Da liege ich also, schlafend in einem Raumschiff.
Allein der Gedanke ist zu fantastisch, als dass er wahr sein kann.
Das Ziel meiner Reise ist mir vollkommen unbekannt, ebenso, was ich am Ziel davon erleben werde.
Nachdem in den letzten Tagen so vieles geschehen ist und ich erfahren habe, möchte ich gerne noch lange weiterschlafen.
Geht es nach dem Unbekannten, sehe ich meinen Heimatplaneten wohl nie wieder. Der Mann, den ich für meinen Vater gehalten habe, stammt nicht einmal von meiner Rasse ab, die nahezu ausgestorben scheint. Meine Mutter soll einst eine Sklavin, Mörderin und Intrigantin gewesen sein.
Und dass alles in einem Päckchen zu meinem Geburtstag verschnürt, um es mir ein paar Tage danach zu überreichen.
Das muss ich erst einmal verkraften!
Dann sind da noch diese beiden komischen Leute: Torsos, der anscheinend der Herrscher über mehrere Planeten ist, und die ausgeflippte Kaia.
Da kann es ja nicht schlimmer werden!
Oder doch?
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„Aufwachen, Schätzchen!", dringt es in der zwitschernd hellen Stimme einer Frau zu mir in die Düsternis meines traumlosen Schlafes.
Gleich der sanften Berührung einer Mutter oder Freundin.
Was wir nicht sind!
Anfangs kann ich ihre Stimme nicht einordnen, doch mit dieser Erkenntnis bricht alles über mich herein.
Die ganze vergangene Nacht in all ihren Einzelheiten.
Das Letzte, an was ich mich erinnere, ist ein mir unbekannter Mann, der mich irgendwohin mitnahm und mir danach ein Schlafmittel verabreicht hat.
Keine Frau!
Sie sollte meine Mutter an einen anderen Ort bringen. Wieso ist nun sie bei mir?
„Hey! Hast lange genug geschlafen!" Sie wird grober, ruckelt an mir und hält darin plötzlich inne. „Na prima!", schießt es im selben Moment aus ihr heraus, wie sie sich in ihrer Hocke nach hinten fallen lässt. Ein dumpfer Klang ertönt, als ihr Po auf dem Boden landet.
Als würde der Untergrund, auf dem ich liege, aus Metall bestehen.
Wo bin ich?
„Was denkt der sich? Wie stellt er sich das vor? Du überlebst dort unten keinen Monat!"
Sie besitzt eine aufmunternde Meinung zu mir als Person!
In meinem Inneren rekapituliere ich die letzten Tage. Jetzt fällt mir auch ein, wer diese Frau ist.
Sie stellte sich in der Übertragung mit dem Namen Kaia vor.
Die Erkenntnis darum führt mich zur nächsten Frage.
Was meint sie mit dort unten?
Die Antwort darauf erfahre ich nur, wenn ich meine Augen öffne!
Also tue ich es einfach.
Verschwommen nehme ich um mich herum einen dunklen Raum wahr. Schwach erleuchtet vom Schein des gedämmten Lichts, das auf uns herabfällt.
„Munter?", fragt mich Kaia.
Zwei faszinierende Augen mit feuerroter Iris betrachten mich neugierig.
Es will mir nicht gelingen, mich von dieser eindrucksvollen Farbe zu lösen. Sie lockt mich dazu, die Frau weiter zu studieren und darin einzutauchen.
Plötzlich ertönt ein Auflachen von Kaia.
„Du bist es wohl nicht gewöhnt, einer anderen Spezies gegenüberzusitzen?"
Meine Wangen nehmen die gleiche Farbe an, in der ihre Iris leuchtet. Mir wird jetzt bewusst, dass ich sie die ganze Zeit angestarrt habe.
„Nicht wirklich", antworte ich ihr seufzend und setze sogleich eine entschuldigende Miene auf.
„Falls du mehr über den Planeten erfahren möchtest, von dem deine Rasse stammt, dann solltest du den süßesten Typen hier fragen", rät mir Kaia.
Meine Augenbrauen heben sich im Eingeständnis, dass ich nicht mitkomme.
„Na dieser schnuckelige Typ, dem du deine Anwesenheit hier verdankst."
Sie zwinkert mir zu, als würde das alles sagen.
Ich schüttle daraufhin meinen Kopf.
„Tut mir leid, aber ich habe die letzte Nacht nicht alles mitbekommen."
Oder war es die davor? Wie lange habe ich geschlafen?
„Oh!", macht sie. „Ich dachte, er hätte sich dir vorgestellt. Wäre das nicht das Mindeste, was er tun könnte?" Sie legt eine kurze Pause ein, in der sie auf meine Reaktion zu warten scheint. „Na ja. Glaub mir, der fällt auf!"
Sie zwinkert mir erneut zu.
Dieses Mal als Versprechen an mich.
Und ich muss zugeben, dass ich neugierig auf diesen Unbekannten mit seinen eindrucksvoll dunklen Augen bin.
Was er gegenüber meinen Eltern gesagt hat, war schrecklich! Er wollte sie quälen und hat damit auch mir wehgetan.
Bei dem, was Mum gesagt hat, kann ich seine Reaktion zum Teil verstehen.
Andererseits besaß er allein mit mir eine angenehme Ausstrahlung, was mich neugierig auf ihn macht.
Die Frau reicht mir ihre Hand.
„Mein Name lautet Kaia!", stellt sie sich mir vor.
Ich nehme die mir angebotene Begrüßung mit einem Händeschütteln an.
„Janine."
Sie scheint nett. Nur etwas überdreht.
Ich mag sie!
Kaia zieht die Hand zurück und fährt sich durch ihr kurzes, rotes Haar.
Sie ist älter als ich, wirkt jedoch noch sehr jung. Zu jung, Mum bewusst kennengelernt zu haben!
Dann war da ein Mann, der behauptete, einst mit ihr zusammen gewesen zu sein und ebenfalls nicht sehr alt wirkte.
Meine Eltern erzählten von Kälteschlaf.
In meinem Kopf herrscht solch eine Unordnung. Kann mir Kaia dabei helfen?
Ich sehe zu der zierlichen Frau, die mir im Moment gegenüber sitzt.
Steht sie, ist Kaia sicher rund einen Kopf kleiner als ich, wenn nicht sogar mehr. Ihre Figur zeichnet sich durch einen eng anliegenden schwarzen Einteiler mit roten Streifen auf den Schultern ab.
Er ähnelt dem, den die Männer trugen, die Nora und Andy entführten.
Meine Mutter hat sie in ihrer Erzählung als Monster bezeichnet.
Ein Wesen, das die Gedanken einer Person lesen kann. Sogar, dass ihre Art einen durch diese Fähigkeiten töten kann. Ob das stimmt? Besitzt sie eine solche Macht über andere?
Allerdings gibt es Außerirdische! An die habe ich vor all dem auch nicht geglaubt.
Ich beschließe abzuwarten, was mich hier erwartet, und zu beobachten.
Kaia bricht so plötzlich in ein Lachen aus, dass ich den Grund dafür nicht kenne.
Habe ich etwas an mir? Oder … Nutzt sie ihre Gabe gerade jetzt?
„Es sieht aus, … als müsse ich es dir erklären", spricht sie, unterbrochen durch ihren Lachanfall. „Vielleicht kann ich dir die Angst damit nehmen!"
Mit ihrer Hand wischt sie sich eine Träne weg, die ihr beim Lachen aufgestiegen ist.
Ihre Hände strecken sich der Decke entgegen, dann lässt sie sich nach hinten fallen.
„Deine Mutter recht mit dem, was sie über mich und meine Art sagt", antwortet sie mir.
Instinktiv zucke ich unter dem Gedanken zusammen, sie könne meine Gedanken lesen. Genau jetzt. In diesem Moment.
Scheiße! Ist das peinlich! Was, wenn sie gehört hat, was ich über sie denke? Das ich sie interessant finde aber auch … la la la la …
Genau! Einfach nur nichts denken! Na … na … na ...
Statt etwas zu sagen, lehnt sie sich zur Seite und lächelt mich an.
„Deine Gedanken brauche ich nicht lesen, aber ich denke, ich weiß, woran du denkst." Sie zwinkert mir zu, bevor sie wieder hinauf zur Decke sieht. „Torsos und Gasard sagen zwar andauernd, ich soll so etwas nicht tun. Es ist aber zu reizvoll, zu wissen, wie es in einer anderen Person aussieht."
Das kann ich nachvollziehen! Daher nicke ich.
Besäße ich eine solche Kraft, ich könnte ihr ebenso wenig widerstehen!
Das komische Gefühl dabei, das der andere kann die eigenen Gedanken kennen könnte, lässt sich nicht abschütteln.
„Zuallererst! Solange du mir nicht in die Augen siehst, kann ich es nicht." Schwere liegt bei den Worten in ihrer Stimme, die ich nicht nachvollziehen kann. „Meine Rasse ist mächtig! Je nachdem, wie hoch wir in der Hierarchie unseres Volkes stehen, ist sie stärker oder schwächer ausgeprägt. Als Tochter von Dienern meines ehemaligen Königs geboren, unterliege ich starken Beschränkungen darin, sie zu nutzen. Ich muss Augenkontakt zu der anderen Person halten, um in dieser zu lesen oder sie zu beeinflussen. Und was das Töten eines anderen betrifft … Ich kann einer Person eine Realität vorspiegeln, in der ein Messer in seiner Brust steckt. Ist es nicht der Schock, der sie umbringt, dann ihr Körper, der dem Angriff nicht standhält und seine Funktion einstellt, wie er es auch bei einer realen Verletzung tun würde."
Ein schweres Schlucken geht über meine Lippen. Meine Augen weiten sich vor Schreck.
Eine lockende wie schreckliche Gabe.
Auf Kaias Lippen liegt weiter dieses Lächeln, das mich in solche Wärme einsinken lässt, dass ich ihren Worten gerne vertraue.
„Keine Angst! So etwas mache ich nur, wenn ich mich verteidigen muss. Oder wenn es derjenige verdient!"
Mit der Ruhe wächst auch meine Neugier auf die zierliche Frau, die ihre Stärke in einem Augenaufschlag versteckt hält.
