Trotz Rosalies Befürchtungen rückte der Tag des kaiserlichen Banketts in einem Augenblick näher. Vor dem Spiegel stehend, bewunderte das Mädchen Auroras geübte Handarbeit, die sowohl Lady Ashter als auch ihr Kleid in ein exquisites, harmonisches Gespann verwandelt hatte. Ihre Porzellanhaut schimmerte dank einer leichten Schicht Puder und Rouge und kontrastierte stark mit dem kräftigen Rosarot ihrer vollen Lippen und den dichten schwarzen Wimpern. Ihr langes Haar war sorgfältig hochgesteckt, wobei einzelne leicht gewellte Strähnen aus dem Ensemble herausfielen und ihr einen gewissen nonchalanten Charme verliehen, während ihr langer schlanker Hals anmutig zur Schau gestellt wurde.
Das lange rote Kleid, das vor dem zerstörerischen Ausraster ihres Bruders gerettet worden war, wurde geschickt an Rosalies schmale Figur angepasst. Es fiel mühelos über ihre Oberschenkel und breitete sich elegant um ihre Füße. Das enganliegende Korsett schuf eine überzeugende Illusion von Kurven, und die verflochtene goldene Spitze zeichnete eine bezaubernde Darstellung von Blumen und Blättern. Obwohl dieses Kleid nicht mit der Pracht des von ihrem Bruder zerstörten mithalten konnte, hob Rosalies umwerfende Erscheinung es auf ein Accessoire, welches ihre ganze bezaubernde Ausstrahlung unterstrich.
"Lady Rosalie, was sollen wir mit Ihrem Hals tun? Er wirkt so kahl..." Das Dienstmädchen stand vor ihrer Herrin und präsentierte ihr zwei Halsketten, den Kopf nachdenklich zur Seite geneigt. Plötzlich schwang die Tür zu Rosalies Schlafzimmer mit einem lauten Knarren auf und enthüllte die imposante Gestalt Raphaels, der mit einer langen, in grünen Samt gehüllten Kiste auf sie zuging.
"Pack den Unsinn weg, Aurora. Ich kann es nicht zulassen, dass meine schöne Schwester den gleichen Schmuck zweimal trägt." Er wies Aurora an, den Raum zu verlassen, doch sie zögerte, bis Rosalie ihr mit einem aufmunternden Nicken versicherte, dass alles in Ordnung wäre. Nachdem die Dienerin die Tür hinter sich geschlossen hatte, öffnete Raphael die Samtschatulle und entnahm eine auffallend schöne goldene Halskette, besetzt mit kleinen, roten, tränenförmigen Edelsteinen, die wie winzige Blutstropfen an der dünnen Goldkette herunterhingen.
Er trat hinter sie, legte die Kette um ihren schlanken, blassen Hals und das Mädchen spürte seine kalten Finger, die sich über ihre Haut schlängelten wie abscheuliche Schlangen. Während er die Kette befestigte, beugte sich ihr Bruder näher, blickte über ihre linke Schulter und flüsterte mit Lippen, die ihr entblößtes Fleisch streiften: "Du siehst so gut aus in Rot, Rosalie. So gut, dass mir das Blut in den Adern gefriert, wenn ich daran denke, dass es für irgendeinen glotzenden Tölpel gedacht war."
Seine heißen Lippen wanderten ihren Hals hinunter und hinterließen feuchte Küsse bis zu ihren Schlüsselbeinen, während er weitersprach: "Mach dir keine zu großen Sorgen. Die Begegnung mit dem jungen Herzog Amado ist nur eine Formalität. Dein Bruder wird sich danach um alles kümmern. Das weißt du doch, oder?" Raphaels Lippen formten ein gemeines Lächeln, das Rosalie einen Schauer über den Rücken jagte. Sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals und presste ein einziges Wort hervor, das sie mit schwacher, heiserer Stimme aussprach: "Ja."
"Braves Mädchen." Endlich zog der Mann sein grinsendes Gesicht von ihrem zurück, platzierte seine Hände auf Rosalies Schultern und drehte sie um. "Und mach dir keine Sorgen wegen der Jagdbeutezeremonie. Dieses Mal habe ich eine Menge magischer Bestien gefangen, du wirst nicht enttäuscht sein." Rosalie zwang sich zu einem Lächeln und nickte: "Ja. Danke, Bruder."
Zufrieden mit dem Verhalten seiner Schwester, gab Raphael ihr einen sanften Kuss auf die Stirn, umschlang dann ihren zarten Arm mit seinem und sagte recht begeistert: "Dann lasst uns aufbrechen."***
Der kaiserliche Palast war ein grandioses architektonisches Meisterwerk des gesamten Rische-Imperiums und stand als beeindruckendes Zeugnis für Größe und Macht da. Seine majestätische Fassade erstreckte sich bis zum Horizont, verziert mit kunstvoll geschnitzten Steinsäulen und glitzernden Marmorwänden. Hoch aufragende Türme durchstießen den Himmel und ihre goldenen Spitzen leuchteten im strahlenden Sonnenlicht.
