Chereads / Die vier Wächter - Das Eisherz / Chapter 19 - Kapitel 18

Chapter 19 - Kapitel 18

"Rekruten!" begann der Kommandant Iratus, und allein dieses eine Wort ließ ein Kältegefühl über meinen Rücken laufen. 

"Heute beginnt eure erste Prüfung von vier weiteren. Ihr seid hier, um zu beweisen, dass ihr würdig seid, eine Gabe von Gott Narfi zu bekommen. Die Herausforderungen, die vor euch liegen, werden für manche unüberwindbar sein. Es gibt keinen Raum für Fehler. Und noch weniger für Schwäche."

Seine Augen glitten über die Menge, als wollte er jeden Einzelnen von uns einschätzen. Entweder bilde ich es mir nur ein oder sein Blick blieb wirklich einige Sekunden bei mir hängen. 

Dann fuhr er fort: "Dann kommen wir doch endlich mal zu der Orientierungsprüfung. Für jede Truppe steht vor dem Eingang eine Kutsche bereit. Ihr werdet dort hineingesetzt und in verschiedene Regionen gebracht. Dort müsst ihr euch Orientieren und innerhalb von 24 Stunden beim Mineneingang einfinden. Solltet ihr es nicht in der Zeit schaffen, werdet ihr an allen weiteren Prüfungen nicht zugelassen." Ein scharfer Blick und ein Nicken genügten, und die Rekruten begannen, sich in Bewegung zu setzen. Alle gingen in Richtung Haupttor. 

Vor dem Tor wartete für jede siebenköpfige Gruppe eine massive Kutsche. Ihre schwarz angestrichenen Holzwände glänzten feucht im Morgenlicht. Links und rechts im Inneren standen schmale Holzbänke. Kein einziges Fenster ließ Licht in die Kutsche; sobald die kleine Tür hinter uns zugezogen würde, wären wir von völliger Dunkelheit umhüllt. Wahrscheinlich war das Absicht – um uns die Orientierung zu nehmen.

Bevor wir einstiegen, wurde uns wortlos ein Glas mit einer trüben, bitter riechenden Flüssigkeit in die Hand gedrückt. "Trinkt sofort", sagte die Stimme eines Wächters monoton. Widerwillig setzte ich das Glas an die Lippen und verzog das Gesicht, als das Gebräu warm meinen Hals hinunter lief. Um mich herum schluckten alle schwer, merklich angespannt.

Ingrid und Ron stiegen als Erste ein, ihre Gesichter hart und konzentriert. Finly folgte ihnen. Er wirkte blass und unsicher. Sein Blick huschte nervös umher, als würde er jederzeit die Flucht ergreifen wollen. Kay hingegen schüttete das Getränk mit einem schnellen Zug hinunter, als wäre es Wasser, und stieg wortlos hinter Finly in die Kutsche.

Ich blieb dicht hinter Ryan und setzte mich auf die unbequeme Bank neben ihm. Zuletzt betrat Eldor die Kutsche. Einen Moment lang hielt er inne, sein Blick ruhte kurz durchdringend auf mir. Ich konnte förmlich spüren, wie er mich abwägte, als größte Schwachstelle für die Truppe, die er einschätzen wollte. Dann setzte er sich langsam mir gegenüber, und gerade dann schloss sich die Tür mit einem dumpfen Knall. Die Dunkelheit verschlang uns. Gut so. So musste ich zumindest sein Gesicht nicht die ganze Fahrt lang betrachten. 

"Na, seid ihr auch so aufgeregt wie ich?", fragte Finly, seine Stimme zitterte leicht.

Ron, der gegenüber saß, drehte sich schnaubend zu ihm. 

"Mach dir doch nicht in die Hose", sagte er rau. "Es hat doch noch nicht mal angefangen." Er lehnte sich lässig zurück, aber man hörte eine gewisse Anspannung in seiner Stimme. Nach kurzer Zeit gewohnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte zumindest einige Umrisse aller Personen erkennen. 

"Es ist nur... ich meine, was, wenn etwas schiefgeht?", stammelte Finly. "Wir haben keine Ahnung, was uns da draußen erwartet. Was, wenn..."

"Wenn was?", unterbrach Ron ihn harsch. "Du hast doch wohl nicht schon jetzt Angst? Wir haben doch dafür Jahre lang trainiert, verdammt! Reiß dich zusammen, bevor du hier allen auf die Nerven gehst."

Finly zuckte unter Rons Worten zusammen und senkte den Kopf. Ja, sie alle haben sich für diese Prüfungen Jahre lang vorbereitet, außer ich. Bevor die Stille wieder auf uns herabsinken konnte, sprach Ryan. 

"Hey, beruhigt euch", sagte er ruhig, aber bestimmt. "Wir sind ein Team, ja? Jeder hat seine Stärken. Finly, du hast genauso hart trainiert wie wir alle, und wir werden das auch gemeinsam als Team schaffen."

