Seine Lippen sind weich und warm, und in diesem Augenblick scheint die Zeit für uns beide stillzustehen. Es ist ein zarter Kuss, voller Vorsicht, als ob wir beide Angst hätten, eine falsche Bewegung könnte den anderen verscheuchen, oder dieser Moment würde sich dann in Rauch auflösen. Meine Hände finden ihren Weg zu seinem Nacken, während er mich näher zu sich zieht. Die Welt um uns herum verschwimmt, wird bedeutungslos.
Als wir uns langsam voneinander lösen, bleibt unsere Stirn aneinander gelehnt. Seine gemischten blau-braunen Augen, tief und durchdringend, suchen meinen Blick. Für einen Moment gibt es nichts außer uns. All die Jahre des Verlangens, der Sehnsucht und des unausgesprochenen Wunsches in mir, ihm endlich alles zu gestehen, all die Sorgen in mir. Alles löst sich in Luft auf.
„Na, wen haben wir denn da?"
Erschrocken fahren wir auseinander, und ich fühle, wie mein Herz wild zu schlagen beginnt. Die vertraute tiefe Stimme dringt tief bis in meine Knochen ein. Eldor. Seine Augen, dunkel und undurchdringlich, ruhen auf mir, und ich spüre das Gewicht seiner Anwesenheit wie eine dunkle Wolke, die über uns schwebt. In schwarzer Uniform gekleidet steht er vor Ravens Bett. Ich erinnere mich an gestern, wie er mit mir gekämpft hat, und ich ihn sogar kurz überrumpeln konnte und jetzt… Jetzt steht er hier, ein Sturm aus Dunkelheit und Wut. Nicht mal annähernd kann ich mir vorstellen, jetzt gegen ihn anzutreten.
"Ich dachte, du wärst schwer verletzt. Aber wie es aussieht, geht es dir bestens.", ertönt seine vorwurfsvolle, tiefe Stimme, die an mich gerichtet ist. Sein Blick aber wandert langsam zu Raven. Etwas in seinen Augen verändert sich, aber er verbirgt es schnell.
Ich halte den Atem an. Was wird er tun, wenn er Raven erkennt? Das ist genau die Situation, die ich vermeiden wollte. Wenn Eldor weiß das Raven hier in der Kaserne ist, wird er ihn verhaften lassen. Sie werden ihn ins Gefängnis werfen oder gleich töten. Bei dem Gedanken schnürt sich meine Kehle zu. Wie soll ich das verhindern? Mein Blick springt zwischen den beiden Männern hin und her, und ich kann die angespannte Atmosphäre beinahe körperlich spüren. Für den ersten Moment wirkte der Prinz wütend und angespannt. Doch nach kurzer Zeit löste sich diese auf und er steckte lässig seine Hände in seine Jackentaschen. Als ob ihn nichts etwas ausmachen könnte. Er ist ganz und gar das gefühllose Monster, für das ich ihn halte.
„Wer ist der Glückliche, der dein Herz erobert hat?" fragt Eldor mit einem hämischen Lächeln. Er lässt keinem Zeit um zu antworten, sondern spricht mit einem abfälligen Ton weiter.
"... Raven Black. Lange nicht mehr gesehen."
Ravens Körper spannt sich an, als er seinen Namen sagt. Er erhebt sich vom Bett und stellt sich schützend zwischen Eldor und mir. Ich sehe, wie Raven seine Hände zu Fäusten ballen. Langsam setzte ich auch auf und versuche mich ein bisschen an Raven vorbei zu drängen, vergeblich. Es ist zu wenig Platz zwischen den beiden Betten, um nebeneinander zu stehen.
„Prinz Eldor," sagt er knapp.
In Vollgrößer stehen sich jetzt beide gegenüber. Raven ist aber ein paar Zentimeter kleiner als Eldor. Die Spannung in der Luft wird dichter, und ich fürchte, dass jeder unüberlegte Schritt ein Unheil heraufbeschwören könnte.
„Du kommst ganz schön rum, Valeria. Erst Rayn und jetzt dein bester Freund, wenn ich das richtig in Erinnerung habe", spottet Eldor und lässt seine Worte wie ein scharfes Messer durch die Luft schneiden. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.
