Aus der Kammer rief Oma Heron plötzlich: „Aki! Wolltest du nicht Hiori
Sora aufsuchen?"
Akiro schüttelte leicht den Kopf und antwortete zurück in den Raum:
„Aber Oma, er wollte doch hierherkommen." Kaum hatte er die Worte
ausgesprochen, öffnete sich die Tür, und ein junger Mann, kaum älter als
Akiro selbst, betrat den Laden.
Er war eine auffällige Erscheinung: Graue Haare umrahmten ein Gesicht
mit tiefen, durchdringenden blauen Augen. Eine Oni-Maske hing an seiner
Seite, die er noch nicht enthüllte, und seine Kleidung – eine abgenutzte,
alte Rüstung – sprach von jemandem, der viel gesehen und durchlebt
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hatte. Er schien wie ein Reisender, jemand ohne Herren, der keinem Dorf
mehr angehörte. Die ruhige, fast geheimnisvolle Art des Fremden ließ den
Raum kurz verstummen.
Mit einem leichten Nicken trat der Fremde an die Theke und bestellte
eine Auswahl an Kräutern, die angeblich für eine besondere Art von Ritual
benötigt wurden. Er zahlte mit einem großzügigen Beutel voller Münzen
und schob ihn über die Theke. Akiro öffnete den Beutel, holte das Nötige
heraus und schob ihn dann diskret zurück – nur das Geld, das tatsächlich
erforderlich war, nahm er heraus.
„Das reicht vollkommen, danke," sagte Akiro, mit einem leichten Lächeln.
Der Fremde hob eine Augenbraue, sichtlich überrascht, doch er nickte
langsam und sagte: „Du bist… ehrenhaft. Nicht viele würden so handeln."
Neugierig und freundlich, fragte Akiro: „Darf ich nach deinem Namen
fragen? Und… ob wir uns vielleicht wiedersehen?"
Der Fremde hielt kurz inne und musterte Akiro mit einem fast schon
wissenden Blick. „Mein Name ist… nicht wichtig," murmelte er
schließlich, bevor er mit einer leichten Verbeugung hinzufügte, „doch
vielleicht kreuzen sich unsere Wege wieder. Die Welt ist klein, und die
Zeit führt uns oft an unerwartete Orte."
Mit diesen Worten wandte sich der Fremde zum Gehen, doch kurz vor der
Tür warf er Akiro einen letzten, prüfenden Blick zu, als wolle er sich
etwas einprägen. Dann verließ er den Laden und verschwand wieder im
dörflichen Treiben, während Akiro und Oma Heron sich fragend ansahen.
„Meinst du, das war Hiori Sora?" fragte Oma Heron leise, während sie dem
Fremden noch einen Augenblick lang nachschaute, ihre Stirn in Falten
gelegt.
Akiro, der neben ihr stand und den Blick ebenfalls in die Ferne richtete,
lächelte sanft. „Vielleicht war er das…" sagte er ruhig. „Wer auch immer
er ist – er schien freundlich und dankbar. Ich hoffe, er findet, was er
sucht."
Oma Heron nickte nachdenklich, ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen,
als sie ihrem Enkel kurz über die Schulter strich.
Oma Heron blickte Akiro besorgt an, ihre Hände leicht zitternd, während
sie sich auf den Tresen stützte. „Aki," begann sie leise, „ich mache mir
Sorgen. Was, wenn dieser Hiori… vielleicht… vielleicht hat er Argon etwas
angetan?"
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Akiro legte beruhigend eine Hand auf ihre Schulter und lächelte sanft.
„Oma Heron, ich denke nicht, dass er Argon etwas antun würde. Er schien
freundlich und großzügig. Trotzdem – wenn es dich beruhigt, schaue ich
gerne nach ihm."
Seine Worte brachten ihr ein kleines Lächeln zurück, und sie nickte
dankbar. „Danke, Aki. Ich weiß, ich mache mir vielleicht zu viele Sorgen,
aber… ich hätte einfach ein besseres Gefühl, wenn du nachschaust."