Üppige, akribisch angelegte Gärten umgaben den Palast, deren lebendige Blüten und duftende Aromen Besucher aus der ganzen Hauptstadt willkommen hießen. Ein prächtiger Eingang mit kunstvoll gestalteten Toren, bewacht von Rittern in prunkvollen Uniformen, lud zum Betreten ein. Näherte man sich, hallte das rhythmische Klappern von Hufen aus dem Hof herüber, wo Adelige und Höflinge in eleganten Kutschen ankamen.
Gemäß der Romanhandlung sollte das Bankett die erfolgreiche Rückkehr des Kronprinzen von seiner Jagdreise feiern, daher fand der erste Teil des Ereignisses in den kaiserlichen Gärten hinter dem Palast statt. Hier hatten die adligen Herren die Gelegenheit, ihre Jagdbeute zu präsentieren und sie der auserwählten Adelsdame zu überreichen, um ihre Zuneigung und Treue zum Ausdruck zu bringen.
Rosalie betrat in Begleitung ihres Bruders die kaiserlichen Gärten, und ihr Atem stockte fast, als sie das prächtige Schauspiel vor sich sah.
Der Hauptgarten entfaltete sich wie ein grüner Teppich, eine friedliche Oase, in der sich die Pracht der Natur mit fröhlichem Menschentrubel verband. Üppige, gepflegte Rasenflächen erstreckten sich bis zum Horizont, übersät mit strahlenden Blumen in einem Kaleidoskop von Farben. Hohe Bäume boten Schutz vor den Sonnenstrahlen, ihre Äste wiegten sich sanft im Wind.
Verschlungen Pfade führten zu versteckten Winkeln und malerischen Pavillons, in denen Adlige Zuflucht vor der lästigen Sommerhitze suchten. Lachen und Fröhlichkeit erfüllten die Luft und mischten sich mit den zarten Melodien von Musikern, die in der Ferne spielten.
Die kaiserlichen Gärten, wie vom Autor beschrieben, boten eine Zuflucht der Schönheit und Freude, eine bezaubernde Kulisse für das adlige Beisammensein.
Als ihr Blick über die exquisit gekleideten Adligen schweifte, konnte Lady Ashter ihr Gefühl der Distanzierung nicht abschütteln. In der Welt des Romans war Rosalie eine Außenseiterin, eine einsame Figur, gemieden von gesellschaftlichen Zusammenkünften und Feierlichkeiten. Nun, belastet durch die Anwesenheit eines noch größeren Außenseiters in sich, drückte das Gewicht der Einsamkeit auf sie, fast erdrückend.
'Ich sollte mich wohl nicht um soziales Beisammensein kümmern, egal welche Identität ich habe. Schließlich würde ich die Person sowieso nicht erkennen, wenn ich ihren Namen nicht höre.'
Ihre Gedankengänge wurden abrupt von Lord Ashters rauer Stimme unterbrochen, die ihren Namen in einem tadelnden Tonfall rief. In die Realität zurückgekehrt, richtete Rosalie ihre Aufmerksamkeit auf eine Figur, die in der Nähe stand - ein eher zierlicher und schmächtiger Mann, anscheinend Ende zwanzig. Sein blasser Teint und sein spärliches blondes Haar trugen zu seinem insgesamt bemitleidenswerten Erscheinungsbild bei.
"Rosalie, ich möchte Euch Seine Gnaden, den jungen Herzog William Amado, den ältesten Sohn von Herzog Vincent Amado, vorstellen."
William zog seine dünnen Lippen zu einem breiten Lächeln, das seine unerwartet großen und leicht schief stehenden Zähne enthüllte. Seine kalte, feuchte Hand griff nach Rosalies Hand und zog sie näher zu seinem Mund, um ihr einen Begrüßungskuss zu geben.
Als seine Lippen sich von ihrer Haut lösten, zwang sich Rosalie zu einem Lächeln, unterdrückte jedoch gleichzeitig den starken Drang, angewidert zurückzuzucken. Lord Amado deutete ihren Gesichtsausdruck jedoch als ein Zeichen der Wärme, was ihn dazu veranlasste, das Gespräch zu beginnen.
"MyLady, ich habe Euch schon früher bei feierlichen Anlässen gesehen, aber jetzt, wo Ihr so nah vor mir steht, fühle ich mich von Eurer himmlischen Schönheit gesegnet."
"Nun, ja, ich danke Euch... Mylord."
Seine süßlichen Worte ließen Rosalie vor Abscheu erschaudern. Sie starrte ihn weiter ausdruckslos an, sein ständiges und sinnloses Geplapper war nicht mehr der Mittelpunkt ihres Interesses, sie wartete nur noch darauf, dass es zu Ende war, als es plötzlich so aussah, als ob jeder einzelne Mensch in den Gärten gleichzeitig in das gemeinsame und ziemlich lebhafte Gespräch verwickelt war.
"Ist er das wirklich? Ist das wirklich Duke Damien Dio?"
Das nervöse Geflüster und das gedämpfte Gemurmel drangen an Rosalies Ohren und machten sie neugierig. Als sie den kollektiven Blick der Menge spürte, richtete sie ihre Aufmerksamkeit instinktiv in die gleiche Richtung. In diesem Moment weiteten sich ihre Augen, und sie spürte, как ihr Herzschlag in ihren Ohren vor lauter Vorfreude beschleunigte.
'... Er ist es ... Damien Dio. Er ist wirklich gekommen.'
'