„Das stimmt nicht!" zische ich zornig, doch sofort fühle ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Eldor lächelt wissend, und in seinen Augen blitzt eine gefährliche Freude auf. Das war die Bestätigung für ihn, auf die er gewartet hat.
„Das heißt wohl, dass du mich angelogen hast? Ich bin schockiert. Wird ja immer besser", sagt er mit übertriebenem, gespielten Sarkasmus in der Stimme. Jeder Satz von ihm ist wie ein Schubs, der mich näher an den Rand des Abgrunds bringt. Die ganze Zeit über hat er meine Lüge also durchschaut, dass ich nicht bei Rayn übernachtet habe, war ihm von Anfang an klar. Wären meine Wangen nicht bereits knallrot, würden sie sich spätestens jetzt vor Scham färben. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich suche verzweifelt nach den richtigen Worten. Was kann ich ihm geben, um Raven zu beschützen?
„Bitte, Eldor, ich habe..."
„Valeria, du lügst, bist nach der Sperrstunde noch unterwegs und schützt offensichtlich einen Bonarischen Feind in der Kasernen-Mine, wo diese Art von Menschen ausdrücklich verboten sind.", unterbricht Eldor mich mit einem herausfordernden Blick. Er ist sich seiner machtvollen Stellung hier komplett bewusst.
"Was mach ich nur mit dir? Und noch besser: Was mach ich mit ihm?"
Ravens Gesicht ist eine Maske aus Wut und Entschlossenheit. „Lass sie in Ruhe, Eldor! Das ist eine Sache zwischen dir und mir. "
Eldor lächelt kalt und genießt das Spiel zwischen uns. Für ihn ist das alles nur ein Spiel. Für ihn war immer alles nur ein Spiel.
"Bitte Eldor. Bitte sag deinem Vater nichts! Und auch sonst keinem etwas.", bettle ich ihn an, weil ich sonst auch nichts zu bieten habe.
Eldor zieht eine Braue hoch. Als ich seinen Vater erwähne, verzieht er kurz angewidert sein Gesicht.
"Was habe ich davon, außer riesigen Ärger wenn das ganze doch herauskommt?", fragt er mich.
"Ich gebe dir alles, was du willst.", flehe ich weiter und bei dem Gedanken, ihm das anzubieten, wird mir schlecht.
Eldor betrachtet mich einen Moment lang schweigend. Sein Gesichtsausdruck ist unergründlich, doch ich sehe das kalte Funkeln in seinen eisblauen Augen. Für ihn ist das hier tatsächlich nichts weiter als ein Machtspiel, bei dem er bereits gewonnen hat. Er genießt es, mich zappeln zu lassen, und ich weiß, dass jedes Wort, das ich sage, mich nur tiefer in seine Falle locken wird.
„Alles, was ich will, sagst du?", wiederholt er langsam, fast genießerisch, während er einen Schritt auf uns zukommt.
„Du weißt, wie gefährlich solche Angebote sein können, Valeria." Er lässt sich Zeit, wie ein Raubtier, das seine Beute erst in die Enge treibt, bevor es zuschlägt.
Ravens Muskeln spannen sich noch mehr an, als würde er jeden Moment auf Eldor losgehen, doch ich lege ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. Ein Konflikt mit Eldor würde Raven nur noch schneller ins Verderben stürzen.
„Ich...", setze ich an, doch Eldor hebt die Hand, um mich zu unterbrechen. Sein Lächeln wird breiter, als hätte er endlich beschlossen, wie das Spiel weitergeht.
„Drei Wünsche", sagt er plötzlich, und seine Stimme ist nun glatter, gefährlicher.
„Du schuldest mir drei Wünsche, Valeria. Für mein Schweigen. Für Ravens Freiheit." Er deutet mit einem Nicken auf Raven. „Und dafür, dass dein kleiner Ausflug nach der Sperrstunde nicht das große Thema des morgigen Tages wird."
Ravens Blick ist voller Sorge, und ich wünschte mir, der Boden unter meinen Füßen würde sich öffnen und mich verschlucken. Während Eldor triumphierend lächelt, frage ich mich, wie ich aus diesem Albtraum entkommen kann. Mein Herz schlägt immer noch schnell, und ich fühle, wie die Panik in mir aufsteigt.
