Chapter 34 - Warmes und solides Kissen

Jin Jiuchi starrte unverwandt auf die albtraumhafte Kreatur, die sich an der Decke des Korridors draußen festhielt. Es war ein grotesker Anblick: Eine verdrehte Abscheulichkeit, die alle Logik und Vernunft herausforderte – ähnlich wie der Blutparasit, nur tausendmal gruseliger.

Die obere Körperhälfte war die einer Frau, mit einem Oberkörper und Armen, die unheimlich menschlich aussahen. Doch von der Taille abwärts glich der Körper der Kreatur einer Spinne, mit vier Paar langen, dünnen Beinen, die sich auf bizarre, insektenartige Weise bewegten. Während sie über die Decke kroch, erzeugten die Spinnenbeine einen stakkatoartigen Klang auf der Oberfläche. Aufgrund seiner ausgezeichneten Sehkraft konnte Jin Jiuchi sogar die drahtigen schwarzen Haare auf den Beinen ausmachen, die sich stark von der bleichen, kränklichen Haut seines menschlichen Oberkörpers abhoben. Die scharfen Mandibeln klickten hungrig zusammen, und seine großen, facettenreichen Augen funkelten mit unheimlicher Intelligenz im Dunkel des Korridors. Doch was Jin Jiuchi am meisten schockierte, war nicht dieses bizarre Wesen.

Es war das Gesicht der Kreatur, das genau wie das von Madam Liu aussah!

„N–Nian'er..." Er streckte hastig die Hand aus, um die Aufmerksamkeit der Jadepuppe auf sich zu ziehen und klopfte ihr versehentlich direkt auf den Kopf. „Nian'er! Nian'er! Nian'er!"

„Was?!" Nian schlug verärgert seine unhöfliche Pfote weg.

„Schau nach oben. Da ist noch etwas an der Decke."

„Was?" Nian hob den Kopf, konnte jedoch nichts außer der grenzenlosen Dunkelheit des Korridors erkennen. Er sah nur etwas Dunkles und Großes, das sich bewegte. Allein das war schon genug, um ihn alarmiert aufhorchen zu lassen. „Was siehst du?"

Jin Jiuchi erkannte zu spät, dass Nians Sehkraft nicht so gut war wie seine. Er beschrieb die Abscheulichkeit, die er gesehen hatte, mit einfachen und begrenzten Worten. Die Worte „halb Frau, halb Spinne mit dem Gesicht von Madam Liu" genügten jedoch, um Nian eine klare Vorstellung des draußen lauernden Albtraums zu geben.

Als die Papierpuppen immer näher kamen, zog er Jin Jiuchi leise auf den Boden und runzelte die Stirn. „Ich glaube, ich habe die Hauptregeln dieses Zyklus herausgefunden."

Jin Jiuchi blinzelte ein paar Mal verwirrt. „Äh … großartig?"

Nian warf ihm einen genervten Blick zu und erklärte es so, dass auch ein einfacher Kopf wie Jin Jiuchi es verstehen konnte. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass das Wichtigste, nachdem wir in den Zyklus eingetreten sind, neben der Erfüllung der Aufgabe und dem Erlangen des Rückfahrtickets, darin besteht, alle Todesbedingungen herauszufinden. Nur so können wir sie vermeiden und unsere Überlebenschancen erhöhen."

„Oh!" Jin Jiuchi schlug mit der Faust in die Handfläche. Sein Gesichtsausdruck war voller Bewunderung, als er die Jadepuppe aufrichtig lobte: „Nian'er ist so klug! Es ist erst die zweite Nacht und du hast sie schon herausgefunden!" Er wollte sein Lob weiterhin in den höchsten Tönen singen, doch Nian hielt ihm mit einer kleinen, aber entschiedenen Handfläche den Mund zu.

„Sei nicht so laut! Willst du sie wieder anlocken wie letzte Nacht?", zischte er mit tiefer Stimme.Jin Jiuchi warf ihm einen gekränkten Blick zu und signalisierte, dass er schweigen würde. Erst dann ließ Nian ihn frei, allerdings nicht ohne ihm einen warnenden Blick zuzuwerfen.

