Die Vorstellung endete mit den letzten Trommelschlägen von Kendall. Sie nahm ihre Kopfhörer ab und war gerade dabei zu gehen, als Asher tief Luft holte und ins Mikrofon rief: „Die weise und mächtige Göttin Kendall!" Kendall sah verwirrt auf und ebenso das Publikum, das Asher ebenso verwirrt anblickte. Asher sank auf ein Knie, das Mikrofon in einer Hand und die andere Hand ausgestreckt in Richtung Kendall, als erwartete er eine göttliche Gunst. Die anderen Schüler der Klasse 7 drehten sich ebenfalls vom Publikum ab, knieten halb und streckten eine Hand nach Kendall aus. Ihre Gesichter waren voller Bewunderung und Freude. Kendall hatte solch eine Szene bereits erlebt, als sie zum ersten Mal der Klasse 7 beigetreten war. Es war genau wie dieser Moment. Sie sprachen alle gleichzeitig mit kraftvollen Stimmen: „Bitte besteige den Thron, schwinge dein Zepter und vertreibe den Nebel und die Dunkelheit!" Ursprünglich war es nur ein spielerischer Kommentar gewesen, ein Name, geboren aus extremer Langeweile und der Fantasie der Jugendlichen. Doch Kendall war wie ein göttliches Wesen vom Himmel herabgestiegen, hatte den Nebel um sie zerstreut und es ihnen ermöglicht, innerhalb eines halben Monats die langjährig führende Klasse 7 zu überholen. Sie half ihnen, ihre Würde und ihr Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Manche hatten Kendall verspottet und behauptet, sie sei es nicht wert, „Göttin Kendall" genannt zu werden. Aber jetzt unterwarfen sie sich ihr und verkündeten der Welt, dass Kendall diesen Titel tatsächlich verdiente. „Göttin Kendall! Göttin Kendall!" Ihre treuen Fans im Publikum standen auf, jubelten und feierten. „Göttin Kendall! Göttin Kendall!" Andere stimmten mit ein und steigerten die Stimmung ins Unermessliche. Der Moderator griff schnell ein und bat die Schüler der Klasse 7, die Bühne zu verlassen, sonst hätte diese Party zu einem persönlichen Fantreffen für Kendall werden können. Glorias Gesicht verzerrte sich unkontrolliert vor einem Lächeln, als sie den lauteren Jubel und Applaus hörte, als sie ihn während ihres eigenen Auftritts erhalten hatte. „Gloria, geht es dir nicht gut?", fragte Austin besorgt. „Mir geht's gut, Austin, keine Sorge...", korrigierte Gloria schnell ihren Gesichtsausdruck und drehte sich wieder zu Austin um. Doch sie merkte, dass Austin nicht mehr sie ansah, sondern Kendalls sich entfernende Gestalt mit Erstaunen und Bewunderung beobachtete. Er hatte keine Ahnung gehabt, dass Kendall Schlagzeug spielen konnte, geschweige denn mit solch einer Leidenschaft und Coolness. Gloria krallte sich in die Spitzenverzierungen ihres Kleides. Verdammte Kendall! Knack! Die sorgfältig genähte Spitze riss entzwei. Menschen wuselten herum – manche gehörten zum Personal, andere kamen gerade von der Bühne und wieder andere bereiteten sich auf ihren Auftritt vor. Selbst ein kleiner Junge rannte umher, vermutlich das Kind eines der Mitarbeiter. „Göttin Kendall, dein Trommelspiel war fantastisch!" Ashers Bewunderung schien aus seinen Augen zu fließen. Er erkannte, dass Kendall immer besser war, als er es sich vorgestellt hatte, sei es im Kampf, in der Wissenschaft oder sogar beim Trommeln. Wie dumm waren Lehrer und Schüler der Klasse 2, die die Göttin Kendall tyrannisierten und herabsetzten! „Danke", antwortete Kendall ruhig. „Ich bringe sie jetzt zum Abschminken. Bis morgen!" Asher winkte und führte seine Mitschüler zum Schminkraum. Kendall sah auf die Uhr und plante, nach Hause zu gehen. In diesem Moment ertönte ein lautes Geräusch von oben, und die gesamte Überdachung der Bühne stürzte ein! Der Strom fiel aus, die Lichter verschwanden sofort, Schreie erfüllten die Luft und Flammen breiteten sich aus. „Mama! Mama!", schrie ein kleiner Junge mitten im Chaos. „Baby! Baby, wo bist du?" Die Mutter des Jungen sah sich ängstlich um und entdeckte ihr Kind schließlich fünf Meter entfernt. „Bleib, wo du bist, beweg dich nicht. Ich komme, um dich zu suchen!" Sie kämpfte sich gegen die Menge vor. Krach! Ein weiteres lautes Geräusch erklang von oben, als ein gebrochener Stützbalken auf den Jungen herabstürzte! Die Augen der Mutter weiteten sich vor Entsetzen. Vergeblich streckte sie ihre Hand aus, wurde jedoch von der Menge weggestoßen. Hilflos sah sie zu, wie ihr Kind getroffen werden sollte! Im kritischsten Moment eilte Kendall herbei, schirmte den Jungen mit ihren Armen ab und ließ den gebrochenen Balken auf ihren Rücken krachen. Die Bühne stürzte weiter ein und Staub erfüllte die Luft.Außerhalb der Bühne leitete Adrian die Evakuierung, während der Feuerwehrschlauch schnell herbeigeholt wurde, um die Flammen zu löschen.
Dank ihres schnellen Handelns gab es nur wenige Verletzte.
Damien sah sich die Umgebung an und runzelte die Stirn.
Wenn man die Zeit bedenkt, müsste Kendall noch hier sein.
