Ich blinzelte. Meine Augenlider sind schwer wie Blei, und es kostete mich Mühe, sie zu öffnen. Das gelbliche Licht der Laternen war gedämpft, sanft, aber es schmerzte trotzdem in meinem Kopf. Alles um mich herum wirkte seltsam verschwommen, als wäre die Welt in Watte gehüllt.
Wo bin ich? Meine Glieder fühlten sich taub an, als wären sie festgebunden, obwohl ich wusste, dass das nicht der Fall war. Ein stechender Schmerz hämmerte in meinen Schädel.
„Ah, Sie sind endlich wach." Eine sanfte, weiche Stimme drang an mein Ohr, ruhig und beruhigend. Eine Heilerin beugt sich über mich, aber ihr Gesicht blieb unscharf. Ich sah nur die Umrisse ihres für Heiler typischen hellgelben Gewandes und ihre warmen bläulichen Augen, die mich aufmerksam musterten. Ihre Hände legten sich vorsichtig auf meinen Kopf. Sofort spürte ich die Magie, die aus ihren Fingern zu meiner Kopfverletzung strömte. Eine wohlige Wärme breitet sich um meine Wunde aus und der Schmerz linderte sich sofort. Sie zieht ihre Hände wieder zurück.
Ich versuchte zu sprechen, aber meine Kehle war trocken und rau wie Sandpapier. Nur ein schwaches Krächzen kam heraus.
„Trinken Sie etwas." Die Heilerin hob vorsichtig einen Becher Wasser an meine Lippen. Dankbar nahm ich ein paar kleine Schlucke, das Wasser kühlte meinen brennenden Hals.
„Was…" Meine Stimme klang fremd in meinen Ohren, brüchig und schwach.
„Was ist passiert?"
Sie zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.
„Sie wurden nach einem schweren Kampf bewusstlos hierher gebracht. Aber Sie sind in Sicherheit. Ruhen Sie sich aus. Ich habe ihren Körper so weit es geht geheilt, aber der Verstand braucht immer nach Heilungen etwas Zeit, um alles zu verarbeiten. Am besten hilft ein langer erholsamer Schlaf dagegen."
Dan. Schießt mir ein Gedanke in den Kopf.
Der Kampf mit ihm. Die Erinnerung kam langsam zurück, als würde sie durch einen dichten Nebel brechen.
Wie bin ich hierher gekommen? Wo ist Raven? Warum bin ich nicht tot? Die Fragen jagten durch meinen Kopf, aber alles war zu wirr, zu verschwommen.
Die Heilerin war verschwunden.
Eine Präsenz am Fußende des Bettes zog meine Aufmerksamkeit auf sich.
Selbst benommen erkannte ich die Gestalt sofort: Eldor.
Er stand da, mit verschränkten Armen, seine breiten Schultern wirkten noch mächtiger in der Halbdunkelheit. Sein Gesicht war wie immer unlesbar, seine Augen wachsam, kalt vielleicht, aber irgendwie… besorgt?
Nein, das konnte nicht sein. Eldor zeigte nie Schwäche. Nie.
„Eldor…" Mein Flüstern schien den Raum kaum zu füllen, doch ich wusste, dass er mich gehört hatte. Sein Blick traf meinen, scharf und prüfend. Da war etwas in seinen Augen, das ich nicht ganz deuten konnte—etwas, das nur für einen Moment aufflackerte, bevor er es wieder verbarg.
Er trat näher, sein Gesichtsausdruck blieb jedoch unverändert.
„Du hättest vorsichtiger sein sollen. Ich habe dir doch gesagt, dass dich andere ins Visier nehmen werden.", sagte er mit dieser ruhigen, kontrollierten Stimme, die er meistens hatte.
„Du bist wichtig für… m… für unser Team."
Seine Worte klangen nüchtern, fast sachlich, aber ich spürte die Spannung in seinem Ton. War das Sorge?
Nein, das war undenkbar. Eldor kümmerte sich um das Wohl der Truppe, das war alles. Er ist ein guter Anführer, aber ich werde nie vergessen, welches Monster in ihm steckt. Menschenleben zählen für ihn nicht viel.
Ich wollte ihm etwas entgegnen, fragen wo ich mich befinde oder wenigstens, was genau passiert war, aber die Müdigkeit überwältigte mich wieder. Mein Körper fühlte sich schwer an, der Nebel kehrte zurück.
„Ruh dich aus", sagte er ruhig. „Wir reden, wenn du wieder bei Kräften bist."
Dann drehte er sich um und ging, ohne ein weiteres Wort. Verschiedene Gedanken kreisen in meinem Kopf umher, bis die Dunkelheit mich wieder umschloss.
