KAPITEL 2
~Snows Sichtweise~
Der Anruf meines Vaters kam mit der gewohnten Irritation und dem Druck, den er immer ausgeübt hatte.
Seine Stimme war kalt und fordernd, Verhandlungen waren nicht vorgesehen. "Finde bis zum Ende des Tages eine Luna, Snow, oder dein Bruder wird sich nehmen, was rechtmäßig deins ist."
Seine Worte hallten in meinem Kopf wider, zugleich Warnung und Drohung. Ich presste die Kiefer zusammen, wütend bei dem Gedanken an meinen älteren, unehelichen Bruder, der, getrieben von verborgenen Absichten, wie ein Geier kreiste, bereit die Alpha-Position zu beanspruchen. Ich musste schleunigst handeln.
Ich legte den Hörer schroff auf und rief meine Sekretärin. "Such mir eine Frau," befahl ich, meine Geduld schwindend. "Jemanden, der bereit ist, einen Jahresvertrag zur Ehe zu unterschreiben. Es ist mir egal, wer sie ist, erledigen Sie es."
Meine Sekretärin stotterte ein hastiges "Ja", und ich hörte, wie ihre Absätze eilig davonklackerten.
Die Zeit verstrich und jeder Sekunde fühlte es sich so an, als würde Sand durch meine Finger rinnen. Ich brauchte jemanden, irgendjemanden, der die Rolle der Luna ausfüllen konnte, wenn auch nur zum Schein.
Eine Stunde später, vor dem Standesamt wartend und auf und ab gehend, spürte ich, wie Sekunden zu Minuten wurden und meine Frustration anwuchs.
Ich rief meine Sekretärin an, und ihr Stammeln ließ meine Brust sich zusammenziehen. Ich wusste, was das bedeutete. Eine Verzögerung. Ich hasste Verzögerungen.
"Celia, wo ist diese Dame?" fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen und bändigte meine Wut, während ich die Faust ballte.
"Sir, sie hat..." Ich hörte, wie sie schluckte. "Die Dame hatte einen Unfall unterwegs und..."
Ich unterbrach sie, meine Geduld am Ende. "Genug," fuhr ich sie an, meine Stimme fest. "Ich habe keine Zeit für Ausreden. Finden Sie eine Ersatzfrau, und zwar sofort, und schicken Sie sie zum Standesamt. Wen sie ist, ist egal, nur machen Sie es."
Ich beendete das Gespräch und wenige Minuten später klingelte das Telefon meiner Mutter. Schließlich entschied ich, dass ich nicht länger warten konnte, und steckte mein Handy in die Tasche.
Wenn es darauf ankäme, würde ich die nächste Frau heiraten, die durch diese Tür kam. Wie auf Kommando betrat eine Frau den Raum - selbstsicher, schön, mit scharfen Augen und schnellen Bewegungen, ihr Hochzeitskleid zerknittert. Ihre Ausstrahlung war eine Herausforderung, die ich im Magen spürte, und Glacier schnurrte zustimmend.
"Sie ist es," stellte mein Wolf fest, als hätte ich seine Meinung gefragt.
Sie kam direkt auf mich zu, ihr Blick forsch in meinen. "Bist du bereit, zu heiraten?" fragte sie, ihre Stimme ruhig und gefasst, doch mit einem mutigen Unterton, den ich nicht erwartet hatte.
Einen Sekundenbruchteil zögerte ich, dann fing ich mich wieder. Dies musste die Frau sein, die meine Sekretärin geschickt hatte. Ein Lächeln formte sich an meinen Lippenwinkeln.
"Mit dir? Jederzeit," entgegnete ich, amüsiert über ihre Geradlinigkeit.
Ihr Blick hielt meinem standhaft stand. "Großartig. Dann lasst es uns erledigen," sagte sie, und bevor ich es begriff, waren wir beim Standesamt und sprachen Gelöbnisse, die ich nie zu sagen beabsichtigt hatte.
Die Zeremonie ging schnell vorüber, und als sie vorbei war, drehte sie sich um und ging, nachdem sie nur ihren Vornamen, Zara, preisgegeben hatte. Ich reichte ihr meine Visitenkarte. "Snow," stellte ich mich schlicht vor und beobachtete ihre Reaktion. Sie wich nicht zurück, blinzelte nicht – sie nahm die Karte mit einem undurchschaubaren Ausdruck entgegen.
Ich bat um ihre Nummer, und ohne zu zögern gab sie sie mir. "Du wirst sofort bei mir einziehen müssen."
Ich wusste, es war keine Wahl, und es gefiel mir, wie sie die Stirn runzelte. "Hm... warum?"
"Du bist jetzt meine Frau. Soll meine Frau etwa in unserer Hochzeitsnacht draußen schlafen?" Ihre Augenbrauen hoben sich und dann folgte ein kleines Lächeln.
Sie wollte wahrscheinlich etwas entgegnen, aber ich kam ihr zuvor. "Mach dir keine Illusionen. Ich muss auch die formalen Vertragspapiere fertigstellen."
Sie nickte, doch ihre Aufmerksamkeit galt bereits ihrem Handy, sie wischte über den Bildschirm und tippte eifrig. Als sie fertig war, formte sich ein spitzbübisches Lächeln auf ihren Lippen, bevor sie aufblickte und etwas wie verborgenen Triumph in ihren Augen aufblitzte.