„Bei der Königsfamilie meines Volkes ist die Fähigkeit am stärksten ausgeprägt!", führt sie ihre Erklärung weiter. „Es werden Legenden erzählt, nach denen die großen Krieger unseres Volkes in Schlachten als einzelne Person ganze Heere ausgelöscht haben. Übertriebener Unsinn!" Von der Ruhe wechselt ihre Stimme in kalte Arroganz. Sie überschlägt sich fast in ihrer Lautstärke. „Memmen! Das sind sie! Diese Geschichten sind nur dummes Gewäsch von den ängstlichen Wesen des Weltalls, um die Angst vor uns zu schüren!"
Mit einem Schwung setzt sie sich wieder auf.
„Damit rechtfertigen sie auch, die Entscheidung über das Vorgehen gegenüber unserer Art. Als unser einstiger Herrscher Makkos ihre Auslöschung beschloss, war ich noch zu klein, mir meiner eigenen Kraft bewusst zu sein. Ich weiß nicht, ob ein paar dem entkommen konnten und es somit noch andere unserer Art gibt. Und der Einzige, der mir sagen könnte, wie stark unsere Rasse werden kann, dem ist seine Kraft vollkommen egal."
Eine Erklärung, die in meinen Ohren so fantastisch klingt, dass ich sie kaum zu glauben vermag.
Besitzt die zierliche Rothaarige wirklich solche Kräfte oder spielt sie sich vor mir auf?
So gerne ich einen Beweis dafür hätte, muss das nicht ausgerechnet an mir sein.
Der Rest davon klingt traurig.
Ich kann nicht verstehen, wie Kaia der Umstand, dass die zweite Person ihrer Art, diese Fähigkeiten ungenutzt lässt, mehr aufregt als die Vernichtung ihrer Art.
Was mich betrifft, wäre ich tierisch Sauer, würde Mum und jeder, den ich kenne, etwas passieren!
Die Beschäftigung damit, verdrängt beinah die Angst vor ihr, weckt jedoch auch den Willen, mehr von ihr zu erfahren.
Mein erster Eindruck fällt gar nicht mal so schlecht aus.
Eine nette und interessante Frau.
„Zu meinem Alter", spricht sie weiter. „Ich bin 20!"
Kaia legt erneut eine ihrer Pausen ein., in der sie beginnt loszuprusten als wäre das schon die Pointe des Witzes, die voll an mir vorbeigeht.
„Die paar Jahrhunderte, die davor kommen, interessieren doch eh niemanden!"
Jahrhunderte?
Ich sehe sie mit der stummen Frage an, wo sie diese versteckt. Wie geht das überhaupt? Wie ist das möglich?
Sie beginnt wieder zu lachen und genießt es, mich damit aus der Fassung gebracht zu haben.
„Solange du hier bist, wirst du noch öfter staunen!" Ihr Versprechen glaube ich ihr sofort.
Kaia breitet ihre Arme aus, mit denen sie alles um uns herum fassen will.
„Das hier ist eines unserer Raumschiffe! Besser gesagt, die Politaris. Das beste Raumschiff in unserer Flotte! Dieses Schiff gehört dem großen, gut aussehenden, schwarzhaarigen Typen, dem du deine Anwesenheit hier verdankst. Unserem großen Herrscher!"
Mehr als einen dunklen Raum kann ich in diesem Metallding zwar nicht erkennen, aber ihre Worte werden stimmen.
Wieso sollte sie mich auch anlügen?
„Du wirst unsere Raumschiffe nicht allzu oft von innen sehen, solange du hier bist."
Mit meiner Hand reibe ich meinen Nacken.
Ein leichter Schmerz ist dort zu spüren, wo Mum mir ihr vermeintliches Schlafmittel verabreicht hat.
Von dort aus fahren meine Finger zu den beiden Einstichen an meinem rechten Arm. Einer davon gehört zu einem Mittel mit dem Torsos die Lähmung bei mir aufgehoben hat, in dem anderen hat er mir ein wirklichen Schlafmittel verabreicht.
Noch ein paar mehr und sie können mich als Nadelkissen bezeichnen!
Ich streife weiter hinab, zum Handgelenk, wo ich in einer Berührung verweile.
Unter dem Stoff meines langärmligen Shirts verborgen ertaste ich die harten Konturen eines metallenen Reifs.
Dabei habe ich in der Nacht unserer Flucht keinen Schmuck angelegt.
Für wen sollte ich diesen tragen?
Unsere möglichen Verfolger?
Ich schiebe den Ärmel ein Stück weit nach oben, bis darunter ein goldener Armreif zum Vorschein kommt.
Er ist mit bunten Steinen verziert und dennoch rümpfe ich über das Stück die Nase.
Mein Geschmack ist es nicht!
Ohne die Andeutung einer Vorwarnung oder mich zu beachten, schnappt sich Kaia meinen Arm und reißt ihn zu sich, um sich den Armreif genauer anzusehen.
Mein Arm versteift sich in dieser überraschenden Bewegung. Ihr Zug daran fühlt sich so an, als versuche sie ihn auszureißen.
Ich schreie auf.
Verschreckt davon, lässt Kaia mich sofort wieder los.
„Tschuldigung", ruft sie und schaut mich dabei so reumütig an, dass ich ihr sofort vergebe.
Gleichzeitig weckt es meine Neugier auf ihr Interesse daran.
„Du überlebst dort unten keine Woche!"
Ihre Stimme klingt traurig, was mehr Fragen in mir aufwirft, als dass es sie mir beantwortet.
Was meint sie damit? Und vor allem, was für einen Ort meint sie?
„Was denkt sich der Kerl?", ruft Kaia mehr zu sich als zu mir. „Wenn irgendeinem der Armreif auffällt, bist du tot!" Die letzten drei Worte betont sie besonders. Als ob die Androhung nicht schon beängstigend genug wäre.
Ich schlucke meine Angst herunter.
Sie muss es ja nicht so ernst meinen, wie es klingt.
Hoffentlich!
„Torsos wird sich schon irgendetwas dabei gedacht haben." Kaia schaut bekümmert auf den Boden. „Und ich hab gehofft, dass du etwas länger als nur ein paar Tage auf der Station bist. Wir hätten Freundinnen werden können. Ist zwar schön hier, zwischen all den gut gebauten Kerlen, aber auch verdammt einsam. Die paar Frauen, die es hier gibt, die mögen mich nicht!"
Was mich betrifft, finde ich Kaia auf den ersten Blick nett. Ich weiß nicht, was jemand gegen sie haben könnte.
Vom Charakter her scheint sie eine gute Mischung aus einer Frau, die gerne ein Geheimnis aus sich macht und einer angenehmen Ausstrahlung.
Ich deute auf den Armreif.
„Was hat das Ding zu bedeuten?"
„Okay!", ruft die Rothaarige. „Diese Raumstation gilt als unser Hauptstützpunkt. Es gibt in Torsos' Herrschaftsgebiet noch ein paar andere Stationen, doch diese ist die größte von ihnen. Den Großteil machen Besatzung und unsere Rekruten aus. Daneben gibt es Personen, die hier nicht gerade freiwillig sind. Rebellen, enttarnte Spione oder normale Gauner. Ihr Bereich, das Gefängnis, wird Todeszone genannt."
Todeszone.
In der Nacht unserer missglückten Flucht hat Torsos diesen Ort erwähnt. Kurz bevor er mir das Schlafmittel verabreicht hat.
Einen sehr einladenden Klang besitzt er nicht. Eher den Wunsch in mir, laut aufzuschreien.
Wer will ein Gefängnis auch freiwillig besuchen?
„Wir haben zwar Gefängnisse auf Planeten, aber so ist es ganz praktisch! Wir können somit einige auf der Station behalten, sollten wir noch einmal auf sie zurückgreifen müssen. Verhöre zur Informationsbeschaffung über den Feind oder ihre Mission."
Ihre Erklärung versüßt mir keineswegs den Gedanken, dort sein zu müssen.
Vielleicht sogar für den Rest meines Lebens, dass sie sehr kurz einschätzt. Dennoch lausche ich weiterhin ihren Worten, als sie sich aufgesetzt hat.
„Wir behalten die Gefangenen ständig unter Beobachtung. Na ja, etwas Ausbeutung ist auch mit dabei." Sie zwinkert mir zu. „Die meisten sind billige Arbeitskräfte. Gewöhnlich reparieren und warten sie die Raumschiffe, aber auch andere Maschinen. Alles, was wir ihnen anvertrauen können. Der Name Todeszone wurde von Seiten der Gefangenen oder Wachen irgendwann mal eingebracht, da dort unten ein raues Klima vorherrscht. Wenn zwei in Streit geraten, können die Wachen selten eingreifen. Sie sollen eher dafür sorgen, dass es weitestgehend nach den Regeln abläuft und dass sich die Gefangenen nicht gegen ihre Wärter zusammenrotten und diese angreifen."
Sie erhebt ihren Finger.
„Über allen Regeln steht, an den Raumschiffen darf nicht herumgepfuscht werden! Sollte einer auf die Idee kommen, sie zu manipulieren, werden alle bestraft. Je nach Schwere des Schadens reicht die Strafe von Nahrungsentzug bis zum Tod. Was nur in den seltensten Fällen angewandt wird."
Ich schlucke über ihre Worten, da sie nicht mitklingen lässt, die Strafe nur zur Drohung auszuhängen.
„Die meisten der Gefangenen sind kleine Fische! Ihnen würde kaum einfallen, Ärger zu bereiten. Wenn dir einer von ihnen zu aufdringlich wird, geh zu den Wachen. Diese tragen nichts. Dann gibt es Gefangene die einen glatten, goldfarbenen Armreif tragen. In diese ist einen Chip, um denjenigen zu markieren und seine Bewegungen zu überwachen. Bei Ihnen ist noch unklar, wie weiter mit Ihnen verfahren wird. Sie werden später vielleicht an einen andren Ort gebracht werden."
Sie macht eine kleine Sprachpause, um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen.
„Zuletzt gibt es eine überschaubare Gruppe an Gefangenen, denen ein schwarzes Halsband umgelegt wurde. Sei bei Ihnen bitte ganz, ganz vorsichtig!" Kaia erhebt ihren Finger. „Von denen geht akute Gefahr für die Wachen aus. Die Halsbänder dienen nicht zur Dekoration! Durch diese können den Gefangenen zur Disziplinierung Stromstöße verabreicht werden. Dass passiert auch, wenn die Gefangenen versuchen, die Halsbänder selbstständig abzunehmen."