Akiro nahm einen leichten Mantel und machte sich auf den Weg. Die
Sonne stand hoch am Himmel, und die Straßen des Dorfes waren still, als
er den schmalen Pfad zu Argons Haus hinaufging. Nach einer Weile sah er
in der Ferne eine Gestalt – Hiori Sora. Er stand alleine am Waldrand und
schien in die Ferne zu blicken, als wäre er von etwas tief in Gedanken
versunken.
Akiro hielt kurz inne, beobachtete Hiori von weitem und spürte, dass
seine Oma sich wohl umsonst Sorgen machte. Der junge Mann schien
keine Bedrohung darzustellen – eher jemand, der auf der Suche nach
etwas war. Mit ruhigem Herzen drehte Akiro sich um, bereit, seiner
Großmutter Entwarnung zu geben.
Akiro war gerade dabei, den Rückweg anzutreten, als er ein schwaches,
kaum hörbares „Hilfe…" vernahm. Er hielt inne, lauschte angespannt – es
war Argons Stimme. Doch bevor er reagieren konnte, hörte er eilige
Schritte hinter sich und sah, wie Hiori mit besorgtem Blick auf ihn
zugelaufen kam.
„Hast du das gehört?" fragte Hiori atemlos, sein Gesicht vor Sorge
angespannt.
Akiro nickte langsam, seine Augen prüfend auf Hiori gerichtet. „Ich denke
mal, das heißt, du hast Argon nichts angetan," entgegnete er, die Worte
ruhig, aber fest.
Hiori sah ihn kurz irritiert an, dann hob er die Hände beschwichtigend.
„Nein, nein – ich bin Hiori Sora. Ich war bei ihm und wir haben uns über
Geschichten unterhalten. Dann bin ich nur kurz raus, weil er die Kräuter
für… für etwas brauchte. Was er genau damit vorhatte, weiß ich nicht."
Akiro nahm Hioris Erklärung zur Kenntnis, und für einen Moment
schauten sie sich an, beide mit dem gleichen Gedanken: Sie mussten
Argon finden und herausfinden, was passiert war.
Hiori trat ohne Zögern die Tür auf, seine Schritte zielgerichtet, und
bewegte sich sofort auf Argon zu, der auf dem Boden saß und sich leicht
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benommen hielt. Doch kaum einen Augenblick später sahen die beiden
den Schatten eines Wolfes, der in der Ecke des Raumes stand – ein
verirrtes Tier, das den Weg zurück in den Wald offenbar verloren hatte.
Hiori verhärtete seine Miene und hob die Hand, bereit, den Wolf
niederzustrecken.
Doch bevor Hiori zuschlagen konnte, sprang Akiro zwischen ihn und das
Tier. Er fing Hioris Schlag ab, stieß dabei schwer atmend zurück, und
blickte dem verängstigten Wolf fest in die Augen. Der Wolf zögerte nur
kurz, drehte sich dann um und verschwand lautlos in die Dunkelheit des
Waldes.
Hiori runzelte die Stirn und schaute Akiro fassungslos an. „Warum hast
du das getan?" fragte er, seine Stimme eine Mischung aus Unglauben und
Verwunderung.
Doch bevor Akiro antworten konnte, räusperte sich Argon und hob eine
Hand zur Erklärung. „Das, Hiori, ist Akiros Art. Sein Herz ist rein – er fügt
keinem Wesen, das in Not ist, unnötig Schmerz zu."
Akiro nickte, die Hand noch auf seine schmerzende Seite gepresst, und
sprach mit schwerer Stimme: „Diese Kräuter… sie sind zur
Wolfsbeschwörung gedacht. Argon… es scheint, du hast sie verwechselt,
als du den Rauch für deine Halluzinationsmischung vorbereitet hast."
Argon lachte verlegen und rieb sich den Nacken. „Nun, so was passiert…
aber ich hätte wissen sollen, dass diese Kräuter intensiver wirken
könnten. Mein Fehler, Akiro."
Sie saßen sich an den Tisch und tranken.
Die Tassen Gyokuro dampften leicht, als Akiro und Hiori sich im Schein
des frühen Nachmittags gegenübersaßen. Der Duft des Tees erfüllte den
Raum, beruhigend und zugleich kräftig. Hiori nahm einen vorsichtigen
Schluck, sein Blick wanderte prüfend zu Akiro, während er die nächste
Frage formulierte.