Finly sah auf, dankbar für Ryans Worte, nickte er ihm zu.

Ingrid schnaufte verächtlich. "Ja, alle haben ihre Stärken im Team, das uns weiterhilft, außer Valeria. Aber keine Sorge", sagte sie mit einem sarkastischen Lächeln, das man auch im Dunkeln spüren konnte. "Wenn uns eine blutrünstige Kreatur über den Weg läuft, werfen wir sie einfach als Ablenkung vor. Dann ist sie wenigstens zu was nütze."

Ich spürte, wie sich ein Knoten aus Wut in meinem Magen bildete, und öffnete den Mund, um ihr etwas entgegen zu schleudern, doch Ryan war schneller.

"Genug, Ingrid", sagte er streng. "Wir sind ein Team. Jeder hat hier eine Rolle. Niemand wird zurückgelassen oder geopfert." Eigentlich sollten solche Reden aus Eldors Mund kommen. Schließlich ist er hier der Anführer, aber er hält sich aus diesem Streit raus.

"Oh bitte", erwiderte Ingrid mit schneidender Stimme. "Ich sage nur die Wahrheit. Und wenn du das nicht verträgst, Ryan, dann sei wenigstens ehrlich zu dir selbst. Wir wissen alle, dass Valeria nur mitgeschleppt wird."

"Und was genau hast du bisher geleistet, außer blöde Sprüche zu reißen?" Die Worte waren aus meinem Mund, bevor ich sie zurückhalten konnte. Es herrschte einen Moment lang völliges Schweigen. Dann knirschte Ingrid laut mit den Zähnen, bevor sie Luft holte und etwas erwidern wollte, aber jemand kam ihr zuvor.

"Leute, ist euch auch schlecht?", unterbrach Finly die Spannung, diesmal klang seine Stimme noch weicher, fast verzweifelt.

"Finly", zischte Ron gereizt, "hör doch jetzt endlich auf mit deiner Jammerei."

"Mir ist wirklich schwummrig", erwiderte Finly leise. "Euch nicht?"

Ron wollte gerade eine bissige Antwort geben, als sich plötzlich Eldors tiefe Stimme aus der Dunkelheit erhob. "Es ist der Schlaftrunk", sagte er, völlig emotionslos.

"Was für ein Trunk?", fragte Ryan verwirrt.

"Der Schlaftrunk", wiederholte Eldor ruhig. "Wir werden gleich alle in einen tiefen Schlaf fallen. Oder dachtest du, sie setzen uns bei vollem Bewusstsein irgendwo ab?"

"Sie haben uns vergiftet?", rief ich alarmiert. Mein Herz begann schneller zu schlagen, und die Vorstellung, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, versetzt mich in Panik.

"Vergiftet?" Eldor ließ ein leises, abfälliges Lachen hören. "Nicht ganz. Aber ja, wir werden für einige Stunden bewusstlos sein."

Mir wurde schwindelig, und meine Augenlider fühlten sich schwer an. Ich sah, wie Finly schwankte und kaum in der Lage war, seinen Kopf aufrecht zu halten. Ron atmete bereits tief und gleichmäßig, er war eingeschlafen. Auch Ingrid war verstummt. Ryans Kopf fiel träge auf meine Schulter, sein Atem wurde langsamer.

"Eldor...", murmelte ich, während ich gegen den Schlaf kämpfte. "Warum... warum hast du das nicht früher schon gesagt, wenn du davon weißt?"

"Weil es nichts ändert", antwortete er mit müder Stimme. "Man kann nicht dagegen ankämpfen. Also verschwende deine Energie nicht."

"Ich... werde... es versuchen", murmelte ich schwach und spürte, wie meine Kraft nachließ. Eldor gähnte.

"Du bist stur", sagte er leise mit einem Lächeln auf den Lippen. "Aber spar dir deine Stärke für später. Der Winterwald wird härter als alles, was du je erlebt hast."

Seine Worte verschwammen, und bevor ich antworten konnte, zog mich die Dunkelheit endgültig in die Bewusstlosigkeit.

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Langsam blinzle ich gegen die blendende Sonne an, die sich durch die Baumwipfel stiehlt. Eine kühle Brise weht mir um die Nase und trägt den Geruch von feuchtem Schnee mit sich.

„Prinzessin, es ist Zeit aufzuwachen. Der Schönheitsschlaf ist vorbei."

Eine tiefe, vertraute Stimme rüttelt leicht an meinen Schultern. Mühsam öffne ich die Augen und blicke direkt in ein Paar eisblaue Augen, die mich mustern. Eldor. Natürlich. „Steh auf", befiehlt er, während er sich wieder aufrichtet und seine Waffen überprüft. „Der Schnee ist kalt. Du wirst auskühlen, und das können wir uns nicht leisten."

