Unter einem dünnen Umhang trug Yan Zheyun ein Gewand in Rottönen, dessen fließenden Wasserärmel mit fein gesponnenen Goldfäden bestickt waren. Der Schnitt war auf eine Weise androgyn, die Yan Zheyun als demütigend empfand, aber er zwang sich dazu, es zu ertragen. Die goldene Halbmaske trug er wie einen Schutz schild, der all die hässlichen Empfindungen verbarg, die in ihm hochkochten.
Ein dicker Gürtel, eingewebt mit kunstvollem Brokat, zog seine Taille eng und setzte ihre Schmalheit in Szene. Ein Requisitenschwert, welches bereits mehrfach von den Palastwachen kontrolliert worden war, hing locker an seiner Hüfte. Mit der linken Hand zog er die Kanten seines Umhangs fester um seinen Körper, um die Kälte fern zu halten.
Yan Zheyun konnte sich glücklich schätzen, dass Stilettos zu dieser Zeit noch nicht erfunden waren, und so tanzte er in weichen, flachen Schuhen, die Yu Lan extra für ihn anfertigen ließ – qualitativ hochwertig.
Aus dem Festsaal drangen Klänge herüber. Er hatte zuvor das Heroldsignal wahrgenommen, das die Anwesenheit des Kaisers ankündigte; möglicherweise war bereits das Essen serviert worden. Die Haupttür war geschlossen, und Yan Zheyun stand da und kam sich vor wie ein Narr. Sowohl die Wachen als auch die Diener warfen ihm abschätzende Blicke zu, als hielten sie ihn für einen weiteren Emporkömmling, der versuchte, sich ins Bett des vierten Prinzen zu schleichen, um ein Luxusleben zu ergattern.
Doch Yan Zheyun verfolgte größere Ziele. Er hatte es auf das Drachenbett abgesehen.
Wie lange er noch in der Reihe stand, neben Steward Yang, der es nicht für nötig befand, ihm auch nur einen Blick zu gönnen, war nicht sicher. Vermutlich war dieser nur dort, um ihn im Zaum zu halten und keine Katastrophe für das Wu-Haus heraufzubeschwören.
Je mehr Yan Zheyun darüber nachdachte, desto frecher erschien es ihm, dass Wu Shengqi den Sohn eines Kriminellen so freimütig als Geschenk anbot, wo sie es einst nicht gewagt hatten, Yan Zheyun Wu Bin als Diener zum Hof zu begleiten. Hatte die Besessenheit von Scumbag 2 Yan Zheyun den Mut dafür gegeben? Dachte er, der Kaiser würde ein Auge zudrücken, nur weil Yan Zheyun nichts weiter als ein machtloser Sklave war?
Sollte der Kaiser so weise sein, wie Yan Zheyun annahm, würde er vielleicht nicht dessen Tod befehlen – das wäre nicht großmütig – aber er würde ihn auch nicht in das Haus seines Bruders lassen.
Yan Zheyun rechnete damit, dass der Kaiser entweder auf sein Gesicht hereinfallen oder ihn in den Palast aufnehmen würde, um ihn nah bei sich zu behalten. Ganz nach dem Motto, dass man seine Feinde stets in der Nähe behalten sollte.
Nach gefühlt einer Ewigkeit, in der Yan Zheyun vor Kälte schauderte und seine Füße sich von den zierlichen Schuhen schmerzhaft gequetscht anfühlten, verstummte die Musik im Inneren des Saals.
Steward Yang rückte seine Haltung zurecht. „Mach dich bereit", sagte er, und ein Schauer aus Adrenalin lief Yan Zheyun den Nacken hinunter.
Im Inneren wurde geredet, was Yan Zheyun nicht entziffern konnte, und dann schwangen die Türen auf, gerade als die leisen Töne einer einsamen, eindringlichen Flöte zu spielen begannen. Die Lampen im Saal waren mit dunkleren Tönen gedimmt worden, und von der Decke hingen Stoffbahnen herab, die sich in der kühlen Frühwinterbrise wiegten. Der einzige hell erleuchtete Bereich war die Tanzplattform inmitten des Saals, auf die er nun mit bedachten Schritten zusteuerte.
Der letzte Ton der Flöte verlor sich in der Luft. Als sein Schuh die Plattform berührte, wurde die melancholische Atmosphäre von schweren, feierlichen Trommelschlägen durchbrochen.
Yu Lan hatte einen schönen Tanz choreografiert, wissend, dass ihr Darsteller ein Mann war. Statt eingängiger, verlockender Gesangseinlagen wählte sie, um Prinz Lanlings kriegerischen Hintergrund zu betonen, blendende Schwerttanzdarbietungen und herzzerreißende Eleganz als Teil der Routine.
Sie selbst war nicht nur Tänzerin, sondern auch Prostituierte, eine der bekanntesten im Land. Sie hatte einen Blick auf Yan Zheyun geworfen und wusste sofort, was Männer an ihm begehrten.
