Aurora war immer noch überwältigt von dem Anblick, sowohl der prächtigen Anlage des Dio-Guts als auch des großen, gutaussehenden Mannes vor ihr, als sie langsam den weißen Umschlag ihrer Dame zurückreichte und schnell den Blick abwandte, offensichtlich getroffen von der überraschenden Offenbarung ihrer Verlegenheit, welche Rosalie entzückend fand.
Das Mädchen räusperte sich und stellte sich vor,
"Guten Morgen. Mein Name ist Rosalie Ashter, ich ––"
"Ich weiß, wer Sie sind, meine Dame. Was führt Sie so früh und ohne vorherige Ankündigung zu uns? Fürchte, Seine Gnaden kann Sie gegenwärtig nicht empfangen."
Felixs recht unhöfliche Unterbrechung und seine kühle, distanzierte Stimme wirkten etwas beleidigend und sogar ein wenig herablassend, doch Rosalie hatte keine Zeit für einen Höflichkeitswettstreit; sie lächelte Damien's Gehilfen einfach höflich an, streckte den Arm aus und gab ihm den Brief, den sie in ihrer knochigen Hand hielt.
"Das ist in Ordnung, wie Sie treffend bemerkt haben, ich kam unangemeldet. Aber... Wären Sie so freundlich, diesen Brief Seiner Gnaden zu überbringen? Nur der Brief wird ausreichen."
Obwohl Felix gewöhnt war, Briefe von adligen Damen anstatt von seinem Herrn zu erhalten, konnte er nicht umhin, verwirrt zu sein, denn es war wirklich das erste Mal, dass eine adlige Dame wie Rosalie Ashter selbst einen Brief überbrachte, ohne auf die Hilfe der Zofen oder Butler ihrer Familie zurückzugreifen. Entgegen seiner Erwartung war er angenehm überrascht.
Der Mann nahm den Umschlag aus Rosalies leicht zitternden Händen entgegen, zögerte dann einen Augenblick, während er seinen nächsten Schritt überdachte, und verstaute ihn sorgfältig in der Innentasche seiner schwarzen Uniformjacke. Mit einem sanften Druck seiner Hand versicherte er den Damen, dass es unter seiner sorgsamen Aufsicht sicher sei.
"Nun gut, Lady Rosalie, ich werde dafür sorgen, dass Seine Gnaden den Brief erhalten. Gibt es noch etwas?"
Felixs tiefblaue Augen funkelten hinter seiner dünnen Brille, als er seinen scharfen Blick auf Rosalies gelassenes Gesicht richtete, und das Mädchen erkannte, dass sie die Einzelheiten seines Aussehens aus dem Roman völlig vergessen hatte.
'Ich erinnere mich an seinen Namen und seine Haarfarbe, aber sonst... Dies ist bereits das zweite Mal, dass ich mich bezüglich Damien Dio falsch erinnere.'
Lady Ashter spürte einen sanften Zug am Ärmel ihres Kleides, der sie in die Wirklichkeit zurückholte. Ihr Gesicht rötete sich vor Verlegenheit, als ihr klar wurde, dass sie einige Minuten still das Gesicht des Mannes angestarrt hatte, was sowohl Felix als auch Aurora in eine unangenehme Lage versetzte. Mit einem leichten Kopfschütteln verneigte sich Rosalie höflich und antwortete mit sanfter, aber selbstbewusster Stimme,
"Nichts weiteres, danke für Ihre Hilfe. Wir werden uns dann auf den Weg machen."
Das Mädchen zog sich wieder in die Kutsche zurück, und nahm dankbar die großzügige Hilfe des gutmütigen und aufmerksamen Felix an. Während ihr Dienstmädchen die Kutschentür schloss und den Kutscher anwies weiterzufahren, betrachtete Rosalie weiterhin das prächtige und weitläufige Gut durch das offene Fenster. Gefesselt von seiner Schönheit, ließ sie den Anblick nicht aus den Augen, bis er schließlich hinter dem dichten Morgenwald verschwand.