Ich schlucke hörbar.
„Versuch einfach nicht aufzufallen und verstecke den Armreif!", lautet Kaias Rat an mich. „Zur jetzigen Uhrzeit werde ich dir zwar alles zeigen können, aber danach werde ich dich ignorieren! Ist besser für dich!"
Ein Nicken kommt von mir. Es ist klar, dass mein Beliebtheitsgrad da unten nicht gerade steigt, wenn ich mit jemandem wie ihr rede.
Neugierig schaue ich sie an.
„Kaia, welche Position hast du eigentlich inne?", frage ich spontan. „Ich meine, außer dass du mit eurem Herrscher befreundet bist!"
„Das bin ich schon seit unserer Kindheit!", ruft die junge Frau und scheint ihren verträumten Blick in die Vergangenheit gerichtet zu halten.
Sie fängt sich sogleich wieder und ihre Worte schwellen vor Stolz an.
„Na ja, ich bin hier Kommandantin oder Ausbilderin. Aber nur, wenn ich darauf gerade Lust habe." Ein breites Grinsen zieht sich über Kaias Gesicht. „Ich kann ganz gut mit den Raumschiffen umgehen und quäle öfters junge Rekruten mit Flugstunden. Das macht Spaß, steigert nur kaum mein Ansehen."
Kaia springt auf.
„Na komm! Ich führe dich kurz in deiner neuen Heimat herum."
Ich folge ihrem Beispiel. Ohne mich dabei allzu wohlzufühlen, folge ich ihr durch das Raumschiff.
Als sich plötzlich vor uns die Tür öffnet, halte ich mir kurz die Hand vor die Augen. Im Gegensatz zu der Beleuchtung hier drinnen ist es draußen recht grell, sodass ich durch den plötzlichen Wechsel von dunkel zu hell zuerst kurz geblendet werde.
Der Raum, in dem ich jetzt stehe, ist nicht nur hell erleuchtet, sondern wirkt gewaltig. Nicht allein von einer Wand zur nächsten, sondern auch vom Boden zur Decke.
Wir stehen etwas erhöht und unter uns breitet sich ein Teppich von hier oben winzig wirkenden Raumschiffen aus. An den Seiten des Raumes entlang führen abgezäunte Wege. Davon abgehend ziehen sich in jeder Etage über diese Tiefe Verbindungsstege. Ohne Stütze gesichert.
Ich schlucke, während ich einen Blick hinunterwerfe und von der Höhe beeindruckt bin, in der wir uns befinden. An den Wegen und Stegen sind zwar Geländer befestigt, dennoch ist es imposant und gibt einen ersten Eindruck von der gewaltige Größe der Station.
Hinter uns wird die Politaris in die Tiefe gelassen, thronend über alle anderen Raumschiffe auf einem Podest.
„Die Politaris ist das einzige unserer Raumschiffe, das nur ein Einziger außer dem Besitzer anfassen darf", erwähnte Kaia lachend. „Dem hängt noch ein Sturzflug in den Knochen, den er als kleiner Junge hatte. Damals hat irgendjemand an seinem Raumschiff einige Kabel durchtrennt. Der Saboteur hat wahrscheinlich gehofft, Torsos würde im Weltall stecken bleiben und verhungert da jämmerlich. Stattdessen hat er sich auf unserem Planeten durchgefuttert, bis er mal den Mund aufgemacht hat, wessen Sohn er ist."
Ich sehe betroffen zu Boden. Meine Mutter hat mir etwas in der Art erzählt.
„Was ist?", will Kaia von mir wissen. Sie schaut mich neugierig von der Seite an.
„Ich glaub, mein leiblicher Vater soll diesen Sturzflug verursacht haben", erwähne ich. Mir ist in der Gegenwart einer so engen Freundin von Torsos' plötzlich unwohl in meiner Haut.
Kaia bleibt stehen und sieht mich ungläubig an.
„Malgard war doch Makkos' bester Freund‽", stellt sie erstaunt fest. Sie seufzt auf, dann setzt sie ihren Weg fort. „Sachen gibt's!"
Auf unserem Weg betrachte ich interessiert das Treiben in der Halle. Über die Stege laufen ein paar schwarz gekleidete Männer. Frauen dagegen entdecke ich hier keine. Aber dies hier ist nur ein kleiner Teil der Station.
Und außerdem hat Kaia erwähnt, dass es wenige Frauen gibt.
Etwas anderes, das mich irritiert, ist die Tatsache, dass ich keinerlei Türen an den Wänden entdecken kann.
Was ich sehe, sind helle Wände, die sich an den Seiten entlang ziehen und in den Boden übergehen, ohne überhaupt eine Schweißnaht erkennen zu lassen, oder einen Hinweis, dass hier Platten aneinandergefügt wurden.
Es wirkt, als sei alles aus einem einzigen Stück gegossen, was in Anbetracht der Größe schier unmöglich scheint.
Kaia bleibt plötzlich stehen. Nach einer kurzen Zeit verstehe ich wieso und bin ziemlich überrascht. Ein Teil der Wand verschwindet und gibt den Weg in einen kleinen Raum preis.
Ich folge Kaia hinein und kurz nach unserem Eintreten schließt sich der Eingang wieder, ohne die Spur einer Tür.
Ein leichter Ruck ist zu spüren, als sich der vermeintlich feste Raum in Bewegung setzt. Es sollte mich nicht so überraschen. Immerhin sind Fahrstühle bei uns so normal, wie hier die Raumschiffe. Dennoch habe ich in diesem kleinen Raum etwas Besonderes erwartet. Eine aufregende Technologie, nicht ein Transportmittel, das uns einfach nur nach unten bringt.
Diese Zeit nutze ich, um ihr eine Frage zu stellen, die mich neben der Technik hier noch beschäftigt. „Du sagtest, dass es hier nur wenige Frauen gibt …"
Mehr brauche ich nicht zu sagen.
„Ein paar", antwortet sie mir. „Wenn mal der richtige Kerl an der Macht ist." Kaia verdreht die Augen. „Seine Meinung ist, dass Frauen nur zwei Zwecken dienen." Neugierig lausche ich ihrer Erklärung. „Der Erste wäre dafür zu sorgen, dass seiner Armee genug Rekruten für die Ausbildung zur Verfügung stehen. Der zweite …" Ein Zwinkern kommt von ihr. „Sie sollen den Männern dienen und ihnen – besonders ihm – jeden Wunsch von den Augen ablesen." Ein Kichern kommt von ihr. Ich dagegen hebe überrascht die Augenbrauen.
Und da dachte ich bisher, Außerirdische müssten fortschrittlich sein. Die Technik ist es, nur diese Ansichten wirken geradezu mittelalterlich.
Ich schüttele den Kopf. Als ich wieder zu Kaia schaue, strahlt sie mich an und ruft mit stolz geschwellter Brust: „Ich bin die einzige Frau auf der Station, die den Kerlen Befehle geben darf!"
Ein Kichern kann ich mir einfach nicht verkneifen.
Kaia sieht aus, als würde ihr diese Tatsache gefallen. Und ich kann das verstehen. Es muss ein unvergleichliches Machtgefühl für eine Frau sein, die von ihrer Körpergröße her um so vieles kleiner ist als viele der Männer.
Einen Augenblick später hat unsere Fahrt ein Ende. Der Fahrstuhl hält an und gibt hinter uns den Weg in einen langen Gang preis.
Nirgendwo ist ein Anzeichen für eine Tür oder einen anderen Gang. Nur kahle und steril wirkende metallene Wände sind zu sehen.
Wäre ich alleine, würde ich mich in der Schwere der Einsamkeit verlieren. Verloren in einem futuristischen Labyrinth.
Einen Augenblick stelle ich mir die Frage, ob es hier nur diesen einen Weg gibt, aber vielleicht finde ich ja noch eine Möglichkeit das genauer zu erfragen.
Als wir den Fahrstuhl verlassen und mein Blick auf das fällt, was vor uns liegt, kann ich mir nicht vorstellen, von Kaia jetzt darauf eine Antwort zu erhalten.
In der Mitte des Ganges steht eine Gruppe von Männern. Zwei davon tragen graue Einteiler, die eng an ihrem Körper anliegen und auf denen sich ihre Muskeln abzeichnen. Verstohlen wandert mein Blick zu Kaia. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass sie ein Wörtchen beim Design der Uniformen mitzureden hatte.
Neben den beiden stehen zehn Männer, die bequemere Kleidung tragen und sich deutlich von der Besatzung der Station abheben. An Händen und Füßen sind sie in Ketten gelegt, an denen Sie miteinander verbunden sind. Um ihre Hälse liegen schwarze Halsbänder.
Solche, von denen Kaia schon berichtet hat.
Angst steigt in mir auf, als ich die Blicke bemerke, die besonders auf Kaia gerichtet sind. Da ich ihr folge, werde auch ich von diesen gestreift. Und aus diesen Blicken sprechen nur Hass und Abscheu.
Vor der Gruppe geht ein junger Mann auf und ab. Dabei erläutert er den Männern ein paar Regeln. Doch als sein Blick auf Kaia fällt, eilt er sofort zu ihr.
Auch seine Uniform liegt eng an. Durch den schwarzen Stoff zeichnen sich seine Muskeln ab.
Ob hier alle Männer so durchtrainiert sind?, frage ich mich. Und vor allem gutaussehend. Jedenfalls ist er ein hübscher Mann und gibt ein beeindruckendes Bild ab. Die Männer in Grau reichen zwar nicht an ihn heran, aber schlecht sehen sie auch nicht aus.
Auf seiner Brust trägt er ein Abzeichen, mit dem ich nichts anfangen kann. Wie bei Kaia befinden sich auf seinen Schultern Streifen, die bei ihm grün sind und fast von seinem darauf fallenden blonden Haar verdeckt werden.
Seine interessanten, grünen Augen blicken erst Kaia freundlich an, dann wandern sie voller Verwunderung auf mich.
„Ist die gute Kaia seit Neuestem unter die Besucherführer zur Besichtigung unserer Station gegangen?", kommt eine Frage von ihm. Dabei lächelt er mich nett an. „Dann aber schnell raus hier! Das Gefängnis ist nicht gerade ein Ort, der einen guten Eindruck von unserer Station hinterlässt."
