Sich in der Todeszone Respekt zu verschaffen, besteht also darin, einfach das Essen herunterzuwürgen.
Okay! Das kann ich!
Nur muss ich aufpassen, niemandem zu zeigen, dass mir das Zeug schmeckt.
Auch weiß ich nicht, was ich von diesem Zeitstürmer Moriphos halten soll.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er an mir interessiert ist. Wenigstens brauche ich nicht mehr zu erklären, warum ich hier bin. Seine Meinung scheint eh, der Kerl – Torsos – ist durchgeknallt.
Diese Kaia habe ich ebenfalls näher kennengelernt. Sie tut so, als sei sie die Große und Gefährliche, die über allen anderen steht.
Es erscheint mir wie eine Fassade. Ein Schutz, hinter dem sich eine einsame Frau verbirgt.
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Ich sitze auf meinem Bett. Moriphos, der die Zelle hinter meiner bewohnt, schläft noch tief und fest. Seine Liege ist direkt an meiner angebracht, so dass uns nur die Gitter voneinander trennen.
Hin und wieder denke ich darüber nach, dass er mich umbringen könnte, wenn er es wollte. Aber Angst habe ich deswegen nicht. Es hätte mich schlimmer treffen können. Er scheint ganz nett zu sein.
Nora, rechts neben mir, liegt auf dem blanken Boden. Ist sie wach, presst sie ihren Körper zitternd an die Gitterstäbe zum Gang hin und zu meiner Zelle. Ihr Bett grenzt an das eines Typen, der selbst mir eisige Schauer über den Rücken laufen lässt.
Ein widerlicher kleiner, dürrer Kerl, der uns dauernd angrinst und seine Lippen so weit hochzieht, dass darunter zwei Reihen aus verfaulten Zähnen zum Vorschein kommen.
In der anderen Zelle, die an meine grenzt, liegt ein dicker Kerl auf dem Bett. Aber von dem habe ich bisher nichts gehört.
Jetzt betrachte ich mir den Armreif genauer.
Er ist ungefähr zwei Finger breit, ähnlich wie der, den Nora trägt – golden und recht dünn. Sie unterscheiden sich nur in einem kleinen Detail: Während ihrer vollkommen aus einem glatten Metall gefertigt ist, wird meiner mit zwei Reihen aus Steinen besetzt. Jede Reihe besteht aus roten Steinen, zwischen denen sich jeweils zwei in einer anderen Farbe befinden.
In der oberen Reihe sitzen ein grüner und ein violetter Stein, in der unteren sind es Blau und Gelb, die sich abheben. Alle andersfarbigen Steine sind den Reihen etwas weiter voneinander entfernt aber in der oberen zur unteren Reihe unterschiedlich angeordnet.
Haben die irgendeine Bedeutung?
Gedankenverloren streichen meine Finger über die Steine.
„Morgen, Janine", kommt es mit einem Gähnen von Moriphos hinter mir.
Ich verstecke den Armreif vielleicht ein wenig zu hektisch unter meinem langen Ärmel, damit Moriphos ihn nicht sieht. Kaia hat mir verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass ihn niemand zu Gesicht bekommt.
„So wie du dich verhältst, könnte man auf üble Gedanken kommen", ruft Moriphos.
Ich sehe ihn einen Moment fragend an, dann deute ich auf Nora.
„Diese komischen Armreifen sind nicht ganz so mein Fall." Ich lächele ihn an. „Die sind hässlich."
„Was dieser Kerl sich denkt Weiber hier reinzusperren", schnaubt Moriphos aus. „Ich kann auf dich und die Kleine aufpassen." Ein Vorschlag des großen Mannes, während dem er mir zuzwinkert. „Bevor die Kerle hier noch aufdringlicher werden." In seiner Miene lese ich Besorgnis. „Für meinen Geschmack haben dir etwas zu viele von denen einfach zu interessierte Blicke zugeworfen."
„Ach, und du nicht?", frage ich direkt. Ich lächele ihn während dieser Worte an.
Mir ist aufgefallen, dass die Blicke der Gefangenen seit meiner Ankunft ständig auf mir ruhen. Aber was erwarte ich auch? Immerhin ist das ein reines Männergefängnis. Eine Tatsache, die mir klar macht, wie froh ich sein kann, einen Beschützer zu haben.
„Ich fände es schade, wenn einer von den Typen sich an einem so hübschen Mädchen wie dir vergreifen würde."
„Danke für dein Angebot", sage ich zu ihm. Moriphos scheint wirklich keine bösen Absichten zu haben. „Ich glaube einen Beschützer könnten wir hier echt gebrauchen." Ein Seufzen dringt über meine Lippen.
„Bleibt einfach in meiner Nähe", bittet er mich. „Ich halte die Typen schon von euch fern."
Glücklich lächle ich ihn an. Nora wird darüber sicher auch sehr froh sein.
Mein Blick wandert zu dem blonden Mädchen. Früher habe ich sie gehasst. Doch so etwas hätte ich ihr nie gewünscht. Bei mir ist es klar, dass ich irgendwann hier herauskomme. Die einzige Frage ist das Wann.
Doch was passiert mit ihr?
Sie tut mir so leid.
Falls ich noch mal die Chance bekomme, mit Kaia zu reden, vielleicht könnte ich sie fragen, was mit uns passieren wird.
Auch eine andere Frage drängt sich mir auf, als ich meine Nachbarin betrachte.
„Hier soll es eine Dusche geben", überlege ich laut.
„Ja!", antwortet Moriphos. „Hier würde sicher jeder gerne mit euch duschen gehen!"
In dem Moment hätte ich gerne einen Schwamm, um ihm sein süffisantes Grinsen aus dem Gesicht zu waschen. Als ob seine Worte nicht genügen, um mir zu verdeutlichen, dass es keine nach Geschlechtern getrennten Duschräume gibt.
Kaia hat mir davon vor ihm berichtet.
„Mir hat jemand gesagt, ich kann eine der Wachen auf meinen Wunsch nach einer Dusche ansprechen", erinnere ich mich an ihre gestrigen Worte. Meinen Fehler bemerke ich viel zu spät. Uns beiden ist klar, dass solche Worte nur von einer Person stammen können.
Moriphos wirkt über das überrascht, was ich sage. Als ihm die Bedeutung klar wird, schaut er mich verwirrt an. Als er mir dann auch noch auffordert, näher an die Gitter heranzutreten, beschleicht mich das Gefühl, etwas so Falsches gesagt zu haben, dass es schlimm für mich enden könnte.
Zögerlich folge ich seiner Aufforderung, unsicher, ob ich mich nicht doch in täusche.
Er beugt sich zu mir herunter und fragt, mit seinen Lippen an meinem Ohr: „Bietet diese Furie neuerdings im Gefängnis Rundgänge an?"
Im ersten Moment bin ich sprachlos.
Durch seinen ernsten Ton bei der Frage und die befremdliche Umgebung, in der ein einziger Fehler mir zum Verhängnis werden kann, übersehe ich beinahe, dass er es als Scherz meint.
Was soll ich ihm darauf am besten entgegnen?
Einen Moment lang denke ich darüber nach. Die Antwort kommt schneller, als ich es selbst erwarte und ohne, dass ich ihn anlügen muss.
„Ich glaub, die hatte einfach nur Mitleid mit mir", sage ich leise genug, damit es kein anderer Gefangener es hört. „Ich bin eben ein armes, kleines Mädchen, das hier ziemlich hilflos ist."
„Diese Frau soll Mitleid empfinden?" Moriphos lacht trocken. „Hör auf mit solchen Witzen." Ein besorgt klingendes Stöhnen entweicht ihm. „Bilde dir nicht ein, du könntest dich mit irgendjemandem außerhalb des Gefängnisses anfreunden. Schon gar nicht mit jemandem wie Kaia. Dann kann selbst ich dich nicht mehr beschützen." Moriphos denkt einen Moment über meine Worte nach. „Aber vielleicht solltest du wirklich dein Glück mit einer Wache versuchen."
Nora lässt ein Gähnen von sich hören, als sie erwacht.
„Hattest du eine bessere Nacht als ich?", erkundige ich mich freundlich bei ihr.
Sie schüttelt müde und erschöpft den Kopf.
Eine der Wachen tritt in den Gang. Mir ist bisher nicht aufgefallen, dass jemand den Raum betreten hat. Sein Blick schweift über die Zellen, manche bleiben ruhigen , andere sind es weniger.
Einer der vielen Wachgänge, um die Ordnung im Zellentrakt zu überprüfen.
Als er bei meiner Zelle ankommt, beschließe ich, mein Glück zu versuchen.
„Hallo!", mache ich ihn auf mich aufmerksam. Er schaut mich neugierig und schweigend an.
Die Wache ist noch jung, gerade erst Mitte zwanzig, wenn nicht sogar noch jünger. Seine kurzen Haare sind von demselben Braunton wie seine Augen.
„Ich hätte eine Frage."
Er tritt näher an meine Zelle heran.
Neugierig wandert sein Blick von mir zu Nora, um auch diese zu mustern.
Dieser Blick … Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber da gibt es einen kleinen Teil in mir, der am liebsten jeden weiteren Ton von mir unterlassen möchte. Doch meine Neugier auf mein Anliegen überwiegt, ob eine Dusche am Morgen möglich ist.
Ein stummer Kampf wird in mir ausgefochten, für den es nur einen Sieger gibt.
„Der Duschraum ist doch für alle zugänglich." Er lauscht interessiert meinen Worten. „Und wir sind nur zwei Mädchen. Gibt es da nicht eine Möglichkeit, dass wir allein duschen könnten. Also ohne den ganzen Massenandrang?"
Er beginnt zu lächeln. „Kein Problem!"
Um unsere beiden Zellen zu öffnen, muss er lediglich seine Hand auf einen Teil des Schlosses legen.
„Ihr müsst euch beide beeilen!", sagt die Wache, als er uns den Weg durch den Zellengang mit seinen Schritten weißt.
Einige der Gefangenen rufen uns hinterher, ob wir sie mitnehmen oder wir jemanden zum Rückeneinseifen benötigen.
Nora drückt sich ängstlich an mich, während wir in die hinterste Ecke geführt werden, wo der Duschraum liegt.
Für uns beide mag der Raum weitläufig sein, bedenkt man jedoch die Anzahl der Gefangenen, ist er viel zu klein ausgelegt. Als Duschraum würde ich ihn auch nicht mal bezeichnen, da ich nicht mehr erkenne als einen leeren Raum mit gekachelten Wänden. Es finden sich hier keine Duschköpfe, Amateuren oder Handtücher. Auch Privatsphäre durch Abtrennungen fehlt, jedoch habe ich an den Zellen gesehen, dass auf diese im Gefängnis keinen Wert gelegt wird.
