Also gingen sie in den Tempel von Tokyo, dort sagte Argon zu Akiro ,,geh
und leg dich auf den Altar, ich gebe dir dann ein Amulett"
Akiro tat wie ihn geheißen.
Akiro hielt das Amulett in der Hand, und plötzlich schien die Luft um ihn
schwerer zu werden. Eine tiefe Melancholie sickerte in seine Gedanken,
ein unbegreiflicher Schmerz, der aus dem Nichts aufstieg. Sein Herz zog
sich zusammen, und ein Schleier aus Trauer legte sich über seine Brust, so
dicht und greifbar, dass ihm der Atem stockte.
Argon bemerkte, wie sich Akiros Miene verdunkelte, und trat besorgt
einen Schritt näher. „Akiro? Geht es dir gut?" fragte er sanft.
Akiro blinzelte, als müsse er sich aus einem Traum lösen. Seine Stimme
klang gedämpft, als er antwortete. „Ja… ja, alles gut." Er senkte den Blick
und ließ das Amulett beinahe widerwillig los, als würde es noch immer
eine seltsame Schwere in sich tragen, die niemand erklären konnte.
Argon ließ den Jungen nicht aus den Augen, doch sagte er nichts mehr.
Irgendetwas in diesem Moment, so schien es, war zu tief, zu nah und
blieb ungesagt, wie ein Geheimnis, das in Akiro vergraben war – und das
er selbst nicht vollständig verstand.
Akiro ließ das Amulett zögerlich in seine Tasche gleiten, dann blickte er
auf und grinste, als wolle er die Schwere des Moments überdecken.
„Weißt du, Argon, deine Geschichten werden auch nicht glaubwürdiger, je
öfter du sie erzählst."
Argon schnaubte belustigt und klopfte sich auf die Brust, als wolle er
seine Worte verteidigen. „Ha! Das sagen immer nur diejenigen, die zu jung
sind, um die wahren Taten zu schätzen!"
Akiro hob die Hände in einer scherzhaften Geste des Aufgebens. „Schon
gut, schon gut! Der unbesiegbare Argon und die leuchtende Aura Tokyos –
du hast ja recht." Seine Stimme klang entspannt, als würde er die
Geschichten einfach als die typischen Legenden eines alten Mannes
abtun.
Argon grinste zufrieden und rieb sich die Hände, als sei er endlich
verstanden worden. „Eines Tages wirst du es noch sehen, Akiro, und dann
wirst du an meinen Geschichten nichts mehr anzweifeln."
Akiro lachte leise. „Na, wenn ich das noch erleben darf, schicke ich dir
eine Botschaft in den Wolken, alter Mann."
7
Akiro verließ den alten Tempel, die kühle Abendluft weckte ihn allmählich
aus einem Gefühl der Benommenheit. Sein Weg führte ihn durch das
ruhige Dorf, dessen Bewohner sich langsam für die Nacht zurückzogen.
Nach wenigen Minuten erreichte er den kleinen Laden seiner Großmutter,
wo das vertraute Aroma von getrockneten Kräutern und altem Holz ihn
empfing.
Oma Heron stand hinter der Theke, beschäftigt mit dem Sortieren von
Waren, doch als sie Akiro bemerkte, leuchteten ihre Augen auf. „Aki, da
bist du ja! Alles gut mit dir?" fragte sie mit einem warmen Lächeln und
einem prüfenden Blick.
„Ja, Oma Heron, ich wollte einfach nur vorbeischauen," antwortete Akiro,
während er leicht in den Schultern zuckte. Die Worte fühlten sich
irgendwie schwer an, und er konnte das Gefühl, das ihn im Tempel
beschäftigt hatte, nicht ganz abschütteln.
„Weißt du, Aki," sagte sie, während sie ein Bündel Kräuter ordnete, „heute
hatte ich einen interessanten Kunden. Ein Mann namens Hiori Sora. Sehr
höflich, ein echter Gentleman. Er hat sich so angeregt mit mir
unterhalten, und sagte, er würde morgen wieder vorbeischauen."
