aufsetzen konnte.
"Verzeiht, Eure Majestät, aber Eure Verlobte ist etwas langsam und ein klein wenig träge. Sie hat zu lange gebraucht, sich fertigzumachen", erklärte Anastasia. Sie sah über ihre Schulter und sagte: "Nun geh und lerne deinen künftigen Mann kennen, Swan."
Swan starrte den Mann an, der am Ende des Ganges stand. Sie schluckte, denn sie wusste, dass dieser Mann ihren Vater kaltblütig getötet hatte.
Aber sie konnte ihm keinen Vorwurf machen, denn es war ihr verstorbener Vater gewesen, der ihr Territorium überfallen hatte. Es war eine berechtigte Selbstverteidigung, wenn auch eine erschütternd grausame.
Swan versuchte mit ihren Krücken schneller zu gehen. Sie befürchtete, dass ihr langsamer Gang das Biest erzürnen könnte. Beschämt senkte sie den Kopf, besonders im Angesicht ihres neuen Mannes.
Es dauerte fünf Minuten, bis Swan das Biest erreichte. Sie hielt den Kopf gesenkt. Sie wusste, dass es ihr unmöglich war, in ihrer Verfassung einen ordentlichen Knicks zu machen. Stattdessen begrüßte sie formal und demütig: "M-mein Name ist Swan. Die erste Prinzessin des Heiligen Königreichs von Achate."
Sie wagte es nicht, sich einen anderen Titel zuzulegen, außer dem, den ihre Königsmutter ihr gestern Abend verliehen hatte. Ebenso wenig wagte sie es, sich einen Nachnamen zu geben aufgrund ihrer schändlichen Herkunft.
Kein Untertan in diesem Königreich wusste sowieso von ihrer Existenz, also spielte es keine Rolle.
Aria ärgerte sich, weil dieser Mann es gewagt hatte, sie zu ignorieren, nachdem sie ihm ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Um es ihrer Schwester schwer zu machen, wollte Aria ihm einen kleinen Streich spielen. Schnell unterbrach sie: "Übrigens, diese Krücken? Sie ist als Kind aus dem zweiten Stock gefallen und hat sich dabei das Bein dauerhaft verletzt! Entschuldige, dass du das sehen musst~."
Aria wollte Ekel oder zumindest ein finsteres Gesicht bei dem Biest sehen. Zu ihrer Überraschung nickte er nur und murmelte: "Ich verstehe. Dann ist es schneller, wenn ich dich trage."
"Was—ah!" Swan bekam beinahe einen Herzinfarkt, als das Biest sie plötzlich mühelos hochhob und auf Händen trug. Gezwungen ließ Swan ihre Krücken fallen, und eine traf Arias Zeh, worauf sie aufschrie.
"Au! Autsch! Swan, das tut weh!"
"T-tut mir leid..."
Aria schmollte erneut, richtete sich jedoch schnell auf, als ihr auffiel, dass das stattliche Biest sie musterte.
"Schon gut. Ich werde dir immer vergeben, auch wenn du mich oft geärgert hast."
Swan sagte nichts, umklammerte aber spontan das Hemd des Biestes. Immer wenn Aria sie tyrannisierte, umklammerte sie etwas, weil sie sich nicht wehren konnte.
Das Biest hielt inne, sah dann wieder Königin Anastasia an und sagte: "Der Handel ist besiegelt. Diese Frau wird die Entschädigung für den törichten Überfall des Heiligen Achate auf mein Gebiet sein. Das ist meine letzte Geste der Nachsicht. Sollte ich eine weitere Invasion erleben, werde ich euer Königreich dem Erdboden gleichmachen."
Anastasia erschauerte, ihr Gesicht erblasste sofort, als sie nickte.
"Wir lieben unsere erste Prinzessin. Aber sie kennt ihre Pflicht und versteht die Notwendigkeit in ihrer Lage. Bitte bringt sie in euer Gebiet, Ihr könnt mit ihr verfahren, wie Ihr wollt."