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Chapter 8 - Die Forderung

Killorn half Ophelia behutsam in das violette Gewand. Der kalte Wind ließ sie zittern, denn es war dünn. Doch er packte besitzergreifend ihre Ellbogen und zog sie an seine Seite. Sie erkannte, dass er nicht die Absicht hatte, sie gleich zu sich ins Bett zu nehmen. Er hatte sie dazu gebracht, die Gewänder für die Jahrzehnt-Tribut-Zeremonie abzulegen... doch wozu? Hilflos sah sie zu ihm auf.

Als sie das Zelt verließen, war bereits eine Menschenmenge versammelt. Ophelia wurde beinahe ohnmächtig. Ein älterer Mann bedrohte ihren Vater mit einem Schwert. Die Wachen des Hauses Eves umzingelten die Matriarchin, waren jedoch den bewaffneten Männern Killorns zahlenmäßig unterlegen. Plötzlich kam es zu einem Tumult.

"Oh mein Gott..."

Ophelia beobachtete, wie alle Alphas und Vampiranführer in ihre Richtung sahen. Fast alle waren anwesend. Sie schauten, als hätten sie einen Geist gesehen. Keiner traute sich zu bewegen oder zu sprechen. Dann, unvermittelt, verbeugten sich einige Berater und Betas rasch.

"E-Euer Hoheit, wir hätten nicht erwartet, dass Ihr hier sein würdet."

Sofort war Ophelia klar, dass ihr Gemahl kein Mensch war. Dies bestätigte es nur. Vampire und Werwölfe, insbesondere der Anführer ihres Clans, zeigten nie solche Ehrerbietung vor einem Menschen.

Als sich die Menge versammelte, erblickte Ophelia endlich Nathan, der sich durch die Schaulustigen drängte. Er schien verwirrt; seine Blicke huschten umher. Dann roch er es. Das taten alle; deshalb waren sie zusammengekommen. Es war der starke Geruch von Blut - und nicht nur irgendeinem, sondern von Vampirblut.

"Diese Hure!" rief Nathan aus, als er sie erblickte, obgleich er von einem Kreuz aus vier Schwertern eingekesselt war – gefangen von Killorns Männern.

Die Häuser Eves und Nileton verloren auf groteske Weise, es konnte kaum als Schlacht bezeichnet werden.

"Sagt es noch einmal."

Ophelia dachte, der Tod selbst stünde neben ihr. Killorn sprach sanft, aber selbst die Windstille jagte den erwachsenen Männern Schauer über den Rücken. Seine dunklen Locken spielten um seine Augen, erinnerten alle an ein Raubtier, das nur darauf wartete, zuzuschlagen.

Die Familie von Neil erblich angesichts seines Verhaltens, das so gefährlich war, dass sie sich untereinander ratlos anblickten.

"Wie nannten sie Eure neue Herzogin?" murmelte Killorn.

"Etwas, das sie nicht ist", knurrte ein Ritter aus dem Haus Mavez.

"Eine erbärmliche Entschuldigung für eine Beleidigung", ergänzte ein anderer mit einem Anflug von Humor.

"Klingt sehr nach dem Mann, der sie gesagt hat." Killorn neigte den Kopf, und seine durchdringenden grauen Augen hielten jeden einzelnen Mann fest. Er war erschreckend ruhig, doch die Wildheit seines Blicks schickte sie zitternd in ihre Stiefel.

"S-sie ist jetzt ein Teil unserer Familie als Neils auserwählter Tribut, s-sie wollten..."

"Ach, Ihr meint den Leichnam, der nicht einmal mehr hochkommt?" bemerkte Killorn und führte Ophelia zur Seite, um ihnen den Anblick des Toten zu gewähren.

"E-Euer Hoheit, Ihr!" stammelte der Patriarch von Nileton. Nicht einmal er traute sich, einen der tödlichsten Männer, die jemals auf dieser Erde wandelten, zu beleidigen. Es hieß, nicht einmal hundert Männer könnten Herzog Mavez aufhalten.

Der Herzog war für seine blutige Ausstrahlung bekannt. Selbst jetzt, beim Anblick eines toten Körpers, wagte niemand zu protestieren.

Ritter aus dem Haus Mavez hielten den Patriarchen von Nileton mit dem Messer in Schach, gefesselt und in einem Käfig aus Schwertern gefangen.

"Was habt Ihr getan?" forderte die Matriarchin von Eves fassungslos. "Ihr lasst unsere Enkelin im Stich und Ihr...""Zeig etwas Respekt!" Eine Stimme bellte es von hinten.