„Nein, nein." Kaia schüttelt den Kopf. „Ich soll das Mädchen hier herunterbringen."
„Eine weibliche Gefangene?" Der Mann wirkt überrascht. „Dann noch so ein süßes Mädchen. Das ist doch Wahnsinn!"
„Sag das nicht mir!" Ein Seufzen kommt von ihr.
„Dafür müsste er allerdings aufzutreiben sein, was ich ja schon versucht habe, nur keiner kann mir sagen, wo der gerade steckt."
„Da bist du bei mir total falsch, keiner von beiden gibt mir Bericht, was er gerade macht", kommt es Schulter zuckend von ihr.
„Und da meint man, so jemand müsste für alles Wichtige erreichbar sein", dringt es von einem Seufzen begleitet über seine Lippen.
Sein Blick fällt erneut auf mich.
Mir wird es unangenehm, wie genau er mich jetzt mustert. Als würde er versuchen, etwas herauszufinden, dass sich mir nicht erschließt.
Ein fragender Gesichtsausdruck bleibt als Ergebnis dessen nicht alleine bei ihm zurück.
„Noch mal zu dem Mädchen." Der Blonde senkt seinen Kopf zu Kaia herunter, sein Ton wird leiser. „Du kannst sagen, was du willst, aber sie sieht mir ziemlich nach der Rasse eines gewissen Tyrannen hier auf der Station aus", flüstert er ihr zu. Leise genug, dass nur ich es mithöre, aber nicht der Rest.
„Weswegen flüsterst du eigentlich so?" Ein verschwörerisches Grinsen bildet sich auf ihren Lippen. „Hast wohl Angst, dass dieser wirklich nette Kerl hören könnte, wie du über ihn lästerst?" Sie lachte laut auf. „Otscharsan, das ist doch nicht nett so etwas!"
„Ich sage nur die Wahrheit!", protestierte Otscharsan. „Also hab ich recht oder nicht?"
„Malgards Tochter!", antwortete Kaia ihm leise.
Sofort schaut er sie mit weit aufgerissenen Augen an.
„Du lügst doch!", ist seine Meinung. Jetzt hat sie sein Interesse vollkommen geweckt.
Er mustert mich intensiver, als würde er nach irgendeiner Gemeinsamkeit zwischen mir und einer anderen Person suchen.
Vielleicht ist es auch so, dass er den Namen meines Vaters schon gehört hat und diesen aus Aufzeichnungen kennt oder mich mit seiner Vorstellung von ihm verglicht.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Otscharsan ihm persönlich begegnet war.
Nicht wenn alles vor so langer Zeit stattgefunden hatte und meine Familie für viele Jahre erfolgreich versteckt auf der Erde lebte.
Nichts ändert es daran, dass es mir so unangenehm ist, dass ich diesem Blick darin ausweiche, einen Schritt hinter Kaia zu setzen.
Als ob es einen Platz gäbe, sich hinter der zierlichen Rothaarigen zu verstecken.
Ich frage mich eher warum. Ist mein leiblicher Vater denn so berühmt?
„Das ist doch schon mehrere Jahrhunderte her!"
„Kälteschlaf!", antwortet Kaia knapp.
„Ist der große Krieger auch noch am Leben?"
Ich senke schweigend meinen Kopf. Mir ist klar, dass von meinem Vater die Rede sein muss.
„Nein, aber auch der prophezeite Held soll schon verstorben sein", kommt es von Kaia.
Prophezeiter Held? Wen meint sie damit? Fragend sehe ich die beiden an.
„Dann kann ich noch weniger verstehen, was sie hier unten soll", meint Otscharsan.
„Musst du unseren allseits geliebten Tyrannen fragen", sagt Kaia mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. „Ich hab vor Jahrhunderten aufgegeben darüber nachzudenken, was in dem seinem Schädel vor sich geht."
Kaia macht Anstalten weiterzugehen. Wieder folge ich ihr brav.
Diesmal wird sie von einem Mann aus der Gruppe der Gefangenen gestoppt. Ein Kraftpaket, das ein paar der Männer mit sich zieht, als er vor sie tritt.
„Was für eine Ehre!", ruft er laut. Seine Worte sind voller Spott. „Die große Kaia!" Sein breites Grinsen scheint sie kaum zu beeindrucken.
Kaia will weitergehen, doch sie findet keinen Weg an ihm vorbei.
Er ist ein großer Kerl, gegen den Kaia wie ein Winzling wirkt. Fast eins neunzig, mit braunem, kurzem Haar und braunen Augen, die für Kaia nur Verachtung übrig haben. Sein Aussehen ist nicht schlecht, aber mit dem gutaussehenden Otscharsan kann er kaum mithalten.
„Im Nahkampf wärst du süßes Püppchen doch sehr bald am Ende!" Es ist deutlich, dass er Kaia herausfordern will. Noch deutlicher wird es allerdings, welchen Erfolg er damit hat. „Ohne all diese Waffen, die von den Männern um dich herumgetragen werden, wärst du so hilflos wie das kleine, schwache Mädchen, das du bist!"
Kaia funkelte ihn aus ihren roten Augen heraus kampflustig an.
„Wir könnten ja mal austesten, wer zuerst vor dem anderen auf die Knie fällt!" Eine kurze Anweisung an einen der in Grau gekleideten Männer ergeht und der Kraftprotz wird von der Kette befreit.
Plötzlich legen sich zwei Hände auf meine Schultern. Mit leichtem Druck werde ich von den beiden Streithähnen weggezogen.
„Unsere Furie muss mal wieder die große Kämpferin mimen", kommt es mit einem Seufzen von Otscharsan. „Bleib lieber weit weg von den beiden! Du bist immerhin die Tochter einer Berühmtheit! So jemandem darf doch nichts passieren!" Das Lächeln auf seinen Lippen wirkt nett und lässt sicher einige Frauen dahinschmelzen. Bei mir hätte es auch diese Reaktion, wenn er etwas jünger wäre.
„Na dann zeig mir doch mal, was du kannst, kleines Mädchen!", ruft der Mann.
Kaum hat er diese Aufforderung beendet, springt er auf Kaia zu.
Seinem ersten Schlag kann die zierliche Rothaarige gut ausweichen. Dem zweiten nicht.
Er trifft sie genau im Bauch.
Kaia stöhnt auf und taumelt durch die Wucht des Schlages getroffen wenige Schritte zurück. Zeit sich zu erholen hat sie nicht. Der Koloss wirft sie mit seinem Gewicht an die Wand. Er drückt sie regelrecht dagegen. Ihr schmerzverzerrtes Gesicht zeigt, dass sein Griff, der um ihre Oberarme liegt, nicht gerade sanft ist.
„Ich sag's doch …!"
Hohn klingt in seiner Stimme mit. Es ist klar, dass er den Sieg bereits auf seiner Seite wähnt. Selbst ich kann mir nicht vorstellen, dass sie aus dieser Situation noch als Sieger hervorgehen kann. Mitleid steigt in mir auf, als seine Hand ihren Hals umfasst.
„So schwach wie ein kleines, hilfloses Mädchen!"
Mein Blick wandert zu Otscharsan. Eigentlich will ich fragen, wieso hier niemand eingreift, doch dieser betrachtet sich das Geschehen nur amüsiert. Er scheint es zu genießen die junge Frau in solch einer Situation zu sehen.
Als Otscharsan meinen schockierten Blick bemerkt, verschränkt er die Arme und meint: „Wer unbedingt kämpfen will, der muss sich da auch selbst herausbringen!" Er macht eine kurze Pause, bevor er weiterspricht. „Außerdem weiß sich die Zicke schon zu helfen!"
Er spricht mit den Worten wohl ihre Gabe an, von der ich schon gehört habe.
Plötzlich wirkt Otscharsan beunruhigt. Als ich wieder auf die beiden Kämpfenden sehe, verstehe ich wieso.
Das Kraftpaket hat irgendwoher ein spitzes Stück Metall geholt, das er jetzt in seinen Händen hält. Drohend in den Blick der zierlichen Rothaarigen gerichtet.
„Da hat sich die große Kaia wohl überschätzt!" Der Mann lacht höhnisch auf. „Ob ich zu einer Berühmtheit werde, wenn ich eine von euch Bestien töte?" Mit dem Stück Metall fährt er über ihre Wange und hinterlässt einen feinen Schnitt.
Kein Laut dringt aus Kaias Kehle. Der Rotschopf sieht ihn nur so finster an, wie ein Raubtier, kurz vor dem Sprung auf die Beute.
Otscharsan und die beiden in Grau gekleideten Männer tauschen kurz einige ratlose Blicke aus. Die Stumme Diskussion um das weitere Vorgehen.
Ich verstehe ihr Verhalten nicht.
Sie sollten ihrer Pflicht nachkommen und eingreifen, keine Zeit verschwenden!
Einzig die Gefangenen wirken amüsiert über die Lage der Frau, während ich ihr einen besorgten Blick schenke.
„Keine Waffen!", ruft Otscharsan. Er setzt einen Schritt nach vorne im Willen einzuschreiten, doch das Lächeln auf Kaias Gesicht, lässt ihn innehalten.
„Da brauch ich also auch nicht fair bleiben!"
Keine Angst ist ihr anzumerken. Ihre Stimme wirkt angeschlagen, da seine andere Hand an ihre Kehle gewandert ist. Abgekämpft geht ihr jeder Laut schwer über die Lippen.
Ich weiß nicht einmal, wo sie diese Kampfessfreude hernimmt, die schon jetzt ihren Sieg verkündet.
Es ist das erste Mal, dass ich ihre Kräfte erlebe.
Ihre Iris leuchtet rot und lockend auf. Er kann nicht anders, als sie anzusehen.
Ihr Blick nimmt ihn in einem Bann gefangen, aus dem es kein Entkommen gibt. Nicht einmal unter den vor Panik geweiteten Augen des Mannes.
Bis auf den glühenden Strom, der durch ihre Iris fließt, ist da nichts für die Zuschauer dieser Situation Sichtbares.
„Jetzt knie vor mir nieder, du verdammter Mistkerl!", befiehlt sie ihm.