Sie warteten einige Minuten, bis die Papierpuppen an ihrem Raum vorbeigingen und in das obere Stockwerk aufstiegen. Dann stand Nian auf, schaltete das Licht ein und setzte sich zu Jin Jiuchi auf den Boden. Bevor er es sich jedoch bequem machen konnte, zog Jin Jiuchi plötzlich an seinem Arm, und Nian verlor das Gleichgewicht und landete direkt auf dem Schoß des Mannes.

Jin Jiuchi zwinkerte ihm mit einem schelmischen Blick zu, der in Nian den Impuls weckte, sich den Kopf zu schlagen. „Ist es nicht besser, so zu reden, ganz ungestört?"

'Geduld', mahnte Nian sich selbst wie ein Mantra. 'Dieser Mann ist nicht mehr als ein verspielter Großer. Er versteht einfach gar nichts!'

Durch ihre enge Zusammenarbeit in den letzten Tagen hatte Nian erkannt, dass Jin Jiuchi an jenem gesunden Menschenverstand mangelte, den gewöhnliche Menschen besitzen. Er neigte dazu, seltsamen Unsinn zu reden und Dinge zu tun, die ihn als Sonderling erscheinen ließen. Dabei meinte er es nie wirklich so! Darum hatte Nian gelernt, nichts, was der Mann sagte, allzu wörtlich zu nehmen. Auch wenn er äußerlich einem erstklassigen Exemplar gleichkam, war er im Inneren doch nicht mehr als ein fünfjähriges Kind!

Zu müde, um zu streiten, räumte sich Nian auf dem Schoß von Jin Jiuchi bequem, behandelte ihn wie ein überdimensionales, wärmendes Kissen und zog ein zerknülltes Stück Papier aus seiner Tasche.

"Hmm?" Nian zuckte zusammen, als die Vibration von Jin Jiuchis fragendem Brummen von dessen Brust bis in seinen Rücken hallte und kleine Schauer durch seinen Körper jagten. Dann legte Jin Jiuchi sein Kinn auf Nians kleine Schulter und faltete das Papier auseinander, was zur Folge hatte, dass Nians Körper von seinen kräftigen und muskulösen Armen umschlungen wurde. „Was ist das? Ein Zeitungsausschnitt? Nian'er, das hast du doch aus dem Körper der Frau Liu unten geholt, oder?"

Der heiße Atem des Mannes strich über die zarte Haut von Nians Hals, ließ ihn erschaudern und unwillkürlich nach Luft schnappen, und dann diese Stimme... diese tiefe und sonore Stimme, die direkt in sein Ohr donnerte...

Nian nahm seine Worte zurück! Es war einfach unmöglich, diesen Mann als gewöhnliches Kissen zu behandeln, wenn er mit jedem Atemzug intensive, männliche Pheromone verströmte!

Nian presste die Zähne zusammen. Er wusste nicht, ob er dankbar oder bedauernd sein sollte, dass er sich jetzt in dieser Verfassung befand…

"Hmm?" Jin Jiuchi schnupperte ein paar Mal an der Luft, drückte dann unvermittelt seine Nase an Nians Hals und atmete tief ein, klang dabei wie berauscht. „Nian'er, dein Duft wird immer süßer…"

'Dieser verdammte Große!' Nian konnte es nicht mehr aushalten, beschwor seine Nadel und stach damit in Jin Jiuchis Arm, um seine Bewegung zu stoppen. Er rollte sich von Jin Jiuchis Schoß und warf dem Mann einen Blick zu, der ihn mit einem Paar trauriger und verräterischer Augen ansah, während seine Brust von der Wut und dem Adrenalin, das durch sein System raste, bebte.

'Wenn ich ihm jetzt keine Lektion erteile, dann schneide ich mir den Kopf ab und lasse ihn damit spielen, als wäre es ein Fußball!'