Ophelia erkannte sofort, dass es sich um eine leitende Person handeln musste, wahrscheinlich einen Alpha, das zeigte seine kraftvolle Haltung.

"Du stehst in der Gegenwart des Alphas Mavez."

Ophelias Herz sank. Was hatten sie gerade gesagt? Sie blickte ungläubig zu ihrem Mann auf.

Alpha Mavez, der erbarmungsloseste Mann, der je die Erde betreten hatte? Gerüchten zufolge hatte er seine gesamte Familie auf einmal ausgelöscht und niemanden verschont, außer seinen jüngeren Geschwistern. In der Nacht eines roten Mondes hatte er so viele Männer niedergemacht, dass man den Vorfall als den berüchtigten Blutwald betitelte. Er hatte das grausame Regime seines Vaters beseitigt und ein neues errichtet.

"W-was?" murmelte Matriarchin Eves, zum ersten Mal schockiert zurückweichend. Aaron versuchte sie schnell zu stützen, doch es war vergeblich.

"Ein Kampf der Erben", murmelte Ophelia, als sie die Situation endlich begriff. Die ganze Zeit war sie von Matriarchin Eves isoliert gewesen, fernab der Gesellschaft. Nur selten drangen Nachrichten von der Außenwelt zu ihr, geschweige denn als ein Menschenmädchen von dem Reich der Werwölfe.

Als Ophelia ihren Mann heiratete, wusste sie nichts über ihn, und ihre Familie ebenso wenig. Menschen waren selten in den Werwolfklatsch verwickelt, außer bei bedeutenden Veränderungen.

In jener Nacht war Killorn nicht einfach gegangen, um irgendeine Schlacht zu schlagen. Er hatte sie verlassen, um Alpha zu werden.

"Es war ein Wettlauf um die Macht, und er hat ihn gewonnen", wiederholte derselbe Mann mit einem leichten Stirnrunzeln wegen der blutigen Nacht, die allen einen bitteren Beigeschmack hinterlassen hatte. "Einer der jüngsten Alphas seit fünf Jahrhunderten."

"Unmöglich!" rief Nathan ungläubig aus, er wusste jedoch, dass es die Wahrheit war.

Ophelia erschrak unter Nathans vorwurfsvollem Blick und erinnerte sich an die Worte, die er zu seinem jüngeren Bruder gesagt hatte.

"Mein Sohn..." Patriarch Nileton stolperte zurück. Er konnte dieses Unglück einfach nicht fassen. Zunächst war sein Sohn tot. Jetzt hatte er ein wertvolles Gut verloren, das durch etwas so Regeneratives wie Blut sein Volk heilen konnte. Ophelia war ein Werkzeug, dessen Verlust er sich nicht erlauben konnte.

"Lasst uns vernünftig sein", sagte Patriarch Nileton plötzlich. Der Stimmungsumschwung war fast augenblicklich. Er hatte heute einen Sohn verloren, aber er war ein Mann mit vielen Kindern. Nathan war noch immer da.

"Ophelia gehört zu meinem Sohn. Wir haben sie bei der Zeremonie ausgewählt und sie hat es als ihr Schicksal akzeptiert. Sie war ein freiwilliges Opfer, vorgeführt von jedem Alpha und Vampiroberhaupt," erläuterte Patriarch Nileton.

Killorns Augen funkelten. Also stimmten seine Informationen – sie hatten Ophelia in die Zeremonie gebracht, wohlwissend, wem sie gehörte. Diese Männer waren Toren, ihre wahre Identität als seine Frau nicht zu erkennen, aber andererseits hatte er sie auch nie der Welt vorgestellt.

"Ihr wurdet schon einmal gewarnt", murmelte Killorn frostig.

Matriarchin Eves erstarrte.

"Jeder wurde gewarnt." Killorn zeigte ein ausdrucksloses Lächeln. "Ophelia Eves Mavez steht nicht zur Disposition. Hattet Ihr das vergessen?"

Ein Schauer lief dem Publikum über den Rücken. Versteifte Rückgrate, klamme Gänsehaut, alle waren vor Schreck wie gelähmt. Niemand wagte es, etwas zu sagen. Selbst das Atmen fiel schwer.

Jeder wusste, auf wen und was Killorn anspielte. Es war eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen die höchsten Oberhäupter sich zusammenfanden, und zwar für ein Menschenmädchen – Ophelia. Sowohl der oberste Vampir als auch der oberste Werwolf hatten deutlich gemacht: Ophelias Blut war tabu.