Fragend sehe ich den Wachmann an. Wie soll man hier duschen?
Die Antwort bekomme ich, ohne die Frage auszusprechen.
Er schiebt mich vor die Wand und drückt er an eine der metallenen Kacheln. Ein Stück Seife wird aus der Wand herausgefahren, in einer anderen finden sich frische Handtücher. Interessiert betrachte ich diese Funktion. Ein weiterer Druck auf die Kacheln lässt die Fächer wieder schließen.
Mit Druck auf ein weiteres Quadrat stehe ich urplötzlich im kalten Regen.
Damit ist eine weitere Frage geklärt: Es gibt kein warmes Wasser!
Hektisch drücke ich auf das Quadrat und das Wasser hört auf zu fließen. Mein Blick fällt auf Nora, die kichernd neben mir steht.
Ich fahre mir durch mein durchnässtes Haar.
„Okay, das nennt man wohl gerechte Strafe." Ungefähr so muss es sich für sie mit mir als Nachbarin angefühlt haben - so oft, wie sie dank mir mit ihrem Freund eine unfreiwillige Dusche nahm.
Noch in dem Gedanken verweilend fällt mein Blick auf den Wachmann.
Ein Schauer packt mich, der nichts mit dem kalten Wasser zu tun hat, dass meine Kleidung durchnässt.
Es ist mehr dem Blick zu schulden, den der junge Mann Nora zukommen lässt. Er wirkt deutlich interessiert an dem Mädchen.
Als er sich der Tür zuwendet, meine ich, ein Grinsen auf seinen Lippen zu erkennen. Ähnlich den Gefangenen, die sich gerne einen unbeobachteten Moment mit uns wünschen.
Ich irre mich! Ich muss es!
Er ist hier angestellt, um für Ordnung zu sorgen! Kaia sagte, wir können den Wachen vertrauen und ich vertraue ihr!
Dennoch bleibt die Andeutung eines Gefühls bei mir zurück.
„Ich glaub, jetzt weißt du, wie es mir so oft ergangen ist." Nora kichert amüsiert, während sie sich auszieht.
„Na, du hast es ja auch dauernd drauf ankommen lassen", erwidere ich kampflustig.
Ich habe ihr unseren Garten nicht als private Schmusezone angeboten. Es war ihre Entscheidung, sich dorthin zurückzuziehen. Selbst schuld, wenn sie sich direkt unter meinem Fenster für solche Gemeinheiten anbietet!
„Und mein Vater hat dich wirklich dafür bezahlt?", hakt sie nach.
Die Schwere ihrer Trauer über die Trennung von ihren Lieben klingt in ihrer Stimme mit.
„Anfangs nicht", antworte ich und sie sieht mich überrascht an.
Es ist nicht wegen der Worte, sondern da ich mich so weit wie möglich im Raum nach hinten zurückziehe.
Hoffentlich schiebt sie es auf die Möglichkeit, dass ich mich schäme, mit ihr zu duschen.
Trotz unserer Unstimmigkeiten zuhause, vertraue ich ihr so weit, dass sie mich niemals den anderen Gefangenen ausliefern würde.
Es gibt zwei Gründe, warum ich ihr den Armreif verschweige, der sich von ihrem so deutlich unterscheidet.
Zum einen kann ich nicht erklären, wieso er mir angelegt wurde, ohne die Besonderheiten zu erwähnen. Wie kann ich verhindern, dass es ihr herausrutscht? Wie kann ich ihr die Wichtigkeit verdeutlichen, dass niemand davon erfahren darf? Außer, sie in den zweiten Grund meines Zögerns einzuweihen.
Meine Familie … Ich bin schuld daran, dass sie entführt wurde. Bei der ganzen Sache zielte Torsos auf mich.
Wie soll ich ihr das sagen?
Wir mögen uns auf der Erde bekriegt haben, dennoch quälen mich die Schuldgefühle, dass ich die Ursache für ihre Lage bin.
Die Trennung von ihrem Vater und ihrem Freund habe ich zu verantworten!
Ich ziehe den nassen Pullover über meinen Kopf.
Dabei verheddert sich der Armreif so sehr im Ärmel davon, dass ihn von dem Stoff befreien muss, um den Pullover ausziehen zu können.
Als das geschehen ist, halte ich in der Bewegung inne.
Den Pullover nur zur Hälfte ausgezogen, stehe ich einen Moment nur so da. Mein Blick verweilt auf dem Armreifen und erneut stelle ich mir die Frage, ob den Steinen eine andere Bedeutung innewohnt als der Zierde. Haben Sie sogar eine Funktion? Einen Grund muss es geben, dass jeder Trägere als Spion bezeichnet wird. Diese so zu markieren, ergibt anders keinen Sinn.
Meine Finger gleiten darüber. Ich drücke mehr im Spiel die Steine und warte ab.
Vielleicht spielt das Armband bei der richtigen Kombination „Fuchs, du hast die Gans gestohlen" begleitet durch Leuchteffekte.
Das wäre allerdings zu auffällig und unnütze – ein völlig alberner Gedanke, aber in dieser Situation cooler als das, was tatsächlich passiert.
Nämlich nichts!
Wenn die Steine nur zur Dekoration dienen, hätten sie diese auch weglassen können. Was bitte bringt es sonst, den Armreif sich von den anderen unterscheiden zu lassen?
So kann der Träger nur auffallen!
Ich ziehe den Pullover ganz aus und werfe ihn frustrieret darüber, keine Antwort auf meine Frage zu finden, auf den Boden. Es folgen Hose und Unterwäsche.
Mit leichtem Schwung lasse ich meinen Körper nach vorne fallen, die Arme ausgestreckt. In dieser fließenden Bewegung betätige ich, wie mir von der Wache gezeigt wurde, die Quadratische Kachel für das Wasser.
Ein kühler Regenschauer ergießt sich über meinen Körper und fließt daran herab zum Boden, wo er versickert.
Nachdem ich mich kalt abgeduscht habe, seife ich mich ein.
Gerade als ich die Seife wieder abspüle, dringt ein Schrei an mein Ohr.
Davon alarmiert drehe ich mich zu Nora um und kann kaum glauben, was ich sehe. Nicht, nachdem mir das von Kaia sogar empfohlen wurde.
Nora steht nahe dem Eingang da. Sie zittert vor schierer Angst. In ihrem Kopf spielt sich die Erwartung des schlimmstmöglichen Szenarios ab.
Vor ihr steht die junge Wache.
Er drückt seinen Körper schwer gegen ihren, um sie an einer möglichen Flucht zu hindern. Mit einer Hand hält er ihre Handgelenke gepackt und das Mädchen unter Kontrolle, mit der anderen begrabscht er sie zu seiner vollen Freude.
„Zier dich nicht so!", haucht er ihr ins Ohr, als sei sie seine Freundin und nicht das Opfer seiner Belästigung. „Als ob dir etwas anderes übrigbleibt! Das hier ist so ein rauer Ort! Du wirst jeden Schutz brauchen, den du bekommst. Ich will lediglich eine geringe Gegenleistung dafür!"
„Sie besitzt schon jeden Schutz, den sie braucht!", ertönt meine Stimme, die sich zu einem Befehl an ihn erhebt. „Also lass sie sofort los!"
„Und für den willst du sorgen?", verhöhnt er mich und ignoriert meinen Befehl. Er meint sogar, ungestört bei Nora weitermachen zu können.
Mein Blick geht hastig nach rechts und links.
Waffe! Ich brauche eine Waffe!
Irgendwie muss ich sie gegen seinen Übergriff verteidigen. Etwas muss sich finden, um es gegen ihn einsetzen zu können! Doch hier gibt es einfach nichts als Handtücher und …
Instinktiv schlage ich mit meiner Hand in einem Klatschen gegen die Wand und berühren eine der quadratischen Kacheln.
Ein Stück Seife wird herausgefahren, nach dem ich sofort greife. Meinen Arm ziehe ich nach hinten.
Aus dieser Bewegung heraus werfe ich das Stück mit Schwung gegen ihn.
Ich habe die Berufung verfehlt – statt Model hätte ich Pitcher werden sollen!
Den Kopf dieses Perversen treffe ich schon mal ganz gut.
Das Seifenstück fällt zu Boden herab, da ertönt meine Stimme in einer Warnung.
„Ich habe gesagt, lass sie in Ruhe!"
Ohne eine Idee, was ich anderes machen kann, als ihn gegen mich aufzubringen. Das Seifenstück hat gesessen, beeindruckt ihn jedoch nur gering.
„Miststück!", ergeht ein Fluch an mich.
Ich drücke auf ein weiteres der Quadrate.
Wieder nehme ich das Seifenstück als Wurfgeschoss gegen ihn. … Ein weiteres. … Noch eines.
Nächstes Mal höre ich auf meinen Instinkt!, nehme ich mir vor. Wenn etwas in mir zur Vorsicht ruft, sollte ich es beachten statt mich schutzlos zu präsentieren!
Der Wachmann lässt von Nora ab.
Zumindest das habe ich bewirkt. Nur leider denkt er nicht daran, meiner Aufforderung nachzukommen, indem er den Duschraum verlässt. Er stapft stattdessen mit großen Schritten auf mich zu.
„Dir Biest bringe ich erst einmal Marinieren bei!", bellt er mich an.
In mein Rücken stoße ich in einem ausweichenden Schritt gegen die Wand und erschrecke.
Zwar habe ich erreicht, dass er von Nora ablässt, jedoch ist sie am Eingang geblieben, während ich mir die Ecke ausgesucht habe, die von dem am weitesten Entfernt ist.
Dummkopf!
Er steht somit zwischen mir und der einzigen Fluchtmöglichkeit aus dem Raum.
Kann ich an ihm vorbeirennen oder gelingt es ihm, mich abzufangen? Wenn er auf dem nassen Boden ausrutscht vielleicht!
Doch wohin dann?
Stehen seine Kollegen ihm zur Seite oder beschützen sie uns?
Dann noch die Reihen von Gefangenen an denen wir vorbei müssten. Ich habe echt keine Lust, denen einen Anblick zu bieten, der sie erst recht dazu auffordert, ihre dummen Sprüche in die Tat umzusetzen.
Verdammt!
„Wenn du so darum bettelst, die Erste zu sein, will ich dir den Wunsch gerne erfüllen!"
Ein hässliches Grinsen zieht sich über sein Gesicht.
Er mag sich Nora ausgesucht haben, aber nun ist ihm das nicht mehr wichtig.
