Zwischen ihnen herrschte eine erdrückende Stille. Während Ophelia wie erstarrt in ihrer Position verharrte, fixierte er weiterhin ihre Blicke. Mit einem schwieligen Finger hob Killorn ihr Kinn an und zog ihr Gesicht zu sich heran. Sie roch genauso süchtig machend wie beim letzten Mal, ein erfrischender und leichter Duft, der ihn anlockte.
"Atme."
Ophelia hielt den Atem an.
"Ophelia", mahnte er.
Ophelia gehorchte. Sie sog die Luft durch ihren Mund ein. Er kniff ihr warnend ins Kinn.
"Ich versuch's ja ..."
"Durch die Nase", verlangte Killorn und ließ keinen Raum für Diskussionen.
Ophelia war so nah, so nah, dass er sie mit einer Kopfbewegung küssen konnte. Er fühlte ihre weichen Brüste gegen seine starke Brust gepresst. Jede Faser seines Körpers schrie danach, urwüchsig zu sein - sie zu vergewaltigen, schamlos zu berühren, was ihm gehörte, und ihren seidenen Garten darunter zu spüren.
Zwei Jahre Krieg im Herzogtum Mavez. Zwei Jahre, und er hatte nur an sie gedacht. In seinen dunkelsten Momenten, als er begann, sein Leben vor seinen Augen ablaufen zu sehen, war sie da.
In dem, was er für seine letzten Momente hielt, stellte sich Killorn seine Frau Ophelia vor. Er war ein ausgehungerter Mann, der seine ganze Zeit damit verbrachte, an sie zu denken.
Jetzt war Ophelia genau dort. In Fleisch und Blut. In der Seele. In seinem Herzen. Anstatt zu fordern, was ihm gehörte, brachte er ihr das Atmen bei. Sie war zusammengerollt wie ein neugeborenes Kind, so verängstigt vor allem in dieser Welt.
Killorn verstand nicht, wie diese verwöhnte Tochter, durch deren Adern königliches Blut floss, solche Angst vor dem Leben haben konnte. Sie hatte doch alles auf der Welt. Wovor sollte sie Angst haben?
"Braves Mädchen", murmelte Killorn, als er sah, wie sie den Atem durch die Nase ausstieß. "Und jetzt noch einmal."
Ophelia gehorchte ihrem Mann, als wäre es ihre zweite Natur. Die Stille war erdrückend und wurde nur von ihrem Atem und dem Flattern des Zelteingangs unterbrochen. Sie sah, wie sich die Musselinvorhänge um das Bett im Kerzenlicht sanft bewegten, ein schöner Tanz, den nur Liebende bewundern konnten.
Killorn war ein unberechenbarer Mann und Ophelia war verletzlich. Sie begegnete seinem unbarmherzigen Blick, seine Augen durchdrangen sie, als wäre es möglich, alle ihre Geheimnisse zu enthüllen.
"Würdest du jetzt deine Augen trocknen?" fragte Killorn und warf ihr einen spitzen Blick zu, der jeden weiteren Schluckauf verscheuchte. Sein durchtriebener Tonfall ließ sie innehalten und sie warf einen warnenden Blick auf seine berechnenden Züge. Was ging ihm in diesem Moment durch den Kopf?
Ophelia berührte zittrig ihr Gesicht, denn sie war sicher, dass sie aufgehört hatte zu weinen. Ihre Wangen waren getrocknet, aber immer noch ein wenig klebrig von den salzigen Tränen. Ihre Wimpern waren jedoch feucht von den Erinnerungen an ihren Zusammenbruch.
"O-okay..."
Ophelia senkte niedergeschlagen den Kopf, denn sie wusste, dass jetzt die Schläge kommen würden.
Killorn stieß einen schweren Atemzug aus. Sie wich nach hinten zurück. Er erstarrte. Innerhalb von Sekunden verzogen sich seine Lippen zu einem gefährlichen Knurren. Sie drückte ihre Augenlider zusammen und spannte ihren Körper an. Er erkannte diese Haltung. Er war einst ein kleiner Junge, der von seinem Vater mehrfach geschlagen wurde, um seine jüngere Schwester und seinen Bruder zu verteidigen.
Killorn spürte, wie eine Ader in seinem Nacken platzte.