"Die Jahrzehntzeremonie ist eine Tradition", erklärte Matriarchin Eves plötzlich. "Eingerichtet von eurem Volk zum Schutz von uns Menschen. Meine Enkelin war ein freiwilliges Opfer. Wir haben sie nicht schreiend und strampelnd hierher gebracht."

Matriarchin Eves blieb gefasst, doch ihre Hände zitterten vor Angst. Sie hatte es gewagt, einem Werwolf zu widersprechen. Einem Alpha. Dem Alpha. Knurren erfüllte die Luft, ein Zeichen von Respektlosigkeit.Killorn ließ ein leises, fast amüsiertes Glucksen hören. Dann huschte sein Blick für einen Moment zu Ophelia. Offensichtlich war sie aus eigener Kraft hierhergekommen. Als er ihren genervten Gesichtsausdruck bemerkte, wandte er sich wieder den streitenden Verwandten zu.

"Du hast meiner Frau erzählt, ich sei tot", sagte Killorn mit kühler Stimme.

"Unverschämt!", rief ein Mann und zeigte anklagend auf die Matriarchin Eves, die schnell einen bleibenden Eindruck beim mächtigen Alpha hinterlassen wollte. "Wie kann es ein einfacher Mensch wagen..."

"Es war ein Missverständnis", keuchte Ophelia und hielt sich krampfhaft an Killorns Ärmel fest, in der Hoffnung, dass er das Chaos beenden würde.

"Gut. Damit ist das geklärt." Ohne Vorwarnung packte Killorn sie und zog sie an sich.

"Ophelia und Neil sollten heute Nacht ihre Beziehung vollziehen!", erkannte Nathan. "Solange Neil das Opfer vollzogen hat, sind sie offiziell, es gab eine Zeremonie und alles..."

"Hast du das gehört, Ophelia?" Killorn schaute auf seine erstarrte Frau hinab. Er griff nach der Hand, die seinen Umhang festhielt. Ihr Kopf schnellte in Angst hoch, als sie den Griff verstärkte.

Ophelia hatte Angst, dass er sie zurückweisen könnte.

"Sobald wir die Ehe vollziehen, ist sie offiziell", verkündete Killorn in kühlendem Ton. Er besaß mehr Verstand als Kraft.

Ophelias Geist leerte sich. Ihr Mann war ein intelligenter Mann, mit dem Gesicht eines edlen Sohns und dem Verstand eines solchen.

Nathan starrte den Mann an und zeigte mit zittrigem Finger auf ihn. "D-du... d..."

"Hören Sie mir zu," setzte Patriarch Nileton erneut an. "Wir können verhandeln. Ich kann für Ophelia zahlen, ich..."

"Du hast den Befehl des Oberherren missachtet." Killorn neigte den Kopf, ein grausames Lächeln auf seinem Gesicht. "Dafür wirst du bezahlen."

Patriarch Nileton spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Er taumelte zurück und wich aus. Die Ritter von Mavez benutzten Silberschwerter, obwohl sie selbst Monster waren. Die Erkenntnis hätte ihn unter anderen Umständen amüsiert. Aber nicht heute. Nein, nicht jetzt.

"Komm, Ophelia, lass uns ihnen geben, was sie wollen."

Ophelia erstarrte. Killorn ergriff ihre Hand, seine Wärme schmolz die Kälte, die sie bedrückte. Sie fühlte sich wie eine Stoffpuppe, die von ihm zurück in den Raum gezogen wurde, dort, wo Neils lebloser Körper unbehaglich lag, sein Herz auf dem Boden.

Da sie es nicht wagte, vor der Menge ihrem Mann zu widersprechen, konnte Ophelia nichts anderes tun, als sich hilflos ins Zelt zurückziehen zu lassen.

"Ophelia!", tadelte die Matriarchin scharf. "Komm her. Sofort."

Ophelia warf einen Blick über ihre Schulter. Ihr Blick traf den ihrer furchteinflößenden Großmutter. Die Haare in ihrem Nacken richteten sich auf. Gänsehaut überzog ihre Haut.

Ophelia erinnerte sich an die Peitschenhiebe auf ihren Oberschenkeln. Sie erinnerte sich, wie die Matriarchin sie persönlich bestraft hatte. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater versucht hatte, sie vor den Schlägen zu schützen, dabei aber verletzt wurde, sodass er ein Krüppel wurde, der seine eigene Tochter nicht richtig schützen konnte.

"Ophelia", rief Killorn und drückte ihre Hand.