Und ich tue das Einzige, was mir einfällt.
Mein Arm erhebt sich, um den der Armreif liegt. Er drängt sich seinem Blick auf.
Kaia hat es gesagt!
„Du … Du darfst mir nichts tun!" Meine Stimme zittert in meiner Angst. Nicht nur die. Mein ganzer Körper bebt.
Hilfe!
Seine Hand erhebt sich.
Dann geht sie unbeeindruckt von meinen Worten an meinem Arm vorbei und umfasst meinen Hals.
In meiner Panik versuche ich, seine Finger zu packen, ihn von mir wegzudrücken. Was nur dazu führt, dass er die zweite zu Hilfe nimmt, mich darin zu strafen, mir die Luft abzudrücken.
Ich kratze ihn und nicht einmal das bewegt ihn, mich freizugeben.
„Wenn ich dich loslasse, gehorche mir!", schenkt er mir einen Befehl. Dabei lockert er seinen Griff so weit, dass ich wieder atmen kann.
Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappe ich nach Luft.
„Denk daran, du gehorchst mir! Gleicher Deal! Lass es geschehen und dir passiert nichts! Wehrst du dich, bringe ich dich um!"
Meint er wirklich, ich halte still, während er in aller Ruhe über mich herfällt? Da irrt er gewaltig!
In meinem Blick funkelt Kampfeswillen.
„Wir befinden uns hier in einem Gefängnis und mir wurde heute der Rundgang übertragen. Es fällt mir nicht schwer, es so zu arrangieren, dass die Gefangenen daran Schuld bekommen, sollte euch etwas zustoßen! Noch dazu mit dem Schmuckstück, das du trägst!"
Ein Lachen schallt von den Wänden.
Seine rechte Hand löst sich von meinem Hals, um mir sanft über meine Wange zu streichen.
„Komm, sei lieb zu mir!"
Nach der für ihn gerechtfertigten Strafe folgt eine Liebkosung, die mich für das gegenüber ihm gehorsame Verhalten belohnen möchte. Als sei er darin geübt, sein Gegenüber zu unterwerfen.
Nein! Mein Herz schlägt gegen meine Brust, die Panik peitscht es in einen schnellen Schlag. Ich will nicht!
Mein Blick geht zu Nora, die wimmernd nahe der Tür kauert. Von ihr kann ich keine Hilfe erwarten.
Brav die willige Gespielin zu mimen, habe ich nicht vor. Das kann er vergessen!
Meine Augen schließen sich, als sich mein Körper aufbäumt. Meine Hände schlagen nach ihm.
Selbst wenn wir Mädchen ihm nachgeben, gibt es keine Garantie, dass er uns am Leben lässt. Wir könnten darüber reden!
Ich halt ihn nicht für dumm, dass er das nicht mit einkalkuliert aber für kalt genug, sich einer Last zu entledigen.
„Hör auf!", ergeht ein Schrei an mich. „Was bist du schon wert, wenn dich jemand hier herunterschickt? Austauschbarer Müll! Vielleicht mit dem Auftrag diesen Zeitstürmer auszuhorchen, so wie du an dem hängst. Oder was kann es sonst für einen Grund geben, dich hier herunterzuschicken?"
„Ich habe gehört, das Gefängnis dient zurzeit mehr als so eine Art Notunterkunft!", ertönt es von der Tür aus, begleitet durch ein lang gezogenes Gähnen. „Eine scheiß Planung von allen organisatorischen Seiten. Immer wieder führt es zu Ärger! Die Zimmer sind voll belegt und genau zu dem Zeitpunkt kommt die Anweisung von oben, es könnten noch ein paar in die Zimmer gequetscht werden. Was denkt der sich bloß?!"
Diese Stimme!
Meine Augen öffnen sich und nehmen einen jungen Mann wahr.
Er steht mit der Schulter im Türrahmen gelehnt und sieht so aus, als brauche er eine kalte Dusche dringender als ich.
Seine Augen liegen halb geschlossen, daher kann ich die Farbe darin kaum erkennen. Eine Hand liegt fährt durch sein rabenschwarzes Haar und reibt ihm von dort über den Hinterkopf.
Zerzausten Strähnen fallen ihm wirr ins Gesicht.
Er ist so groß, dass er beinah am Türrahmen aneckt. Tut er auch, als er sich in einem weiteren Gähnen reckt.
Der Mann fährt in einem Schreck zusammen. Sein Blick wandert durch den Raum. Er wirkt, als sei er gerade erst aus einem Traum erwacht und fragt sich, wo er ist und was er hier tut.
Er trägt die Uniform einer Wache.
Vielleicht kommt mir seine Stimme deswegen bekannt vor.
Als meine Augen geschlossen gelegen haben, ist es mir für einen Moment so vorgekommen, als sei ich wieder mit dem Unbekannten im Wald.
Das kann nicht sein! Was soll auch jemand in seiner Position hier unten?
Er kann es aus einem anderen Grund schon nicht sein.
Denn die Augen des Mannes besitzen den Braunton von Haselnüssen.
Vom Alter her schätze ich ihn auf Mitte zwanzig vielleicht sogar älter als unserer Angreifer.
Was seinen Körperbau betrifft, will er für mich nicht in das Bild von einer Wache passen.
Er ist nicht etwa zu füllig. Eher das Gegenteil.
Seine Muskeln wirken in der Uniform definiert. Er verbringt mehr Zeit beim Training, als es für einen solchen Posten nötig ist.
Was sein Aussehen betrifft. Würden sie einen Wettbewerb in der Richtung veranstalten, hätte er trotz großer Konkurrenz gute Chancen auf den Gewinn.
Ist das irgendein Kriterium für die Anstellung hier?
Groß, trainiert, Modeltyp!
„Und was willst du jetzt? Mich aufhalten?"
Der Jüngere dreht sich zu dem anderen um.
Der Griff um meinen Hals lockert sich und ich nutze die Chance, an ihm vorbei zu Nora zu springe, wo ich mich zu ihr niederlasse.
Weinend wirft sie sich mir in die Arme.
Ich versuche, sie zu beruhigen, was schwierig ist, da ihr Körper im Angesicht der Ungewissheit zittert, die sich bei jedem Wort unseres Angreifers noch verstärkt.
„Wir sind zwei; die sind zwei! Worauf stehst du mehr? Hell oder dunkel? Lass uns Teilen, bevor uns die Gefangenen zuvorkommen!"
Ich sehe zur Seite und zu der neu hinzugekommenen Wache.
„Wieso nicht? Niedlich sind sie ja!"
Mein Herz plumpst bis auf den Grund dieses Bauwerkes. Mich dafür strafend, dass ich tatsächlich an Rettung gehofft hatte!
Was für ein Schuft, ernsthaft darüber nachzudenken!
Als er zu dem anderen schaut, verhärtet sich seine Miene, ebenso wie seine Stimme.
„Tz! Sehe ich so aus, als hätte ich es so nötig?" Er verschränkt die Arme vor sich. „Was die Gefangenen betrifft, sei dir gewiss, dass ich dafür sorge trage, das nichts passiert! Ich werde es zu meiner persönlichen Pflicht machen, wenn dies nötig ist! Und jetzt geh!" Eine harte Warnung ergeht an sein Gegenüber, der eine Drohung nachklingt. „Wenn du nicht in fünf Sekunden verschwunden bist, kannst du dir schon mal eine Zelle reservieren! Dann melde ich den Vorfall bei Personen, die es gar nicht gerne sehen, wenn jemand Frauen zu aufdringlich wird!"
Ein Schnauben kommt von dem Jüngeren.
„Eins … zwei ...", wird von seinem Kollegen angezählt.
Erst dann bewegt er sich.
Für einen Augenaufschlag trifft mich der Blick unseres Angreifers und innerhalb seines Fluchs gegen seinen Kollegen entflammt das Versprechen von Rache an mir.
Das ist der Moment, als auch ich zu zittern beginne.
Nur ein kurzes Eingeständnis von Schwäche.
Denn ich will stark sein – für Nora.
„Ich will … nach Hause!", bricht es sich durch ihr Schluchzen hervor.
Mein Kopf ruht auf ihrem, mein Blick ist zum Boden gerichtet.
So unglaublich es noch immer in meinen Ohren klingt, wäre meine Familie vor sechzehn Jahren nicht auf diesem Planeten gelandet, könnte sie jetzt bei ihrem Vater sein oder würde sich mit ihrem Freund vor diesem verstecken.
Ich kann es selbst nicht begreifen, warum sie in mir den Wunsch weckt, sie zu beschützen und wieso ich diese quälenden Schuldgefühle ihr gegenüber verspüre. Zuhause standen wir uns nicht nah. Sie hat mir gerade so viel bedeutet, dass ich sie wahrnahm und ihr mit meiner Clique das Leben schwer machte.
„Mit euch ist alles in Ordnung?", erkundigt sich die Wache, die wohl unsere Rettung ist.
Hoffe ich!
Noch kann ich ihn nicht einschätzen.
Ich sehe auf Nora, die in meinen Armen nickt. Nachdem ich mich vergewissert habe, dass sie dies nicht nur reflexartig tut, sondern es auch so meint, tue ich es ihr gleich.
„Danke für unsere Rettung."
Hat er das? Ich sehe ihn zweifelnd an.
Mein Blick wird von einem Handtuch verdunkelt. Er hat sich zwei davon genommen, die er nun über uns wirft.
„Solltet ihr irgendein Anliegen oder Probleme haben, wendet euch in Zukunft direkt an mich!", weist er uns an. „Mir wurde aufgetragen, auf euch beide aufzupassen."
Das Angebot nehme ich sogleich an.
Während die Umbuchung in einen komfortableren und sichereren Bereich von ihm ausgeschlossen wird, wäre eine Umbelegung vielleicht möglich.
„Ich hätte eine Bitte. Könnte sie ihre Zelle mit der hinter mir tauschen? Ich habe nichts gegen meinen Zellennachbarn aber sie traut sich nicht einmal, auf ihrem Bett zu schlafen."
„Kein Ding! Das lässt sich einrichten!" Er zuckt mit den Schultern.
„Danke!", bedankt sich Nora bei dem Mann.
Das wäre dann ein Problem weniger.
Der Wachmann will sich schon von uns abwenden und die Dusche verlassen, da halte ich ihn zurück.
„Trockene Kleidung!", werfe ich hastig ein. Als er zurückschaut, deute ich auf den durchnässten Haufen im hinteren Bereich. „Es wäre schön, wenn es eine Möglichkeit gäbe, an trockene Kleidung zu kommen."