Sie verschwand, und ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, gerade einen Sturm geheiratet zu haben. Wenige Augenblicke später bekam ich eine Nachricht von meiner Sekretärin. "Sir, ich habe Ersatz gefunden. Die Dame ist unterwegs zum Standesamt. Es tut mir leid!"Mein Herz setzte einen Schlag aus, als mir die Erkenntnis kam. Ich starrte auf Zaras Namen in der Heiratsurkunde und war von einer Welle des Unglaubens erfasst. Sie war nicht diejenige, die ich heiraten sollte.
Ich konnte mich allerdings nicht beschweren. Ich war entschlossen, jemanden zu heiraten; wer es war, spielte keine Rolle.
Ich musste schmunzeln, während sich langsam ein Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. Eine Frau, die es wagte, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen? Ich hatte besser gewählt, als ich dachte. Als ich ihr nachsah, wie sie wegging, wusste ich, dass es interessant werden würde.
Ich folgte ihr. Gerade als sie die letzte Stufe nach draußen erreichte, begann Zaras Telefon mit einer Reihe von verzweifelten Nachrichten und einem Anruf zu summen. Mein geschärftes Gehör fing seinen verzweifelten Ton auf, der wissen wollte, wo sie sei, und darauf bestand, dass sie immer noch heiraten müssten.
Sie hielt inne, mit einem sturen Ausdruck im Gesicht, und machte dann ein Foto ihrer linken Hand, die nun mit einem Ring geschmückt war, den sie hastig gekauft hatte. Entweder das, oder sie war zu arm und es waren Fälschungen. Dann schickte sie ihm das Foto.
Sie blickte zu mir zurück und ich bemerkte einen Funken Trotz in ihren Augen.
"Nun," murmelte ich leise, während sich ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitete, "jetzt wird es wirklich interessant."
***************
~ZARA~
Ich war kaum aus dem Standesamt heraus, da begann mein Telefon wie ein Schwarm wütender Bienen zu summen. Ich sah nach unten und bemerkte Ivans Namen auf dem Display, immer und immer wieder, fast wie ein verzweifeltes Mantra.
Ein bitteres Lächeln umspielte meine Lippen. "Wirklich?" murmelte ich, während ich durch seine verzweifelten Nachrichten scrollte. Er wollte wissen, wo ich war und warum ich nicht bei der Zeremonie war, und bestand darauf, dass wir immer noch heiraten müssten. Heiraten?
Die Frechheit.
Ich ließ meinen Daumen kurz über den Bildschirm schweben, bevor ich beschloss, seine Illusionen endgültig zu zerstören. Ich hielt meine Hand hoch, der billige, aber glänzende Ring, den ich auf dem Weg zum Standesamt gekauft hatte, fing das Licht ein.
Ich machte ein Foto und schickte es ihm mit einer Nachricht: Ich bin bereits verheiratet. Dann schaltete ich mein Handy aus und steckte es zurück in meine Tasche. Ich hatte keine Sekunde mehr für diesen Mann zu verschwenden.
Ich musste mir ein neues Leben aufbauen, und das begann heute.
Als ich in unserer gemeinsamen Wohnung ankam, seufzte ich. Jetzt bedauerte ich, dass ich vor acht Monaten bei ihm eingezogen war, als er sagte, er brauchte mich. Es stellte sich heraus, er wollte nur sicherstellen, dass meine Liebe ihm gehörte.
Ich ging die Treppe hoch. Jeder Schritt fühlte sich schwerer an als der letzte, aber ich hielt durch. Ich hatte genug vom Selbstmitleid. Ivan hatte mich zum Narren gemacht, aber ich würde ihm nicht den Gefallen tun zu glauben, dass er gewonnen hatte.
Ich öffnete die Tür, und der vertraute Duft seines Parfüms und ihres Geschlechts traf mich wie ein Schlag. Ich musste lachen, bitter und ohne Freude. Diesen Geruch würde ich in meinem Leben nicht mehr brauchen.
Ich packte meinen Koffer und begann, meine Kleider hineinzuwerfen, ohne sie zu falten. Mein Blick fiel auf Ivans geliebten Fernseher, den er mich nicht berühren ließ.
Wut entflammte in mir wie eine wilde Flamme. Ich nahm den nächstgelegenen schweren Gegenstand — eine Lampe — und schleuderte ihn gegen den Bildschirm. Das Glas zersprang mit einem befriedigenden Krachen.
"Oops," murmelte ich, ohne auch nur einen Hauch von Reue zu spüren.
Mein Blick fiel auf seinen Laptop, und ich schnappte ihn mir vom Tisch. "Den brauchst du nicht," flüsterte ich, bevor ich ihn zu Boden warf, immer wieder, bis er nur noch ein Haufen zerbrochener Teile war.
"Perfekt. Zerbrochen wie unsere Beziehung."
Ich zog meinen Koffer zur Tür und hielt inne, um mich umzusehen. Dieser Ort hatte einst wie ein Versprechen gewirkt. Jetzt war er nur noch eine Erinnerung an Verrat.
Kurz bevor ich nach draußen trat, klingelte mein Telefon. Es war eine fremde Nummer. Bevor ich nachdenken konnte, war der Anruf beendet, und eine Nachricht folgte.
Schnee: Ich schicke dir eine Fahrgelegenheit. Wo bist du?
Ich lachte und antwortete. Wo hatte Ella nur diesen Callboy gefunden?