Chapter 42 - Perfekt zum Abendessen

Je tiefer sie in den schmalen Gang vordrangen, desto dunkler und kühler wurde ihre Umgebung. Es war, als würden sie in ein völlig anderes Reich eintreten, einen Ort, den das Licht nie erreichen konnte. Doch gerade in diesem endlosen Dunkel funktionierte Jin Jiuchis Sehvermögen besser, und seine silbernen Augen begannen unheimlich zu glimmen.

Sie hielten vor der schweren Holztür inne. Jin Jiuchi neigte den Kopf, um die Jadepuppe zu betrachten, die genauso mühelos im Dunkeln navigierte wie er. "Nian'er, kannst du auch sehen?", fragte er, seine Enttäuschung nicht ganz verbergend. Er hatte sich darauf gefreut, Nians zarte Hand zu ergreifen und ihn wie einen zerbrechlichen kleinen Prinzen zu führen. Doch das sollte nicht sein.

Nian warf ihm einen heimlichen Blick zu. Obwohl er keine Ahnung hatte, was genau in Jin Jiuchis Kopf vorging, spürte er instinktiv, dass es nichts Gutes war.

In dem engen, stockfinsteren Gang wirkte Jin Jiuchis hohe und breite Gestalt wie die eines Schattenwesens über ihm. Und durch das Fehlen des Lichts hatten sich seine Pupillen fast tierisch erweitert; er glich einem Raubtier, das seiner Beute direkt in die Augen sah. Hätte Nian nicht gewusst, dass es sich um einen albernen Husky handelte, oder hätte er am Eingang des Ganges gestanden und nur ein paar schwebende, leuchtende Augen im Nichts gesehen, so hätte er sicherlich Panik bekommen. Glücklicherweise kannte er diese Augen bereits und sein Schreck war schon viel weniger.

Je länger er hinsah, desto mehr strahlte Jin Jiuchi eine dämonische Schönheit aus. Beinahe... hypnotisierend.

Mittlerweile war sich Nian fast sicher, dass Jin Jiuchi kein Mensch war, obwohl es schien, als wüsste der Mann das selbst nicht. Natürlich hatte Nian nicht vor, es ihm zu sagen – zumindest vorerst nicht. Was auch immer Jin Jiuchi war, Nian hatte immer noch keine Ahnung, woher er kam oder was seine Aufgabe war. Und genau aus diesem Grund war es besser, nicht das Gras zu verrühren und die Schlange zu reizen.

Denn wer konnte schon mit Sicherheit sagen, dass diese Schlange, trotz ihres harmlosen Aussehens, nicht giftig war?

Nian schüttelte den Kopf, um diese Gedanken vorerst beiseitezulegen. "Wenn man mehrere Zyklen durchläuft, verbessert der Albtraum langsam deine körperliche Beschaffenheit, einschließlich deines Sehvermögens", antwortete er auf Jin Jiuchis Frage. Als Jin Jiuchi neugierig in seiner Kehle brummte, fügte Nian nach kurzem Nachdenken hinzu: "...Natürlich wird es nicht so gut sein wie deins."

Über das Lob erfreut, erwiderte Jin Jiuchi stolz: "Natürlich, ich bin so geboren worden. Es liegt in meiner Natur!"

...Oder war er das? Er konnte sich nicht mehr erinnern.

Nian summte und richtete seinen Blick wieder nach vorn. "Ich gehe voraus und du sicherst unsere Rückseite. Wir passen aufeinander auf, falls sich etwas im Inneren befindet, verstanden?"

Jin Jiuchi stimmte freudig zu: "In Ordnung, Nian'er~"

"Lass uns lebend zurückkehren", murmelte Nian, während er die Tür aufstieß und sich mit seinen Ärmeln Mund und Nase bedeckte, als eine Staubwolke ihn empfing. "Ich weigere mich, an diesem schmutzigen Ort zu sterben."

Die Küche sah kaum anders aus als am Morgen, abgesehen vom dick aufgewirbelten Staub und den langen Spinnweben an der Decke. Es wirkte fast so, als wären einige Jahre vergangen, seit jemand zuletzt hier war. Aus früheren Erfahrungen lernend, blieb Nian mitten im Raum stehen und fragte Jin Jiuchi: "Kannst du ihn riechen?" Seine violetten Augen beobachteten wachsam die Umgebung und waren sogar auf die feinsten Veränderungen, wie eine Luftbewegung, eingestellt. Doch bis jetzt konnte er nichts Verdächtiges ausmachen.

"Hmm...", schnupperte Jin Jiuchi, verzog dann angewidert das Gesicht, als der Gestank in seine Nase stieg. "Nein, absolut nichts. Aber weißt du, was dieser Ort riecht, Nian'er?"

"Hm?"