„Mal schauen!" Er wendet sich an Nora. „Wenn du dich angezogen hast, Mädchen, bringe ich dich zurück in deine Zelle. Und du…" Sein Blick wandert zu mir. „Denk das nächste Mal daran, dich vor dem Duschen auszuziehen!"
Meine Hand klatscht an die Wand neben mir. Ich greife das Stück Seife noch während es herausgefahren wird. Doch als ich es ihm nachwerfen will, ist er schon verschwunden.
Was für ein Kerl!
Als ob ich mich aus eigenem Antrieb heraus in meinen Sachen unter die Dusche gestellt habe.
„Netter Typ!", urteilt Nora über ihn.
„Das hast du über den anderen vorhin sicher auch gedacht!", lautet meine Meinung.
Etwas in mir sagt mir, dass ich ihm vertrauen kann. Vielleicht sogar, dass mich seine Stimme nicht nur an diese kalte Nacht erinnert, in der ich meine Eltern das letzte Mal sah, sondern aus irgendeinem Grund auch an die Wärme des Sommers.
Ich bin nur froh, dass Nora sich wieder so weit beruhigt hat, dass sie sich abgetrocknet hat und nun ihr Kleid nimmt.
Hätte ich ihn doch auch um Kleidung für sie gebeten.
„Was ist denn das für ein Ding?"
Zuerst weiß ich nicht, worauf sie anspricht.
Dann folge ich ihrem Fingerdeuten auf mein Handgelenk, um das der Armreif liegt.
Ähnlich ihrem und doch anders.
Während sie in ihr Kleid schlüpft, schlinge ich das Handtuch um mich, dass zum Glück groß genug ist, um mich zu bedecken, und lehne mich an einen trockenen Teil der Wand.
„Ach das! Keine Ahnung!" Meine Finger streichen über die Steine. „Wärst du so lieb, den Reif nicht zu erwähnen?"
Sie nickt, bevor sie die Dusche verlässt.
Für mich bedeutet es, zu warten.
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Als die Wache erneut die Dusche betritt, mustert er mich für einen Moment mit einem Interesse, das mir unangenehm ist.
Eine leichte Röte zieht sich über meine Wangen.
Ich stoße mich von der Wand ab und entreiße ihm die Kleidungsstücke, die er in seinen Händen hält.
Eine Hose und langärmeliges Hemd. Beides grau, unförmig und so wenig nach meinem Geschmack, dass ich angewidert das Gesicht verziehe.
Stattdessen sollte ich ihm dankbar sein, dass er mir überhaupt etwas mitgebracht hat, wie mir sein Kommentar bewusst macht.
„Ich hätte dir auch ein Kleid mitbringen können! Kurz oder lang; mädchenhaft oder aufreizend – was dir eher liegt!" Zuerst lässt er sich in einem Meckern gegen mich aus, doch dann ändert sich sein Tonfall schnell. Er zwinkert mir sogar zu. „Den anderen Gefangen gefällt das sicher!"
Als Reaktion darauf schimpfe ich grummelnd vor mir her, zum Glück hört er es nicht. Er hält mich wahrscheinlich ohnehin schon für eingebildet oder arrogant.
Es ist die falsche Reaktion!
Stattdessen sollte ich ihm danken, überhaupt etwas anderes zum Anziehen bekommen zu haben. Besonders, da er kaum einschreiten kann, sollten wir die Gefangenen auf irgendeine Art reizen und diese uns etwas tun.
Daher lenke ich auf ein anderes Thema.
„Du sollst also auf uns aufpassen", erwähne ich und warte gespannt auf seine Reaktion. Obwohl ich mir die Antwort schon denken kann.
„Eigentlich nur auf dich", gesteht er und dreht mir den Rücken zu. „Aber da du sicher immer in ihrer Nähe sein wirst, kann ich ein Auge auf euch beide haben."
„Und hat mein persönlicher Beschützer auch einen Namen?", will ich von ihm wissen, dabei ziehe ich mir die Hose an.
„Der braucht dich nicht zu interessieren!", kommt es darauf barsch von ihm.
Was soll das?, frage ich mich und blicke nur verwirrt umher.
„Mich würde aber der Name meines Retters interessieren." Ein zweiter Versuch. „Ich bin Janine."
„Sag mir, wenn du angezogen bist, Kleine", kommt es von ihm.
Zorn brodelt in mir auf, in dem ich mir wortlos das Hemd anziehe und die Knöpfe schließe.
„Bin angezogen", poltert meine Wut in einem patzig gesprochenen Hinweis an ihn aus mir heraus.
„Ach, wenn du dich bedanken willst, hab ich nichts dagegen", erwähnt er und dreht sich zu mir um. „Bedankt man sich nicht bei Rettern mit einem Kuss?" Dabei zieht sich ein breites Grinsen über sein Gesicht.
„Kannst du vergessen!", geh ich ihn an. Nach der Rettung von mir und Nora habe ich ihn wirklich für einen netten Typen gehalten, doch dieser Eindruck löst sich langsam auf, beinah mit jedem Satz, der von ihm kommt.
Ich gehe los und will an ihm vorbei gehen, da hält er mich auf. Er greift nach meinem Arm und schiebt den Ärmel hoch, sodass der Armreif zum Vorschein kommt. Zuerst dreht er ihn herum, dann drückt er auf ein paar der Steine.
Ob sie vielleicht doch nicht nur zur Zierde dienen?
„Mädchen, tu dir und mir einen Gefallen!", kommt es seufzend von ihm. „Lass deine Pfoten von dem Ding!"
„Wozu ist das Teil eigentlich da?", verlange ich von ihm zu erfahren.
„Normalerweise, um die Gefangenen hier unten auszuspionieren", erklärt er mir. „Aber in deinem Fall dient es eher deiner Sicherheit. Also in Zukunft nicht mehr anfassen!"
„Ich hab ja verstanden!", murmele ich in einem Seufzen.
„Also!", ruft er. „Wenn du die Knöpfe drückst…" Er betrachtet sich den Armreif genauer und beginnt zu überlegen. „Oder waren es die hier?" Er lässt meinen Arm fallen. „Na ja, wenn du da eine bestimmte Reihenfolge von Steinen drückst, dann kannst du mich rufen. Ich muss noch mal nachfragen welche es waren. Aber nur in Notfällen!"
Als ich gehen will, hinderte er mich erneut daran.
„Für deine Freundin wird sich demnächst sicher etwas finden", meint er. „Was dich betrifft, hätte ich ein Angebot." Wieder dieses Grinsen. „Zimmer sind knapp, wie ich schon erwähnt habe, aber wenn du ja sagst, hättest du ab sofort ein schönes weiches Bett, Dusche mit warmem Wasser und mehrere Mahlzeiten am Tag."
Irgendetwas an der Aufzählung behagt mir ganz und gar nicht. Skeptisch schaue ich ihn an, bis der Haken folgt.
„Und nette Gesellschaft beim Aufwachen."
„Und wer wäre diese Gesellschaft?", frage ich unnötigerweise.
„Dein Traummann!" Sein breites Grinsen sagt alles. Ich kann mir vorstellen, dass er einen angeblich gut aussehenden Typen meint – laut Kaia –, mit schwarzem Haar und grauen, fast schwarzen Augen.
„Kein Interesse!" Ich mache mich daran, die Dusche zu verlassen.
„Freunde dich lieber nicht mit Kaia an!", ruft er mir warnend hinterher. „Die verdirbt dich nettes Mädchen sonst vollkommen!"
Ich gehe in die Richtung meiner Zelle. Die Wache folgt mir einen Teil des Weges, doch irgendwann biegt zu einer Tür ab. Bevor er den Raum verlässt, klatscht er auf die Wand.
„Essenszeit!", ruft er noch, kurz vor dem Verlassen des Raumes.
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Es ist wie gestern. Trotz Noras und Moriphos' gutem Zureden stelle ich mich ganz hinten in der Schlange zur Essensausgabe an, um die Letzte zu sein, der Akara etwas gibt.
„Passen dir die Sachen?", erkundigt sich die Alte bei mir, als ich an der Reihe bin, mir mein Essen abzuholen.
Zuerst bin ich verwirrt. Doch nachdem mir klar wird, dass die Kleidung für mich von ihr stammt, nicke ich.
Ich nehme das Schälchen von ihr entgegen, während mir Tosa stumm einen ihrer giftigen Blicke zu wirft.
„Wie heißt dieser Typ?", will ich voller Neugier von Akara wissen. Immerhin muss sie es ja wissen.
„Entschuldige, meine Liebe. Er hat mich gebeten, es dir nichts zu sagen." Bei ihrer Antwort darauf lächelt mich die Alte nett an, ganz anders als ihre junge Kollegin.
„Der ist ein Idiot!", wirft Tosa ein, worauf sie von Akara einen tadelnden Blick kassiert.
„Das hab ich selbst bemerkt!", gebe ich zurück und wende mich von der Essensausgabe ab, um mich daran zu machen, Moriphos zu suchen.
Wie beim letzten Mal macht er mir auch heute Platz. Neben ihm sitzt Nora, die angewidert mit dem Löffel im Brei herumstochert.
„Alles in Ordnung?", erkundige ich mich bei ihr.
„Schon gut!", beruhigt sie mich. Das Knurren ihres Magens ist deutlich zu hören. Vermutlich ist es nicht das erste Mal, dass sie das Essen auslässt.
Ich sehe auf mein Schälchen. Der Hunger ist mir vergangen. Mein Blick wandert immer wieder auf Nora, die trotz knurrendem Magen keinen Bissen von dem Zeug herunterbekommt.
„Du bist wohl heute doch nicht so mutig!", ruft mir einer der Männer lachend über den Tisch hinweg zu. Ein großer, dicker Kerl, der hier als Einziger am Tisch, den Brei regelrecht in sich hineinschlingt.
„Ich hänge an meinem Leben!", antworte ich ihm, woraufhin die Männer am Tisch in Gelächter ausbrechen.
Nora will aufstehen, da halte ich sie zurück.
„Ich muss mit dir reden", sag ich. „Alleine!" Die anderen machen sich dran, an die Arbeit zu gehen. Langsam wird der Raum immer leerer, bis sich nur noch drei Personen darin befinden.
Moriphos sieht mich fragend an.
„Frauenprobleme!", sag ich zu ihm.
„Also bin ich hier unerwünscht." Mit diesen Worten verlässt er den Raum.
Als er weg ist und wir nun wirklich allein sind, schiebe ich Nora mein Schälchen hin.
„Iss!", fordere ich sie auf. „Und frag bitte nicht, wie ich darankomme! Es schmeckt aber."