„Akiro, deine Prinzipien… sie scheinen stärker zu sein als das, was man
normalerweise erwartet. Worin liegen sie begründet?" fragte Hiori,
sichtlich fasziniert und etwas verwundert.
Akiro legte seine Tasse sanft ab und sah Hiori mit ruhigem Ernst an.
„Meine Prinzipien… ich würde sagen, sie stammen aus der Verbundenheit,
die ich mit der Natur spüre. Ich glaube nicht an Götter, wie es hier
Tradition ist. Tokyo oder andere göttliche Kräfte sind für mich eher
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Symbole. Für mich gibt es nur die Natur – Mutter Natur, die uns Leben
schenkt, Wasser, Licht, Kräuter und Nahrung."
Hiori runzelte leicht die Stirn und nahm die Worte auf, während Akiro
fortfuhr: „Die Natur gibt uns alles, was wir brauchen, ohne etwas
zurückzufordern. Das Leben, das sie schenkt, ist für mich das Heiligste.
Ich möchte es nicht unnötig zerstören oder Leid verursachen. Tiere und
Pflanzen haben ebenso ihren Platz wie wir, und ihnen gegenüber empfinde
ich Respekt. Mein Weg ist es, in Harmonie zu leben, nicht zu nehmen,
was ich nicht wirklich brauche."
Hiori nickte langsam, seine Augen funkelten interessiert. „Es ist eine
einfache und klare Überzeugung… aber sicherlich nicht immer einfach zu
befolgen."
Akiro lächelte. „Stimmt. Aber wenn ich daran denke, dass die Natur uns
immer wieder erneuert und erhält, fällt es mir leichter. Sie ist geduldig
und zeigt uns einen Weg, solange wir bereit sind, ihn zu sehen."
Hiori lehnte sich zurück und betrachtete Akiro nachdenklich. „Es ist
bemerkenswert. Ein Weg, der viel innere Stärke erfordert."
„Vielleicht," erwiderte Akiro sanft. „Aber solange ich ihn mit klarem
Herzen gehen kann, ist er das Richtige für mich."
Die beiden Männer tranken schweigend weiter, jeder in seine Gedanken
versunken, während der ruhige Rhythmus der Natur durch den Raum
strömte.
Akiro lächelte gedankenverloren, als er sich an ein Erlebnis aus seiner
Kindheit erinnerte. „Weißt du," begann er und blickte in die Ferne, „als ich
noch klein war, fand ich einmal einen verletzten Byoko. Jeder andere
hätte ihn wohl liegen lassen oder getötet, aber ich… ich fühlte, dass ich
ihm helfen musste."
Er legte die Tasse Gyokuro sanft auf den Tisch, und sein Blick wurde für
einen Moment intensiver. „Eines Nachts," fuhr er fort, „sprach ich dann
zu ihm, obwohl er nur ein Tier war: ‚Mit der Schnelligkeit der Sterne, die
nie verwehen, im Schatten der Nacht, wo die Dunkelheit lebt, ruft Tokyo
mich, in der Stille zu stehen. Das Schicksal entscheidet, wer am Ende
besteht.'" Die Worte verließen seine Lippen, ohne dass er genau wusste,
warum – es fühlte sich an, als ob sie einfach hervorgekommen wären.
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Plötzlich herrschte absolute Stille im Raum. Hiori und Argon starrten ihn
an, sichtlich erschüttert. Akiro sah sich um, etwas verwirrt, warum die
beiden so reagierten.
„Akiro… woher hast du diese Worte?" Hioris Stimme war leise und voller
Ehrfurcht, fast als hätte er ein Geheimnis enthüllt. „Das… das sind die
Worte eines uralten Gebets. Es wurde einst… von Kriegern gesprochen, die
für die Gottheit Tokyo kämpften."
Akiro blickte ihn entgeistert an, seine Stirn legte sich in Falten. „Ich… ich
weiß es nicht," stammelte er. „Ich glaube nicht an Götter, das weißt du.
Diese Worte kamen einfach… von irgendwoher."
Noch immer schweigend, schauten sich die drei an, während Akiro
langsam begriff, dass er etwas Unbegreifliches zitiert hatte – Worte, die
eine Verbindung zu einer Zeit und einem Glauben hatten, von dem er
selbst keine Ahnung hatte.