„Hexe!", keucht der große Mann. Das spitze Stück Metall fällt ihm aus seiner Hand und landet scheppernd auf dem metallenen Boden. Sein Griff löst sich um ihren Hals.
Kaia betastet mit einer Hand die Druckstelle, an der zuvor seine Finger lagen. S
Sie spürt dem verbleibenden Druck nach und versucht, ihn in einem Räuspern zu vertreiben. Die andere Ruht auf ihrem schmerzenden Bauch.
Sie gönnt sich keine Ruhe, sondern verweilt vor ihm, um die Verbindung zwischen ihren Augen und denen ihres Gegners weiter aufrechtzuerhalten.
Zorn hält hat sich ihrer bemächtigt.
Der Mann vor ihr zupft an seinem Halsband. Es scheint so, als hätte er das Gefühl, es schnüre ihm die Luft ab, wie zuvor seine Hände ihren Hals. Dabei ist dieses Stück Stoff elastisch. Doch einfach so ohne Folgen abstreifen lässt es sich nicht. Sein Körper zuckt zusammen, als würde ihn ein elektrischer Schlag durchfahren. So stark, dass er sich nur mit Mühe aufrecht halten kann.
„Verdammtes Miststück!", flucht er.
„Jetzt knie endlich vor mir nieder!", befiehlt die zierliche Frau ihm mit einem Schrei.
„Kaia, hör auf!", mischt sich Otscharsan ein. „Der Kerl hat seine Lektion gelernt! Außerdem ist er ein Zeitstürmer, und du weißt, wie sauer Torsos wird, wenn denen hier irgendwas passiert."
„Mistkerl!", keift Kaia ihren Gegner an. Widerwillig beendet sie ihren psychischen Angriff.
Sofort eilen die Männer in Grau zu dem Mann, der jetzt keuchend nach Atem ringt und sich nicht einmal wehrt, als er wieder in Ketten gelegt wird. Das Stück Metall nehmen sie an sich.
Plötzlich tritt noch jemand in das Geschehen.
Genauso wie Kaias sind seine kurzen Haare rot, ebenfalls die Iris seiner Augen. Er trägt einen schwarzen Einteiler, auf dessen Schultern sich, wie auf ihren, rote Streifen befinden. Alles in allem ist er ein sehr attraktiver und muskulöser Mann um die Mitte zwanzig.
Erneut frage ich mich, ob alle Männer hier so muskulös sind, dann wandern meine Gedanken wieder besorgt zu Kaia.
Der Blick des Rothaarigen wandert erst auf den immer noch um Luft ringenden Gefangenen, dann zu der Frau und wieder zurück.
„Kaia, sag mal, spinnst du!", geht er sie zornig an.
Doch sie wendet nur eingeschnappt ihren Blick von ihm ab. Ihren Körper lehnt sie gegen die Wand, an der sie sich kraftlos zu Boden sinken lässt. Ihre Hand presst sie auf die schmerzende Stelle, an der sie der Schlag des Mannes getroffen hat.
„Verdammter Mistkerl!", faucht sie erneut.
Der Blick des Rothaarigen wirkt zufrieden über ihr Erscheinen.
„Tja, meine holde Schöne", sagt er mit einem breiten Grinsen. „Wer dauernd Streit sucht, der hat es auch nicht anders verdient!"
Sie würdigt ihn keines einzigen Blickes.
„Da hat er recht!" Otscharsan nickt, um seine Worte zu bestätigen. „Schafft diese Kerle hier weg!"
Die Männer in Grau gehorchen sofort.
Ich knie mich neben Kaia und schaue besorgt zu ihr. Das schwache rote Rinnsal, das ihre Wange herunterfließt, beunruhigt mich nicht so sehr wie der heftige Schlag, den sie abbekommen hat.
„Um dieses Biest braucht sich keiner Sorgen zu machen!" Die Hand des Rothaarigen legt sich auf meine Schulter. Mit sanftem Druck schiebt mich der Mann weg von ihr, dann versucht er, Kaia ihre Hand vom Bauch zu nehmen. „Mal schauen, ob der Typ dich ernsthaft verletzt hat." Diesen Satz sagt er ruhig, fast liebevoll.
Wer dieser Herr hier ist? Sicher der zweite ihrer Art, von dem sie gesprochen hat.
„Fass mich nicht an!", zischt sie ihm entgegen und schlägt seine Hand weg, als er sie berühren will. Dabei macht die zierliche Frau ihm sehr deutlich, wie widerwärtig sie eine Berührung von ihm findet.
Auf mich wirkt er so nett, dass ich es nicht verstehen kann, wie sie ihn abweist. Zudem sieht er verdammt gut aus!
„Klingt ja, als gehe es dir super!", bemerkt der Rothaarige. „Hör auf, dich reizen zu lassen!"
Sie wendet wieder ihren Blick von ihm ab.
„Der Typ ist ein Zeitstürmer", bemerkt Otscharsan. „Was denkst du, wie ich geschaut habe, als er vor uns auftauchte und sein Raumschiff genau in meines hineingesteuert hat. Ihn konnten wir gefangen nehmen, bevor die Selbstzerstörung seines Schiffes begann. Leider war die aber nicht mehr aufzuhalten. Sein und mein Schiff sind jetzt allerdings nur noch winzig kleine Einzelteile. Und brav wie es sich für jemanden Nettes wie mich gehört, sind die in der Verwertung." Der Rothaarige wirkt erzürnt über diese Worte, ich dagegen verstehe nichts von dem, was sie sagen. „Jetzt suche ich Torsos, in der Hoffnung, es interessiert ihn."
„Du kannst es ja mal in seinem Quartier versuchen", schlägt der Mann vor. „Vielleicht hast du da Glück."
„Wie kommt es, dass keiner von euch beiden weiß, wo er steckt?", erkundigt sich Otscharsan.
„Und du könntest auch einfach schauen, ob du ihn mit deinem Kommunikator erreichst", schlägt der Rothaarige vor.
„Jetzt sei nicht sauer." Otscharsan scheint dieses Geständnis peinlich zu sein. „Ich kann nichts dafür, dass dieser dämliche Zeitstürmer das mit dem ‚in unsere Arme laufen' zu wörtlich genommen hat und dabei beide Schiffe zerstörte. Die neuen Erfindungen von dir, die ich ausprobieren sollte, lagen zu dem Zeitpunkt in meinem Schiff." Er kratzt sich verlegen am Kopf. „Vielleicht kannst du sie ja zusammenbasteln, die liegen jetzt irgendwo in dem Haufen bei der Verwertung."
Der Mann senkt den Kopf. Niedergeschlagen verlässt er uns in Richtung Aufzug.
„Eure Rasse ist ziemlich schnell eingeschnappt", bemerkt Otscharsan an Kaia gewandt.
„Komm mit, Kleine, ich zeig dir alles!", ruft Kaia zum Aufbruch. Ihre Stimme wirkt voller Energie, trotz des Schmerzes, der die zierliche Frau immer noch quält. Es wird besonders deutlich, als sie sich versucht aufzurichten. Ihre Finger verkrampfen sich an der Wand, die sie stützt, in ihre Züge soll sich keine Emotion hineinschleichen, was ihr misslingt.
Sie fällt zurück auf den Boden.
Ich will ihr helfen, doch Kaia schlägt meine Hand weg.
„Keine Sorge, es ist alles in Ordnung!"
Ob das stimmt? Ich bin mir dessen nicht so sicher. Auf mich wirkt Kaia so, als wolle sie die starke Frau spielen. Dabei meinte sie vorhin, wir könnten Freunde werden. Und Freunde sind doch da, um sich zu helfen.
Also lasse ich mich nicht wegscheuchen und helfe der zierlichen Frau auf.
Erst dann geht es langsam zu der Tür, durch die beide Männer in Grau mit den Gefangenen gegangen sind. Was hier liegt, lässt meine Schritte abrupt stoppen.
Wir stehen in einem gigantischen Raum, der nur von einem schwachen Licht erhellt wird. Hell genug, um mir das Grauen darin zu offenbaren.
Mein Blick wandert auf Zellen. Nein, eher Pferche, in die ich nicht einmal ein Tier sperren würde. Einfach nur unwürdig, eine lebende Kreatur zu beherbergen.
Immer zwei Reihen aneinandergereiht, die von Wegen getrennt werden.
Es sind weder Länge noch Breite, die den Raum so gigantisch erscheinen lassen. Vielmehr sind es die Reihen von Zellen, die sich über mehrere Etagen bis hoch unter die Decke erstrecken.
Ein mulmiges Gefühl durchwandert meinen Bauch, als ich nach oben blicke. Gerade mal ein schmaler Steg mit Geländer führt an den Zellen entlang. Mehr nicht.
Die Zellen selbst bieten kaum Privatsphäre. Nur ein dünner Vorhang bietet Schutz vor den Blicken aus den Nachbarzellen. Auch auf den Komfort scheint kaum geachtet zu werden.
Im Inneren dieser Käfige sind im hinteren Teil zur Nachbarzelle und gegenüber der Tür gegenüber Liegen an den Gittern angebracht. Daneben steht etwas, das einer Toilette ähnelt. An der Seite ist dann noch ein Gebilde, das mir ein Waschbecken zu sein scheint.
Was auch immer ich mir bisher unter dem Gefängnis vorgestellt habe, das hier entspricht dem jedenfalls nicht.
„Kannst du mich bitte hauen!", plappere ich entgeistert vor mich hin, worauf mich die Rothaarige überrascht ansieht. „Ich glaub das ist ein Albtraum, aus dem ich so bald wie möglich aufwachen möchte." Mein Blick wandert erneut schockiert über die Zellen.
Wenn mein Vater eine Berühmtheit war, warum muss ich dann ausgerechnet an diesem Ort landen?, frage ich mich stumm.
„Arme Kleine!", kommt es seufzend von ihr. Dabei streicht eine ihrer zierlichen Hände zärtlich über mein Haar. „Ich frag nach, ob ich dich in meinem Zimmer eine Zeit lang aufnehmen kann."
Sie drängt mich zum Weitergehen.
„Ganz hinten gibt es noch eine Gemeinschaftsdusche", erklärt sie mir. „Die brauchst du nicht mit den ganzen Kerlen zu teilen. Du musst einfach die Wachen bitten." Sie überlegt kurz. „Wenn die dir dumm kommen, zeig ihnen deinen Armreif. Da dürften sie netter sein. Den benutzen wir normalerweise nur, wenn wir hier unten etwas herausfinden wollen. Keine Ahnung, weswegen er ihn dir umgemacht hat."
