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Chapter 4 - Ausrangierte Puppe

„Meine Herrin, geht es Ihnen nicht gut? Fühlen Sie sich erneut krank?"

Rosalie öffnete ihre Augen, als sie die besorgte Stimme ihrer persönlichen Zofe vernahm. Aurora war endlich zurückgekehrt und kniete nun unmittelbar vor ihrem Bett; ihre kühle, rauhe Hand lag auf der weichen Haut von Rosalies glatter Stirn.

Obgleich die kühle Berührung der Magd auf Lady Ashters Stirn angenehm war, konnte sie dennoch nicht das unangenehme Gefühl vertreiben, das Rosalie quälte, seit ihr Vater ihr mitgeteilt hatte, dass Raphael heute Abend zurückkommen würde.

„Das wussten Sie doch, nicht wahr? Deshalb sind Sie heute Morgen zur Parfümerie gegangen."

Rosalies kühle Stimme und das düstere Aussehen ihres Gesichts veranlassten Aurora, den Kopf auf die Brust zu senken und die Hände zum Gebet zu falten.

„Bitte verzeihen Sie mir, meine Herrin! Die Oberzofe hat mir den Auftrag erteilt, ich hatte keine Wahl, es tut mir so leid!"

Das junge Mädchen hegte keinen echten Groll gegen die Magd, schließlich bedeutete die Missachtung eines Befehls der Oberzofe die sofortige Entlassung, und Rosalie wollte keinesfalls die einzige Zofe verlieren, der sie vertraute. Daher warf sie Aurora nur einen missbilligenden Blick zu, richtete sich auf und rieb sich mit beiden Händen die pochende Stirn.

Aurora stand von ihren Knien auf und setzte sich neben ihre Herrin, deren Gesicht noch immer von Mitleid und Sorge entstellt war. Sie mochte nur eine einfache Dienerin sein, aber das Wissen, dass selbst ihre Stellung weit glücklicher war als die der jungen Herrin des Hauses Ashter, erfüllte sie mit Kummer.

„Was haben Sie dann gekauft? Im Bad gibt es doch noch genügend Öle und Puder."

„Jasminöl, meine Herrin…"

„Ah."

Raphael liebte den Duft von Jasmin auf Rosalies Körper, während Rosalie diesen Geruch als widerwärtig empfand. Deswegen verbrachte Aurora jeden Tag nach Raphaels Besuch damit, alles im Zimmer ihrer Herrin zu reinigen und zu waschen, um sicherzustellen, dass kein Hauch von Jasmin zurückblieb, der Rosalie Ekel bereiten konnte.

„Meine Herrin, als ich unterwegs war, habe ich noch roten Manoria-Tee besorgt. Das Dienstmädchen im Teeladen versicherte seine Wirksamkeit gegen Müdigkeit und Kopfschmerzen. Soll ich Ihnen jetzt etwas davon zubereiten?"

Rosalie formte ein schwaches Lächeln mit ihren vollen Lippen und nickte, doch schon bald überzog ein dunkler Schatten der Sorge ihr ganzes Gesicht.

„Moment, Manoria-Tee? Aber wie? Hat Ihnen die Oberzofe nicht einen genauen Geldbetrag zugeteilt? Und dieser Tee ist teuer!"

Aurora stieß ein leises Lachen aus und strich ihrer Herrin zärtlich über die Wange. Obwohl sie nur ein paar Jahre älter als Rosalie war, fühlte sie aufgrund der vielen Jahre der Fürsorge eine Art überwältigende elterliche Zuneigung zu dem Mädchen, zumal es sonst niemanden auf der ganzen Welt gab, der mit ihr seine Wärme teilen wollte.

„Ich habe mein gesamtes Gehalt für gerade einmal zwei Portionen dieses Tees ausgegeben. Aber ich dachte mir, es würde Ihnen heute besser gehen, wenn Sie welchen davon trinken…"

Tränen schossen Rosalie in die Augen, als sie in Auroras lächelndes Gesicht blickte. Aurora sprang auf, um ihre Herrin nicht in Verlegenheit zu bringen, und eilte aus dem Schlafzimmer mit dem Versprechen, bald mit einer schönen heißen Kanne des heilkräftigen Manoria-Tees zurückzukehren.Das Mädchen drückte ihre warmen Handflächen auf ihre zitternden Augenlider und seufzte.