"Du denkst, ich bin ein Monster." Diesmal war seine Stimme ein bedrohliches Flüstern. Sein Ton war leise, aber er durchdrang ihren Körper und packte sie mit Angst.
"N-nein-" Ophelia korrigierte sich. "Ich würde dich nie als so etwas ansehen."
"Lügen."
"N-nein", versuchte Ophelia erneut, um ihre Aufrichtigkeit zu zeigen.
Ophelia zwang sich, ihn anzuschauen, obwohl sie fast vergessen hatte, wieder zu atmen. Verzweifelt griff sie nach seiner Hand, zaghaft und ängstlich, denn sie hatte gerade ungehorsam gehandelt und ihren Mann ergriffen. Das war gegen das, was ihr Kindermädchen ihr einst beigebracht hatte.
Sei niemals anhänglich. Sag niemals 'nein' zu deinem Mann. Befriedige ihn immer, egal wann, wo und wie er sein Vergnügen einfordert. Mach ihn immer glücklich, koste es, was es wolle. Schenke ihm einen Erben, koste es, was es wolle.
"Warum stotterst du?" fragte Killorn plötzlich. "Als Kind warst du noch nicht so."
Ophelias Kopf drehte sich zu ihm um. Hatte er ... sich erinnert? Angesichts seines leeren Blicks konnte sie es nicht sagen.
"Und auch nur an ein paar Sätze, nicht an die Gesamtheit deiner Worte. Das passt nicht zu den Symptomen eines Stotterns", stellte Killorn fest.
"Wenn ich nervös bin, kommt es heraus", murmelte Ophelia. "Nur ein oder zwei Worte, selten mehr."
"Also habe ich es gerade verursacht."
Ophelias Blick weitete sich. Ihr Kopf schnellte hoch und sah ihn an. Sie öffnete ihren Mund, schloss ihn aber sofort wieder. Sie atmete durch die Nase, um ihre Nerven zu beruhigen.
Dann sprach Ophelia langsam und bedächtig. "Ich würde nie so furchtbar von dir denken."
Dies war einer ihrer seltenen und ersten vollendeten Sätze. Sie hoffte, dass die Aufrichtigkeit der Situation helfen würde.
Dann griff Ophelia wie ein Kind nach seinen Ärmeln. "Du bist k-kein Monster, sie sehen bestimmt nicht so aus wie du."
Killorn erstarrte bei ihrer Berührung. Er konnte kaum ihre Fingerspitzen auf seiner Haut spüren. Ihr Griff war fest, doch sie war nur Haut und Knochen. Seine Muskeln spannten sich an, um sie besser wahrzunehmen. Ihr Körper strahlte eine Eiseskälte aus, die die Flammen in ihm zum Erlischen brachte. Er atmete aus, was sie veranlasste, noch näher zu zittern.
"Wenn ich kein Monster bin, was dann? Du reagierst, als hätte ich dich schon einmal geschlagen. Habe ich das?"
Ophelia schüttelte den Kopf.
"Warum weichst du dann zurück?" drängte Killorn.
Ophelias Lippen zitterten. Wie sollte sie ihm die Wahrheit sagen? Ophelia, mit all ihrer Pracht, war das schwarze Schaf des Hauses Eves.
Ophelia war eine uneheliche Tochter. Ihre Mutter war eine unbekannte, die als Hure dargestellt wurde, welche ihren ahnungslosen Vater verführte.
"Die Menschen um mich herum... b-behandeln mich nicht gut", entkamen ihr die Worte.
Dann schlug Ophelia erschrocken die Hand vor den Mund. Sofort wechselte sein Gesichtsausdruck von Verwirrung zu Wut. Solche ungezügelte Wut hatte sie noch nie zuvor auf dem Gesicht eines Mannes gesehen. Ohne Vorwarnung packte er sie an den Schultern und riss sie so nah an sich, dass sie seinen Atem auf ihrem Gesicht spürte. Sein Griff war fest und seine Haut warm.
"Wer?" knurrte Killorn. War es ihre Familie? Er begann zu realisieren, dass er sie zwei Jahre lang mit einem Monster gelassen hatte. Die ganze Zeit dachte er, sie sei beschützt. Unfassbarkeit begann ihn zu überwältigen.
Ophelia starrte ihn an.
