Jin Jiuchi starrte ihn fassungslos an. Was hatte die Jadepuppe gerade gesagt? Hatte er etwa vor, trotz Ausgangssperre hinauszugehen und zu riskieren, von dieser bizarren Spinnenkreatur, die zweite Version von Madame Liu zu sein, gefangen zu werden?
"NEIN!" schrie er laut auf. Wäre er in der Lage gewesen, hätte er sich hochgerappelt, Nian an den Schultern gepackt und ihn geschüttelt, um zu überprüfen, ob er das Wasser in seinem Kopf loswerden könnte. Wer fehlte hier eigentlich der gesunde Menschenverstand? Hatte er sich denn überhaupt schon einmal im Spiegel betrachtet? Nian'er war so zierlich – was, wenn er von dem Spinnenwesen in einem Schluck verschlungen würde? Je mehr Jin Jiuchi darüber nachdachte, desto entsetzter wurde er. "Nian'er, das darfst du nicht! Du—"
"Ssshh!" beschwichtigte Nian ihn hastig und warf ihm einen finsteren Blick zu. "Sei leiser!"
Jin Jiuchi hörte natürlich nicht auf ihn. Er schrie sogar noch lauter. "Ah, ah, ah! Hilfe – hier ist ein böser Nian'er! Er will mich—hmpph!" Die Nadel wurde erneut in Jin Jiuchis Körper gestochen und verschloss im Nu seinen Mund.
Wie ein sadistischer, junger Herrscher stand Nian über Jin Jiuchi und lachte schaurig, mit einem Ausdruck düster wie der Boden eines Topfes, "Warum zum Teufel halte ich dich überhaupt noch am Leben? Hätte dich früher nicht stoppen sollen, als du in das Zimmer von Alt-Guan gehen wolltest!"
"Hmmph hmm hmm!" Aber Nian'er, du hast mich doch lieb!!
Nian fuhr ihn wütend an: "Halt den Mund!"
Er fixierte den lästigen Mann vor sich mit einem stechenden Blick. Obwohl er keine Ahnung hatte, was Jin Jiuchi da von sich gab, wusste er instinktiv, dass es nichts Gutes war. Er hätte Jin Jiuchi einfach so lassen sollen, bis sie aus dieser Schleife herauskämen, damit er ihm keinen Ärger bereitete!
Diesmal hielt Jin Jiuchi tatsächlich den Mund, allerdings nicht, weil Nian'er es ihm befohlen hatte. Er richtete seinen Blick nach oben und spitzte die Ohren. Als Nian ihn so sah, wurde er ebenfalls aufmerksam und folgte dessen Blick. An der Decke über ihnen war nichts zu sehen, bis auf—
Sssh… sssh…
Ein seltsames Geräusch erreichte ihre Ohren. Es war ein langsames, schleppendes Geräusch, als ob etwas Schweres über den Boden gezogen würde. Nians Körper spannte sich an und er verlangsamte seinen Atem, seine violetten Augen funkelten scharf. Das Geräusch hielt an und hallte durch den stillen Raum, verstärkt, als wollte es den Menschen Angst einjagen. Je mehr er hinhörte, desto mehr schien es ihm... ja, es klang wirklich so, als würde jemand ein schlaffes Bein hinter sich herziehen!
Sofort schoss ihm eine Möglichkeit durch den Kopf. Das dritte Opfer? Der mit dem Nachnamen Dong? Abgesehen von den Papierpuppen und dem Spinnenwesen konnte es nur er sein.
Die beiden hielten die Luft an, während das schleifende Geräusch immer weiter in die Ferne rückte, bis es schließlich verstummte und nur noch eine unheimliche Stille herrschte. Die Spannung in der Luft löste sich langsam und erst dann konnte Nian sich entspannen. Doch die Tatsache, dass er so wenig über die Kreaturen wusste, nagte an ihm, machte ihn unruhig. Er war sich ziemlich sicher, dass das Tagebuch in Zhis Händen einen wichtigen Hinweis enthielt – vielleicht die Schwäche der Kreaturen oder sogar einen Weg, sie zu besiegen. Um es zu bekommen... musste er vielleicht morgen mit dem Mann einen Handel aushandeln.
Er ignorierte die flehenden Hundeaugen von Jin Jiuchi, die ihn unablässig anstarrten, legte sich ins Bett und machte es sich unter der Decke gemütlich.