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Raschelnde Geräusche wecken mich wieder. Der pochende Schmerz in meinem Kopf ist verschwunden. Müde blinzle ich und reibe mir die Müdigkeit aus den Augen. Durch das Fenster links neben mir kann ich nach draußen sehen. Die Sonne scheint hell und ist bereits hoch am Horizont aufgestiegen. Es ist ein schöner Tag. Rechts von mir hängt ein weiß vergilbte Vorhang und versperrt mir die Sicht. Ich liege zugedeckt auf einem Krankenbett. Habe aber immer noch die gleiche Uniform an. Bin ich auf der Krankenstation der Kaserne? Aber wie bin ich hierher gekommen?
Neben mir steht eine Heilerin. Sie ist wohl der Ursprung der raschelnden Geräusche. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor. Habe ich sie schon mal gesehen?
"Prinzessin Valeria, sie sind wach.", lächelt sie mich an.
"Ich habe sie gestern Nacht behandelt. Können Sie sich noch an mich erinnern?"
Langsam schüttle ich den Kopf.
"Oh keine Sorge, das ist nichts Ungewöhnliches, Müdigkeit und Gedächtnisverlust sind meistens Teil der Nebenwirkungen der Heilmagie.", fährt sie heiter fort. Ihr gelbes Kleid strahlt in der Sonne förmlich, sodass ich meine Augen zusammenkneifen muss, um nicht davon geblendet zu werden.
"Ich bin übrigens Tira, eure Hoheit."
Eure Hoheit? So hat mich schon lange keiner mehr hier in Nordela genannt. Nur die Königsfamilie hier durfte so genannt werden. Aufmunternd lächelt mich Tira an. Untypisch für Nordela hat sie hellblonde Haare, diese hat sie zu einem geflochtenen Kranz hochgesteckt. Sie war recht klein, höchstens 1,60m groß. Ihre großen runden grau-blauen Augen wirkten freundlich und aufgeweckt. Ihr Alter schätze ich auf Ende zwanzig.
Moment. Sie ist Heilerin? Die Gabe der Heilung wird nur in der Minde in Bonaris verliehen.
"Du bist Heilerin? Aber das heißt doch…"
Eifrig nickt sie.
"Ja, ich komme aus Bonaris. Nach dem Angriff auf unser Dorf wurde ich hierher gebracht. Soweit ich weiß sind alle Heiler, die man finden konnte, aus dem Land gebracht worden.", erklärt Tira mir. Auf ihrem zuvor so glücklichen Gesicht erscheint nun Schmerz bei den Erinnerungen daran.
"Es tut mir leid. Das wusste ich nicht. Ich wollte nicht…", entschuldige ich mich dafür, ihre seelischen Wunden wieder aufgekratzt zu haben.
"Muss es nicht, eure Hoheit. Sie können ja nichts dafür."
"Nenn mich doch bitte Valeria.", biete ich ihr an. Glücklich lächelt sie mich an.
"Aber gerne doch, Eure… Ich meine Valeria." Die Heilerin legt ein Tablett mit Essen auf meinen Nachttisch.
"Ich war eigentlich nur hier, um ihnen das Essen zu bringen und zu sehen, wie es ihnen geht. Aber offensichtlich sind sie soweit gut genesen. Sobald Sie sich bereit fühlen aufzustehen, können Sie jederzeit die Krankenstation verlassen. Aber ich bitte darum besser aufzupassen, man weiß nie, wen man hier über den Weg läuft. Am Besten halten sie sich einfach in der Nähe des Mannes, der sie hierher gebracht hat. Er schien sich Sorgen um sie zu machen." Sie notiert sich etwas auf einem Klemmbrett. Unruhig sieht sie sich über die Schulter. Eine andere Person, die vielleicht ein Doktor oder eine Krankenschwester ist, kommt in Sichtweite und wirft einen strengen Blick auf Tira. Schnell verabschiedet sich die kleine Heilerin von ihr und verschwindet hinter dem Vorhang. Obwohl ich noch viele Fragen an sie habe. Von welchem Mann hat sie geredet? Von Raven? Hat er mich hierher gebracht?
"Val? Bist du das?", fragt eine Stimme hinter dem Vorhang. Ich werfe die Bettdecke von mir und schwinge die Beine über die Bettkante.
Mit einem tiefen Atemzug beuge ich mich vor und ziehe den Stoff zur Seite. Mein Herz setzt für einen Moment aus, als ich ihn sehe. Raven.
Er liegt im Bett neben mir. Seine blau-braunen Augen ruhen aufmerksam auf mir, und ein schwaches Lächeln umspielt seine Lippen.
„Val. Wie geht es dir? Ist alles wieder in Ordnung?", sagt er leise, seine Stimme belegt mit Schuld. Er sieht aus, als wäre er gerade einem Albtraum entkommen. Aber ich entdecke keine sichtbaren Verletzungen an ihm.