Vorsichtig probiert sie einen Löffel voll davon und nimmt dann die Schale. Gierig schlingt sie den Brei herunter, als hätte sie die letzten Tage gehungert. Hat sie vermutlich auch, wie auch Moriphos das Essen verweigert.
„Ich kann dir immer die Hälfte abgeben", schlage ich vor. „Es darf nur niemand davon erfahren."
Nora nickt dankend.
„Findet hier eine Verschwörung statt?", erkundigt sich eine mir heute schon bekannt gewordene Stimme, von der Tür aus.
Ein Lächeln liegt auf seinen Lippen. Seiner Meinung nach hat er einen überaus witzigen Spruch gerissen.
„Der schon wieder", kommt es mies gelaunt von mir.
„Ich finde ihn ganz nett", meint Nora. Sie hat das Schälchen leer gegessen und ich sehe nun trauernd meiner Mahlzeit nach.
Verdammt, früher haben wir uns gehasst und bekriegt, dennoch gebe ich ausgerechnet ihr aus Mitleid mein Essen. Mein Magen knurrt, als wolle er mich für meine Großzügigkeit bestrafen.
„Ich habe mir Sorgen gemacht", sagt die Wache. Als der Schwarzhaarige beim Tisch angekommen ist, setzt er sich neben Nora. „Immerhin soll ich auf euch beide aufpassen."
Sein Blick wandert auf mich. Neugier steht darin, während er mich mustert.
„Hast du es dir anders überlegt?", erkundigt der Mann sich.
„Meine Antwort lautet weiterhin nein!", bleibe ich stur. Noras Blick wandert fragend zwischen uns hin und her.
„Und wie lautet dein Name?", erkundigt er sich bei Nora.
„Nora", antwortet ihm das Mädchen strahlend.
„Ach übrigens, Kleine …"
„Mein Name lautet Janine!", erinnere ich ihn.
Doch er zuckt nur mit den Schultern.
„Wollt' nur fragen, ob du wirklich nicht bei jemandem wohnen willst, bis du ein eigenes Zimmer bekommst."
„Niemals, nie und auf gar keinen Fall!", antworte ich ihm zornig.
„Okay", ruft er. Das Grinsen, das sich jetzt auf seinem Gesicht abzeichnet, habe ich am wenigsten erwartet. Neugierig betrachte ich ihn während seiner kurzen Pause. „Also richte ich der Dame aus, dass du ihr Angebot bezüglich des geteilten Quartiers ablehnst."
„Hey!", protestiere ich und springe auf. „Du hast mich ausgetrickst!" Ich erinnere mich daran. Kaia hat mir angeboten, zu fragen, ob sie mich aufnehmen darf.
„Zu spät, Mädchen!" Er lacht schallend auf.
Ich setze mich auf meinen Platz zurück, dafür steht er nun auf. Sein Ziel ist das Fenster zur Küche. Er klopft kurz daran, das Metall wird durchsichtig und verschwindet dann komplett, um einen Weg in oder aus dem Inneren preiszugeben.
Akara packt den Mann und zieht in während ihrer stürmischen Begrüßung fast in die Küche hinein.
Nach dieser Umarmung begrüßt er beide Frauen höflich. Tosa wirft ihm einen ihrer giftigen Blicke zu, was sie mir ausnahmsweise sympathisch macht.
Wären nicht seine braunen Augen und würde er sich anders verhalten, könnte man fast meinen, dieser junge Mann sei Torsos. Aber was Torsos' Verhalten betrifft, habe ich schon bemerkt, dass er unterschiedliche Rollen spielt. Im Gespräch mit meiner Mutter wirkte er arrogant und berechnend. Doch später, nachdem sie k. o. ging, wirkte er so ruhig und nett – ja fast sympathisch.
Dieser Typ, der jetzt mit einem Teller voller in Scheiben geschnittener Früchte auf uns zukommt, ist mal nett, im nächsten Moment jedoch sagt oder tut er etwas, das ihn mir völlig unsympathisch macht.
„Wieso ausgerechnet ich?", seufze ich leise mehr zu mir als zu den Anwesenden.
Dass mich Nora die ganze Zeit verwundert anschaut, ist mir bisher noch nicht aufgefallen.
„Warum hast du die Chance hier herauszukommen und von jemandem aufgenommen zu werden?", fragt sie mich direkt.
„Den Typen kenne ich noch nicht mal", kommt ein Seufzen von mir. Wieso weigere ich mich eigentlich das Angebot anzunehmen, so würde ich ihm doch sicher mal begegnen?, frage ich mich einen Augenblick selbst. „Ich erkläre es dir später!"
„Hunger?", fragt die Wache. Seine Stimme klingt sanft und freundlich, dabei hält er mir den Teller mit den Früchten vors Gesicht.
Dieses Angebot nehme ich gerne an.
„Danke!", lautet meine Antwort, die ich ihm lächelnd gebe.
Nora reagiert ähnlich, klingt fröhlich und wirkt in seiner Nähe sicher. Doch wenn er mit mir spricht, steigen in mir die Erinnerungen an die letzte Nacht hoch, in der ich meine Eltern sah.
Die meisten davon sind schrecklich quälend. Eine Stimme, die höhnisch über meine Mutter lacht.
Was mit ihr ist?, frage ich mich immer wieder. Geht es ihr gut? Wie geht es meinem Vater? Stimmt das, was sie gesagt haben? Ich kann das alles noch nicht fassen.
Meine Hand greift zum Teller, dabei spüre ich den Blick der Wache auf mir liegen.
„Wie kommt es, dass du uns etwas von den Früchten abgibst?", frage ich ihn. Neugierig schau ich von der Seite aus zu ihm.
„Weil ihr zwei nette Mädchen seid!", antwortet er und setzt sich wieder neben Nora, die ihn nur anstrahlt. Ich hingegen wende eingeschnappt meinen Blick von ihm ab.
„Du bezweckst damit doch irgendetwas!", lautet meine Meinung.
Sein Grinsen bestätigt meinen Zweifel an seiner guten Absicht schon vor seinen Worten.
„Ertappt!", ruft er. „Ich wollte dir einen Vorgeschmack auf das geben, was vielleicht bald für dich folgt."
Vorgeschmack? Misstrauisch sehe ich ihn an. Zudem keimt eine miese Vorahnung in mir auf.
„In ein paar Tagen wird ein Quartier frei. Super Lage, nette Leute um einen herum, täglich diese leckeren Früchte und bei Wunsch Zimmerservice." Beim letzten Satz schaut er mich beinah verträumt an. Es ist klar, was für einen Zimmerservice er meint.
„Gibt es den auch in männlich und gut gebaut?", erkundige ich mich.
Er grübelte einen Moment darüber.
„Ich glaub, so etwas wird lieber nicht angeschafft." Er seufzt. „Die Anschaffungskosten wären zu enorm." Ich sehe ihn überrascht an. „Das Problem hat einen süßen Arsch und ist verdammt temperamentvoll." Ich ahne, dass er von Kaia spricht. „Wenn die das erfährt, würde die für jeden Tag einen andren verlangen."
Unwillkürlich beginne ich zu schmunzeln.
„Dann kommen wir zu deinen Nachbarn", ruft er freudig. Meine düstere Vorahnung verstärkt sich. „Zum einen wäre da die reizende Dame, von der ich gerade sprach." Das hört sich gut an! „Und …"
„Lass mich raten", unterbreche ich ihn und verdrehe die Augen. „Mein Traummann‽"
Er nickt energisch.
„Okay, dann bleibe ich lieber für die nächsten …?" Ich sehe ihn fragend an.
Sein Grinsen verschwindet nicht. „Zehn Jahre!"
Ich seufze auf.
Er wirkt nun nachdenklich.
„Otscharsan soll kürzlich nur knapp dem Tod entronnen sein", erwähnt er. Er meint wohl das Zusammentreffen mit Moriphos. „Also könnte es auch eher passieren, dass was frei wird." Wieder grinst er. „Was natürlich niemand hofft."
„Da bleib ich doch lieber noch ein bisschen hier unten sein Gast", rufe ich ihm herausfordernd zu.
Er seufzt auf und klingt davon genervt. „Kleine …"
„JANIN!", korrigiere ich ihn.
„KLEINE!" Er will meinen Namen einfach nicht nennen. „Was ist daran so schlimm, an einem Quartier neben ihm?"
„Also, was hab ich von diesem Traummann, bisher alles erfahren?", überlege ich laut. „Er ist sehr muskulös, das hab ich alleine herausgefunden. Er soll groß und gut aussehend sein. Da ich bei der ersten Begegnung nicht imstande war, meine Augen zu öffnen, kann ich das nicht bestätigen. Und da eine nette Dame, die ihn seit Kindheitstagen kennt, erwähnt hat, sie sei ein paar Jahrhunderte alt, muss dieser Herr ja auch schon steinalt sein."
„Hat sich aber verdammt gut gehalten!", wirft die Wache ein.
„Kann ich nicht beurteilen!" Ich grinse ihn herausfordernd an. „Außerdem wird er als Tyrann betitelt. Sogar von seinen eigenen Leuten!"
Die Wache sieht mich überrascht an. „Wer hat so was gesagt?", will er von mir wissen.
„Verrat ich nicht!" Mein Grinsen wird noch breiter. „Und dann soll er noch ein ziemliches Machoschwein sein! Dafür hab ich ja schon den Beweis bekommen!"
„Was ist denn das?", erkundigt sich der Schwarzhaarige, dabei blickt er verwirrt drein. „Doch sicher irgendetwas Nettes!"
Nora erklärt ihm kurz den Begriff kurz genauer, worauf er erneut seufzt.
„Und da dachte ich, Aliens sind total zivilisiert", ruf ich empört.
„Vielleicht hast du nur den falschen Eindruck von ihm bekommen", meint die Wache. Diesmal mit einem netten Lächeln auf den Lippen.
„Ich würde darüber nachdenken." Bei meinen Worten lächle ich ihn an, ohne die Herausforderung zu verlieren. „Vielleicht, wenn er mich mal nett zum Essen einlädt." Ich mache mich daran, den Raum zu verlassen. Kurz vor der Tür stoppe ich und werfe ihm noch ein Lächeln zu. „So wirbt man auf meinem Planeten um ein Mädchen."
„Irrtum!", korrigiert er mich lächelnd „Auf dem Planeten, auf dem du aufgewachsen bist." Er wendet sich an Nora. „Geh besser mit ihr."
Nora folgt sofort seiner Aufforderung.
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„Was war los?" Moriphos eilt auf uns zu. Seine Miene ist voller Besorgnis. „Ihr wart so lange dort drinnen." Obwohl er von uns beiden redet, liegt sein Blick nur auf mir. „Nach dem ich raus ging, ist einer der Wachen in die Kantine gegangen. Hat der euch irgendetwas getan?"