"E-erzähle mir zuerst, wo du gewesen bist", stammelte Ophelia. "W-welche Schlacht? W-war es im Krieg?"
Killorn schaute sie mit einer Zornesintensität an, die ausreichte, um einen Krieg zu beginnen. Sie starrte ihn mit bebenden Lippen zurück an.
"Es war kein Krieg zwischen Nationen", murmelte Killorn. "Es ging darum, ein Erbe zu werden."
"W-was?" fragte Ophelia. "Das heißt... du hast gegen deine eigene Familie gekämpft?"
Killorn verengte die Augen. Gab sie vor, dumm zu sein, um sich aus diesem Betrug zu winden? Er warf einen Blick auf den verstorbenen Neil und stellte fest, wie alt dieser Bastard war. Mochte sie ältere Männer? War er etwa nicht alt genug für sie? Killorn war in diesem Jahr achtundzwanzig geworden.
"Du wirst es bald herausfinden", erklärte Killorn. "Aber ich bin als Sieger zurückgekehrt. Das ganze Imperium weiß davon."
Plötzlich wurde Killorns Gesichtsausdruck leer und er ließ sie los. Sie sank wie Papier in sich zusammen, die Schultern erleichtert sinkend.
"Du kennst meinen Ruf nicht", bemerkte Killorn, unsicher, ob er erleichtert oder amüsiert war.
"Du bist der Sohn eines Herzogs...", brach Ophelia verwirrt ab.
Ophelia war vorsichtig, was ihre Herkunft anging. Obwohl ihr Vater ihre Mutter sehr liebte, hatten sie vor ihrer Geburt nie geheiratet, was sie zu einer unehelichen Tochter machte. Uneheliche Kinder galten als gesellschaftlicher Abschaum und wurden oft misshandelt. Ophelia wollte nicht, dass Killorn ihr so etwas antat.
Niemand würde Killorn, dem Sohn eines Herzogs, Vorwürfe machen. In der Tat wusste Ophelia, dass jede Frau im Reich Killorn Mavez begehrte. Das war kein Gerücht. Die Menschen würden sich ihm alleine wegen seines Titels zu Füßen werfen. Jetzt war er angesehen, mächtig sowohl in seiner Wesensart als auch an Stärke, und unangefochten.
"Das ist alles, was du vorerst wissen musst", erwiderte Killorn mit einem spöttischen Blick. "Du solltest nur wissen, dass ich dir einen sicheren Hafen in meinem Haus errichtet habe – dort wirst du Schutz finden."
"Es tut mir l-leid", stieß Ophelia hervor. "Dass ich nicht wusste, ob du mir zurückgeschrieben hast, ich hätte ..."
Killorns Blick verhärtete sich. Er wich ihrer Berührung mit einem Mal aus. Ihre Hände fielen schlaff an ihre Seite.
Killorn erinnerte sich, dass sie auch bei der Hochzeit so gewesen war. Alle umschwärmten ihn während der Zeremonie und wollten über dies und das sprechen. Keines dieser Gespräche war für ihn von Bedeutung, doch er konnte kein Wort mit seiner Frau wechseln.
Während der gesamten Feierlichkeiten hielt sie den Kopf gesenkt, die Augen auf den Boden gerichtet, die Schultern gekrümmt. Sie war immer noch eine schöne Erscheinung, mit ihrem eleganten Hals und ihrer feinen Gestalt. Doch jedem war klar, dass sie die Hochzeit gar nicht fortführen wollte.
Killorn wollte das allerdings unbedingt.
"Es ist in Ordnung", lenkte Killorn nach einer langen Stille ein.
Killorn warf einen Blick auf seine ernste Frau. Er konnte sich alles vorstellen, als ob es gestern gewesen wäre.
Bei der Zeremonie wirkte Ophelia als wäre sie ein Schwan, dem die Flügel gestutzt wurden, für immer den Boden fixierend, weil sie aufgrund der Heirat nie wieder fliegen konnte.
Killorn glaubte, dass es einen anderen Mann gab. Einen Geliebten, den sie heiraten wollte, aber nicht konnte. Selbst jetzt war er sicher, dass es einen gab, wenn man ihren beschämten Gesichtsausdruck in Betracht zog.
"Nun, tritt aus deinen Unterkleidern heraus."