Eine Stadt am Abgrund
Paris war ein Pulverfass, und die Revolution zündete immer mehr Funken. Die Straßen waren erfüllt von Marschliedern, Reden und Flüstereien, die von Plänen und Verrat sprachen. Die Guillotine auf dem Place de la Révolution war nicht mehr nur ein Werkzeug der Gerechtigkeit, sondern ein Symbol des Terrors. Lucien und Céleste fanden sich in einer Stadt wieder, die sich selbst zu verschlingen drohte. Der Widerstand war zersplittert – einige wollten radikalere Maßnahmen, andere fürchteten, dass die Revolution außer Kontrolle geriet. „Wir kämpfen nicht mehr nur gegen die Krone," sagte Céleste eines Abends, als sie in einer verlassenen Werkstatt saßen. „Wir kämpfen gegeneinander." Lucien nickte langsam. „Das ist das Problem mit großen Ideen. Irgendwann will jeder sie für sich allein haben." „Und was sollen wir tun?" fragte sie. „Das, was wir immer tun," antwortete Lucien und lehnte sich zurück. „Überleben."
Ein ungebetener Gast
In dieser Nacht kehrte Étienne zurück – nicht in Fleisch und Blut, sondern in Form einer Nachricht, die in die Druckerei geschmuggelt wurde. Es war ein Brief, geschrieben in seiner unverkennbaren Handschrift. „Das kann nicht sein," sagte Céleste, als sie den Brief las. „Er wurde festgenommen. Wie könnte er..." Lucien nahm ihr den Brief ab und las ihn. Es war eine Warnung. „Ihr glaubt, ihr habt gewonnen, aber die Krone weiß mehr, als ihr denkt. In euren eigenen Reihen gibt es noch einen Verräter. Ihr seid nicht sicher." Die Druckerei wurde still. Jeder Blick wanderte zu den anderen, und die Luft war erfüllt von Misstrauen. „Das ist eine Falle," sagte einer der Revolutionäre. „Oder eine Wahrheit," entgegnete ein anderer. Lucien spürte, wie sich das Gewicht der Worte auf die Gruppe legte. Étienne hatte bereits großen Schaden angerichtet – doch wenn er recht hatte und ein weiterer Verräter unter ihnen war, könnte das alles zerstören. „Wir dürfen uns nicht gegenseitig verdächtigen," sagte Céleste entschlossen. „Das ist genau das, was sie wollen." „Und was sollen wir stattdessen tun?" fragte jemand. Lucien grinste schief. „Nun, wenn es einen Verräter gibt, sollten wir ihn finden, bevor er uns findet."
Das Katz-und-Maus-Spiel
Lucien und Céleste beschlossen, die Gruppe genauer zu beobachten. Sie achteten auf verdächtige Gespräche, unlogische Bewegungen und jene, die zu viel wussten. Lucien, dessen scharfer Verstand und scharfe Zunge gleichermaßen gefürchtet waren, begann, Fragen zu stellen. Er sprach mit jedem, manchmal scheinbar beiläufig, manchmal mit einer Härte, die selbst Céleste überraschte. „Du genießt das, nicht wahr?" fragte sie eines Abends. „Was? Menschen zu nerven?" Lucien grinste. „Absolut." „Aber es ist mehr als das," sagte sie und sah ihn ernst an. „Du versuchst, sie aus der Reserve zu locken." „Natürlich," antwortete Lucien. „Verräter sind wie Ratten. Du musst sie aus ihrem Versteck zwingen."
Eine heiße Spur
Eines Nachts, während sie einer Lieferung von Waffen zum nächsten Versteck folgten, bemerkte Lucien etwas Merkwürdiges. Ein Mann aus ihrer Gruppe, ein stiller, unscheinbarer Typ namens Armand, schien bewusst langsam zu gehen. „Er bleibt zurück," flüsterte Lucien zu Céleste. „Vielleicht ist er nur müde," antwortete sie. „Vielleicht. Oder vielleicht wartet er auf jemanden." Lucien ließ sich ebenfalls zurückfallen und beobachtete Armand aus dem Schatten. Und dann sah er es: Armand zog ein kleines Pergament aus seinem Mantel und schob es unter eine lose Steinplatte. „Da haben wir unseren Freund," murmelte Lucien. Als Armand ging, holte Lucien das Pergament heraus. Es war eine kurze Nachricht, die die genaue Route ihrer Waffenlieferung beschrieb – und sie war eindeutig für die königlichen Soldaten bestimmt.
Die Konfrontation
Zurück in der Druckerei riefen Lucien und Céleste die Gruppe zusammen. Armand saß ruhig in einer Ecke, doch als Lucien das Pergament auf den Tisch legte, erbleichte er. „Das habe ich unter einer Steinplatte gefunden," sagte Lucien. „Und bevor jemand fragt: Nein, ich schreibe keine Notizen an königliche Soldaten." Die Gruppe starrte Armand an. Er versuchte, ruhig zu bleiben, doch sein Blick flackerte. „Das ist Unsinn," sagte er schließlich. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst." „Ach ja?" Lucien trat näher. „Dann erklär mir, warum ich dich dabei gesehen habe, wie du das unter dem Stein versteckt hast." Armand schwieg. „Genug!" rief Céleste, ihre Stimme schnitt durch die angespannte Luft. „Armand, du hast uns verraten. Warum?" Armand sah sie an, und in seinem Blick lag eine seltsame Mischung aus Wut und Resignation. „Ihr versteht nicht," sagte er. „Ich habe keine Wahl." „Keine Wahl?" Lucien lachte bitter. „Das ist die Lieblingsausrede jedes Verräters." Armand sprang auf, doch bevor er fliehen konnte, hatten zwei Männer ihn gepackt.
Ein brüchiges Vertrauen
Obwohl sie den Verräter enttarnt hatten, hinterließ der Vorfall Spuren. Das Misstrauen in der Gruppe war nicht verschwunden, und die Revolution schien von innen heraus zu zerbrechen. „Das ist das Problem," sagte Lucien später zu Céleste. „Revolutionen klingen großartig, bis du merkst, dass du keinem trauen kannst." Céleste legte eine Hand auf seine. „Du kannst mir trauen." Lucien sah sie an, seine übliche Ironie verschwand. „Das weiß ich. Und vielleicht ist das das Einzige, was mich hier hält." Die Stadt brodelte weiter, und Lucien und Céleste wussten, dass die nächste Gefahr nur eine Frage der Zeit war. Doch inmitten des Chaos fanden sie etwas, das sie weitermachen ließ – ein Vertrauen, das stärker war als die Revolution selbst.