Chapter 5 - Kapitel 5

Sie wurde wach durch das beständige wiegen, stärker als sie es in Erinnerung hatte, doch sie hörte weder die Stille ihrer Zelle, noch das fluchen andere Zellengenossen. Sie vernahm stattdessen Geräusche die sie nie zuvor gehört hatte, entferntes Murmeln, das Hufgetrappel von Pferden, und durch ihre geschlossenen Augenlider merkte sie, dass es heller war als dass was sie gewohnt war.

Ganz langsam öffnete sie ihre Augen, die Wärme des Jungen umschloss sie noch immer und gab ihre Sicherheit. Sie saß auf den Schoß der Jungen, mit ihren Händen um seinen Hals gelegt, wie ein Koala war sie an den Jungen geschnallt. Als er merkte, dass sie wach war, murmelte er ihr ein beruhigendes „Shh... alles ist gut" zu. Verwirrt versuchte sie sich von ihm zu lösen doch er umklammerte sie nur noch fester. Sie gab auf und blickte zum Fenster, nun ergab sich vor ihr eine ganz neue Welt. Die Kutsche in der sie saß war pompös eingerichtet, die Sitze mit schwarzem Samt überzogen, die Fester mit schwarzem Metall umrahmt, und da war das „Draußen" ihre Augen wurden immer größer während sie aus dem Fenster sah. Menschen, andere Menschen, die weder Sklaven noch Werter waren, die nicht der Mister waren. Frauen, Kinder, Männer, Häuser, Geschäfte, andere Kutschen die vorbeifuhren. Es war zu viel um es zu verarbeiten, und sie war sich sicher, dass sie nur träumte, wieso sollte sie mit dem Jungen der eben noch in ihre Zelle geworfen wurde in einer Kutsche sitzen. Wieso sollte sie ihr zuhause verlassen, ihre gewohnte Routine. Als sie ihn unbewusst an sich zog, verwirrt und entblößt von dem Chaos, dass vor ihr lag, dem Ungewissen, spürte sie einmal mehr seinen beständigen Herzschlag, und die Wärme seines Gesichts, dass er in ihrer Schulter vergrub. Da traf es sie, das ist real und kein Traum. Sie begann zu zittern, zuerst ganz leicht, bis es sie dann am ganzen Körper schüttelte. Der Junge begann nachdem er ihr kurz in die Augen gesehen hatte wieder damit sie leicht zu wiegen, und ihr wieder beruhigende Worte zuzuflüstern. Er hielt ihr die Ohren zu während er fest gegen die gegenüberliegende Bank trat, kurz fluchte und „Schneller!" zum Kutscher rief. Als er ihre Ohren wieder freigab hörte sie nur ein „Jawohl Master" und die Kutsche wurde um vieles schneller als die anderen in ihrer Umgebung. Der Junge bemerkte, dass sie erst zu zittern begann nachdem sie hinausgeblickt hatte, also schloss er den Vorhang an beiden Fenstern der Kutsche. Plötzlich war ihre Welt war wieder dunkel, und kleiner, sie konzentrierte sich auf seinen Herzschlag und darauf gleichmäßig zu Atmen. Er und sie waren allein, die Menschen draußen und deren Welt waren ausgeschlossen. Sie begann sich sicher zu fühlen und beruhigte sich langsam wieder, bis sie irgendwann einschlief, seine stetige Atmung als ihr Wiegenlied.

 

Das nächste Mal, dass sie wieder zu sich kam war als der Junge, sie noch immer umklammert, aus der Kutsche hinaustrug, ihr Kopf auf seiner Schulter sah sie wie sich die Kutsche hinter ihnen langsam entfernte und ihr Blick fiel den riesigen Wald der hinter der Kutsche zum Vorschein trat, die Bäume waren in einem satten Grün, und man konnte durch ihre dichte nicht weit in den Wald hineinsehen. Dann fiel ihr der Himmel auf, der Himmel den sie so lange nicht mehr gesehen hatte. Die Sonne war dabei unterzugehen und tauchte alles in ein violett, es war wunderschön. Sie sog den Anblick auf und konnte sich erst losreißen als sie den blonden schlaksigen Mann bemerkte. Er hob sich aus seiner Verbeugung, er stand noch bei dem Eingang der Kutsche, und als ihre Augen sich trafen lächelte er ihr zu. Er hatte einen langen schwarzen Mantel an, der die Werter-Uniform verdeckte. Sie wusste nicht wie sie auf seine Geste reagieren sollte und starrte auf den Boden. Sie sah sonst niemanden und ihr wurde klar, dass er wohl die Kutsche geführt hatte. Wieso sollte ein Werter so etwas tun? Waren die zwei dort um sie zu befreien?