Wer konnte dem Reiz widerstehen, eine so stolze und schöne Kreatur von ihrem Sockel zu stoßen und sie mit ihren Händen zu beschmutzen?
Obwohl sie den Schnitt seines Kostüms bewusst feminin hielt, unterstrich sie Kraft und Stärke seiner Bewegungen und bewahrte dennoch eine geschmeidige Eleganz – und Yan Zheyun gelang es genau, diesen Effekt zu erreichen. Die Fußarbeit des Tanzes war nicht sonderlich kompliziert. Der Rhythmus war langsam und erhaben, schwer vom Gewicht des Krieges.
Im Zentrum der Bewegungen stand der Umgang mit dem Requisitenschwert. Yan Zheyun fühlte, wie sein Herz im Einklang mit der Musik gegen seine Rippen schlug. Er spürte, wie alle Blicke auf ihn gerichtet waren, und nahm sich vor, sie zu ignorieren, sie wie jedes Publikum zu behandeln, das er je auf Geschäftskonferenzen unterhalten hatte.
Das war leichter gesagt als getan. Doch sobald er begann, verblasste sein Bewusstsein für die Umwelt und er fand sich in den vertrauten Bewegungen wieder, die er Tag und Nacht so akribisch trainiert hatte.
Da er vor der kaiserlichen Familie auftrat, richtete Yan Zheyun seinen Blick zu Boden, denn es wäre eine Strafe ohne Gleichen, ihre Gesichter ohne Erlaubnis zu betrachten. Aber als er seinen Oberkörper so weit nach hinten beugte, dass er den Boden berührte, erhaschte er doch einen Blick auf die Gestalten auf dem Podest und erblickte aus dem Augenwinkel Schwarz und Gold.
Nur eine Person kam für diese Farbkombination infrage.Er hatte die richtige Wette gemacht. Der Kaiser war noch immer da und beobachtete ihn. Jetzt musste er nur noch sicherstellen, dass er seine Chancen nutzte.
Mit neuer Zielstrebigkeit bewegte sich Yan Zheyun motiviert. Das Spiel seiner Handgelenke, mit dem er das Schwert in schnellen, gleichmäßigen Spiralen gekonnt wirbelte, zeigte Stärke. Er tat dies mit einer solchen Geschwindigkeit, dass es schien, als hinterlasse das Schwert eine Illusion seiner selbst, die Klinge fächerte sich in einen Kreis auf, der als "Schwertblume" bekannt war.
Schwerttanz. Es war gleichzeitig die Technik des Schwertführens und des Tanzes, in harmonischem Gleichgewicht vereint. Der Körper des Gastgebers mochte weich und zart sein, die Seele in ihm war es nicht, und die Schärfe von Yan Zheyuns Wesen wurde offensichtlich in der sicheren, selbstbewussten Art, wie er seine Performance auf der Bühne präsentierte.
Alle Blicke, von Männern und Frauen gleichermaßen, waren auf ihn gerichtet. Auf dem Podium lehnte sich der vierte Prinz in seinem Sitz vor, unfähig, sein Verlangen nach diesem neuen Geschenk zu verbergen.
Und weil niemand es wagte, die Person neben ihm in der höchsten Position anzusehen, bemerkte niemand die brennende Absicht in der Tiefe des dunklen Blicks des Kaisers.
Das Lied näherte sich seinem Höhepunkt. Die Schwertblumen wichen einer rasenden Folge schneller, sich kreuzender Schläge, und Yan Zheyun hatte immer noch blaue Flecken an Armen und Beinen von den Fehlern, die er bis zu diesem Punkt immer wieder gemacht hatte. Doch dieses Mal unterliefen ihm keine Fehler mehr, die Bewegungen waren längst ein Teil seines Muskelgedächtnisses geworden. Er kombinierte diese komplizierten Armzüge mit drehenden halben Sprüngen, die sein Gewand schön auffächerten, das Rot fing den Schein der Lichter in verschiedenen Winkeln ein und ließ ihn wie einen Kriegsgott wirken, der herabsteigt, um das Schicksal der Schlacht zu wenden.
Selbst mit der Maske konnte jeder erkennen, dass seine Augen den Siegeswillen ausstrahlten.
Der Minister für Riten warf einen Blick auf den vierten Prinzen und freute sich über das unverhohlene Besitzansprüche auf seinem Gesicht. Sein Sohn hatte seinen Weinkelch so fest umklammert, dass er hätte zerbersten können, doch Wu Shengqi kümmerte sich nicht darum. Es würde eine wertvolle Lektion für Bin Er sein.
