"Kommen Sie herein", dröhnte die kalte Stimme von Graf Alaric durch die Tür.
Seraphina zuckte zusammen, als sie eintrat. Egal wie oft sie ihm begegnete, ihr Vater verstand es stets, sie klein zu machen, sie fühlte sich ungenügend.
Früher sehnte sie sich nach seiner Anerkennung. Doch als sie bemerkte, wie unterschiedlich er sie im Vergleich zu ihrem Bruder behandelte, hatte sie schon lange aufgehört es zu versuchen.
Als sie den Raum betrat, verzog Graf Alaric das Gesicht.
"Für jemanden, der morgen heiraten wird, siehst du furchtbar aus", kommentierte er und schnalzte missbilligend mit der Zunge, was ihre Wangen erröten ließ.
Seraphina antwortete nicht, obwohl sie das Gewicht seines Urteils spürte. Er fuhr fort: "Zum Glück ist der Herzog ein geduldiger Mann, also wird die Hochzeit wie geplant stattfinden."
"Kümmert es dich überhaupt, dass ich krank bin?", fragte Seraphina leise, ohne ihre Stimme zu erheben.
"Nun, nachdem das Bankett zu Ende war, wusste schon jeder, dass du von einem Mann entführt worden bist", entgegnete er schroff. "Hast du eine Ahnung, wie besorgt ich war, als ich das hörte? Ich dachte, der Herzog würde die Hochzeit absagen! Aber nein, er ist immer noch bereit, sie durchzuführen, also vermassel es nicht."
Seraphina hatte nie gesehen, dass der Herzog ihr Haus betrat, selbst wenn es ihr schlecht ging. Sie hatte ein vages Bild von ihm - jemand, der sich mehr um seinen Zeitplan kümmerte als um seine zukünftige Braut. Er schien ihrem Vater sehr ähnlich zu sein. Die Zukunft, die vor ihr lag, erschien düster; ein Weg, den sie nicht beschreiten wollte, aber sie hatte keine Wahl.
Sie hatte bereits ein paar Mal daran gedacht, wegzulaufen, doch ihr schwacher Körper ließ es nicht zu. Und selbst wenn sie irgendwie entkommen könnte, wo sollte sie hin? Ohne den Status ihres Vaters hätte sie wahrscheinlich nicht überlebt.
"Sie ist das perfekte Kind, um es loszuwerden", hatte ihr Vater einmal gesagt, und diese Worte hallten in ihrem Kopf wider.
Bei dieser Erinnerung übelte es ihr. Sie hatte nie den Mut gefunden, ihm die Stirn zu bieten.
Sie setzte sich in das Wohnzimmer, wo Tee und Snacks bereitstanden. Seraphina umschloss die warme Teetasse mit ihren Händen und nippte langsam daran. Die Wärme brachte etwas Farbe auf ihre blassen Wangen.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Gedanken. Seraphina versteifte sich.
"Graf, der Herzog von Everwyn ist eingetroffen", verkündete ein Diener.
"Lassen Sie ihn herein", befahl ihr Vater.
"Ja, Herr", antwortete der Diener, bevor seine Schritte im Flur verklangen.
Seraphinas Hände zitterten und ließen die Teetasse leicht zittern. Der Graf bemerkte das und schnalzte erneut mit der Zunge, sichtlich verärgert.
"Verhauen Sie das nicht. Wenn diese Ehe nicht zustande kommt, finden Sie keinen anderen Verehrer", sagte er, seine Worte scharf kantig.
"...Ja, Vater", flüsterte Seraphina.
"Und vergessen wir nicht, dass du keine Kinder bekommen kannst. Kein Mann wird dich wollen, wenn sich das herumspricht", setzte er mit eiskalter Stimme hinzu.
Ihr Herz sank bei seiner Bemerkung. Sie wusste, dass er recht hatte - ihr Gesundheitszustand machte es gefährlich, überhaupt an Kinder zu denken.
Sie senkte den Kopf und fühlte sich kleiner denn je. Nutzlos. Eine Last für ihre Familie, jemand, der nichts richtig machen konnte. Dieses vertraute, schwere Gefühl der Wertlosigkeit setzte sich tief in ihrer Brust fest.
"Graf Alaric", mischte sich eine andere Stimme ein und riss sie aus ihren Gedanken.
Seraphina hob den Blick. "Ich bin der Herzog von Everwyn", fuhr die Stimme fort.
Der Tonfall ihres Vaters änderte sich augenblicklich und wurde ganz warm und einladend, als er aufsprang, um den Herzog zu begrüßen.
"Ah, bitte, kommen Sie herein!" sagte Graf Alaric und strahlte regelrecht. "Es ist mir eine Ehre. Bald werden wir eine Familie sein."
Seraphina stockte der Atem, als sie den Mann sah, der eintrat. Das konnte nicht sein ... Hatte sie sich das nur eingebildet?
Ihr Herz pochte, als sie erkannte, dass der Herzog von Everwyn derselbe Mann war wie in der Nacht zuvor.
'Warum er? Gerade er...', dachte sie.