"Ich muss tun, was die ursprüngliche Rosalie nicht konnte. Ich werde sowohl die Schurkin als auch ihr unglaublich gutherziges Dienstmädchen retten."

***

In "Acme Fever" gab es mehrere Bösewichte, jeder mit seiner eigenen Hintergrundgeschichte und Motivation, die den Protagonisten im Weg standen, ihr eigenes Glück und ihre Erlösung zu finden. Doch die Autorin brachte ihre Leser gleich zu Beginn des Romans auf die Palme, als Rosalie Ashter die Szene betrat. Und Wang Meiling war da keine Ausnahme.

"Die Autorin hat diesem armen Mädchen wirklich übel mitgespielt. Ihre Grausamkeit ist faszinierend."

Laut der ursprünglichen Handlung war die Familie Ashter einst glücklich. Emilia Vilmore, die einzige Tochter des sterbenden Viscount Vilmore, wurde mit dem jungen Marquess Ian Ashter verheiratet, um ihre Zukunft und ihren Adelsstand zu sichern. Obwohl sie Ian zunächst nicht liebte, war er bis über beide Ohren in sie verliebt, und seine unermüdliche Hingabe schien das Herz der jungen Frau schließlich zu erobern.

Raphael war das Produkt ihrer Liebe – ein gesunder Sohn, der von beiden Elternteilen gewünscht war. Seine Geburt forderte jedoch einen hohen Tribut von Emilias Gesundheit, von der sie sich auch nach einem dreijährigen Aufenthalt im Süden nicht vollständig erholen konnte.

Dennoch gelang es Emilia wieder schwanger zu werden, und neun Monate später brachte sie das schönste Kind zur Welt, das sie je gesehen hatte – eine reizende Tochter, deren Wangen und Lippen so rosa waren wie die blühenden Blumen am Wildrosenstrauch.

"Rosalie", sagte Emilia, während sie ihrer Tochter einen winzigen Kuss auf die Stirn drückte.

"Dein Name wird Rosalie sein. Und du wirst die wertvollste Blume im ganzen Reich Rische sein."

"War sie das wirklich?"

Rosalie schüttelte den Kopf, als wolle sie mit dieser Bewegung die Erinnerungen an die Romanhandlung abschütteln, und öffnete ihre rechte Handfläche, wobei sie eine noch frische, rosafarbene Narbe freilegte, die der scharfe Brieföffner vor etwas mehr als einer Woche hinterlassen hatte.

Anfangs schien es, als sei Rosalie ebenfalls ein begehrtes Baby – selbst der Marquess, der nur in Gegenwart seiner Frau Zuneigung zeigte, konnte Rosalies bezaubernden Gesichtszügen nicht widerstehen, während Raphael, ihr älterer Bruder, sich manchmal sogar weigerte, mit anderen Kindern zu spielen, um noch ein wenig länger bei seiner Mutter und Schwester bleiben zu können.

Nur drei Monate nach Rosalies Geburt war es mit der Familienidylle vorbei. Der Körper der Marquise gab schließlich auf, und Emilia Ashter tat ihren letzten Atemzug, während sie ihr Baby noch immer fest in den Armen hielt.

Das war der Beginn von Rosalies tragischem Leben – am Boden zerstört und mit gebrochenem Herzen konnte Ian nicht mehr dasselbe für seine Tochter empfinden, das Mädchen, das seiner Frau das kostbare Leben genommen hatte. Mit jedem Jahr, das verging, wurde er kälter und kälter gegenüber dem Mädchen und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf seinen Sohn. Raphael, der seine kleine Schwester liebte, vielleicht beeinflusst durch das kalte Verhalten und die Vernachlässigung seines Vaters, begann Rosalie zu quälen und zu schikanieren, sie wie eine ausrangierte Puppe zu behandeln, die nur er besitzen und besitzen konnte, und schließlich auf jede nur denkbare abscheuliche Art und Weise an ihr hing.

Rosalie war Raphaels Eigentum, und nur er konnte sie lieben. Und nur er konnte sie auch brechen.