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Chapter 11 - Der erste Schritt

Die Nacht war lang, und Luan fand keinen Schlaf. Die Worte von Kael und Nina hallten in seinem Kopf wider, wie ein Echo, das nicht verhallte. „Ridley will dich. Du bist der Schlüssel."

Aber der Schlüssel zu was? Das Rudel war still, jeder schien auf den nächsten Angriff zu warten. Die Anspannung lag wie eine unsichtbare Schlinge um Luans Brust, die sich bei jedem Atemzug enger zog. Er saß allein am Rand des Lagers, sein Blick wanderte über den dunklen Wald, der sich vor ihm erstreckte. Hier draußen war alles anders – unberechenbar, gefährlich. Doch tief in sich wusste er, dass er keine Wahl hatte. Kael trat aus den Schatten und setzte sich wortlos neben ihn. Für einen Moment herrschte Schweigen, nur das Rascheln der Blätter und das leise Zirpen der Grillen waren zu hören.

»Du denkst zu viel«, sagte Kael schließlich. Luan zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Aber was soll ich sonst tun?«

Kael sah ihn an, und in seinen gelben Augen lag etwas, das Luan nicht einordnen konnte – Stolz, vielleicht, oder Enttäuschung.

»Du bist kein normaler Junge mehr, Luan. Du kannst dir das Denken nicht leisten, wenn das Handeln wichtiger ist.«

Luan wandte den Blick ab, seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Ich habe keine Ahnung, was ich bin. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll.« Kael nickte langsam. »Das wirst du herausfinden. Aber du kannst nicht warten, bis die Antworten zu dir kommen. Du musst sie dir holen.«

»Wie?«, fragte Luan, und seine Stimme klang brüchig. Kael lehnte sich zurück und ließ den Blick in die Dunkelheit gleiten. »Es gibt einen Ort, der dir helfen kann. Einen Ort, der dir zeigt, wer du bist – oder wer du sein könntest.«

Kael erzählte ihm von einer Höhle tief im Wald, einem alten Zufluchtsort, den das Rudel seit Generationen nutzte. Dort, sagte er, würden die Wurzeln von Luans Erbe verborgen liegen.

»Was ist dort?«, fragte Luan, seine Stimme war skeptisch, aber auch von Neugier durchdrungen.

»Etwas, das dich ruft«, sagte Kael. »Aber ich warne dich: Die Höhle gibt nur denen Antworten, die bereit sind, die Wahrheit zu akzeptieren – egal, wie dunkel sie ist.«

Am nächsten Morgen machte sich Luan auf den Weg. Kael und Nina hatten ihn nicht aufgehalten, obwohl er die Zweifel in Ninas Augen gesehen hatte.

»Das ist sein Weg«, hatte Kael gesagt. »Wenn er ihn nicht geht, wird er nie verstehen, wer er ist.«

Der Wald schien sich zu verändern, je weiter Luan vordrang. Die Bäume wurden dichter, die Luft kälter, und der Boden unter seinen Füßen war feucht und nachgiebig. Es war, als ob er in eine andere Welt trat – eine, die älter und wilder war. Schließlich erreichte er die Höhle. Der Eingang war von Moos überwuchert, und eine seltsame Kälte strömte daraus hervor. Luan zögerte, doch das Ziehen in seiner Brust war zurück. Der Wolf war wach, und diesmal schien er nicht zu knurren, sondern zu flüstern. Er trat ein, und die Dunkelheit verschluckte ihn. Im Inneren war die Höhle weitläufig, doch es war nicht die Größe, die Luan erschreckte – es war die Präsenz. Es fühlte sich an, als ob die Wände atmeten, als ob etwas uraltes, mächtiges ihn beobachtete.

»Was ist das hier?«, flüsterte er, seine Stimme hallte zurück. Er ging weiter, seine Schritte waren unsicher, doch das Ziehen in seiner Brust führte ihn tiefer in die Höhle. Schließlich erreichte er eine Kammer, in deren Mitte ein großer Stein lag. Der Stein war glatt und glänzte im schwachen Licht, das aus einer unbekannten Quelle kam. Luan kniete sich davor und legte zögernd die Hand darauf.

Sofort durchströmte ihn eine Welle aus Bildern, Gefühlen und Erinnerungen – doch sie waren nicht seine. Er sah Wölfe, die Seite an Seite mit Menschen kämpften, sah Verrat, sah Blut und Feuer. Und dann sah er Ridley.

Ridley hielt ein Symbol in der Hand, ein altes, verwittertes Amulett, das mit Runen bedeckt war. Luan spürte, dass es wichtig war – dass es das war, wonach Ridley suchte.

»Das ist es«, flüsterte er. Die Vision verblasste, und Luan ließ den Stein los. Sein Herz raste, und er spürte, wie der Wolf in ihm unruhig wurde. Er stand auf und machte sich auf den Rückweg. Das Rudel musste von dem Amulett erfahren – und davon, was Ridley vorhatte. Doch als er die Höhle verließ, wusste Luan, dass seine Reise gerade erst begonnen hatte.