Die Nacht senkte sich über Karath'Zul wie ein schwerer Vorhang. Der schwarze Nebel, der die Ruinen umgab, schien im Mondlicht noch dichter und bedrohlicher zu werden. Danny, Kira und Kael'thar lagerten am Rand der Anhöhe, doch der Schlaf blieb ihnen fern.
Das Summen, das Danny bereits am Tag gespürt hatte, war nun unerträglich laut in seinen Ohren. Es war kein Geräusch, das Kael'thar oder Kira zu hören schienen – es war ein Flüstern, das direkt in seinem Kopf widerhallte.
„Du bist gekommen..."
Danny schreckte auf und sah sich um. Seine Hand wanderte instinktiv zum Griff seines Dolches, doch die Dunkelheit war still. Nur die schattenhaften Ruinen von Karath'Zul lagen vor ihm. „Du hörst es, nicht wahr?" fragte Kira leise, ohne ihn anzusehen. Sie saß abseits, die Arme um ihre Knie geschlungen, den Blick auf die dunklen Türme gerichtet.
Danny nickte zögernd. „Es ist... wie ein Ruf. Aber ich verstehe nicht, was es sagt." Kira seufzte. „Das wirst du. Je näher wir kommen, desto klarer werden die Stimmen." Sie drehte sich zu ihm um, ihre Augen ernst. „Aber du musst stark bleiben, Danny. Die Schatten sind Meister der Täuschung. Sie werden dir Dinge zeigen, die dich brechen sollen."
„Hast du Angst?" fragte Danny, seine Stimme leiser, als er wollte. Kira hielt seinem Blick stand. „Immer," sagte sie schlicht.
Am nächsten Morgen brachen sie auf, doch die Stimmung war schwer. Kael'thar flog dicht über ihnen, seine Bewegungen vorsichtig, als ob er den Nebel selbst fürchtete. Die Erde unter ihren Füßen war trocken und rissig, und ein seltsamer, schwefelartiger Geruch hing in der Luft.
„Dieser Ort fühlt sich... falsch an," murmelte Danny, während sie sich den Ruinen näherten. „Weil er das ist," antwortete Kael'thar von oben. „Karath'Zul ist nicht nur eine Ruine. Es ist ein Grab. Hier ruhen die ersten Drachen – und die Schatten, die sie verschlungen haben."
„Die Schatten verschlungen?" fragte Danny, doch Kira war es, die antwortete. „Die Legenden erzählen, dass die ersten Drachen, die Karath'Zul erbauten, zu gierig nach Wissen und Macht waren. Sie suchten nach einem Weg, unsterblich zu werden, doch stattdessen riefen sie die Dunkelheit herbei. Die Schatten machten sie nicht unsterblich. Sie machten sie... zu Gefangenen."
Danny hielt inne und sah sie an. „Gefangene? Was bedeutet das?" Kira sah ihn an, und zum ersten Mal zeigte sich ein Hauch von Unsicherheit in ihrem Gesicht. „Es bedeutet, dass die Schatten hier nicht nur lauern. Sie sind Teil dieses Ortes. Teil der Ruinen. Und wenn sie die Chance bekommen, werden sie alles und jeden verschlingen, der zu nahe kommt."
Als sie die ersten Mauern von Karath'Zul erreichten, bemerkte Danny, dass der Boden unter ihren Füßen kälter wurde. Der Nebel, der die Ruinen umgab, bewegte sich wie lebendig, schlängelte sich um ihre Beine und kroch an den zerfallenen Mauern entlang. „Bleib nah bei mir," sagte Kael'thar und landete neben ihnen. Seine Augen waren wachsam, seine Muskeln angespannt.
Kira führte sie durch die zerfallenen Straßen der Ruinen. Überall um sie herum lagen zerbrochene Statuen, die Drachen und alte Gestalten darstellten. Die Gesichter waren abgenutzt und unkenntlich, doch Danny spürte, dass sie ihn beobachteten – eine absurde, aber unerschütterliche Gewissheit. Plötzlich blieb Kira stehen.
„Hier," sagte sie leise und deutete auf einen großen, halb eingestürzten Turm. „Das ist der Ort, den wir suchen." Danny sah zu dem Turm hinauf, dessen Spitze von dichten Schatten umgeben war. „Was ist da drin?"
„Die Quelle," sagte Kira. „Die Schatten in Karath'Zul stammen von einem einzigen Artefakt. Einem Relikt, das die Drachen erschaffen haben, bevor sie... starben." Kael'thar schnaubte leise. „Und was glaubst du, was wir tun sollen? Dieses Relikt zerstören?"
„Wenn es zerstört werden kann, ja," sagte Kira. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob das möglich ist." Danny spürte, wie sich die Dunkelheit in ihm regte. Die Schatten schienen zu spüren, dass er näher kam, und das Flüstern in seinem Kopf wurde lauter.
„Du kannst uns nicht entkommen..." „Danny?" fragte Kael'thar, als er sah, wie sich Dannys Gesicht verzog.
„Ich... ich bin okay," murmelte Danny, doch er wusste, dass das eine Lüge war. Im Inneren des Turms war es dunkel, der Nebel dichter als je zuvor. Die Luft war kalt und feucht, und jedes Geräusch – selbst das Knirschen ihrer Schritte auf dem Boden – schien von den Wänden widerzuhallen.
In der Mitte des Raumes, umgeben von zerbrochenen Säulen und verfallenem Mauerwerk, stand ein Podest. Auf ihm lag ein schwarzer Kristall, der von einem unheimlichen, pulsierenden Licht durchdrungen war. „Das ist es," flüsterte Kira, ihre Stimme voller Ehrfurcht. „Das Herz der Schatten."
Danny trat näher, seine Augen auf den Kristall gerichtet. Das Flüstern in seinem Kopf wurde ohrenbetäubend. „Berühre uns..."
„Nicht!" rief Kael'thar plötzlich, doch Danny hielt inne. Er hatte seine Hand ausgestreckt, doch die Worte des Drachen brachten ihn zurück in die Realität. Kira trat an seine Seite. „Wir müssen es zerstören. Jetzt, bevor es uns vollständig verschlingt."
Plötzlich begann der Kristall zu vibrieren, und der Boden unter ihnen bebte. Der Nebel zog sich zusammen und formte Gestalten – dunkle, schattenhafte Wesen mit glühenden Augen, die auf sie zukrochen. „Die Wächter," sagte Kira, ihre Stimme fest. „Sie beschützen das Relikt."
Kael'thar brüllte und stürzte sich auf die Schatten, seine Krallen und sein Feuer schnitten durch die Dunkelheit. Kira zog einen Dolch aus ihrem Umhang, während Danny den Griff seines Schwertes fester umklammerte. Die Schatten stürmten auf sie zu, und der Kampf begann. Doch während Danny kämpfte, spürte er, wie die Schatten ihn riefen – und wie ein Teil von ihm zu antworten begann.