Chapter 10 - Funke

"Die ganze Arbeit war also umsonst, was?", dachte Melisa, während sie die Tür zu ihrem Zimmer aufstieß, entschlossen, sich in ihrem Bett zu verkriechen und in ihrem Scheitern zu baden. Doch als sie eintrat, vernahm sie die angespannten Stimmen ihrer Eltern aus der Küche.

Von Neugier gepackt, schlich sie näher heran und spähte um die Ecke. "... Habe alle gefragt, die mir eingefallen sind", sagte ihr Vater mit brüchiger Stimme. "Jeden Gefallen eingefordert, jeden verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt. Und dennoch reicht es nicht."

"Wie viel fehlt uns?", fragte ihre Mutter, in deren Stimme sich Verzweiflung abzeichnete. "Hundert Sonnen", entgegnete Melistair schwermütig, und die Worte sanken wie Blei in Melisas Magen. "Hundert verdammte Sonnen."

[Hundert Sonnen,] dachte Melisa, ihre Augen wurden weit. [Genau der Betrag, den man für einen Geisterkristall bräuchte.]

Sie lauschte weiter, kaum wagend zu atmen. "Was sollen wir tun, Melistair?", fragte Margaret mit zitternder Stimme. "Die Frist naht. Wenn wir nicht zahlen..."

"Ich weiß", sagte Melistair matt. "Ich weiß."

Eine lange, gespannte Stille folgte. Dann das Geräusch rückender Stühle, als ihre Eltern aufstanden. "Wir werden... wir werden eine Lösung finden", sagte Melistair, obgleich er wenig überzeugt klang. "Wir müssen einfach."

Melisa trat von der Tür zurück, ihr Herz klopfte heftig. [Hundert Sonnen. Das ist alles, was sie brauchen. Das ist alles, was uns vom finanziellen Ruin trennt.]

Sie schlich sich in ihr Zimmer zurück. In ihrem Zimmer angekommen, schloss sie die Tür und lehnte sich dagegen. Die Zwillingsmonde hingen tief am Himmel, und ihr gespenstisch violettes Licht drang durch ihr Fenster. Melisa legte ihre Runen, in dem Licht nieder. "Wertlos", murmelte sie und drehte eine der Runen in ihren Händen um. "Völlig nutzlos."

Mit einem bitteren Lachen warf sie die Rune zurück auf ihren Schreibtisch. [Ja... ich hätte nicht hoffen dürfen. Nicht so, als könnte ich über Nacht alles ändern.]

Sie ließ sich in ihren Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Doch aufgeben kam nicht infrage. [Hundert Sonnen,] dachte sie. [Ich muss die Welt nicht verändern. Ich muss nur etwas erschaffen, das mindestens so viel wert ist wie ein Geisterkristall.]

Sie musste etwas wirklich Revolutionäres entwickeln. Sie hob ihren Kopf, starrte zu den Monden hinaus. [Diese Familie... meine Familie braucht mich.]

Bei diesem Gedanken begann ihr Verstand zu rasen. Sie fing an, auf und ab zu gehen. Sekunden wurden zu endlosen Minuten. [Es muss eine Möglichkeit geben. Einen neuen Ansatzpunkt, ein unerschlossenes Potenzial in diesen Runen, das ich bisher übersehen habe.]

Sie nahm eine weitere Rune auf und ertastete die darin eingravierten feinen Linien. [Komm schon. Zeig mir ein Zeichen, einen Hinweis, irgendetwas.]

Nichts.

Frustriert stieß Melisa ein Knurren aus und warf die Rune wieder weg. [Denk nach, Melisa, denk nach! Was übersiehst du? Was ist der Schlüssel dafür, dass diese Dinger mehr werden als nur die dekorativen Briefbeschwerer, die sie im Moment sind?]

Sie fixierte die Runen mit konzentriertem Blick. Doch die Antwort, die zumindest eine vorläufige Antwort, kam ihr nicht, während sie diese betrachtete, sondern in dem Moment, als sie ihren Blick zur bereits verwendeten Rune wandte. Ihr Blick glitt zwischen der verbrauchten und den unbenutzten Runen hin und her."[Wiederaufladbar]", dachte sie plötzlich, und die Idee traf sie wie ein Blitz. "[Was, wenn ich sie einfach für die Leute auflade?]"

Sie richtete sich auf, ihre Gedanken überschlugen sich.

Langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, und in ihrer Brust entfachte sich erneut ein Funken Hoffnung.

"[Das könnte die Lösung sein.]"