„Er ist ein Held!", platzt es Nora mit einem verträumten Seufzer heraus.
„Du hast deinen Andy!", erinnere ich sie und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ob ich Andy wieder sehe?", fragt mich Nora. „Wenn nicht, der Typ kann einen sicher trösten."
Ich sehe sie überrascht an. So schnell ist der aktuelle Lover bei ihr also vergessen. Dann lächele ich.
„Klar, er sieht schon toll aus", gestehe ich.
Aber dennoch befürchte ich, dass ich ihn in Zukunft noch verdammt oft sehen werde. Nur wäre jemand wie er wirklich so wahnsinnig, sich unter solche Typen zu trauen?
Glaub mir, der fällt auf!, hat Kaia über Torsos gesagt. Das würde auch auf diese Wache zutreffen.
Ich beginne zu lachen.
Eins hat er geschafft. Ich bin verdammt neugierig auf diesen Torsos.
„Ich rate euch beiden dringend, nicht mehr von irgendwelchen Wachen zu schwärmen", warnt uns Moriphos. Seine Arme hat der Zeitstürmer vor der Brust verschränkt, außerdem blickt Moriphos drein, als wäre er eingeschnappt darüber, dass wir von einer der Wachen schwärmen und ihn dabei total vergessen.
„Sag das Nora!", sage ich ihm und lächle ihn an.
Dann sieht mich Nora neugierig an. „Mich würden zwei Dinge zu gerne interessieren. Bist du hierhergebracht worden, weil irgend so ein Typ auf dich scharf ist?"
Moriphos sieht mich überrascht an.
„Ähm", kommt es von mir, ohne zu wissen, was ich sagen kann. „Erstmal, dass was ich mitbekommen habe. Hier ist eine Raumstation im Weltall." Zuerst hole ich kurz tief Luft, um dann eine Miene der Erschütterung aufzusetzen. „Denkst du ehrlich, dass mich ein Typ hier hereinschicken würde, der scharf auf mich ist?"
„Weltall?", kommt es überrascht von ihr. Die Verwirrung ist Nora deutlich anzumerken. Ihr Blick wandert fragend von mir zu Moriphos und wieder zu mir. „Das meinst du doch nicht ernst. Ich erinnere mich, dass der eine Typ mich niedergeschlagen hat und ich in einer Zelle aufgewacht bin."
Sie hat also ein etwas anderes Erwachen als ich gehabt.
„Das hier ist die Hauptstation des furchtbarsten Imperators des Universums", ruft Moriphos.
Mir ist Torsos gar nicht so furchtbar vorgekommen, denke ich, aber ohne es laut auszusprechen.
„Wir befinden uns hier in dem Gefängnis dieser Station, wie sich unschwer an unseren Quartieren erkennen lässt."
Nora blickt ihn überrascht an. Noch kann sie es nicht glauben. Doch es reicht nicht, dass sie die zweite Frage darüber vergisst.
„Wieso hat er gesagt, die Erde wäre nur der Planet, auf dem du aufgewachsen bist?"
Mein Blick wandert niedergeschlagen auf den Boden. Ein Thema, über das ich lieber geschwiegen hätte und das sogar bei Moriphos Verwirrung hervorruft. Selbst er schaut mich fragend an, gespannt, was ich drauf antworte.
Doch es ist eine Frage, bei der ich nicht mal lügen brauche.
„Meine Familie stammt anscheinend nicht von der Erde." Ich zucke mit den Schultern. „Jedenfalls meine Mutter wohl nicht, aber mein Vater." Ich schüttele den Kopf und sehe wieder zu ihr. Tränen steigen mir in die Augen, als ich an das vergangene denke. „Ich weiß es nicht."
Moriphos packt meinen Arm. Mit etwas Druck deutet er mir an, ihm zu begleiten. Ich und Nora folgen ihm, zu einer etwas abgelegenen Ecke, an der ich mich an die Wand lehne. Meine Hand fährt über meine Augen und wischt ein paar Tränen weg.
„Vor ein paar Tagen an meinem Geburtstag war noch alles in Ordnung. Meine einzige Sorge war der Vertrag mit meiner Agentin. Und dann erfahre ich, dass meine Mutter nicht von diesem Planeten stammt und meine Nachbarin wird vor meinen Augen entführt. Jetzt bin ich mit euch hier." Mein Blick wandert an die Decke. Ein Seufzen dringt aus meiner Kehle. „Keine Ahnung, woher ich überhaupt komme. Ich weiß ja noch nicht mal, wer meine Eltern eigentlich sind. Und wer ich bin."
Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Moriphos und Nora sehen mich beide an. Nora schlingt ihre Arme um meine Schultern, um mich ihn ihre Umarmung zu ziehen.
„Hey, wir lassen uns nicht unterkriegen! Irgendwie schaffen wir es sicher hier heraus."
Dass ausgerechnet sie mich versucht aufzumuntern, das hätte ich vor ein paar Tagen noch nicht geglaubt.
„Ich passe auf euch beide auf und irgendwie gelingt mir die Flucht, dann begleitet ihr mich", kommt es von Moriphos. Sein Blick, in dem Zorn liegt, geht zu den Wachen. „Irgendwas fällt mir ein!"
„Ziemlich große Töne für einen Versager wie dich!", ertönt plötzlich eine Stimme.
Eine Gruppe von Gefangenen ist zu uns gekommen, die nicht nur mir einen eisigen Schauer über den Rücken laufen lässt.
Nora sieht ängstlich zu ihnen. Besonders auf einen Mann, der ihr wohl bekannt ist. Ihr Zellennachbar. Dieser schmierige Typ, der dem jungen Mädchen schon den ein oder anderen interessierten Blick zugeworfen hat.
Die Typen sehen nicht danach aus, als wollten sie ein nettes Gespräch mit uns führen. Moriphos scheint das Gleiche zu denken, wie ich. Misstrauisch sieht er auf die Gruppe und weist uns an, hinter ihn zu gehen.
„Nette Gesellschaft, in der du dich befindest", ruft der Kerl und leckt sich über die Lippen.
Angewidert schüttelt es mich.
„Danke!", kommt es von Moriphos. „Besser als die Typen bei dir!"
Nicht nur für uns sieht es nach Ärger aus.
Mein Blick geht zu den Wachen und fällt auf einen von ihnen, dem wir an diesem Tag schon einmal unser Leben zu verdanken haben.
Seine Hand fährt sich durch das schwarze Haar. Die schönen, haselnussfarbenen Augen liegen besorgt auf uns. Seine Kameraden dagegen widmen dem Geschehen eher kaum Aufmerksamkeit, sondern plaudern lieber.
Als mein Blick wieder zu der Gruppe wandert, sehe ich in ihren Händen Metall aufblitzen. Jeder von den Typen hat ein Messer hervorgeholt.
Sofort baut sich Moriphos schützend vor uns auf.
„Versucht zu den Wachen zu kommen!", ruft er an mich gewandt.
„Dir macht es doch nichts, dass wir uns die Mädchen zum Spielen ausleihen", kommt es von einem der Typen. Dabei leckt seine Zunge über das Messer in seinen Händen.
Meine rechte Hand ergreift Noras Arm. Dann renne ich los und ziehe sie hinter mir her. Hinein in die Masse, auf dem schnellsten Weg zu dem Punkt, an dem ich die Wache ausgemacht habe.
Was hinter mir los ist, bekomme ich nicht mehr mit. Zu mir dringen nur die Schreie der Männer.
„Schneidet diesen Biestern den Weg ab!", ruft der Typ, der anscheinend ihr Anführer ist.
Doch unser Fluchtversuch endet abrupt. Nora, die ich mehr hinter mir herziehe, und kaum mit meinem schnellen Schritt mithalten kann, stürzt. Mich zieht sie dabei mit herunter.
Als wir uns wieder aufrichten, steht ein großer Kerl vor uns. Ich will Nora in eine andere Richtung ziehen, doch dort tritt uns ein anderer in den Weg. Drei weitere Männer tauchen auf, die um uns einen Kreis bilden, in dem ich einfach keinen Fluchtweg ausmachen kann.
„Wo wollt ihr denn hin, Mädchen?", ruft einer der Männer, dabei grinste er uns amüsiert an. Sich schon des Ausgangs von allem bewusst.
Nora presst ihren zitternden Körper an meinen. Auch ich kann mich kaum noch beherrschen. Angst steigt in mir auf. So will ich auf keinen Fall enden.
„Seid brav und wir sind ganz lieb zu euch", ruft er grinsend. „Wenn nicht, ist es auch egal." Der Gedanke daran scheint diesen Typen noch mehr zu amüsieren.
„Verdammt!", kommt es von mir.
Der große Kerl sieht zu seinen Kameraden. „Welche von den Weibern wollt ihr zuerst haben?"
Seine Kameraden sehen genauso belustigt auf uns.
Auch ich zittere jetzt am ganzen Leib.
Mein Blick wandert zu den Wachen, auf der Suche nach dem Schwarzhaarigen, doch ich kann ihn nicht finden. Selbst wenn, sehen die Typen nicht gerade aus, als würden sie sich den Spaß von einer Wache nehmen lassen wollen. Dazu kommt noch, dass die restlichen Wachen genauso wie vorhin kaum Interesse an dem zeigen, was hier passiert.
„Pfoten weg von den Mädchen!", ertönt ein Brüllen durch den Raum. Eine Stimme, die ich schon mal gehört habe. „Die Beiden stehen unter meinem Schutz! Und wenn sie jemand anrührt, bestimme ich, was mit demjenigen passiert!"
Der große Kerl vor mir sieht genau wie die anderen Vier zu demjenigen, der ihnen den Befehl gegeben hat.
Sie sind abgelenkt und sofort nutze ich meine Chance. Meine Hand ergreift die von Nora, um sie hier wegzuziehen. Doch wieder landen wir nur vor einem der Gefangenen, der uns den Weg abschneidet. Ein anderer Typ.
„Misch dich nicht ein, Musator!", ruft einer der Männer. „Wieso schert es dich, was mit den Biestern passiert, oder willst du sie für dich?"
Der Mann vor uns hockt sich zu uns herunter, mit seiner Hand fährt er sanft über meine Wange.
„Keine Sorge ihr beiden!", kommt es von ihm. „Ihr seid in Sicherheit!" Er schenkt uns ein aufmunterndes Lächeln. „Wen unser Boss in Schutz nimmt, der braucht, solange, wie er es nicht provoziert, keine Angst haben!"