Sofort hatte Killorn ihre volle Aufmerksamkeit. Ophelias Kopf schnellte zu ihm, erinnerte ihn an einen aufgeschreckten Welpen. Er drückte ihre Hand, ihr Blick fiel auf ihre ineinandergreifenden Finger."Verdammt noch mal, jemand muss sie aufhalten!" rief Nathan fassungslos und wandte sich an seinen Vater, der wiederum Matriarchin Eves ansprach. "Mein Bruder ist mit ihr verheiratet, das hat der Priester - ich meine, Neil hat es selbst gesagt!"

Matriarchin Eves stand vor einer Entscheidung. Und sie war kein Dummkopf. Alpha Mavez auf ihrer Seite zu haben, war weit einschüchternder als einige zerstrittene Vampire.

"Das sind sie nicht", verkündete Matriarchin Eves unerwartet. "Sie ist lediglich ein auserwähltes Opfer, weiter nichts."

Patriarch Nileton keuchte. Das war nicht das, was ihm gesagt worden war. "Matriarchin Eves, Sie—"

"Nehmt sie", bestimmte Matriarchin Eves entschlossen.

Aaron schüttelte entschieden den Kopf, nicht einverstanden damit. Werwolf oder nicht, er wollte nicht, dass seine Tochter in die Hände eines Übernatürlichen fiel. "Ophelia, warte, komm her—"

"Ruhe, Aaron", forderte Matriarchin Eves ihren Sohn auf.

Aaron, Ophelias Vater, versuchte dem Schwert auszuweichen, doch sein Gehstock machte es ihm schwer. Er konnte kaum auf seinem gesunden Bein stehen, nachdem das andere von seiner eigenen Mutter zerschmettert worden war.

"Mein Papa", appellierte Ophelia verzweifelt an ihren Mann. "Bitte tu das nicht..."

Ophelias Stimme erstarb in ihrer Kehle. Sie sah zu ihrem Mann auf, fast so, als flehe sie ihn um Gnade an. Ihr Papa war der einzige, der sich um sie sorgte.

Als Killorn ihren besorgten Blick sah - einen Blick, der endlich etwas von ihm verlangte - starrte er sie nur an.

Ophelia konnte ihre Bitte nicht aussprechen, doch Killorn konnte die Antwort in ihren Augen lesen, die beinahe bettelten. Ihre glitzernden Pupillen erinnerten ihn an ein Tal voller Veilchen.

"Gerald", sagte Killorn.

"Also gut, also gut", murmelte Gerald und senkte sein Schwert, als er den Machtwechsel wahrnahm, der gerade stattgefunden hatte. Ihnen beiden war es vielleicht nicht bewusst, aber Ophelia hatte viel zu viel Einfluss auf Killorn, als es irgendwem recht sein konnte.

Gerald dachte, er sei der Einzige, der es bemerkt hatte, aber offenbar nicht.

"Ophelia gehört zu Haus Nileton!" protestierte Nathan plötzlich. "Wir haben sie auserwählt—"

"Du hast es selbst gesagt. Ich muss nur die Ehe heute Nacht vollziehen", erwiderte Killorn mit einer dunklen und gefährlichen Stimme. "Meinetwegen kannst du den Priester im Zelt bewachen lassen."

Bevor die Matriarchin etwas entgegnen konnte, packte Killorn Ophelia an der Hand und begann, sie in den Wald zu ziehen. Über ihre Schulter hinweg sah sie den wütenden Blick ihrer Großmutter – denselben Blick, unter dem Ophelia schon einmal geschlagen worden war. Dann vernahm sie draußen Nathans lauten Protest.

"Nein, wir können diese Dirne nicht—" Nathan drehte sich scharf zu Patriarch Nileton um. "Vater!"

"Schweig, Junge, ich überlege", murmelte Patriarch Nileton, nicht vorbereitet auf diese Wendung der Dinge.

Dann wurde alles still. Ophelias Magen krampfte sich zusammen. Äste brachen unter seinen Füßen ab. Knack. Knack. Knack. Sie konnte kaum etwas anderes hören als den Schlag ihres Herzens, und ihr Blick zitterte. Seine Hände waren warm und seine imposante Präsenz nahm ihre zierliche völlig in Anspruch. Sie wurde in Richtung eines gewaltigen Holzhauses gezerrt, das von kleineren Zelten umgeben war. Sie realisierte, dass hier sein Rudel das Lager aufgeschlagen hatte.

Ophelia hatte nicht einmal Zeit, die Sterne zu bewundern. Sie wurde ins Haus gebracht, wo ein Bett auf sie wartete.