"Mrrphh!! Hmm nghh!!" Nian'er, und was ist mit mir?! Du willst mich doch nicht wirklich die ganze Nacht so liegen lassen, oder?!
"Streng dich nicht so an", sagte Nian in einem müden Ton, während die Schläfrigkeit in seine Augenlider kroch. "Heute Nacht musst du Wache halten. Wenn das Albtraumwesen kommt, weck mich auf."
Jin Jiuchi war nun den Tränen nahe. "Hmmm!!" Wie soll ich dich denn so wecken?!
Nian verriet ihm nicht, dass die Wirkung der Requisite höchstens zwei Stunden anhielt. 'Lassen wir ihm eine Lektion, damit er es nicht mehr wagt, seine stinkenden Pfoten zu erheben,' dachte er böse. Mit diesem Gedanken schlief er friedlich ein und überließ Jin Jiuchi sich selbst.In der Nacht kam Frau Zhao auch nicht zu Besuch.
***
Am nächsten Tag weckte sie Xinxins entsetzter Schrei. "AHH—!"
Nian schreckte aus seinem Tiefschlaf auf. Sein Instinkt war sofort zur Stelle und vertrieb den Nebel der Müdigkeit aus seinem Kopf. Alarmglocken läuteten in seinem Inneren. Das war das zweite Mal, dass er im Zyklus so fest geschlafen hatte, und dann auch noch gleich zwei Mal hintereinander!
Mit einem leisen Keuchen öffnete er die Augen und spürte, wie die schwere Decke von ihm weggeschoben wurde, während er mit heiserer, verschlafener Stimme murmelte,
"Was zum Teufel ist das…"
Nian blieb reglos, zu überrascht, um sofort zu reagieren. Die brennende Wärme von Jin Jiuchis Körper war immer noch auf seinem Rücken und seinem ganzen Körper zu spüren, als er langsam umdrehte und den Mann mit zerzausten Haaren auf dem Bett sitzen sah. Sein Oberkörper war unbekleidet und zeigte die prächtigen, verführerischen und straffen Muskeln, während er seinen Oberkörper dehnte und ein großes Gähnen von sich gab.
"Nian'er?" Jin Jiuchis Stimme holte ihn gerade eben aus seiner Benommenheit. "Jemand schreit draußen. Sollen wir nicht nachschauen?"
"Du…" Nian setzte sich auf und wischte sich den Mundwinkel, erleichtert, keine Spuren von Sabber vorzufinden. Er brachte hervor: "Warum trägst du kein Hemd?"
"Zu eng", beschwerte sich Jin Jiuchi brummend. "Du kannst doch nicht erwarten, dass ich das im Schlaf trage. Ich würde daran ersticken! Okay, okay, schau mich nicht so an. Mensch, ich zieh es jetzt an, okay?" Er murmelte darüber, wie streng und penibel Nian'er war, griff nach dem Hemd, das er letzte Nacht zur Seite geworfen hatte, und zog es an, um seinen nackten Körper zu bedecken.
Nian atmete erleichtert auf. Endlich konnte er wieder klar denken. Der Anblick dieses verdammten Huskys am frühen Morgen war wirklich zu ablenkend...
"Gehen wir", sagte er, stieg aus dem Bett, schlüpfte in seine Schuhe und ging zur Tür, um sie zu öffnen.
Xinxin stand am Geländer des Korridors und blickte hinunter, ihr Gesicht war fahler als der Tod. Sie quietschte überrascht, als sie hörte, wie sich die Tür öffnete, entspannte sich aber wieder, als sie Jin Jiuchi und Nian herauskommen sah. Sie wirkte, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. "Ihr seid da..."
Nian zupfte am Saum von Jin Jiuchis Hemd und gab ihm ein Zeichen.
Jin Jiuchi zuckte mit den Augenbrauen, lachte und nahm wieder die Jade-Puppe auf den Arm, um zu sehen, was unten vor sich ging. Die Leiche von Frau Liu lag immer noch in derselben Position, in der sie sie gestern Abend zurückgelassen hatten. Für einen Moment fragte er sich, wie sie dort immer noch liegen konnte, wenn sich das Spinnenwesen gestern Abend bewegt hatte, doch dann lenkte ihn ein anderer Anblick schnell ab.
Unten lagen nicht nur eine, sondern zwei Leichen.
Und die andere...
Es war niemand anderes als Schwester Hong.