Nora beginnt zu weinen. Sofort schließt sie der Kerl in seine Arme und versucht das Mädchen zu trösten. Auch mir steigen die Tränen in die Augen, die ich kaum zurückhalten kann. Ich bin so verdammt erleichtert und froh darüber von den Typen weg zu sein. Auch wenn ich noch nicht glauben kann, dass wirklich alles vorbei ist.
Mein Blick geht zu dem Mann, der uns gerettet hat.
Dieser Musator ist mir bekannt. Er ist ein sehr großer, korpulenter Kerl, der beim Essen mit an unserem Tisch sitzt. Den Brei, den alle nur mit Würgen herunterbekommen, schaufelt er regelrecht in sich hinein. Deswegen ist er mir aufgefallen.
„Weil einige von uns noch Anstand und Manieren haben!", ruft Musator. „Von uns hat es keiner nötig, über kleine Mädchen herfallen zu müssen!" Er sieht sein Gegenüber drohend an. „Wenn du nicht sofort verschwindest, kannst du was erleben!"
Die Männer geben Ruhe. Fluchend befolgen sie Musators Anweisung, in dem sie den Rückzug antreten.
Musator verschränkt die Arme vor der Brust.
„Primitive Idioten!", schnaubt er auf.
„Mit unserem Boss legt sich hier so schnell keiner an!", ruft der Mann hinter mir.
„Hey!", ertönt plötzlich eine mir mittlerweile sehr vertraute Stimme. Der Schwarzhaarige bahnt sich seinen Weg durch die gaffende Menge. „Wieso bequem ich mich eigentlich von meinem Podest, wenn mir hier eh alle Arbeit abgenommen wird?" Die Wache tritt zu dem Dicken und baut sich schmollend vor ihm auf. Der Schwarzhaarige ist zwar nicht gerade klein, aber er muss dennoch zu dem Anderen aufblicken.
Nach einem kurzen Augenblick wendet er sich an mich.
„Geht es euch beiden gut?"
Von mir kommt nach kurzem Zögern, in dem ich Nora betrachte, ein Nicken. Die Gefangenen um uns herum sehen die Wache irritiert an, genauso wie Musator.
Er ist es, der die Wache anspricht.
„Heute mal in Grau?", ruft der Dicke mit einem tippen auf die Uniform seines Gegenübers.
Die Wache nickt. „Mein Chef meinte, es sei mal Zeit, dass ich auch hier Erfahrungen sammle."
Musator lacht aus vollem Hals auf. „Mit anderen Worten, du hast Mist gebaut und das ist deine Strafe.
„Nicht ganz!" Er stimmt in das Lachen mit ein und kratzt sich verlegen am Kopf. „Seine genauen Worte waren: Du mischst doch bei jeder Prügelei mit, dann gefällt es dir dort unten sicher besser als hier!" Ein Seufzen dringt über seine Lippen. „Auf unbestimmte Zeit werde ich hier unten bleiben. Also bitte, lasst mir in der Zeit etwas Arbeit übrig, damit ich auch was tun kann."
Beim nächsten, das der Schwarzhaarige sagt, wirkt er ernster. „Wie geht es eigentlich dem Ehrengast unseres großen Herrschers?"
„Du meinst wohl eher Tyrannen?", berichtigt ihn der Dicke mit einem Schnauben. „Noch nicht nachgefragt."
„Besser ich kümmere mich mal um ihn! Es will doch keiner, dass ihm was passiert." Als die Wache sich daran macht nach Moriphos zu sehen, folgen ihm nicht nur ein paar der Gefangenen, unter denen auch Musator ist, sondern auch ich. Nora bleibt weiter bei einem der Männer.
Um den Zeitstürmer hat sich ein Kreis gebildet. Was ich dann sehe, lässt mich erst entsetzt zurückschrecken.
Über das Gesicht des Mannes, der vor dem Zeitstürmer steht, zieht sich ein breites Grinsen. Von der Klinge des Messers in seiner Hand fallen ein paar rote Tropfen auf den Boden. Moriphos vor ihm, steht auf wackeligen Beinen, seine Hand presst er auf eine stark blutende Wunde. Es ist zwar nicht die Einzige auf seinem Körper, aber scheinbar die Schwerste.
„Gib die Waffe her, oder es gibt Ärger!", knurrt die Wache den Gefangenen an. Als dieser der Aufforderung nicht nachkommt, entwaffnet ihn die Wache mit einem schnellen Handgriff. „Verschwinde hier!" Warnend liegt sein Blick auf dem Gefangenen.
Dieser Aufforderung kommt der Gefangene sofort nach.
Er und noch ein paar andere verlassen das Geschehen.
Die Wache schaut kurz zu Moriphos, um sich einen Überblick über die Schwere der Verletzungen zu verschaffen. Danach wendet er sich an Musator. „Schafft den Typen zu meinen vorübergehenden Kollegen, damit die ihn zur Krankenstation bringen."
Zwei der Gefangenen befolgen sofort die Anweisung.
Als einer seine Hand auf Moriphos' Schulter legen will, wird diese von dem Zeitstürmer abgeschüttelt.
Sein Blick wandert kurz misstrauisch auf die Wache. Doch ihm ist klar, dass seine Wunden versorgt werden müssen, und folgt den anderen Gefangenen.
Die Anderen machen sich wieder an die Arbeit. Ich will auch verschwinden und nach Nora sehen, doch mich hält die Wache zurück.
„Du würdest mir sicher einen großen Gefallen tun, Mädchen?", spricht er mich an.
Mein Blick, der jetzt auf ihm liegt, ist misstrauisch. „Kommt drauf an, was ich tun soll", lautet meine Antwort.
„Nichts Schlimmes!", kommt es von ihm. Er packt mein Handgelenk und mit schnellem Schritt führt er mich zu der Kantine. Davor lässt er mich kurz alleine, um mit einem langen Päckchen in der Hand wieder zu kommen. „Du sollst nur dort hineingehen …" Er deutet mit einem Nicken auf die Tür zu Kantine. „… und das hier …" Der Schwarzhaarige drückt mir das Päckchen in die Hand. „… meiner großen Liebe bringen."
Die Wache strahlt mich an. Ich dagegen betrachte mir das Päckchen eine Weile skeptisch, dann wandert mein Blick verwirrt zu ihm.
Tosa hat mir nicht danach ausgesehen, als würde sie ihn sonderlich mögen.
„War nur ein Scherz!" Ein Lachen kommt von ihm. „Das ist ein Geschenk für Akara. Sie weiß, für was das ist. Aber …" Die Wache zwinkert mir zu, bevor er weiterspricht. „Sag bitte, du sollst es von einem geheimen Verehrer überreichen." Mit seiner Hand zerzaust er mein Haar. „Wenn du das tust, belohn ich dich mit noch ein paar von den leckeren Früchten."
Zuerst bringe ich mein Haar wieder in Ordnung, während mein Blick zornig auf ihm liegt. Doch dann erfülle ich ihm seinen Wunsch.
***
Die Kantine ist bis auf zwei eng umschlungen stehende Gestalten verlassen.
Ein Mann und eine Frau liegen sich hier in den Armen. Sie erkenne ich sofort. Tosa. Der Mann hat mir seinen Rücken zugewandt. Seine Uniform ist die einer Wache. Er ist groß und sein Haar ist braun.
Im ersten Moment bin ich überrascht über den Anblick und bleibe eine Weile in der Tür stehen. Weder Tosa noch ihr Freund haben mich bisher bemerkt. Tosa hält die Augen geschlossen, ihre Lippen liegen auf seinen und sie scheint alles um sich herum vergessen zu haben.
Eigentlich ein süßer Anblick aber ich bin es ja von Andy und Nora gewohnt, solche Augenblicke zu stören. Außerdem will ich endlich das Päckchen loswerden.
Ich trete langsam auf die beiden Verliebten zu, dabei weht sogar ein Lächeln über meine Lippen. Mit einem Entschuldigung, leise aber laut genug, dass sie es mitbekommen, mache ich auf mich aufmerksam.
Sofort als Tosas Freund zu mir schaut, halte ich in meinem Schritt inne. Mein Lächeln weicht Verwirrung. Sein Gesicht hat sich in Noras und meine Erinnerung gebrannt und wird dort auch bleiben. Er hat uns in der Dusche bedrängt.
Mein Herz beginnt vor Angst wild in meiner Brust zu schlagen. Am liebsten würde ich davonrennen aber nein, in ihrer Nähe kann er keinen Fehler begehen.
Sein Blick ist deswegen auch so deutlich, dass mir eine Gänsehaut über den Körper läuft. Wenn ich nicht meine Klappe darüber halte, was passiert ist, wird er mir sicher irgendwas antun.
„Bitte Kyle, ignoriere sie!", ruft Tosa mit einem Lächeln auf den Lippen.
Das eher abweisende Mädchen erlebe ich in der Zweisamkeit mit ihm auf Wolken schwebend. Sie ist verliebt.
Als er wieder zu ihr schaut, kommt ein Kopfschütteln von ihm. „Es tut mir leid, mein Liebling, ich muss wieder an die Arbeit." Sanft streichelt er ihr mit der Hand über die Wange. „Aber ich hab ein Abschiedsgeschenk für dich."
Gespannt sieht Tosa ihm zu, wie er etwas aus seiner Tasche holt, ich dagegen schüttele mich. Dieser Typ spielt hier Tosas Geliebten, aber bei der erst besten Gelegenheit bedrängt er Frauen und würde nicht mal vor Mord zurückschrecken.
Wäre meine Angst nicht, würde ich es ihr jetzt sofort sagen.
Ich bedaure sie, in ihrer Liebe so naiv für den Charakter ihres Freundes zu sein. Dass er einen Zwillingsbruder hat, an solche Zufälle glaube ich nicht.
Kyle öffnet auf der Höhe von Tosas Augen seine Hand, aus der ein grüner Kristall fällt. Ein wunderhübscher Stein, der direkt vor ihren Augen hin und her schwingt, kurz, nachdem ihn Kyle hat fallen lassen. Befestigt ist der Kristall an einer Kette, die um seine Hand geschlungen liegt.
Fasziniert folgen ihr Blick der Bewegung. Selbst ich kann meine Aufmerksamkeit kaum von dem Kristall nehmen.
„So schön wie deine Augen, mein Liebling", haucht Kyle und küsst sanft ihr Haar. Langsam tritt er ein Schritt hinter das Mädchen, um ihr die Kette umzutun. „Du weißt, wann du ihn tragen sollst."
Noch ein letzter Kuss auf ihre Lippen, dann nähert er sich mir.
Mein Herz schlägt vor Angst in einem noch wilderen Tempo, besonders als er neben mir stoppt.
