Ein Netz aus Lügen
Die nächtliche Luft in Paris war kühl und trug den Geruch von Brot, Rauch und Revolution in sich. Céleste und Lucien hasteten durch die engen Gassen, begleitet von nichts außer dem Echo ihrer Schritte. „Weißt du," begann Lucien, während er um eine Ecke bog, „ich wollte nie ein Held sein. Oder ein Märtyrer. Eigentlich wollte ich nur Bücher verkaufen." „Und jetzt bist du der romantische Held einer skandalösen Affäre," erwiderte Céleste und warf ihm ein schelmisches Lächeln zu. „Das ist doch eine Verbesserung." „Romantisch?" Lucien lachte trocken. „Die einzige Romanze, die ich in diesem Moment fühle, ist die zwischen mir und dem Wunsch, nicht gefangen zu werden." Céleste blieb abrupt stehen. „Lucien." Er drehte sich zu ihr um, bereit, eine weitere sarkastische Bemerkung zu machen, doch ihr ernster Blick hielt ihn zurück. „Was ist?" „Wir müssen irgendwo untertauchen," sagte sie. „Mein Vater wird uns suchen lassen. Wahrscheinlich hat er die Hälfte seiner Diener und alle verfügbaren Spione auf uns angesetzt."
Lucien fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Natürlich hat er das. Warum sollte dein Vater auch einfach aufgeben? Hat er überhaupt schon einmal den Gedanken gehabt, dass er vielleicht verlieren könnte?" Céleste zog die Schultern hoch. „Verlieren ist nicht seine Stärke. Was ist mit dir? Hast du irgendwo ein Versteck?" Lucien dachte einen Moment nach. „Ich könnte uns zu einem Freund bringen. Oder vielmehr zu einem... Bekannten. Er schuldet mir noch etwas." „Schuldet dir was?" fragte Céleste neugierig. „Das wirst du schon sehen," sagte Lucien und zog sie weiter.
Ein zweifelhafter Verbündeter
Die beiden gelangten zu einem schäbigen Gebäude am Rande von Paris. Der Putz bröckelte von den Wänden, und eine kaputte Laterne schwankte im Wind. „Das ist dein Versteck?" fragte Céleste mit einem Hauch von Entsetzen. „Das ist das Versteck eines Freundes," korrigierte Lucien und klopfte an die Tür. Nach ein paar Sekunden öffnete sich die Tür einen Spalt, und ein misstrauisches Auge lugte heraus. „Lucien? Was machst du hier? Und wer ist das?" „Das ist Céleste," sagte Lucien fröhlich. „Adlige, Revolutionärin und das Herz eines politischen Skandals. Darf ich hereinkommen?" Der Mann, ein stämmiger Kerl mit einem Bart, der aussah, als hätte er ihn seit der Geburt nicht mehr gestutzt, öffnete die Tür ein Stück weiter. „Du bringst Ärger mit dir. Wieder einmal." „Natürlich," erwiderte Lucien und schob sich mit Céleste ins Innere. Das Haus war vollgestopft mit Kisten, Papieren und einer beunruhigenden Menge an Flaschen, deren Etiketten auf fragwürdige chemische Experimente hinwiesen. „Das ist Henri," erklärte Lucien. „Ein Meister des Chaos und ein ehemaliger Alchemist. Wir haben uns während einer kleinen... Explosion kennengelernt." „Explosion?" fragte Céleste, doch Henri winkte ab. „Details sind unwichtig," sagte Henri. „Was ist das Problem?" Lucien setzte sich auf einen der wenigen freien Stühle. „Célestes Vater will sie zwangsverheiraten. Ich habe mich bereit erklärt, die Sache zu... verkomplizieren." „Er hat sich bereit erklärt, sich zu ruinieren," fügte Céleste trocken hinzu. Henri betrachtete die beiden einen Moment lang schweigend. Dann grinste er. „Das klingt nach Spaß. Was braucht ihr?" Lucien lehnte sich vor. „Wir brauchen Zeit. Und eine Ablenkung." Henri rieb sich die Hände. „Das ist meine Spezialität."
Ein Feuerwerk der Ablenkung
Am nächsten Morgen war Paris in Aufruhr. Ein anonymer Informant – alias Henri – hatte den königlichen Truppen falsche Informationen zukommen lassen. Die Nachricht besagte, dass ein großer Transport gestohlener Güter im Viertel Saint-Antoine versteckt sei. Während die Soldaten das Viertel durchkämmten, nutzten Lucien und Céleste die Gelegenheit, um sich eine neue Verkleidung zu besorgen. Henri hatte Lucien einen groben Mantel und einen Hut gegeben, während Céleste in einem einfachen Kleid kaum wiederzuerkennen war. „Du siehst aus wie ein gewöhnlicher Bürger," sagte Lucien, während sie durch die Straßen schlenderten. „Und du siehst aus wie ein Mann, der dringend einen Badetag braucht," konterte sie. Die Ablenkung funktionierte besser als erwartet. Paris war in Chaos versunken, und die königlichen Soldaten hatten keine Ahnung, dass ihre Zielpersonen sich bereits auf der anderen Seite der Stadt befanden.
Ein Moment der Ruhe
Am Abend suchten Lucien und Céleste Zuflucht in einem kleinen Gasthaus am Rande von Paris. Es war ein ruhiger Ort, fernab des politischen Tumults, und zum ersten Mal seit Tagen konnten sie durchatmen. „Weißt du," sagte Lucien, während er an einem Becher Wein nippte, „ich hätte nie gedacht, dass ich mich mit einer Adligen auf der Flucht wiederfinde." Céleste lächelte schwach. „Und ich hätte nie gedacht, dass ich einen Buchhändler so... interessant finden würde." Lucien hob eine Augenbraue. „Interessant? Das klingt fast wie ein Kompliment." „Fast," erwiderte sie neckend. Eine kurze Stille trat ein, und für einen Moment vergaßen sie den Tumult um sie herum. Die Wärme des Raumes und die Nähe des anderen schufen eine seltsame, aber beruhigende Vertrautheit. „Was wird aus uns, Lucien?" fragte Céleste schließlich leise. Lucien sah sie an, sein übliches schelmisches Lächeln verschwunden. „Das weiß ich nicht. Aber ich weiß eines: Solange wir zusammen sind, wird es nicht langweilig." Céleste lachte leise. „Das ist wohl wahr."