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Am nächsten Morgen, mit nur noch zwei Tagen bis zur Abgabefrist, wachte Melisa mit einem Gefühl der Dringlichkeit auf. Sie begann sofort, in ihrem Zimmer auf und ab zu gehen, um nach einer Lösung zu suchen.

"[Komm schon, komm schon, da muss doch etwas sein, das ich übersehe. Eine Möglichkeit, wie diese Runen sich selbst aufladen können.]"

Sie war so vertieft in ihre Gedanken, dass sie weder das Klopfen an ihrer Tür hörte, noch bemerkte, wie Margaret ihren Kopf hereinsteckte.

"Melisa? Was machst du da?"

Melisa erschrak, drehte sich zu ihrer Mutter um.

"Mama! Ich, äh... ich war gerade..."

Margaret hob fragend eine Augenbraue und trat ganz ein.

"Hast du gerade Löcher in den Boden gestarrt, weil du so viel herumgelaufen bist?" Sie schüttelte den Kopf, ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht.

"Ich... Was gibt's?" Sie versuchte, ein wenig lockerer zu klingen.

Margaret schüttelte den Kopf, ihre roten Augen wurden sanfter. Sie ging zu Melisa hinüber und kniete sich vor sie.

"Melisa, ich weiß, du hast in letzter Zeit viel durchgemacht und ich habe dein Studium wegen deiner Krankheit etwas schleifen lassen. Aber jetzt, wo es dir besser geht... ist es Zeit, wieder mit den Lektionen anzufangen."

Melisas Herz sank.

[Lektionen? Jetzt? Aber ich stehe kurz vor einem Durchbruch, ich kann es spüren!]

Doch dann kam ihr eine Idee. Sie schaute ihre Mutter mit neugierigem Blick an.

"Eigentlich, Mama, habe ich eine Frage. Uber mein Studium, meine ich."

Margaret sah überrascht aus, aber erfreut.

"Natürlich, Liebling. Was möchtest du wissen?"

Melisa atmete tief durch und wählte ihre Worte mit Bedacht.

"Ich habe mich gefragt... was genau ist Essenz? Also, was bedeutet das? Was ist es, weißt du?"

Margaret blinzelte, offensichtlich überrascht von der Frage.

"Essenz? Warum willst du das wissen?"

Melisa zuckte mit den Schultern und versuchte, unschuldig zu wirken.

"Ich bin einfach neugierig. Es scheint wichtig zu sein, aber ich verstehe nicht wirklich, was es ist."

Margaret seufzte und setzte sich auf die Kante von Melisas Bett.

"Nun, Essenz ist... die grundlegende Energie, aus der unsere Welt besteht. Sie ist in allem – im Wind, in den Bäumen, im Feuer, im Wasser. Sie ermöglicht es den Magiern, ihre Zaubersprüche zu wirken. Das ist eigentlich alles."

Melisas Stirn runzelte sich, da ihr zwei wichtige Punkte auffielen.

"Wait... wenn Essenz in allem ist, warum haben die Nim sie dann nicht? Warum können wir keine Magie verwenden wie Menschen und Kitsune?"

Margarets Gesicht verdüsterte sich, ein Hauch von alter Bitterkeit in ihren Augen.

"Es ist einfach so, Melisa. Nim sind... anders. Aus welchem Grund auch immer, wir haben keine angeborene Verbindung zur Essenz wie andere Rassen."

Melisa speicherte das ab. So einfach konnte es nicht sein.

[Wenn Essenz in allem ist... dann sollte ich sie theoretisch aus jeder Quelle ziehen können. Nicht nur aus Geisterkristallen.]

Sie blickte zu ihrer Mutter auf, ein Funkeln der Aufregung in ihren Augen.

"Also... wenn Essenz überall um uns herum ist, bedeutet das, dass ein Magier einen Zauber sprechen könnte, indem er beispielsweise die Essenz eines Feuers nutzt? Oder mit einem Windstoß?"

Margaret sah nachdenklich aus und nickte langsam."Ich denke schon, ja. Aber obwohl die Essenz in allem enthalten ist, ist sie nicht in allem in gleicher Menge vorhanden."

[Genau, genau.] Melisa nickte. [Aber sie ist in allem.]

Sie sprang auf, was Margaret erschrecken ließ.

"Danke, Mama! Das hilft mir sehr. Ich glaube, ich verstehe jetzt."

Margaret stand ebenfalls auf, sah jedoch verwirrt, aber erfreut aus.

"Es freut mich, dass ich dir helfen konnte, Liebes. Aber vergiss nicht, dass du noch deine anderen Lektionen machen musst."