Liang Hui befand sich auf der anderen Seite des Raumes, verborgen hinter Paravent. Den Frauen des Hofes war es nicht gestattet, bei den Männern zu sitzen, und so konnte sie, obwohl sie die Musik hörte, den Tanz nicht sehen. Nicht, dass sie es wollte. Was gab es schon zu genießen an einem billigen Diener, der sich für das Vergnügen der Männer prostituieren musste? Sie verbarg ein selbstzufriedenes Lächeln hinter ihrer Hand und sah amüsiert zur Gemahlin des vierten Prinzen, deren Knöchel weiß vor Anspannung waren und deren Gesicht aschfahl erschien. Es sah nicht so aus, als würde Ihre Hoheit es jener kleinen Yan-Schlampe, die es gewagt hatte, ihre Söhne zu verführen, leicht machen, ein angenehmes Leben auf dem Landsitz des vierten Prinzen zu führen.
Solche Gedanken, teils neidisch, teils spöttisch, gingen den anwesenden Gästen durch den Kopf, doch Yan Zheyun hielt nicht inne, um über ihre Meinungen nachzudenken. Seine frühere Scham und seine Zurückhaltung waren geschmolzen und wurden durch die Ruhe eines stillen Sees ersetzt. Er war immer dann am besten, wenn er ein Ziel verfolgte, und es war eine seiner besonderen Stärken, sich aus seiner Komfortzone zu befreien und sich den Widrigkeiten direkt zu stellen.
Vielleicht würde der Kaiser seine Identität als Bedrohung ansehen und ihn töten lassen. Dann sei es so. Aber zumindest hatte er versucht, sich selbst zu retten.Das Trommeln wurde schneller. Yan Zheyuns Füße bewegten sich so hastig, dass sie nur verschwommen zu sehen waren, während er sich drehte, sein Gewand dabei weite Kreise zog und sein schwarzes Haar gleich einem Wasserfall herabfiel. Feine Glocken an seiner Kopfbedeckung sowie an den Armbändern und Fußketten erklangen, für andere kaum hörbar, doch dieses Geräusch hielt Yan Zheyun Gesellschaft und spendete ihm durch seine Vertrautheit Trost.
Er rückte immer näher an den Rand der Bühne, bis er gewiss in der Mitte des Saals stand, direkt vor dem Kaiser. Mit dem letzten betonten Dröhnen der Trommel kniete er nieder und verneigte sich, das Schwert als Stütze nutzend, ganz wie ein verwundeter Soldat, der seinem Herrn Huldigung erweist. Dies war nicht die Abschlussgeste, die Yu Lan für ihn vorgesehen hatte, sondern eine eigene, die er heimlich für sich einstudiert hatte. Selbst wenn er in den Harem eintreten und einem anderen in der Nacht dienen sollte, wollte Yan Zheyun, dass heute, hier bei diesem Fest, jeder anerkennen würde, dass auch er ein Mann war. Nicht gezwungen zu einer provokanten, unterwürfigen Pose, wie Yu Lan es geplant hatte, um alle Blicke auf sich zu ziehen.
Mit zitternder Hand griff er hoch und zog seine Maske ab.
Ein Raunen des Erstaunens ging durch die Halle. Die Damen, die wussten, dass die Vorstellung zu Ende war, aber nicht sehen konnten, was vor sich ging, warfen einander beunruhigte Blicke zu.
Yan Zheyun zwang sich, den Kopf gesenkt zu halten und versuchte, die hitzigen, gierigen Blicke, die über sein Gesicht huschten, zu ignorieren. Er wusste, dass das Geraune über mehr ging als sein Äußeres. Er war 14 gewesen, als sein Familie zu Fall kam und war alt genug, dass man seine Gesichtszüge wiedererkennen würde. Er konzentrierte sich darauf, seine Atmung zu regulieren, seine blassrosa Lippen leicht geöffnet, aus denen kleine, leise Atemstöße entweichten, die noch verführerischer auf sein Publikum wirkten. Doch statt sich zu beruhigen, schlug sein Herz schneller, als seine Nervosität wieder einsetzte.
Das war der Moment der Wahrheit. Sein Leben lag ganz in den Händen des mächtigsten Mannes des Reiches. Und würde dieser sich entscheiden, Yan Zheyun aufgrund seiner Herkunft von einem Sträfling zu töten oder ihn unbesehen dem vierten Prinzen zu übergeben, so könnte Yan Zheyun nichts anderes tun, als zu gehorchen.
"Ausgezeichnet—"
Yan Zheyun nahm den Anfang des überschwänglichen Lobes des vierten Prinzen wahr, doch es wurde jäh unterbrochen. Schweiß durchtränkte das Innere seiner Robe, rinnte ihm am Nacken hinab und bildete Bäche, die seinen Rücken hinunterliefen.
Dann vernahm er eine Stimme, die er gelegentlich in seinen Träumen gehört hatte, doch nie gedacht hätte, dass er sie hier und jetzt hören würde.
"Erhebe deinen Kopf," sagte sie, undurchdringlich und befehlend. "Lass diesen Herrscher dich betrachten."