Wir kommen in einen weiteren Raum. Eindeutig eine Kantine. Überall stehen Tische und Bänke, die mit dem Boden verschmolzen sind. Auch hier scheint alles aus kahlen Wänden zu bestehen. Doch wieder wird mir schnell gezeigt, dass einiges erst auf den zweiten Blick zu entdecken ist.
„Das Essen hier unten ist gewöhnungsbedürftig", erklärt Kaia mir. „Man kann sich daran gewöhnen. Es dauert nur etwas länger."
Der Gedanke an Essen reicht aus, dass mein Magen mit einem lauten Knurren auf sich aufmerksam macht. Ein so lautes Geräusch, das ich mit vor Scham leicht geröteten Wangen meine Hände auf meinen Bauch lege, der schon eine ganze Weile von einem leichten Hungergefühl erfüllt ist.
„Ich red' mit den Damen", schlägt sie vor. „Vielleicht kann ich ihnen was abschwatzen."
Kaia tritt an die Wand, die der Tür gegenüberliegt, und klopft darauf. Sofort wird das Metall durchsichtig und offenbart ein Fenster in einen kleinen Raum, in dem zwei Frauen gerade beschäftigt herumlaufen.
Als der Blick der älteren Dame auf Kaia fällt, öffnet sie das Fenster ganz.
„Oh Kaia, was führt dich denn hier herunter?" Sie lächelt die Rothaarige mit ihren gutmütigen, braunen Augen an. Die Frau, deutlich über fünfzig, trägt ihr noch braunes, langes Haar hochgesteckt. Ihre Kleidung liegt unter einem weißen Kittel verborgen.
„Das ist Akara", stellt Kaia die Alte kurz vor, die mich freundlich begrüßt. Ich grüße zurück. „Die andere Dame heißt Tosa."
Gerade mal neunzehn wirkt das Mädchen, das der Rothaarigen kurz einen misstrauischen Blick aus ihren faszinierenden grünen Augen zuwirft, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmet. Mir schenkt die Brünette kaum Aufmerksamkeit.
Dennoch begrüße ich auch sie.
„Nettes Mädchen", stellt Akara fest.
„Find ich auch." Kaia lächelt die Alte an. „Das ist Janine und ich wollte fragen, ob du der Kleinen nicht etwas zum Essen geben könntest."
Akara schüttelt enttäuscht den Kopf. „Das geht nicht, die täglichen Rationen sind genau abgemessen", erklärt sie uns beiden. „Es würde nur klappen, wenn jemand freiwillig auf seine Portion verzichtet, aber du würdest das sicher nicht machen."
Kaia schüttelt den Kopf, dann beginnt sie zu grinsen. „Du könntest Gasard hungern lassen. Der hat eh ein bisschen was zugelegt."
„Du bist mir eine", kommt es mit einem Seufzen von Akara. „Der arme Junge kann einem leidtun, so wie du ihn behandelst." Sie überlegt kurz, dann erhellt sich ihre Miene. „Na ja, ein gewisser Jemand – wir wollen mal nicht so böse sein und über ihn schimpfen", beginnt sie. „Für den muss ich immer etwas anderes kochen und auch gleich zwei Portionen, die er eh nie beide isst. Die zweite Portion kann ich dann wegwerfen. Ich kann dem Mädchen davon etwas abgeben." Sie zwinkert Kaia zu. „Sag ihm bloß nichts davon, sonst ist er wieder eingeschnappt."
Kaia dreht sich zu mir.
„Siehst du, ich bekomme doch alles hin", ruft sie freudig.
„Du musst nur als Letzte kommen", sagt mir Akara mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ich bin darüber viel glücklicher, als die normale Kantinenkost versuchen zu müssen.
Kaia ruft zum Aufbruch. Als Nächstes führt sie mich in den größten Raum der Todeszone, den Arbeitsraum.
Die Deckenbeleuchtung strahlt ein warmes Orange über alles, was sich darin aufhält. An den Wänden sind Podeste angebracht, von denen die Männer in grauen Uniformen alles überblicken können.
Somit fungieren sie hier als Wachen über die Gefangenen.
Nur ein schmaler Steg dient ihnen als Verbindung.
In dem Raum selbst stehen einige Raumschiffe. Kaia hat erklärt, dass die Hauptaufgabe der Gefangenen darin besteht, die Raumschiffe zu reparieren.
Zwischen diesen Schiffen, die für mich das Interessanteste darstellen, laufen einige Männer umher. Manche von ihnen wirken auf mich schaurig.
Auch wenn ich leicht interessiert wirke, bin ich eigentlich nicht angetan von diesem Bereich, den ich eine Zeit lang mein Heim nennen werde. Überraschend kommt es für mich hinzu, dass mir jemand einen Schubs in den Raum gibt.
Als ich zurückblicke, sehe ich Kaias Miene, die jetzt nicht mehr nett wirkt, sondern eingebildet und mir das Gefühl gibt, als würde ich für die kühle Rothaarige nur ein Ding ohne Bedeutung sein.
Zuerst bin ich verwirrt, aber es ist klar, dass sie zu meinem Schutz ihr Verhalten mir gegenüber geändert hat. Kaia hat selbst gesagt, dass sie hier nicht mehr nett zu mir sein kann.
Es ist klar, dass mich alle sonst sofort für eine Spionin halten würden, wenn ich mit jemand wie ihr einen netten Plausch veranstalte. Dabei hätte ich ihr gern noch ein paar Fragen gestellt.
Jetzt aber stolpere ich ungeschickt in den Raum hinein und versuche irgendwie, den grimmig dreinschauenden Gestalten nicht auf die Füße zu treten. Kaias Blick dabei im Rücken, der interessiert, aber auch amüsiert wirkt, bevor sie den Raum verlässt. Um mich zu sorgen, scheint sie sich jedenfalls nicht.
Ob sie mir zutraut, hier unten irgendwie klarzukommen, oder ob es einen anderen Grund hat?, frage ich mich.
Plötzlich umfassen meine Taille zwei kräftige Männerhände.
„Pfoten da weg!", gehe ich den großen, braunhaarigen Typen an, der mich festhält.
„Keine Panik, Kleine!", entgegnet der Mann und nimmt seine Hände dort weg, wo sie nach meiner Meinung nicht zu suchen haben. „Komm mal mit!"
Er geht voran, und ich folge ihm – zwar freiwillig, aber dennoch mit Angst, wenn ich daran denke, dass er es war, der vorhin gegen Kaia gekämpft hat.
Was er von mir will? Nichts kann ich mir in diesem Moment vorstellen. Ich spüre nur mein aufgeregtes Herz in der Brust.
„Du bist dieses Mädchen, das von dieser Furie herumgeführt wurde", stellt er fest. „Jedenfalls hab ich dich mit ihr herunterkommen sehen." Er sieht mir direkt in die Augen, sein Blick schenkt mir eine Warnung. „Ein kleiner Tipp: Werde nicht zu vertraut mit dieser Bande! Das könnte dir einen nicht allzu schmerzlosen Tod einbringen."
Mein Blick wirkt jetzt ängstlich. Es ist mir ja klar und ich habe es auch nicht gerade vor. Nur im Moment ist er derjenige, der mir am meisten Angst bereitet – hauptsächlich wegen der Aktion von vorhin.
„Besonders diese Furie ist hier unten nicht sehr beliebt." Der Mann lächelt mich an, als er meine ängstliche Miene erblickt. „Ich will dich nur warnen. Für solch einen Tod bist du viel zu süß."
Ich erröte.
„Mein Name lautet Moriphos. Und wie heißt du?" Er wirkt nett, während er sich der beeindrucken gro0e Mann nach meinem Namen erkundigt. Aber ob ich ihm vertrauen kann?
„Janine", antworte ich ihm.
„Frauen hier unten, das ist ungewöhnlich", meint Moriphos. „Ich hab über das Gefängnis der Station bisher gehört, dass es nur männliche Gefangene beherbergt." Er scheint zu überlegen. „Also ich bin hier, weil jemand meiner Gruppe von einem gewissen Wert ist. Und du?"
„Hab aufgeschnappt, dass du denen ein Raumschiff zerstört hast", erwähne ich.
„Eins mehr oder weniger interessiert die nicht", lautet seine Meinung. Der rothaarige Herr von vorhin scheint das etwas anders zu sehen. „Nur schade, dass ich das Raumschiff nicht besser getroffen hab. Ein Kommandant weniger wäre ein Erfolg gewesen." Er sieht mich wieder neugierig an. „Wieso bist du hier?"
Moriphos setzt sich auf den Boden und lehnt sich gegen die Wand. Ich tue es ihm gleich. Er scheint mir jedenfalls im Moment nichts tun zu wollen, was mich beruhigt.
„Keine Ahnung", antworte ich wahrheitsgemäß.
„Aber wegen irgendetwas musst du doch hier sein", hakt er weiter nach.
Ich bin neugierig, wie sich Malgards Tochter in einer Umgebung wie der Todeszone schlägt, höre ich Torsos Stimme in meinen Gedanken.
Was er damit gemeint hat?, frage ich mich.
Doch diesen Satz gebe ich Moriphos nicht zur Antwort.
„Vielleicht sind denen die Suiten für ihre weiblichen Gäste ausgegangen?", sage ich stattdessen.
Moriphos lacht auf. „Hoffe du verlierst deinen Humor nicht."
„Essen!", ruft einer der Wachen.
„Also die Verpflegung soll außergewöhnlich schlecht sein", meint Moriphos. So etwas habe ich auch schon gehört.
Ich bin gespannt, wie mein Essen schmeckt. Aber ich kann mir denken, wen Akara meint. Vorstellen könnte ich mir einen dunkelhaarigen Typen mit faszinierenden, dunkelgrauen, fast schwarzen Augen.
Mich würde interessieren, wie dieser geheimnisvolle Mann aussieht. Er soll ja von meiner Rasse sein. Deshalb habe ich auch noch ein paar Fragen an ihn.
Jetzt, wo ich weiß, dass meine Familie nicht von der Erde stammt, möchte ich wenigstens wissen, woher sie dann kommt.