"Suchen Sie nach Kendall?" Adrian sagte beiläufig: "Vielleicht ist sie schon weg, aber selbst wenn nicht, bei ihren Fähigkeiten würde ihr so ein Unfall nichts anhaben. Mach dir keine Sorgen."
Dieses Mädchen war die wilde Frau, die einen italienischen Attentäter mit bloßen Händen ausschalten konnte!
Damien dachte, dass das Sinn machte, und beschloss zu gehen.
"Mein Kind ist unter dem Stützbalken! Das Mädchen namens Kendall liegt auch unter dem Stützbalken! Bitte retten Sie sie!" rief die Mutter des Jungen, als sie an Damien vorbeiging.
Damien hielt inne und drehte sich abrupt um.
In der Zwischenzeit schoben ein paar Sicherheitsleute den größten Stützbalken weg. Als sie dies taten, waren sie fassungslos.
Sie sahen ein Mädchen, das den Jungen im Arm hielt und halb auf dem Boden kniete. Mit der anderen Hand stützte sie den Kopf des Jungen, als wäre sie besorgt über eine Verletzung an seinem Kopf.
"Du..." Der Blick des Jungen war ausdruckslos, sein Gesicht mit Schmutz und Staub bedeckt.
"Geh und such deine Mutter", ließ Kendall den Jungen los und stand langsam auf.
"Göttin Kendall! Geht es dir gut?" fragten Asher und die anderen, die den Aufruhr gehört hatten und zurückgeeilt waren, besorgt.
"Mir geht's gut." Kendalls Tonfall war ruhig, während sie den Staub von ihrer Kleidung abwischte und davonlief.
Wo immer sie vorbeikam, sahen ihr die Leute mit Bewunderung in den Augen nach.
Schließlich konnte nicht jeder sein eigenes Leben riskieren, um andere in lebensbedrohlichen Situationen zu retten.
Als sie sah, dass sie ganz normal ging und es ihr gut zu gehen schien, legte sich die Besorgnis der Leute, und sie gingen ihrer Arbeit nach.
"Wenn man bedenkt, wie unnahbar sie sonst ist, hätte ich nie erwartet, dass sie... hm? Damien, wo bist du?"
Adrian suchte eine Weile, konnte seinen Freund aber nicht finden.
Außerhalb der Schule.
Die Nacht war tief und die Sterne leuchteten hell.
Kendall suchte auf der anderen Straßenseite nach dem Fahrer der Knight Family.
Sie hatte dem Fahrer nichts von der Feier heute Abend erzählt, und sie wusste auch nicht, ob der Fahrer um diese Zeit noch auf sie warten würde.
Während sie suchte, hielt ein schwarzer Sportwagen vor Kendall an.
Das Fenster des Fahrers wurde heruntergekurbelt und gab den Blick auf das umwerfend gut aussehende Gesicht des Fahrers frei.
"Steigen Sie ein."
Sagte er.
Kendall schürzte die Lippen und stieg direkt in den Wagen ein, damit er sie nach Hause fahren konnte.
Ihre Beziehung zu Damien war nicht besonders eng.
Selbst nachdem sie so viele Tage lang ein Bett geteilt hatten, kamen ihre Gespräche nicht über zehn Mal hinaus.
Sie musste sich um ihre Dinge kümmern, und er um seine. Sie waren wie zwei parallele Flüsse, die sich nie kreuzten.
Nachts war in den Vorstädten wenig Verkehr, und nach einer halben Stunde parkte Damien den Wagen vor der Villa.
Er stieg als Erster aus dem Auto aus.
Kendall stieg ebenfalls aus, aber gerade als sie die Treppe hinaufgehen wollte, rief Damien sie zu sich.
"Komm her", er hielt einen Erste-Hilfe-Kasten in der Hand. "Zieh deine Schuluniformjacke aus."
Das Gewicht dieses Gegenstandes auf ihren Schultern würde ihr sicher Verletzungen zufügen, es sei denn, sie hatte einen unverwüstlichen Körper.
Das junge Mädchen vor ihm hatte sich nicht in das Reich des Übernatürlichen entwickelt.
Kendall zögerte einen Moment, dann ging sie hinüber, setzte sich neben ihn und knöpfte die Strickjacke auf.
Die Jacke rutschte von ihren Schultern und enthüllte eine Weste und eine große Fläche mit auffälligen Blutergüssen auf ihrem Rücken.
Der Kontrast zwischen den blauen Flecken und ihrer hellen Haut bildete einen krassen Unterschied.
Damiens Pupillen zogen sich leicht zusammen.
Kendalls Verletzungen waren noch schwerwiegender, als er vermutet hatte.
Er öffnete den Erste-Hilfe-Kasten und wandte die Medizin schnell und vorsichtig selbst an. Seine tiefe Stimme wurde in der Dunkelheit der Nacht noch leiser.
"Warum weinst oder schreist du nicht vor Schmerzen?"
Vor Schmerzen zu schreien ist ein menschlicher Instinkt und eine der Möglichkeiten, Informationen an die Außenwelt zu übermitteln.
Selbst eine leichte Beule kann viele zarte Mädchen zu Tränen rühren.
Sie war auch ein Mädchen.
"Es ist nutzlos", Kendalls Augen zeigten keine Emotion.
"Wenn du vor Schmerz schreist, verrätst du deinen Standort, und wenn du weinst, verrätst du nicht nur deinen Standort, sondern verbrauchst auch das Salz, das dein Körper zum Überleben braucht."
Um am Leben zu bleiben, durfte sie weder weinen noch schreien.
Das war die erste Regel, die ihr in der Welt, in der sie lebte, beigebracht wurde.