Melisa nickte abwesend und bewegte sich schon in Richtung ihres Schreibtisches.

"Richtig, richtig. Ich kümmere mich darum. Aber zuvor muss ich noch etwas... überprüfen."

Margaret schüttelte den Kopf und lächelte amüsiert, als sie den Raum verließ.

Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, kam Melisa in Bewegung, griff nach ihrem Notizbuch und schlug eine neue Seite auf.

[Okay, mal durchdenken. Wenn Essenz überall ist, könnte ich sie theoretisch irgendwie sammeln und in eine Rune einfließen lassen, um sie wieder aufzuladen. Ich meine,] sie blickte auf die Rune, die sie verwendet hatte, [obwohl ich diese benutzt habe, ist sie nicht zerfallen oder sonst etwas. Wenn ich einen Weg fände, Essenz in dieses Ding zu stecken, ohne dass ich Geistkristalle oder niedliche Fuchsmädchen benötige, wäre das nicht verrückt? Ich bin mir sicher, Magier in dieser Welt haben längst herausgefunden, wie man Runen auflädt, indem man ihnen Essenz zuführt, aber wie kann ich darauf noch aufbauen?]

Plötzlich kam ihr eine Idee.

Sofort rannte sie aus ihrem Zimmer und durch das Haus. Ihre Mutter saß gerade, als hätte sie sich in ihr eigenes Zimmer gesetzt, um zu lesen.

"Mommy!" rief Melisa.

Margaret legte ihr Buch beiseite und sah besorgt aus.

"Was ist los, Liebes? Ist alles in Ordnung?"

Melisa nickte energisch, die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf.

"Ja, ja, alles ist in Ordnung. Aber ich habe eine Frage. Über Nim und unser... unser Bedürfnis nach Zuneigung."

Margarets Augenbrauen hoben sich, ein leichter Rotton zeigte sich auf ihren Wangen.

"Oh. Nun, das ist... Ich meine, was möchtest du wissen?"

Melisa beugte sich vor, ihre Stimme drängend.

"Warum brauchen wir das? Was passiert, wenn wir keine Zuneigung bekommen?"

Margaret räusperte sich, sie war offensichtlich unwohl bei dem Thema.

"Nun, weißt du, Melisa... Nim sind anders als andere Rassen. Wir brauchen körperliche Zuneigung, wie Umarmungen und... und nun, andere Dinge, um gesund zu bleiben. Wenn wir zu lange darauf verzichten müssen, werden wir schwach und krank."

Melisas Augen weiteten sich, und die Puzzleteile begannen sich zusammenzusetzen.

"Es ist die Essenz", flüsterte sie, ihre Stimme erfüllt von Staunen. "Das ist es doch, oder? Nim werden schwächer, weil wir an Essenz verlieren!"

Margaret blinzelte verwirrt.

"Essenz? Wovon sprichst du, Liebes?"

Aber Melisa ging schon auf und ab, ihre Gedanken wirbelten um die neuen Erkenntnisse.

"Siehst du denn nicht? Wenn wir Nim Zuneigung von anderen Rassen erfahren, dann nehmen wir deren Essenz auf! Deshalb brauchen wir sie so sehr, deshalb werden wir ohne sie krank!"

Margaret starrte ihre Tochter an, sprachlos, ihr Mund öffnete und schloss sich, wie der eines Fisches auf dem Trockenen.

"Melisa, ich kann nicht... Ich meine, so funktioniert das nicht..."

Aber Melisa hörte nicht hin, zu sehr war sie von ihrer eigenen Erleuchtung gefangen.

"Das verändert alles", murmelte sie, ihre Augen glänzten vor Aufregung. "Wenn Nim Essenz von anderen Wesen durch körperliche Berührung aufnehmen können... dann könnte ich das vielleicht nutzen, um die Runen aufzuladen!"

Sie drehte sich um und packte ihre Mutter an den Handgelenken.

"Mama, du musst mir hier vertrauen. Ich werde deine Hilfe brauchen."

Margaret sah nur schockiert aus.

"Ich... Ich verstehe das alles nicht, Melisa. Aber in Ordnung. Was brauchst du von mir?"

Melisa grinste, ihr Gesichtsausdruck wild und begeistert."Ich brauche deine Hilfe, um eine Theorie zu testen."

Sie ergriff die Hand ihrer Mutter und zog sie zur Tür.

"Los geht's, wir haben Arbeit vor uns, Mama! Die Zukunft der Magie steht auf dem Spiel!"

Und damit zog sie eine verdutzte, aber willige Margaret aus dem Zimmer, bereit, ihre kühne neue Idee in die Tat umzusetzen.

