Die Schule war für Luan nie ein sicherer Ort gewesen. Es war kein Ort, an dem er sich unsichtbar machen konnte – selbst wenn er es versuchte, was meistens der Fall war. Mit seinen 15 Jahren war er groß für sein Alter, aber nicht groß genug, um Respekt zu bekommen, und schmächtig genug, um eine Zielscheibe zu sein.
»Hey, Luan, hast du letzte Nacht wieder den Mond angebellt?«, rief Mason, ein bulliger Junge aus der Klasse, während sie sich in den Flur drängten. Sein Lachen klang wie das Bellen eines kleinen Hundes, und die anderen stimmten mit ein, ihre Stimmen ein Chor aus Spott. Luan ignorierte sie wie immer, den Kopf gesenkt, die Hände in den Taschen. Doch heute war etwas anders. Die Worte prallten nicht einfach an ihm ab, wie sie es sonst taten. Sie schienen sich in seine Haut zu bohren, heiß und brennend, als ob sie etwas auslösten. Sein Herz schlug schneller, und er spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Es war wie letzte Nacht im Wald, dieses Ziehen, dieses Beben. Er konnte den Schweiß von Mason riechen, die seifige Süße seines billigen Deos, das darunterliegende Salz des Spotts. Es machte ihn wütend.
»Hey, Luan!«, rief Mason erneut und trat näher, während die Menge der Schüler um sie herum lachte. »Warum antwortest du nicht? Vielleicht haben Wölfe nicht gelernt, wie man spricht.«
Ein Zittern lief durch Luans Körper, und bevor er es stoppen konnte, drehte er sich um.
»Lass mich in Ruhe«, sagte er, seine Stimme tiefer und rauer als sonst. Mason stutzte. Für einen Moment schien er überrascht, doch dann grinste er, das Grinsen eines Raubtiers, das sein Opfer in die Ecke getrieben hatte. »Oh, hast du plötzlich gelernt, zu sprechen? Oder bist du doch nur ein feiges kleines Hündchen?«
Luan konnte nicht mehr denken. Sein Kopf war leer, seine Sicht verengte sich, als ob er durch einen Tunnel schaute. Er spürte das Blut in seinen Ohren rauschen, das Herz in seiner Brust schlagen wie ein Trommelwirbel.
Und dann schlug er zu. Seine Faust traf Mason hart im Gesicht. Der Klang des Aufpralls hallte durch den Flur, und alles schien plötzlich stillzustehen. Mason taumelte zurück, Blut tropfte aus seiner Nase, doch bevor jemand reagieren konnte, stürzte sich Luan auf ihn. Er spürte die Muskeln in seinen Armen, die Stärke, die er vorher nie gehabt hatte. Seine Fingernägel kratzten über Masons Arm, tiefe, rote Linien hinterlassend. Sein Kopf war leer, bis auf das Geräusch eines tiefen Knurrens, das er erst später bemerkte – ein Knurren, das aus seiner eigenen Kehle kam. Es dauerte nur Sekunden, bevor jemand Luan von Mason wegzog. Es war Mr. Bennett, der Geschichtslehrer, der mit einer Mischung aus Wut und Schock im Gesicht zwischen die beiden Jungen sprang.
»Luan! Was in aller Welt machst du?«, schrie er. Luan blinzelte, als ob er aus einem Traum aufwachte. Mason lag auf dem Boden, sein Gesicht blutüberströmt, während die anderen Schüler mit großen Augen zurückwichen.
»Ich …«, begann Luan, aber er wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Körper zitterte, und seine Hände waren rot von Masons Blut.
»Komm mit ins Büro«, sagte Mr. Bennett mit einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Luan saß auf dem harten Stuhl vor dem Schreibtisch der Direktorin und starrte auf seine Hände. Sie zitterten immer noch, und er konnte die Kratzer auf seinen Knöcheln sehen.
»Was ist los mit mir?«, flüsterte er. Die Tür öffnete sich, und die Direktorin, Mrs. Hartwell, trat ein, gefolgt von Mr. Bennett. Beide sahen aus, als hätten sie schon genug von ihrem Tag, obwohl es erst zehn Uhr morgens war.
»Luan«, begann Mrs. Hartwell, »ich weiß nicht, was heute Morgen passiert ist, aber das geht zu weit. Mason musste ins Krankenhaus. Wir sprechen hier von einer Suspendierung – vielleicht mehr.«
Luan hob den Kopf, wollte widersprechen, aber was hätte er sagen sollen? Dass er sich nicht erinnern konnte, was passiert war? Dass er das Gefühl hatte, jemand anderes hätte seinen Körper übernommen? Nach dem Gespräch mit der Direktorin ging Luan zurück nach Hause. Er war nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten, die seine Klassenkameraden oder die Lehrer auf ihn warfen. Sein Vater war nicht da, wie immer. Das Haus war still, und Luan fühlte sich, als ob die Wände ihn erdrückten. Er ging in den Wald, wie in der Nacht zuvor. Die Bäume flüsterten im Wind, das Heulen eines entfernten Wolfs hallte durch die Luft, und Luan fühlte, wie das Ziehen in seiner Brust zurückkehrte. Er ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich verliere den Verstand«, sagte er laut, als ob die Bäume ihm antworten könnten. Doch die Antwort kam aus dem Schatten.
»Nein«, sagte eine raue Stimme. »Du wirst, was du immer warst.«
Kael trat aus den Bäumen, sein Gesicht halb im Schatten.
»Was willst du von mir?«, fragte Luan, die Wut in seiner Stimme stärker als die Angst. Kael lächelte. »Ich will dir helfen. Aber du musst es auch wollen.«
»Helfen?«, fauchte Luan. »Du hast keine Ahnung, was mit mir los ist!«
Kael trat näher, bis er direkt vor Luan stand. »Oh doch, Junge. Ich weiß genau, was los ist. Du bist ein Wolf. Und das, was du heute getan hast, war nur der Anfang.« Luan wollte widersprechen, doch er wusste, dass Kael recht hatte.