"Valeria dich dachte kurz, ich würde dich wieder verlieren. Das ist alles meine Schuld. Wir hätten niemals auf diese Kerle zugehen dürfen. Ich habe diese Situation komplett unterschätzt. Das ist alles meine Schuld."
Ich blinzle, unfähig zu begreifen, was hier passiert. Raven, mein bester Freund, setzt sich auch an seine Bettkante. Unendlich viel Schuld liegt in seinen Augen. Er meidet meinen Blick.
„Was... was ist passiert?", frage ich vorsichtig. Meine Stimme klingt fremd. Ist immer noch rau.
„Wir haben nur knapp überlebt", sagt er und blickt dabei auf seine Finger auf seinem Schoß.
„Als Dan dich auf den Boden geschleudert hat, dachte ich kurz… Du wärst… tot."
Ich kann seine Schuldgefühle förmlich spüren. Ohne nachzudenken, stehe ich auf und setze mich neben ihm auf sein Bett. Kurz dreht sich mein Kopf, aber das ignoriere ich gekonnt. Meine Hand greift nach seiner und ich drücke sie fest.
„Ich kann mich an den Aufprall erinnern. Der Schmerz in meinem Kopf. Danach ist alles schwarz. Wie sind wir hierhergekommen?", frage ich behutsam.
Raven blickt endlich wieder in mein Gesicht, immer noch geplagt von Schuld. Er beugt sich leicht zu mir, seine Augen wirken besorgt.
„Die drei Typen haben mich festgehalten und auf mich eingeschlagen. Ich habe versucht, dir zu helfen, aber ich habe versagt…" Er stoppt mit seiner Erzählung. Ich sehe sein Gesicht vor mir, sein Blick ist durchdringend. Er sucht nach den richtigen Worten, als würden seine nächsten Sätze alles ändern.
Seine Hand auf meiner fühlt sich warm an, und für einen Moment entspanne ich mich. Wir haben überlebt. Ist das nicht das Wichtigste? Aber gleichzeitig kommt das Gewicht seiner unausgesprochenen Worte zurück. Neugier drängt sich an die Oberfläche.
„Raven…" Ich schlucke, spüre, wie mir die Kehle zuschnürt. „Was ist los?"
Was verschweigt er mir?
Er starrt mich einen Moment lang an, sein Blick weich, aber auch prüfend.
"Ich dachte, ich würde dich endgültig verlieren. Das könnte ich nicht nochmal aushalten."
„Du wirst mich nicht mehr so leicht los", sage ich leise, um die Stimmung aufzulockern und drücke seine Hand fester.
Seine Mundwinkel wandern ganz leicht nach oben. Mein Herz flattert bei diesem Anblick.
"Mir ist eins klar geworden. Als ich dich da liegen sah, ging mir nur eins durch den Kopf. Mir wurde eins schlagartig bewusst."
Seine freie Hand wandert zu meiner Wange. Leicht streifen seine Finger über meine Haut.
"Ich… ich mag dich. Du bedeutest für mich alles, Val."
Seine Nasenspitze berührt die meine, so nah sind wir uns mittlerweile.
Mein Atem stockt. Die Welt um uns herum scheint stillzustehen, als wären nur noch wir beide übrig. Sein Geständnis hallt in meinem Kopf wieder, und für einen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll. Worte fühlen sich plötzlich so klein an. Träume ich?
„Raven…" flüstere ich und schließe die Augen, spüre seine Nähe, seine Wärme. Diesen Moment habe ich mir so oft in meinem kleinen Zimmer im Schloss vorgestellt. Er empfindet das Gleiche wie ich. Eine Explosion aus Glück und Freude breitet sich in mir aus.
Er legt sanft einen Finger auf meine Lippen und schüttelt leicht den Kopf.
„Du musst nichts sagen. Ich wollte es nur… rauslassen." Seine Stimme klingt brüchig, als ob er selbst nicht sicher ist, ob das die richtigen Worte sind.
„Wenn du nicht so fühlst wie ich, ist es okay. Ich wollte nur, dass du es weißt."
Das Geräusch meines Herzschlags pocht in meinen Ohren. Alles an ihm, seine Worte, seine Berührungen, zieht mich tiefer in diesen Moment, und doch kämpfe ich innerlich. Ist es wirklich das Richtige? Wie kann ich jetzt nach so langer Zeit immer noch zögern? Ohne groß nachzudenken, schließe ich die Lücke zwischen uns und lege meine Stirn gegen seine. Ich nehme all meinen Mut zusammen.
„Du bedeutest mir auch alles, Raven", sage ich. Diese Worte fühlen sich befreiender an als alles andere auf der Welt.
Sein Gesicht hellt sich auf, als könnte er den Sturm in meinen Gedanken spüren, der sich langsam legt. Nach all den Jahren. Dann schließt er die letzten Zentimeter zwischen uns und legt seine Lippen auf meine.