Verwirrt setze ich mich langsam auf und schaue mich um. Der Wald um uns herum ist dicht und still, die dicken Tannenäste biegen sich unter dem Gewicht des schmelzenden Schnees. Der Boden unter mir ist matschig, durchweicht von den letzten Tagen des Tauwetters. Die Sonne steht hoch am Himmel – es muss schon gegen Mittag sein. Der Frühling kündigt sich langsam an, doch hier im hohen Norden bleibt die Kälte selbst im Frühling hartnäckig, obwohl der Schnee größtenteils verschwindet.

Wir befinden uns auf einer kleinen Lichtung, mitten im Winterwald. Ingrid und Finly liegen noch bewusstlos auf dem Boden. Ron steht mit verschränkten Armen und finsterem Blick neben Eldor und mustert aufmerksam die Umgebung. Ryan sitzt neben mir, seine Hand an den Kopf gepresst, offensichtlich von den Nachwirkungen des Schlaftrunkes geplagt. Langsam zwinge ich mich, aufzustehen, um dem kalten, nassen Boden zu entkommen. Mein Kopf hämmert, als hätte ich die Nacht durchgetrunken – definitiv die Nachwirkung des Trunks.

Kay kann ich auf den ersten Blick nirgends entdecken. Komisch. Hier sind wir also jetzt. Mitten im Nirgendwo. Benommen. Und es ist kalt.

Als alle schließlich zu sich gekommen sind, ergreift Ryan als Erster das Wort, klopft sich den Dreck von den Hosen und sieht in die Runde. „Wo sollen wir lang? Hat irgendjemand einen Plan? Eldor?" Seine Stimme klingt entschlossen, aber man hört die Unsicherheit in seinem Tonfall.

Wir sammeln uns in einem lockeren Kreis und sehen uns gegenseitig fragend an, bevor unsere Blicke auf Eldor fallen, der wortlos bleibt, die Situation abwägend.

„Da ist Süden!" Ron deutet mit einem energischen Nicken in Richtung der Sonne.

Eldor wirft ihm einen knappen Blick zu und nickt langsam, als hätte er Rons Bemerkung schon längst vorausgesehen. „Wir müssen zuerst herausfinden, in welchem Teil des Winterwaldes wir uns befinden", sagt er ruhig, doch seine Stimme trägt den Tonfall eines Mannes, der es gewohnt ist, Befehle zu geben. „Die Mine, unser Ziel, liegt im Herzen des Waldes, bei unserer Kaserne. Der nördliche Teil ist von Gebirgen durchzogen, der südliche von dichten Wäldern. Da wir uns nicht in unmittelbarer Nähe zu einem Gebirge befinden, können wir davon ausgehen, dass wir nicht im Norden sind."

Er macht eine kurze Pause, sein Blick schweift über die Bäume, als könne er den Weg allein durch seine scharfe Beobachtungsgabe erkennen. „Aber wir wissen nicht, wie in Südost oder Südwest sind.", murmelt er nachdenklich. 

Ryan nickt zustimmend. „Also gehen wir in Richtung Norden und sehen, ob wir irgendwann auf einen Weg treffen?"

„Wir sollten zumindest in die Richtung aufbrechen", meint Eldor, während er mit der Hand eine Bewegung macht, die wie ein Befehl aussieht. „Aber wir müssen wachsam sein. Der Winterwald hat viele Fallen, und wir dürfen nicht die Nerven verlieren. Vor allem nicht, wenn wir die Mine erreichen wollen. 

„Und was ist mit Kay?" frage ich, von ihm fehlt weiterhin jede Spur.

"Ich bin hier.", brummt eine tiefe Stimme hinter mir. 

Erschrocken drehe ich mich um. 

"Ich hab mich umgesehen. Ich kenne die Gegend. Wir müssen nach Südost.", meint er und sieht uns abwartend an. Gespannt sehen alle zu Eldor. Es liegt bei ihm, ob er Kay vertraut und wir in die Richtung aufbrechen, die er zeigt. Kay sagt sonst nicht viel. Würde es nach mir gehen, würde ich ihm glauben. 

„Wieso kennst du dich hier aus?", fragt Eldor kühl. 

„Ich war hier schon oft unterwegs. Jagen."

„Wenn du dir sicher bist, vertraue ich dir.", er sieht kurz jeden einmal an, um zu prüfen, ob jeder mit seiner Entscheidung zufrieden ist. "Also gut, Ziehen wir los." Also setzen wir uns in Bewegung. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meinen Magen aus. Hier, mitten im Winterwald, umgeben von unbekannten Gefahren, kommt es nicht nur darauf an, die richtige Richtung zu finden – sondern auch, am Leben zu bleiben.