"Ratten. Eine Menge Ratten." Während Jin Jiuchi sprach, drehte er langsam den Kopf, um in den dunklen Raum hinter der Tür zu schauen. Seine silbernen Augen glänzten fast aufgeregt, als er ein Dutzend rubinroter kleiner Augen entdeckte, die ihn anstarrten. Er fuhr sich mit der Zunge über die spitzen Eckzähne: "...Perfekt fürs Abendessen.""Was?!" Nian fuhr erschrocken herum, doch gleichzeitig sanken seine rubinroten Augen zu und er sah nichts außer einer Wolke von Dunkelheit. Er war zutiefst angewidert von dem, was Jin Jiuchi gerade gesagt hatte: "Du willst zum Abendessen Ratten essen?!"

"Wieso denn nicht? Sie sind klein, fleischig und ziemlich lecker", zuckte Jin Jiuchi mit den Schultern. Er musste ein Kichern unterdrücken, als er den entsetzten Blick der Jadepuppe sah, die sich wohl wünschte, sie könnte ihr Gehirn und ihre Ohren bleichen. Er streckte die Hand aus und strich sanft mit dem Daumen über die Wange der Jadepuppe und summte leise: "Natürlich sollte Nian'er so etwas nicht essen. Ich hatte auch keine andere Wahl. Ich war so hungrig und..." Er brach ab, presste die Lippen zusammen.

Die Zeit in der Anstalt war in seinem Gedächtnis bereits zu einer verschwommenen Erinnerung geworden, doch den Hunger würde er niemals vergessen – dieses quälende Gefühl, niemals satt zu sein. Es hatte sich tief in seine Knochen und seine Seele gebrannt, so sehr, dass er jedes Mal unruhig wurde, sobald sein Magen knurrte. Aber er sollte Nian'ers hübsche und liebliche Ohren nicht mit solchen Dingen belasten, oder?

"...Vergiss es", sagte er schließlich und fragte dann mit fröhlicher Stimme: "Wie auch immer, will Nian'er Bruder Zhis Körper finden? Schade, ich kann ihn hier nicht riechen."

'Was hat dich so hungrig gemacht, dass du auf Ratten angewiesen warst?' wollte Nian fragen, biss jedoch im letzten Moment auf die Zunge. Es war nicht der richtige Moment, sich ablenken zu lassen.

"Nicht seinen Körper", schüttelte er den Kopf. "Es ist verständlich, dass du ihn nicht aufspüren kannst. Nachdem bereits so viele Stunden vergangen sind, ist sein Körper wahrscheinlich verschwunden. Ich will das Tagebuch finden, das er bei sich hatte. Es ist ein Gegenstand aus diesem Zyklus, also sollte es immer noch hier sein, selbst wenn sein Körper nicht mehr da ist."

Jin Jiuchi erinnerte sich an den Gegenstand, den Zhi aus dem Zimmer von Altem Guan geholt hatte, und sagte 'Ach ja'. Nian hatte ihm gestern Abend gesagt, es sei neben dem Zeitungsausschnitt, den er gerade hatte, ein weiterer wichtiger Hinweis. "Aber Nian'er, was ist, wenn das Alptraumwesen das Tagebuch mitgenommen hat?"

Nians Miene verfinsterte sich. "Das wäre dann das ungünstigste Szenario. Wir müssen uns diesem Wesen stellen und ihm das Tagebuch entreißen."

Es schien, als hätten sie sich diesmal wirklich in die Nesseln gesetzt. Sie durchwühlten jeden Schrank und jedes Regal und hatten fast die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt, aber das Tagebuch fanden sie nicht. Mehr als eine Stunde war bereits vergangen.

Nian presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen: "Lass uns erst mal zurückgehen."

Jin Jiuchi brummte zustimmend. Während er der Jadepuppe folgte, schweifte sein Blick unwillkürlich dorthin, wo er die Ratten gesehen hatte, doch jetzt war dort nur leerer Raum.

Die beiden schafften es noch vor der Ausgangssperre zurück in ihr Zimmer.

Nian wusch sich Hände und Gesicht im Waschbecken, sein Gesichtsausdruck immer noch düster. Jin Jiuchi hingegen dachte über die Ratten nach, die er zuvor in der Küche gesehen hatte. Es waren keine gewöhnlichen Ratten, da war er sich sicher. Sie vermittelten das gleiche Gefühl wie die Papierpuppen und die Spinne von Madame Liu, wenn auch etwas milder und schwächer. War das etwa eine weitere Alptraumkreatur?

Er gab bald die Analyse auf. Er hätte wissen müssen, mit seinem Kopf kam er nicht weiter! Als er sich der Jadepuppe zuwenden wollte, um von seiner Beobachtung zu berichten, ertönte ein sanftes Klopfen an der Tür.

Nian richtete seinen Blick scharf und wachsam auf. "Wer ist da?"

"Ich bin's", sagte Zhi – oder besser gesagt, die Alptraumkreatur, die sich gerade als Zhi ausgab.