Ich folge der Menge, bleibe jedoch, wie mir empfohlen wurde, am Ende der Gruppe. Moriphos versucht zwar mich dazu zu bewegen ihm zu folgen, damit wir uns etwas weiter vorne anstellen können, aber mein Ziel ist ein anderes.
„Okay, dann willst du also stehen." Mit diesen Worten verabschiedet er sich von mir.
Ich bin nicht darauf vorbereitet, was mich erwartet.
Als ich den Raum betrete, sehe ich die ersten Gefangenen stehen. Alles ist besser als das Essen zu kosten, das alle anderen widerwillig verspeisen.
Ihre Gesichter sehen jedenfalls beim Verzehr nicht allzu glücklich aus.
Als ich an der Reihe bin, lächelt mich Akara an.
„Was soll das?", verlangt Tosa von ihr zu erfahren. „Wenn Torsos das rausbekommt, dann kannst du dich auf großen Ärger gefasst machen!" Sie sieht die Alte unfassend an. „Ich halte für so etwas nicht den Kopf hin!"
„Brauchst du auch nicht!", sagt Akara zu dem Mädchen. „Wenn er es erfährt, übernehme ich die Verantwortung."
Tosa wendet sich mit einem Seufzer von uns ab und zieht sich in einen hinteren bereich zurück, den man von hier aus nicht einsehen kann.
„Wenn du einen Nachschlag möchtest, bleib noch etwas länger", sagt Akara mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Danke!", antworte ich.
Als Nächstes sehe ich mich in dem Raum nach einem Platz um – irgendeinem Ort, an dem ich mich zum Essen niederlassen kann. Dabei versuche ich, nicht über einen der anderen Gefangenen zu stolpern, die es sich auf dem Boden bequem gemacht haben.
Erfolglos. Kein einziger freier Platz ist zu finden. Ich mache mich schon daran mir ein Fleckchen auf den Fußboden zu ergattern, als mich plötzlich jemand am Arm fest hält, während ich an ihm vorbeigehe.
„Der bezaubernden Dame biete ich gerne meinen Platz an."
Ich sehe überrascht in Moriphos' lächelndes Gesicht, dann auf die volle Schüssel, die er hin und her schiebt.
„Dieses widerliche Zeug kriegt eh niemand runter!", schnaubt er auf.
„Man muss nur genug Hunger haben!", ruft ihm ein Mann am Tisch zu.
„Und irgendwann sind deine Geschmacksnerven zerstört", fügt ein weiterer Mann hinz. Ein dicklicher Kerl, der den Brei regelrecht in sich hineinschaufelt.
„Augen und Nase zu, dann weg damit!", rät ein anderer.
„Lieber verhungere ich, als mir so etwas anzutun!", schnauft Moriphos. Er steht auf und lässt mich an dem Tisch Platz nehmen.
„Danke!" Ich lächle ihn an, bevor ich mich setze. Die Männer am Tisch betrachten mich interessiert, einige sogar sehr entzückt. Ich nehme mir vor, um die lieber einen großen Bogen zu machen.
„Die Quote der Damen hier nimmt seit ein paar Tagen zu", erwähnt einer.
Mit dem Löffel stochere ich in der breiigen Masse herum, die mein Mahl sein soll. Appetitlich sieht das nicht gerade aus. Aber die beiden haben gesagt, dass das normalerweise Torsos' Mahl ist. Da muss es doch schmecken!
Ich überwinde mich, nehme den Löffel und stecke mir etwas von dem Brei in den Mund.
Die Männer sehen mich interessiert an, während ich feststelle, es sieht zwar scheußlich aus, hat aber einen interessanten Geschmack. Irgendwie fruchtig und verdammt lecker.
Noch interessierter wirken sie, als ich das Bisschen herunterschlucke.
„Von irgendwas muss man ja leben!", ruf ich laut, bevor ich den zweiten Löffel in meinen Mund stecke. Ich muss mich beherrschen, um meine angewiderte Miene aufrecht zu erhalten. Das Zeug ist jedenfalls verdammt lecker!
„Mutiges Mädchen!", ruft einer der Männer anerkennend.
Ich esse weiter.
„Komm, verrat mir, wie lange die dich haben hungern lassen", fordert mich Moriphos auf. Er sieht wirklich besorgt aus.
„Was für ein Typ bist du eigentlich?", frage ich neugierig, statt ihm zu antworten. Meine vorherige Angst vor ihm ist mittlerweile verflogen.
Er sieht mich verwundert an.
„Ich stamme von einem Ort, an dem man für einen Spinner gehalten wird, wenn man an Wesen von anderen Planeten glaubt", erkläre ich ihm.
„Ich bin ein Zeitstürmer", erklärt er mir.
„Tja, das ist dann wohl einer, der seine Arbeit nicht richtig gemacht hat", spottet ein Mann am Tisch. „Ihr seid doch dafür bekannt, dass man euch nie fangen kann. Jedenfalls gebt ihr damit an."
Wut steigt in Moriphos auf.
„Dieser verdammte Otscharsan!", flucht der Große. Er fängt sich wieder und erklärt dann weiter. „Wir benutzen eine Technologie, mit der man durch die Zeit reisen kann. Aber nur in die Vergangenheit und zurück."
Ich lausche interessiert seinen Worten.
„Stell ich mir toll vor", lautet meine Meinung. „Da könnte man alles in Ordnung bringen, was je falsch gelaufen ist."
Moriphos kratzt sich am Kopf.
„Wir denken nicht so", erklärt er. „Wir versuchen, alles in geregelte Bahnen zu lenken. So, wie es das Schicksal vorsieht." Er macht eine kurze Pause. „Nebenbei versuchen wir Torsos ordentlich zur Weißglut zu treiben, aber unser Vorsatz ist, dass wir die Zeit nicht grundlegend verändern."
„Rein theoretisch gesehen könnte man das ändern, was einem an der Gegenwart nicht gefällt."
Moriphos lächelt mich an. Deutlicher kann er mir nicht recht geben.
„Reizvoll wäre es schon, diesen arroganten Mistkerl Torsos in der Vergangenheit zu töten", gesteht er. „Aber das wäre gegen unseren Kodex."
„Deine Kameraden hätten dich wenigstens vor diesem Schicksal hier beschützen können."
„Die helfen mir sicher nicht." Er seufzt. „Ich bin da nicht allzu beliebt. Denen hab ich einfach eine zu große Klappe. Und ich widerspreche sogar unserer Anführerin." Er kratzt sich verlegen am Kopf.
Ich schiebe das leere Schälchen von mir fort, dann lasse ich meinen Kopf auf die Tischplatte sinken.
Die anderen begeben sich derweil wieder an ihre Arbeit. Moriphos betrachtet mich noch kurz, bevor auch er zurück in den Arbeitsraum geht.
Ich hole mir nun dankend meine zweite Portion ab.
Den Rest des Tages versuche ich mich irgendwie nützlich zu machen, werde aber nur weggescheucht.
⭑⊱••••✩••••̩̩͙⊰•*⭑*•̩̩͙
Es ist abends, als wir den Befehl bekommen in unsere Zellen zu gehen. Ich dagegen werde in meine gebracht, die in der Nähe der Tür liegt.
Erschöpft von diesem ersten Tag hier und allem, was davor passiert ist, lasse ich mich auf das Bett fallen und stelle sofort fest, dass es anderes ist, als ich gewöhnt bin. Es ist mehr eine metallene Liege, deren einziger Luxus ein dünner Stoff ist, der auf dem Metall liegt. Bequem ist es nicht gerade und ich frage mich, ob ich darauf überhaupt Schlaf finden werde.
Was erwarte ich eigentlich von einem Gefängnis? Die Einrichtung eines Fünf-Sterne-Hotels?
Ich glaube, hier sollte ich froh sein, auf irgendetwas schlafen zu können. Immerhin ist es schon etwas anderes als der schmutzige Boden.
Das Licht wird gelöscht, nachdem die letzte Wache den Raum verlässt, und ich lege mich auf das Bett.
Ich habe gerade meine Augen geschlossen, da spüre ich eine kräftige Männerhand über mein schwarzes Haar fahren. Zuerst bin ich total perplex. Mir ist entfallen, dass die Zellen so nah aneinander gebaut sind. Zur Tür hin grenzen sie an den Gang. Zu allen anderen Seiten an Nachbarzellen. An eine der Wände ist nun mal mein Bett angebracht und vor dem Erlöschen des Lichtes habe ich meinem Zellennachbarn noch keine Aufmerksamkeit gewidmet.
Mit einem erschrockenen Aufschrei springe ich vom Bett. Doch bevor ich meinen Zellennachbarn anschreien kann, ertönt von diesem ein Lachen.
„Die hätten mir keine bessere Zelle geben können!", erklingt es amüsiert von ihm.
Ein wütendes Schnaufen kommt von mir, als ich mich wieder aufs Bett lege. Ich brauche kein Licht, um zu wissen, dass mein Zellennachbar Moriphos ist.
„Sollten wir hier irgendwann mal rauskommen, dann gehst du doch mit mir essen", bittet der Zeitstürmer mich. Dann höre ich, wie er sich auf den Rücken dreht.
„Ich dachte dieses Gefängnis heißt Todeszone, weil hier nie jemand lebend herauskommt?", frage ich ihn. Jedenfalls hat Kaia das behauptet. Aber ich glaube auch nicht daran, dass man aus einem so gut bewachten Gefängnis ausbrechen kann.
„Versuchen kann man es ja", lautet seine Meinung.
Bei mir scheint es der Fall zu sein, dass ich nicht für die Ewigkeit hier bin. Immerhin hat Torsos erwähnt, dass ich von seiner Rasse bin, von der scheinbar nur noch wenige existieren. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass er mich hier sehr lange lässt.
Ein bisschen Hoffen ist allerdings auch mit dabei.
Kaia und Otscharsan sind über die Tatsache überrascht gewesen.
Die Frage nach dem Wieso, würde mich brennend interessieren. Wieso hat er mich hier hineingesteckt?
Wie es meiner Mutter geht?, frage ich mich ebenfalls. Sie scheint hier wenige Freunde zu haben. Ich mache mir so Sorgen um sie und meinen Vater Herbert.