„Hiori Sora?" wiederholte Akiro nachdenklich. „Klingt… irgendwie anders."
„Ja," Oma Heron nickte, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. „Manchmal
treffen wir Menschen, die uns in gewisser Weise an etwas erinnern, was
wir schon lange vergessen haben. Vielleicht schickt das Schicksal uns
genau dann solche Menschen, wenn wir sie am meisten brauchen. Aber,
Aki, du wirkst ein wenig verloren heute."
Akiro zuckte erneut mit den Schultern und versuchte, die Schwere, die
ihn durch den Tag begleitet hatte, abzuschütteln. „Es war… einfach ein
langer Tag," sagte er nur.
Oma Heron legte das Bündel Kräuter zur Seite und schaute Akiro
nachdenklich an. „Witzigerweise wollte Hiori Sora auch nach Argon
fragen," sagte sie mit einem leichten Schmunzeln. „Er hatte wohl gehört,
dass Argon der Hüter alter Geschichten ist und sich über unsere
Vergangenheit gut auskennt. Ich habe ihm erzählt, dass Argon immer am
Feuer sitzt und Geschichten erzählt – vielleicht wollte er deshalb
wiederkommen."
Akiro hob eine Augenbraue. „Wirklich? Ein Fremder, der Interesse an
Argons Geschichten hat?" Er konnte sich kaum vorstellen, dass jemand
von außerhalb ihre alten Geschichten wirklich ernst nahm.
8
„Ja," antwortete Oma Heron und legte ihre Hand sanft auf Akiros Arm.
„Manchmal sind es gerade die Menschen, die von außen kommen, die den
wahren Wert der Dinge erkennen, die für uns fast schon
selbstverständlich geworden sind."
Akiro nickte leicht, während die Worte seiner Großmutter in ihm
nachklangen. „Vielleicht sollte ich auch Morgen einmal bei Argon
vorbeischauen," murmelte er, die Schwere des Tages noch in seiner
Stimme.
„Das ist eine gute Idee, Aki. Wer weiß, vielleicht entdeckst du etwas, das
dir Antworten gibt." Oma Heron lächelte ermutigend und klopfte ihm
aufmunternd auf die Schulter. „Und wer weiß, vielleicht begegnet ihr
euch dort ja morgen."
Nachdem er sich mit seiner Oma unterhalten hat, bemerkt Akiro, wie
erschöpft Oma Heron wirkt. „Weißt du was, Oma? Ich mach den Laden
heute dicht. Du gehst schon mal nach Hause und ruhst dich aus. Ich
schaff das." Sie sieht ihn kurz mit warmem, anerkennendem Blick an und
legt ihm dankbar die Hand auf die Schulter.
„Vielen Dank, Aki. Du bist wirklich ein Segen." Sie lächelt, nickt ihm zu
und geht langsam zur Tür, während Akiro sich umdreht, um die letzten
Dinge im Laden in Ordnung zu bringen.
Der Laden ist bald ruhig und dunkel, und als Akiro schließlich die Tür
abschließt und sich auf den Heimweg macht, breitet sich in ihm ein
zufriedenes, leicht ermattetes Gefühl aus. Sein Weg führt ihn durch die
stillen Straßen bis zu seinem Zimmer, wo er seine Sandalen abstreift und
sich dankbar auf das Bett sinken lässt. Der Tag hatte ihm ein gewisses
Gewicht aufgeladen, und als er die Augen schließt, ist es, als würde ihn
dieses Gewicht sanft in einen tiefen Schlaf ziehen.
Im Traum scheinen sich Bruchstücke der Geschichten von Argon mit
etwas Vertrautem zu verweben – eine verschwommene Schlacht, der
Schimmer einer Klinge, und der flüchtige Eindruck eines Namens, den er
kaum wahrnehmen kann. Izara. Doch bevor er den Traum greifen kann,
verblasst er, und Akiro sinkt tiefer in die Ruhe der Nacht.