***
Felix Howyer spielte mit dem weißen Umschlag in seinen behandschuhten Händen und lief vor der Tür seines Herrn auf und ab. Er hatte Lady Ashter versichert, dass er ihren Brief umgehend zustellen würde, doch irgendetwas fühlte sich nicht ganz richtig an, was in ihm eine unerklärliche Welle der Nervosität auslöste.
"Er sollte nun mit seinem Morgentraining fertig sein... Ich frage mich, ob er heute bei den gegebenen Umständen guter Laune ist ––"
"Was murmeln Sie da vor sich hin?"Felix zuckte beim Klang einer tiefen, heiseren Stimme zusammen und drehte sich hastig um, wobei er beinahe das Gleichgewicht verlor und über seine eigenen Füße stolperte.
"Oh, Euer Gnaden, Ihr seid zurück!"
Damien hatte gerade sein morgendliches Schwertkampftraining beendet und kehrte nun nach einem erfrischenden Bad zurück. Leger gekleidet, trug er lediglich eine eng anliegende schwarze Hose, die seine starken, schlanken Beine hervorhob, und ein lockeres schwarzes Hemd mit offener Kragenleiste und einigen ungebundenen Seidenbändern, die seine breiten, wohldefinierten Brustmuskeln entblößten. Sein rabenschwarzes Haar, vom Bad noch feucht, hing wirr herab, während die langen, nassen Strähnen seine dunkelgoldenen Augen wie Vorhänge verdeckten und auf seiner leicht gebräunten Haut nasse Spuren hinterließen.
Herzog Dio ließ seinen kalten Blick über Felix' Hände gleiten und bemerkte einen weißen Umschlag, der an dessen schwarzer Jacke haftete, öffnete dann die Tür zu seinem privaten Arbeitszimmer und gab seinem Gehilfen mit einer raschen Kopfbewegung zu verstehen, ihm zu folgen.
Damien warf das nasse Handtuch auf die Ledercouch in der Raummitte, strich sein dichtes Haar zurück, sodass eine ausgeprägte Sorgenfalte zwischen seinen perfekt geformten Augenbrauen sichtbar wurde, und nahm Platz hinter dem breiten Eichenschreibtisch. Er lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte seine kräftigen Arme vor der Brust.
"Also, was macht dich heute Morgen so nervös?"
Felix atmete etwas erleichtert aus und legte Rosalies Brief vor den Herzog auf den Schreibtisch.
"Lady Ashter hat Euch einen Brief geschickt, Euer Gnaden."
"Lady Ashter, sagen Sie?"
Damien fuhr sich mit der linken Hand über das Kinn und drehte sich um, um aus dem Fenster hinter seinem Stuhl zu blicken. Er beobachtete einen weißen Strich, der sich unter dem dichten Blätter- und Astwerk hindurchbewegte, und als das Objekt schließlich in der Ferne verschwand, drehte er sich mit einem kühl distanzierten Tonfall wieder um.
"War es ihr Dienstmädchen, das den Brief brachte?"
Felix schüttelte den Kopf. "Nein, Euer Gnaden, es war die Ladyschaft selbst."
"Ist das so?"
Offensichtlich von dieser Antwort überrascht, griff Damien instinktiv nach dem Brief und zerriss den Umschlag rücksichtslos mit seinen langen Fingern. Seine tiefgoldenen Augen flogen scheinbar interesselos über den Inhalt des Briefes, und als sie am letzten Punkt anhielten, stieß der Mann ein spöttisches Schnauben aus und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht – sei es wegen der Belustigung, die der Brief auslöste oder wegen der Unverschämtheit der Absenderin.
"Felix..."
Damien schleuderte sowohl den Brief als auch den weißen Umschlag auf den Schreibtisch und schob sie zu seinem Assistenten.
"Verbrenne ihn. Und... stelle sicher, dass sich jenes Mädchen mir oder meinem Anwesen niemals wieder nähert."