Leises Wimmern ertönt aus der Nachbarzelle rechts von mir. Es klingt nach einer Frau. Was sie hier tut? Ich habe Mitleid mit ihr.
„Ruhe!", brüllt einer der Mitgefangenen. Das Wimmern versiegt für einen kurzen Moment. Sicher aus Angst vor den anderen Gefangenen und ihrer Reaktion morgen.
„Idioten!", ruft Moriphos leise, dann wendet er sich wieder an mich. „Das war echt gut, wie du dich in der Kantine verhalten hast. Die Typen hast du mit der Aktion auf alle Fälle beeindruckt. Auch wenn ich nicht verstehe, wie du dieses widerliche Zeug komplett runter bekommen konntest." Er lacht kurz leise auf. „Und jetzt hast du deinen Geschmackssinn sicher vollkommen verloren."
„Ne, die kümmerlichen Reste sind noch erhalten." Ich stimme in sein Lachen mit ein.
„Respekt ist dir bei ein paar unserer Mitgefangenen auf alle Fälle sicher."
Das Wimmern setzt wieder ein und unterbricht unsere Unterhaltung. Sie tut mir so leid. Ob ich vielleicht ein paar Worte mit dem Mädchen sprechen sollte, um ihr zu helfen?
„Während der Ruhezeit ist Weinen verboten!", brüllt einer der Gefangenen durch den Raum. Begleitet wird er vom Lachen einiger anderer.
„Falsch!", ertönt eine liebliche Frauenstimme. Sie steht in der Tür, nur beleuchtet durch den Lichtschein, der aus dem Gang fällt. Es ist eine zierliche junge Frau mit kurzem, feuerrotem Haar und einer schwarzen Uniform, die sich eng um ihren schlanken Körper legt.
Es ist klar, wer sie ist. Immerhin gibt es hier nur eine Frau wie sie.
„Schreien und Krach sind während der Ruhezeit verboten, wenn ihr Pech habt, an die falsche Wache zu geraten, könnt ihr euch auf eine angemessene Strafe freuen."
Kaia lehnt am Türrahmen, ihren Blick lässt sie über die Zellen schweifen. Sie versucht auszumachen, wo sich der Schreihals befindet. Doch dieser ist plötzlich still.
Nachdem ihre Suche ohne Erfolg bleibt, stößt sie sich von Türrahmen ab und geht langsam durch den Raum.
„Jungs, müsst ihr mir den Spaß verderben? Ich hätte diesem Unruhestifter so gern persönlich den Hals umgedreht." Ihre Stimme klingt gespielt enttäuscht, als sie auf unseren Gang einbiegt.
Die meisten Gefangenen sehen die Rothaarige voller Verachtung an, sogar Moriphos. Sie dagegen scheint das kaum zu interessieren. Es wirkt sogar so, als genieße sie die Macht ihrer Position und dass die meisten der Gefangenen Angst vor ihr haben.
An der Zelle neben mir bleibt sie stehen.
Erst jetzt werfe ich einen Blick auf diejenige, von der das Wimmern kommt.
Durch den schwachen Lichtschein, der zur Tür hereinfällt, erkenne ich ein junges Mädchen. Sie presst ihren zitternden Körper an die Zellenstäbe, ihre Beine hat sie an sich gezogen und hält diese mit den Armen umschlungen. Ihr Gesicht liegt auf ihren Beinen und ist durch ihr langes, gelocktes, blondes Haar verdeckt. Das Dünne, sommerliche Kleid ist nicht nur schmutzig, sondern an einigen Stellen zerrissen.
„Nora!", hauche ich fassungslos und so leise, dass es niemand hört. Sie trägt immer noch das Kleid, das sie bei dem Date mit Andy anhatte.
Im ersten Moment weiß ich nicht, wie ich reagieren soll, und sehe sie verwirrt und erschrocken an.
Kaia hockt sich zu ihr. Ihre zierliche Hand fährt dem Mädchen sanft durch das blonde Haar.
„Hey Kleine!", spricht sie Nora an. Das Weinen des Mädchens versiegt und ihr Blick wandert auf die Rothaarige. „Ich weiß nicht, was los ist und ich will es auch nicht wissen, aber reiß dich zusammen, sonst können die Typen hier schnell sehr unangenehm werden."
Ihre Worte wirken zwar im ersten Moment kaum tröstlich und eher kalt, doch mir ist klar, dass sie sich so etwas nicht leisten kann. Unter anderem, weil es für Nora nicht das Beste wäre, von jemandem wie Kaia getröstet zu werden. Das würden die Gefangenen als Anreiz nehmen, sich das junge Mädchen vorzuknöpfen.
„Tz!", kommt ein Schnauben von Moriphos, der sich vor der Zellenwand aufgebaut hat und dessen Blick verachtend auf der Rothaarigen liegt. „Die große Kaia scheint Mitgefühl heucheln zu wollen. Lass es lieber. Solche Gefühle sind für jemanden wie dich, doch eh nicht möglich."
Kaias Blick wandert zornig auf den Zeitstürmer.
„Du!", faucht sie ihn an. Sie steht auf und tritt an meine Zelle, um ihm gegenüberzustehen. „Wenn dir das von vorhin nicht gereicht hat, können wir hier gerne weitermachen."
Ich gehe von den Beiden weg, hin an die Seite, an der Noras Zelle grenzt. Dort knie ich mich zu dem Mädchen nieder.
„Nora, geht es dir gut?", erkundige ich mich besorgt bei ihr.
Als die Blondine mich bemerkt, ist sie genauso überrascht, wie ich es bin.
„Was machst du hier?", fragt sie verwirrt. Ihre strahlend blauen Augen, die mich sonst immer voller Hass ansehen, wirken jetzt traurig und verweint.
Auf der Erde waren wir Nachbarn, doch uns zu mögen war da nicht drin. Nicht mehr. Im Gegenteil, wir haben uns regelrecht bekriegt. Jetzt tut sie mir sogar leid.
„Ich hab zwar schon immer von einem Urlaub weit, weit weg geträumt, aber mit Sonne, Strand und Meer ist es nichts geworden."
Meine Scherze muntern weder sie noch mich auf.
„Das letzte Mal, als ich deinen Vater gesehen habe, ging es ihm gut", versuche ich, sie zu beruhigen. „Nun, er hat Angst du wärst durchgebrannt, weil er so ein strenger Vater ist – oder dass dir etwas Schlimmeres passiert ist."
Sie krabbelt zu mir herüber.
Es ist ungewohnt, denn eigentlich streiten wir uns beiden bei jeder Begegnung. Häufig artet der so aus, dass wir uns fast an die Kehle gehen. Aber in dieser Situation ist dafür kein Platz.
„Ich mache mir Sorgen um Andy", flüstert sie in mein Ohr.
Kaias Blick, liegt interessiert auf uns. Sie wirkt beruhigt. Wahrscheinlich weil sie glaubt, dass ich mich um das andere Mädchen kümmere.
„Was habt ihr eigentlich mit den Frauen vor?", erkundigt sich Moriphos. „Tormahs gehen wohl die Weiber aus."
Ich zucke sichtlich zusammen, als ich diesen Namen höre. Erneut frage ich mich, wie es meiner Mutter ergeht.
„Wir wissen bloß noch nichts mit ihnen anzufangen", gibt sie mit der Schulter zuckend zu.
„Wie wäre es, mit dem Vorschlag!", sage ich. „Ihr bringt uns wieder zurück auf den Planeten, von dem wir kommen." Die Antwort darauf kenne ich schon, bevor sie diese ausspricht, aber einen Versuch ist es wert.
„Das ist unmöglich!", antwortet sie seufzend.
Nora beginnt wieder zu weinen. Es kostet mich zwar Überwindung, aber ich lege meine Arme um das Mädchen, um es zu trösten. Es ist ja auch meine Schuld, dass wir beide hier sind.
Kaia betrachtet mich kurz.
„Ich hätte auch gern so schöne graue Augen", gesteht sie seufzend und zwinkert mir zu.
„Ja das wäre ein Traum, vielleicht wärst du dann genauso hilflos, wie ein normales Weib." Moriphos lacht laut auf.
„Nein, nur verdammt glücklich!" Ein breites Grinsen zieht sich über ihr Gesicht. „Da würde ich Klasseweib endlich mal wieder einen Kerl abbekommen."
Oder einen besonderen, geht es mir durch den Kopf. So wie Kaia von Torsos schwärmt, scheint sie mehr für ihn zu empfinden als reine Freundschaft.
Langsam werde ich aber schon auf diesen Typen neugierig. Ob er wirklich so gut aussieht?
„Und was macht jemand wie du hier unten?", erkundigt sich Moriphos.
„Er übernimmt heute die Nachtschicht", erklärt sie freudig. „Es würde mich sehr freuen, wenn hier Unruhe herrschen würde. Da könnt ich mich ja mal wieder richtig austoben."
Kaia läuft in Richtung des Ausgangs, doch bevor sie den Raum verlässt, wirft sie den Gefangenen noch einen warnenden Blick zu. Hinter ihr schließt sich die Tür und hüllt den Raum in Dunkelheit.
„Was sollte das denn vorhin?", will ich von Moriphos wissen. „Ich meine den Angriff auf Kaia."
„Was die mit uns vorhaben?", lautet Noras Frage. Sie hat sich beruhigt aber nur ein wenig.
„Zu der ersten Frage dieser holden Dame." Moriphos lächelte mich an und hockt sich ebenfalls an den Gittern seiner Zelle auf den Boden.
Mit meiner Hand fahre ich Nora tröstend über den Rücken.
„Ich hab ehrlich gehofft, die Legenden über diese Rasse sei falsch." Er seufzt. „Die andere Frage kann wohl nur derjenige beantworten, der das angeordnet hat. Und der ist ziemlich feige."
Ich sehe ihn fragend an.
„Keiner weiß, wie dieser Torsos überhaupt aussieht", erklärt Moriphos mir.
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Da wird es wohl doch noch eine Weile dauern, bis mir dieser große Unbekannte begegnet, geht es mir durch den Kopf. Ich habe noch nicht viel davon erfahren, warum dieses Gefängnis einen solchen Ruf besitzt, aber darüber bin ich ganz froh.
Inständig hoffte ich, es niemals zu erfahren.
Es kommt bekanntlich immer anders, als man denkt.