Chapter 5 - Seine Rückkehr

Die ursprüngliche Geschichte zeichnete Raphael Ashter als einen wahnsinnigen und besessenen Tyrannen, der es genoss, seine jüngere Schwester zu quälen, während er vor anderen so tat, als würde er sie übermäßig beschützen. Obwohl die Leser gleichermaßen über Raphaels Grausamkeit und den wegsehenden Vater schockiert waren, konnte niemand leugnen, dass eine solch abscheuliche Behandlung Rosalie zur einzigen Bösewichtin machte, mit der die Leser ehrlich sympathisieren konnten.

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Dass Raphael von seiner jüngeren Schwester besessen war, lag auf der Hand, doch nur wenige Leser verstanden wirklich den Grund dafür. Er empfand sexuelle Anziehung zu ihr. Der ständige Missbrauch, den er Rosalie zufügte, entsprang seiner Wut und Frustration – er konnte sie nicht besitzen, wie er es begehrte, während es anderen Männern möglich war, und das quälte ihn. Rosalie erinnerte sich an all die Kommentare auf der Seite des Romans, in denen die Leute über alles mögliche spekulierten, was Raphael seiner Schwester antun könnte, und es ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die Fantasie der Leser kannte offensichtlich keine Grenzen, aber Raphael war einer der grausamsten Charaktere des gesamten Romans. So war sich das Mädchen bewusst, dass sie sich auf alle Arten von Missbrauch einstellen musste, die mit Raphaels bevorstehender Rückkehr einhergehen könnten.

'Ich habe solche Angst ... Mein Herz fühlt sich an, als würde es gleich zerspringen.'

Lady Ashter betrachtete sich im Spiegel, dann sah sie aus dem Fenster, umschlang ihre dünnen Knie, während sie auf der breiten Fensterbank saß, und bemerkte den dunklen Nachthimmel, der großzügig mit winzigen Sternenfunkeln übersät war. Sie ließ einen langen, müden Seufzer heraus. Sie hoffte, das wachsende Entsetzen könnte den Lauf der Zeit verlangsamen, wie es normalerweise der Fall war, aber das geschah nicht – die Nacht rückte unerbittlich näher, und es war nur eine Frage von Stunden, bis Raphael an die Tür seiner Schwester klopfen würde.

"My Lady, das Bad ist bereit."

Aurora lud Rosalie mit einem eher traurigen Ausdruck im blassen Gesicht ins Badezimmer ein. Das Zimmer empfing das Mädchen mit einem starken, fast erstickenden Geruch von Jasmin, vermischt mit heißem Dampf und den Dünsten des parfümierten Badewassers. Jeder Atemzug ließ ihre Lungen sich zusammenziehen und ihr Kopf vor dem aufsteigenden Gefühl unkontrollierbarer Übelkeit schwanken.

'Ich nehme hier jeden Tag ein Bad, aber dieser Geruch ist eine völlig neue Stufe. Er ist erdrückender als das Korsett und die Gesellschaft von Rosalies Vater zusammen. Warum ausgerechnet Jasmin?'

Mit einer leicht missmutigen Miene zog Lady Ashter ihre Kleider aus und tauchte in das heiße Wasser unter, das mit weißen Jasminblüten durchsetzt war, in einer großen rechteckigen Badewanne, umgeben von Kerzen und Hockern, vorgesehen für die Dienstmädchen.

"Ist das Wasser in Ordnung, My Lady? Nicht zu heiß?"

Rosalie war so in Gedanken bei ihrer bevorstehenden Begegnung mit Raphael, dass sie gar nicht bemerkte, dass das Wasser tatsächlich viel zu heiß war, denn die frische Narbe in ihrer rechten Handfläche brannte beinahe unerträglich. Doch die Wassertemperatur war eigentlich nicht wichtig. Das Mädchen schüttelte nur den Kopf und tauchte noch tiefer, wobei das duftende Wasser beinahe die Hälfte ihres Gesichts bedeckte.

'Ob Rosalie je daran gedacht hat, sich hier zu ertränken? Die Badewanne ist sicherlich groß genug dafür.'

Sie wischte ihr ganzes Gesicht mit den nassen Händen ab, als wolle sie sich von solch lächerlichen Gedanken befreien, und ließ noch einen müden Seufzer heraus.

'Nein, sie war in Damien so verliebt, dass sie bereit war, ihre Seele aufzugeben, nur um bei ihm zu sein. Ich muss genauso stark sein und alles ertragen. Dieses Leben gehört nun mir, und ich werde es unter allen Umständen retten.'Rosalie ließ den linken Daumen über die Narbe in ihrer rechten Handfläche gleiten und schloss die Augen.

Es gab keinen Weg zurück. Hätte ich nur ein wenig früher in diesem Körper erwachen können... Nein, ehrlich gesagt, hätte ich es vorgezogen, hier überhaupt nicht zu erwachen.

"Lady Rosalie, es wirkt, als hätten Sie weiter abgenommen. Fühlen Sie sich noch immer unwohl? Soll ich den Oberbutler bitten, einen Arzt oder einen Priester zu rufen?"

Aurora legte ihre große, raue Hand auf den dünnen Oberarm ihrer Herrin und Rosalie fiel auf, wie einfach sich die Finger der Magd darum schließen ließen; die Statur des Mädchens war derart zierlich, dass es nicht verwunderlich wirkte, dass sie auf andere krankhaft erschien.

Doch Lady Ashter konnte nur den Kopf schütteln.

"Nicht notwendig. Vater wäre verärgert, das Herbeirufen eines Arztes oder Priesters ist teuer und er würde sich die Mühe nicht machen, so viel meinetwegen auszugeben."

"Aber Mylady..."

Auroras Sorge war nachzuvollziehen, doch sie konnte nicht gegen die Tatsache argumentieren, dass Rosalie recht hatte – Lady Rosalie Ashter stand nur ein begrenztes Budget monatlich zur Verfügung und Zusatzmittel durften nur in extremen Notfällen beantragt werden, schlechter Appetit galt nicht als solcher.

'Im Buch stand, dass Rosalie Leckereien mochte, besonders Schokolade, doch Raphael gestattete ihr niemals welche zu essen, weil er ihren schlanken Körper bevorzugte. Wann immer er bemerkte, dass sie Gewicht zulegte, war eine Strafe unmittelbar zu erwarten, so entwickelte Rosalie schließlich eine schwere Essstörung und fürchtete sich davor, irgendwas zu essen, das ihr Aussehen verändern könnte.'

Rosalie beobachtete, wie ihre Magd ein kleines, weißes, weiches Handtuch faltete und sich vorbereitete, ihren Körper zu waschen. Sie trat auf das Mädchen zu, kniete nieder, beugte sich über die Badewanne und sagte mit ernster Stimme,

"Bitte richten Sie sich etwas auf, Lady Rosalie. Ich fange jetzt an, Sie zu waschen."

"Das wird nicht nötig sein. Ich werde es selbst übernehmen."

Sowohl Aurora als auch Rosalie zuckten zusammen und drehten sich zur Quelle einer tiefen Männerstimme um, die Augen weit aufgerissen vor völliger Verblüffung, als sie ihren Besitzer erkannten.

"Hallo, meine liebe Rosalie. Ich bin sofort nach meiner Rückkehr von der Reise zu Ihnen gekommen. Haben Sie mich vermisst?"