"Also, Mama, hier ist, was du tun musst", sagte sie, als sie aus dem Haus gingen und ihre Stimme vor Aufregung vibrierte. "Finde irgendjemanden im Dorf, der kein Nim ist. Wirklich jeden."

Margaret lachte und schüttelte ungläubig den Kopf.

"Warum?"

"Ich brauche etwas Zuneigung!" antwortete Melisa. "Das ist alles. Eine Umarmung, einen Kuss, egal was!"

Margaret hob eine Augenbraue.

Aber Melisa beharrte darauf, ungeduldig auf den Zehen wippend.

"Vertrau mir, Mama! Das ist entscheidend für mein Experiment. Bitte, tu es einfach für mich."

Margaret seufzte, konnte aber dem flehenden Blick ihrer Tochter nicht widerstehen.

"Na gut. Ich denke, es kann nicht schaden."

Sie führte Melisa zum Haus einer menschlichen Dame, die sie kannte, und klopfte mit einem verwirrten Lächeln an die Tür.

"Hallo, Lily", sagte sie, als die Tür geöffnet wurde. "Ich weiß, das klingt jetzt seltsam, aber meine Tochter hat eine etwas eigenartige Bitte. Sie möchte... nun, etwas Zuneigung spüren, wenn das in Ordnung ist."

Lily hob eine Augenbraue, lächelte aber, als sie Melisas gespanntes Gesicht sah.

"Na, ist das nicht süß?" gurrte sie und beugte sich zu Melisa herunter. "Ich denke, ich kann der kleinen Liebling was Gutes tun."

Daraufhin drückte sie Melisa einen großen, dramatischen Kuss auf die Stirn und machte ein übertriebenes "Mwah!"-Geräusch.

[Oh, das tat gut.]

Melisa kicherte, fand aber schnell wieder ihre Ernsthaftigkeit und wandte sich mit ernstem Gesicht an ihre Mutter.

"Okay, aber reicht das aus, um einen Nim zu heilen, der vor Mangel an Zuneigung krank ist?"

Margaret schüttelte den Kopf und versuchte, ihr Amüsement zu verbergen.

"Nein, Liebling, ich fürchte, da gehört ein bisschen mehr dazu."

Melisa nickte und wandte sich mit hoffnungsvollem Blick erneut an Lily.

"Dann kann ich bitte noch ein paar Küsse auf die Stirn haben? Für die Wissenschaft!"

Lily lachte, deutlich entzückt.

"Wie könnte ich diesem Gesicht schon nein sagen? Komm her, du!"

Sie bedeckte Melisa mit Küssen auf Stirn und Wangen und machte bei jedem Kuss ein dramatisches "Mwah!"-Geräusch. Melisa quietschte und kicherte, ertrug aber das Trommelfeuer der Zärtlichkeiten für ihr Experiment.

Nachdem Lily fertig war, wandte sich Melisa mit triumphierendem Grinsen an ihre Mutter.

"Okay, das sollte reichen! Danke, Lily! Mama, ich bin in meinem Zimmer, falls du mich brauchst!"

Mit diesen Worten sprintete sie weg und ließ eine lachende Lily und eine verdutzte Margaret zurück.

Wieder in ihrem Zimmer, vibrierte Melisa vor Energie, ihre Haut kribbelte immer noch von der konzentrierten Dosis Zuneigung.

[Wenn meine Theorie stimmt, sollte ich jetzt voller Essenz sein. Zeit, diese Theorie zu testen!]

Sie nahm einen Stein aus dem Haufen, den sie im Garten gesammelt hatte, und ritzte sorgfältig das Zeichen des Erleuchtungszaubers in seine Oberfläche. Dann atmete sie tief durch, legte ihre Hand auf die Rune und konzentrierte sich darauf, die Essenz zu kanalisieren, von der sie glaubte, dass sie sie aufgenommen hatte.

[Komm schon, komm schon... Funktionier doch!]

Zunächst passierte nichts. Aber gerade als Melisa aufgeben wollte, begann die Rune zu leuchten. Zuerst sanft, dann immer heller, bis sie wie eine Miniatursonne in ihrer Handfläche strahlte.

"JA!" rief Melisa und sprang vor Aufregung auf und ab. "Es hat funktioniert! Ich kann nicht glauben, dass es wirklich funktioniert hat!"

Sie starrte auf die leuchtende Rune, ihr Gesicht zu einem breiten, triumphierenden Grinsen verzogen.

[Ich habe es geschafft. Ich habe es tatsächlich geschafft!]