„Drei... Wünsche?" frage ich, als ob ich mich verhört hätte, obwohl ich genau verstanden habe, was er meint.
„Richtig. Soweit ich mich erinnern kann, sind die bonarischen Sitten recht penibel, wenn es darum geht, ein Versprechen zu halten. ", sagt Eldor und lockert gelassen seine Schulter, indem er sie langsam in Kreisen bewegt.
„Du versprichst mir, dass ich drei Wünsche bei dir frei habe, und ich werde mein Schweigen bewahren. Vor meinem Vater, vor den Kommandanten, vor allen, die davon erfahren könnten."
Raven öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch Eldor hebt warnend einen Finger.
„Ich würde es mir gut überlegen, Raven. Dein Schicksal liegt gerade in den Händen der Prinzessin."
„Das ist Wahnsinn", murmelt Raven und seine blau-braunen Augen funkeln mich an, als wolle er mich mit Blicken davon abhalten, das Angebot überhaupt in Erwägung zu ziehen.
„Du kannst ihm nicht vertrauen, Valeria."
„Ich habe keine Wahl", flüstere ich zurück, während Eldor uns mit unverhohlener Belustigung beobachtet.
„Also gut", sage ich schließlich, meine Stimme zittert leicht, doch ich zwinge mich, Eldor direkt anzusehen. „Was sind deine Wünsche?"
Er lächelt siegessicher. „Als erstes will ich wieder in dein… in unser Zimmer wieder einziehen. Es ist echt anstrengend dich immer im Blick zu haben und das ist die einfachste Lösung dafür. ", sagt er schulterzuckend.
„Der Rest wird sich mit der Zeit ergeben. Egal wann und wo ich es verlange, du wirst mir jeden Wunsch erfüllen. Ohne Fragen. Ohne Zögern."
Mir wird übel bei dem Gedanken, was Eldor alles verlangen könnte. Die Unsicherheit darüber, was er von mir erwarten wird, nagt an mir. Aber ich weiß, dass ich keine Wahl habe. Wenn ich Raven schützen will, muss ich mich Eldor beugen. Mit ihm in einem Zimmer leben.
„Und bis dahin...", fährt er fort, während er seine Hände wieder in die Taschen seiner Jacke steckt und mich mit diesem selbstgefälligen Lächeln ansieht,
„...warte ich geduldig. Ach, und Valeria? Vergiss nicht, dass ich schon immer ein gutes Gedächtnis hatte. Einen falschen Schritt, und ich sorge dafür, dass du und dein Freund hier nicht mal mehr einen letzten Wunsch äußern könnt.", droht er uns ohne mit der Wimper zu zucken.
„Ich bin gespannt, welche Wünsche du mir erfüllen wirst, Valeria. Aber keine Sorge, ich werde es dir leicht machen. Fürs Erste."
Mit diesen Worten wendet sich Eldor ab und verschwindet wieder hinter dem Vorhang, so wie er gekommen ist. Seine Schritte hallen leise durch die sonst leere Krankenstation. Der Raum scheint plötzlich eisig kalt zu sein, und die Stille, die bleibt, ist bedrückend.
Raven tritt sofort vor mich, seine sonst warmen Augen brennen vor Wut. Ratlosigkeit liegt in seinem Blick.
„Valeria, das hättest du nicht tun dürfen. Du weißt nicht, was der Prinz alles in seinem Kranken-Kopf ausdenken wird."
„Ich weiß", flüstere ich und schlinge meine Arme um mich selbst, als könnte ich so die Angst abschütteln. „Aber ich hatte keine andere Wahl."
Ravens Blick wird weicher, doch die Sorge bleibt. Behutsam nimmt mich Raven in den Arm und drückt mich fest an seine warme Brust. „Was, wenn er dich zu etwas zwingt, das du nicht tun kannst?", fragt mich Raven nuschelnd, weil sein Mund so dicht an meinem Haar ist.
„Dann...", beginne ich, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. Die Wahrheit ist, ich weiß es nicht. Was habe ich nur getan?