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Chapter 10 - Das Rudel im Rückzug

Die Dunkelheit des Waldes war drückend, nur gelegentlich unterbrochen vom schwachen Licht des Mondes, das durch die dichten Baumkronen fiel. Luan wurde von zwei Rudelmitgliedern gestützt, ihre Schritte waren hastig, aber leise. Kael war nirgends zu sehen, und das Wissen darüber machte die Last des Scheiterns schwerer. Jede Bewegung ließ Luans Seite brennen. Das Silber hatte nicht nur seinen Körper geschwächt, sondern auch den Wolf in ihm zum Schweigen gebracht. Zum ersten Mal seit der Verwandlung war da keine Stimme, kein Knurren, nur Leere.

»Wie weit noch?«, fragte er heiser. Die Wölfe, die ihn trugen, schwiegen, ihre Gesichter angespannt. Niemand hatte Zeit für Trost – nicht nach dem, was auf der Lichtung passiert war. Als sie das provisorische Lager erreichten, herrschte Chaos. Wölfe in menschlicher Gestalt behandelten ihre Verletzten, während andere das Gebiet sicherten. Überall war Blut – auf den Händen, den Gesichtern, der Erde. Die Niederlage war spürbar, ein unsichtbarer Schleier, der sich über die Gruppe gelegt hatte. Nina stand in der Mitte des Lagers, ihre Silhouette wie aus Stein gemeißelt. Ihre silbernen Haare schimmerten im schwachen Licht, doch ihre Augen waren dunkel, voller Wut und Sorge.

»Was ist mit Kael?«, fragte sie, als Luan abgesetzt wurde. Er konnte nur den Kopf schütteln. »Ridley … er hat ihn angegriffen. Ich weiß nicht, ob …«

Nina unterbrach ihn mit einer knappen Geste. »Kael ist stark. Er wird zurückkommen.« Doch in ihrer Stimme lag eine Unsicherheit, die sie nicht verbergen konnte. Später in der Nacht lag Luan allein in einem kleinen Unterstand, seine Seite mit Kräutern und Verbänden bedeckt. Der Schmerz war dumpf, aber konstant, eine Erinnerung an sein Scheitern.

Nina trat ein, ihre Augen musterten ihn kritisch. »Du hättest nicht dort sein sollen.«

Luan biss die Zähne zusammen. »Ich wollte helfen.«

»Helfen?«, wiederholte sie kalt. »Du hast uns geschwächt. Ridley hat dich benutzt, um uns zu spalten. Du hast dich wie ein Welpe verhalten – nicht wie ein Wolf.«

Ihre Worte stachen, doch Luan wusste, dass sie recht hatte.

»Kael hat an dich geglaubt«, fuhr Nina fort, ihre Stimme nun ruhiger, aber nicht weniger scharf. »Er hat dich ins Rudel gebracht, weil er dachte, du wärst stark genug. Aber Stärke ist nicht nur Muskeln und Instinkte. Stärke bedeutet, zu wissen, wann man kämpft – und wann man sich zurückzieht.«

Luan blickte weg, seine Kehle war trocken. »Ich habe versagt.« Nina kniete sich vor ihn, ihre Augen waren jetzt weicher. »Vielleicht. Aber jeder von uns hat einmal versagt. Der Unterschied liegt darin, was du als Nächstes tust.« Am nächsten Morgen versammelte sich das Rudel. Die Verletzten wurden versorgt, die Wachen verstärkt, doch die Stimmung war gedämpft. Die Wölfe waren erschöpft – nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Luan saß abseits und beobachtete die anderen. Er fühlte sich fehl am Platz, ein Außenseiter in einer Welt, die er noch immer nicht vollständig verstand. Plötzlich tauchte ein Schatten am Rand des Lagers auf. Eine Gestalt taumelte aus den Bäumen, ihr Schritt schwer, doch unaufhaltsam.

»Kael!«, rief jemand, und das Rudel sprang auf. Kael war verletzt, sein Arm hing schlaff an seiner Seite, und sein Gesicht war von Schmutz und Blut gezeichnet. Doch in seinen Augen lag eine unbändige Entschlossenheit.

Nina trat vor, ihre Haltung wie immer selbstbewusst. »Du bist zurück.«

Kael nickte schwach. »Ridley … er plant etwas. Das heute war nur der Anfang.« Die Wölfe murmelten untereinander, die Unruhe wuchs.

»Was meinst du?«, fragte Nina. Kael setzte sich schwer auf einen Stein, sein Atem war flach. »Er sucht etwas. Etwas, das mit Luan zu tun hat.«

Alle Augen richteten sich auf Luan, der die Worte spürte, bevor er sie wirklich verstand.

»Mit mir?«, fragte er, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Kael nickte. »Ridley glaubt, dass du der Schlüssel bist. Zu was, weiß ich nicht – aber er hat nicht aufgehört, über dich zu reden. Er will dich. Und er wird nicht aufhören, bis er dich hat.«

Das Lager wurde still, die Spannung war greifbar. Nina trat vor und sah Luan direkt an. »Dann bleibt uns keine Wahl. Wenn Ridley dich will, müssen wir herausfinden, warum – bevor er uns alle vernichtet.«

In der folgenden Nacht zog sich Luan in den Wald zurück. Der Druck war erdrückend, die Blicke der anderen Wölfe verfolgten ihn bei jeder Bewegung. Er sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. Der Wolf in ihm war immer noch still, und die Leere, die er fühlte, war schlimmer als der Schmerz in seiner Seite.

»Ich wollte doch nur normal sein«, flüsterte er.

Doch in der Dunkelheit war nichts mehr normal. Das Heulen eines Wolfs durchbrach die Stille, ein Ruf, der gleichzeitig vertraut und fremd klang. Luan hob den Kopf, seine Augen suchten die Quelle des Geräuschs. Er wusste, dass die nächste Konfrontation unausweichlich war. Und dieses Mal würde er bereit sein müssen – egal, was es kostete.