„Wenn Tosa etwas davon erfährt, was in der Dusche vorgefallen ist, bring ich dich um!", droht er mir mit leiser Stimme, damit Tosa nichts davon hört. „Und dieser Bastard kommt dich dann nicht mehr retten."
Kyle verlässt die Kantine. Doch auch nachdem er weg ist, schlägt mein Herz mir noch bis zum Hals.
Vielleicht sollte ich lieber das Angebot annehmen, geht es mir durch den Kopf. Oder mit dieser anderen Wache reden. Ich bezweifle keine Sekunde, dass dieser Typ seine Drohung wahr machen würde.
„Was willst du hier?", verlangt Tosa von mir zu erfahren, dabei betrachtet sie sich den Kristall auf ihrer Brust.
„Ich soll Akara etwas geben", antworte ich ihr, als ich meine Sprache wieder gefunden habe. Mein Herz hat sich sogar etwas beruhigt.
„Was?" Tosa sieht mich neugierig an, den grünen Kristall lässt sie unter ihren Sachen verschwinden.
„Selbst wenn mir das bekannt wäre, würde ich es dir ganz sicher nicht sagen", kommt es schroff von mir. Sofort liegt Tosas giftiger Blick auf mir. Sie ist wütend. „Wo ist Akara nun?"
„Unterwegs", kommt es eingeschnappt von ihr. Sauer wendet sie sich von mir ab. „Und ich weiß nicht, wann sie wieder kommt."
„Ich kann warten", sage ich. Dabei zucke ich unbeeindruckt mit den Schultern. Sie will mich sicher eh nur abwimmeln.
Als ich wieder zu ihr schaue, gelingt es mir noch, den abschätzigen Blick von dem Mädchen aufzufangen. „Wie kommt es eigentlich, dass dieses Biest Kaia so nett zu dir war? Für ihre nette Ader ist sie hier ja nicht gerade bekannt."
„Keine Ahnung", antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
„Und mit diesem Idioten, der zurzeit auf Wache macht, scheinst du dich ja auch blendend zu verstehen."
Wen sie meint, ist mir klar, obwohl es totaler Schwachsinn ist. Das mache ich ihr auch sofort begreiflich.
„Mit dem komm ich gar nicht klar!", entrüste ich mich über ihre Äußerung und springe von der Bank auf. „Wie du selbst sagst. Der ist ein Idiot! Mit dem will ich nichts zu tun haben!"
„Er verwöhnt dich und diese Blondine aber ziemlich. Das sollte mal einer den Gefangenen erzählen." Ein Grinsen zieht sich über ihr Gesicht.
„Das war …" … als Entschädigung für diesen scheiß Morgen, den uns dein Freund beschert hat, hätte ich beinah laut gerufen, doch ich stoppe, statt es auszusprechen.
Neben der Angst ist noch die Tatsache, dass sie es sicher eh nicht glauben würde.
„Ach vergiss es einfach!", kommt stattdessen mit einem Seufzer von mir.
Es ist nicht meine Sache, was da zwischen den beiden läuft und ich sollte mich auch nicht einmischen.
Tosa will schon nachhaken, als sich von rechts eine Tür zur Kantine öffnet und eine ältere Frau mit hochgestecktem Haar den Raum betritt. Akara trägt eine Kiste mit Früchten in ihren Händen, wie sie mir die Wache gegeben hat.
Sofort als die Alte in die Kantine tritt, will sich Tosa eine von den Früchten nehmen. Doch sie wird von Akara mit einem Blick gerügt, sodass das junge Mädchen von ihrem Vorhaben ablässt. Als Akaras Blick dann auf mich fällt, ist sie im ersten Moment sehr überrascht.
Ich stehe auf, nehme das Päckchen und gehe zu ihr.
„Das hier soll ich von einem heimlichen Verehrer überreichen", rufe ich lächelnd, und halte das Päckchen vor sie.
Akara stellt die Kiste weg und nimmt sich das Geschenk. Ihre junge Kollegin betrachtet sich das ganze Geschehen voller Interesse, genau wie ich.
Vorsichtig öffnet Akara den Karton.
Zum Vorschein kommen drei, auf seidigen Stoff gebettete wunderschöne Blumen, die Lilien ähneln. Eine blaue und zwei Rote.
Wofür die sind? Doch ich wage nicht meine Frage zu stellen, aber es übernimmt jemand anderes für mich.
„Von wem sind die denn?", lautet Tosas Frage. Ihre grünen Augen wandern neugierig über die Pflanzen.
„Diese verdammte Bande!", haucht die Alte, dabei wirkt sie zu Tränen gerührt von dem Geschenk. „Jedes Jahr das Gleiche!" Sanft fahren ihre Finger über die Blumen.
Erst nach einer Weile wandert ihr Blick zu ihrer jungen Kollegin.
„Das ist nur ein Geschenk von ein paar Freunden."
Sie wischt sich eine Träne weg.
„Tosa, ich bin mal kurz fort, bring die Früchte rein, aber lass die Finger davon!" Akara wendet sich an mich. „Dank, dir Janine!", sagt sie mit einem Lächeln auf den Lippen zu mir. Im schnellen Schritt und nur das Geschenk in der Hand verlässt sie die Kantine.
Tosa hält von dem Verbot nicht viel und greift sich eine der Früchte. Ich dagegen verlasse ebenfalls die Kantine, aber in eine ganz andere Richtung als Akara. Wohl dabei ist mir bei diesem Gedanken immer noch nicht.
***
Im Arbeitsraum ist wie immer ein reger Trubel. Einige der Gefangenen arbeiten an Raumschiffen. Ich zähle insgesamt sieben. Die Raumschiffe sehen schlank aus und nicht gerade riesig, aber dennoch wirken diese dunkelgrauen Dinger auf mich beeindruckend.
Von den Schiffen aus wandert mein Blick zu den Wachen hinauf, auf der Suche nach jemand Bestimmtes, aber ich kann ihn nicht entdecken. Als nächste begebe ich mich auf die Suche nach Nora.
Doch Sorgen brauche ich mir nicht um sie zu machen. Das Mädchen steht bei einer Gruppe Männer, mit denen sie sich angeregt unterhält.
„Hey Mädchen!", werde ich von der Seite angesprochen. Es ist der Dicke, der mir und Nora half. Dieser Musator. Über seine Stirn laufen Schweißperlen, auf der Schulter trägt er ein großes metallenes Blech. „Du bist doch immer in der Nähe dieses Zeitstürmers‽" Ich nicke. „Ich wollt nur sagen, dass es deinem Freund gut geht."
„Danke noch mal für vorhin", bedanke ich mich bei ihm.
„Wir sind alle in der gleichen Lage!" Er zwinkert mir zu. „Außerdem wäre es schade so nette Gesellschaft am Tisch zu verlieren."
Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen.
Musator will mich verlassen, doch ich hindere ihn daran.
„Eine Frage."
Er wendet sich neugierig an mich und lauscht gespannt meinem Anliegen.
„Moriphos ist verletzt und Nora hat neue Beschützer, jetzt steh ich hier alleine und gelangweilt rum. Gibt's nicht irgendwas, dass ich tun könnte? Euch helfen oder etwas anderes."
„Die Arbeit ist für ein junges Mädchen wie dich nicht das Richtige." Er weist auf das Blech, dass er auf seiner Schulter trägt. Leicht wirkt es nicht gerade, das erkennt man, ohne es anzufassen. „Aber komm mit! Ich frag jemanden, ob der was mit dir anfangen kann."
Musator läuft los. Ich folge ihm vorbei an den Raumschiffen.
„Woher stammst du eigentlich?", erkundigt sich Musator bei mir, der mich die ganze Zeit schon amüsiert beobachtet, wie ich die Maschinen staunend betrachte.
„Von einem Planeten, auf dem so was nichts Alltägliches ist und noch nicht mal möglich", antworte ich knapp.
Für mich sieht es so aus, als wären die Raumschiffe hier nicht zur Reparatur, sondern eher zur Reinigung. Die Männer an den Schiffen scheinen sie nur zu putzen.
Nur eines davon fällt aus der Reihe. Das, zu dem mich Musator führt.
An diesem Schiff sitzt nur ein Mann. Er wirkt beschäftigt mit diesem Ding, das übel ausschaut. Genau da, wo er sitzt, befindet sich an dem Schiff ein riesiges Loch mit geschwärzten Rändern. Ein Einschussloch nehme ich an.
Der Mann selbst trägt nur eine schwarze Hose. Sein muskulöser Oberkörper ist frei und verschwitzt. Die Farbe seines Haares kann ich durch das orange Licht nicht deuten. Entweder rot oder ein dunkles Blond. Neben ihm liegt eine schwarze Jacke.
Alles im allem gleicht er mehr einem Mitglied der Stationsbesatzung als einem Gefangenen.
Musator bleibt vor diesem Schiff stehen.
„Hey Cheffchen!", ruft er dem Mann zu.
„Moment", bittet ihn der Andere. Mit einer Art Laser brennt er ein großes Loch in die Wand des Schiffes, genauer gesagt, um den Einschuss herum. Vorsichtig hebt er das Blech heraus, um sich die darunter liegenden Kabel zu betrachten.
„Also wenn das Ding noch fliegt, dann grenzt das echt an einem Wunder", kommt ein bestürztes Schnauben von ihm.
Er reckt sich kurz. Erst dann wendet der Mann sich an Musator. „Was gibt's?" Als sein Blick auf mich fällt, wirkt er verwundert und überrascht. Neugierig mustert er mich eine Zeit lang. Ich tue es ihm gleich.
Nicht nur von der Rückenansicht sieht er toll aus, auch der Rest ist beeindruckend. Er kommt mir bekannt vor, wenn ich auch im Moment nicht weiß woher.
„Das Mädchen hier fragt, ob sie uns behilflich sein könnte", antwortet der Dicke auf die Frage.
„Wie heißt du?", fragt der Mann mich direkt.
„Janine", antworte ich ihm mit einem Lächeln.
Er beginnt zu lachen. „Angenehm, ich bin Gasard."
***
Als Frau hat man es hier wirklich nicht leicht. Erst diese Wache, dann die Gefangenen. Aber ich werde ja gut beschützt.
Nur hoffe ich, dass nicht irgendwann das Gegenteil eintrifft. Ich traue Tosa schon zu, dass sie den Gefangenen erzählt wie ich hier behandelt werde, nur um zu sehen, wie mir ein Messer in die Rippen gejagt wird.
Aber zurzeit kreisen meine Gedanken nur um die Frage, ob diese Wache wirklich Torsos sein könnte.
Vielleicht beantwortet er mir ja diese Frage demnächst mal.