Den Gedanken schob sie unwillkürlich ganz weit weg, sie wusste nicht warum aber sie war sich sicher, dass dieser Gedanke sehr gefährlich für sie war. Ihr war weiterhin Unbekannt wohin der Junge sie trug da sie in die andere Richtung sah, sie drehte sich um. Vor ihr war eine riesige Villa, nein es war ein Schloss, graue Ziegel schwarzes Metall, dass sie um die Fenster zog und Schnörkel in die Scheibe eingearbeitet waren, ähnlich wie bei der Kutsche. Raben aus Stein geiferten sie an, die Eingangstür die eher als Tor bezeichnet werden sollte tiefschwarz mit bronzenem Türgriff der zu hoch war als dass sie ihn erreichen hätte können. Sie war sprachlos und ergab sich dem Anblick, dreht sich wieder um, um ihr Gesicht in der Schulter des Jungen zu verstecken. Sie spürte wie er über ihr Verhalten lächelte, auch wenn sie ihn nicht sah.

Als das Tor für sie geöffnet wurde, betraten sie die Eingangshalle, und seine Schritte hallten durch die Stille. Sie hätte schwören können, dass niemand sonst da war, doch im nächsten Moment begrüßten sie im Chor der Satz „Willkommen Master". Sie hob ihren Kopf und sah die Bediensteten aufgereiht links der Dienstmädchen, rechts die Butler. Auch der schlaksige Mann war mit ihnen eingetreten. Der Junge sagte schroff „Bereitet ein Bad vor." Er erklimmte mit ihr eine scheinbar unendlich lange Treppe und ging nach links einen langen Gang hinunter. Er öffnete irgendwann eine Flügeltür und legte sie auf ein weiches Bett. Als sie sich umsah bemerkte sie, dass außer einem Teppich und einem schwarzen Himmelbett sowie einem Schreibtisch und einem Kamin nichts in dem Zimmer war. Nicht dass sie Bilder erwartete oder Blumen, sie wusste garnichtmehr wie Blumen aussahen nur dass sie schön waren, aber das Zimmer wirkte merkwürdig leer, trotz dem Mobiliar. Eine riesige warme dunkelblaue Decke wurde um sie gelegt, und der Junge war erst zufrieden als er sie völlig damit eingewickelt hatte. Er legte den Kopf schief als er sicher ging, dass sie nicht frieren konnte. Dann nickte er, wie zu sich selbst, und setzte sich zu ihr.

Das war das erste Mal, dass sie seine Stimme in einem beständigen warmen Ton hörte, nicht am Abgrund der Verzweiflung wie in der Zelle, nicht flüsternd wie in der Kutsche, und nicht befehlend wie zu den Angestellten. Freundlich und in Samt gehüllt um sie nicht zu zerbrechen, ohne Angst sich an ihren Scherben zu schneiden. „Mein Name ist Gabriel und dass hier ist jetzt dein Zuhause." Er stockte kurz und presste seine Lippen zusammen „Niemand wird dir hier weh tun." Kurz fackelte unbändige Wut in seinen violetten Augen auf, die plötzlich schwarz wirkten. Schnell stählte sich sein Gesicht wieder bevor es weicher wurde als er seine Augen über ihr Gesicht wandern ließ. Sie mochte eigentlich keinen Augenkontakt mit anderen, doch mit dem violett in seinen Augen war es anders. Sein ganzes Wesen hatte eine unglaublich beruhigende Wirkung auf sie.