Seraphina bemühte sich, schnell aufzustehen, doch Schwindel übermannte sie und zwang sie zurück auf das Bett. Sie schloss fest die Augen und hoffte, dass das Gefühl bald verschwinden würde.
"Haa..."
Frustration stieg in ihr auf, und sie seufzte tief. Es war quälend, einen so entscheidenden Moment aufgrund ihrer schwachen Gesundheit zu verpassen.
Wäre sie nicht so geschwächt gewesen, hätte Seraphina vielleicht die Gelegenheit gehabt, offen mit dem Herzog zu sprechen. Doch die Chance war vorüber und sie wusste nicht, was der Morgen bringen würde - eine Hochzeit oder Enttäuschung.
Sie verspürte ein unbehagliches Gefühl. Würde ihr Zusammenbruch nun dazu führen, dass sie nicht den Komfort ihres Bettes und ihrer Vorhänge, sondern die strenge Präsenz ihres Vaters gegenüberstehen musste?
Der Graf hatte den Herzog irgendwie beruhigt. Mit welchen Worten hatte er die Ängste eines vermeintlichen Mörders beschwichtigt? Das wohlwollende Lächeln ihres Vaters, als er von der Ankunft des Herzogs erfuhr, ließ sie nicht mehr los.
Ein Sturm widersprüchlicher Gefühle zog über Seraphinas Gesicht.
'Der Herzog von Everwyn.'
Der Mann, den sie für eine einmalige Begegnung ausgewählt hatte, war nun ihr zukünftiger Ehemann. Das konnte kein Zufall sein.
'Ist er wirklich der Mann, den ich heiraten soll?'
Die Erinnerung an seine expliziten Worte, die er ihr ins Ohr geflüstert hatte, brachte ihre Wangen zum Glühen. Er hatte sie erregt, ihre Erregung unverhohlen beschrieben und sie zugleich beschämt und seltsam fasziniert zurückgelassen.
Aber wenn man sie fragte, ob es ihr nicht gefallen hätte, wäre das nicht die Wahrheit. Seraphina vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Sie spürte ein tumultartiges Verlangen, das sie zuvor noch nie erlebt hatte. Scham überkam sie, als sie sich an seine Berührungen erinnerte, wie seine Zunge jeden Zoll ihres Körpers erforscht hatte. Hatte er irgendeinen Teil unberührt gelassen?
Der Gedanke an sein Aussehen, das so anders war als die Gerüchte besagten, ließ Seraphinas Augen größer werden. Vielleicht war er, wie sie, ein Opfer von Klatsch. Sie sehnte sich danach, ihn ehrlich zu konfrontieren.
...
Der Hochzeitstag kam nach einer schlaflosen Nacht voller wirbelnder Gedanken.
Graf Alaric überblickte den belebten Hochzeitssaal, erfüllt von Gemurmel und neugierigen Blicken. Die Gäste waren fasziniert - zwei Gestalten im Zentrum skandalöser Gerüchte, die bald vereint würden.
Lady Seraphina Alaric, die erste Tochter des Grafen, hatte ihr gesamtes Leben mit ihrer Zerbrechlichkeit gekämpft.
Als Gründungsmitglied der Macht trug Herzog Raven Everwyn die Last vieler düsterer Gerüchte.
Ihre Verbindung schien auf dem Papier makellos, doch die Anwesenden interessierten sich mehr für die weniger geselligen und politisch weniger engagierten Mitglieder ihrer jeweiligen Familien.
Inmitten des Getuschels, der Blicke und der Vorfreude blieb Seraphina gelassen in ihrem Ankleidezimmer.
Die Braut, von der erwartet wurde, dass sie Freude und Schönheit ausstrahlte, saß mit blasser Miene da.
Noch vor wenigen Augenblicken hatte das unablässige Nörgeln des Grafen in ihren Ohren nachgehallt: "Bei so vielen Gästen darf man keinen Ärger machen."
Die Erschöpfung nahm zu, als die Diener sorgfältig Make-up auftrugen, um ihre Müdigkeit zu verbergen.
Erst als sie fertig waren, wagte Seraphina, ihr Spiegelbild zu betrachten.
Das weiße Kleid und der zarte Schmuck passten perfekt zu ihr. Abgesehen von ihrer blassen Haut könnte sie das Ebenbild einer strahlenden Braut sein.
Für Seraphina, die sich selten Luxus gönnte, war die Hochzeitskleidung ein Wunder. Ihr energischer Bruder bekam oft neue Dinge, während sie nur eine geliebte Puppe und Bücher hatte.
Das Kleid, das eng an ihren einst zerbrechlichen Körper schmiegte, fühlte sich seltsam tröstend an. Nicht lange zuvor hatte sie noch um ihr Überleben gekämpft.