Melisa starrte auf den Geisterkristall, als könnte sie ihn durch bloßes Anschauen zum Sprechen bringen.
[Okay, erst einmal das Wichtigste. Mal sehen, ob wir die Magie aus diesem Ding herausbekommen.]
Sie durchwühlte ihre Schubladen, heraus kam ein Mörser und ein Stößel, den sie zuvor aus der Küche "ausgeliehen" hatte.
[Mama wird sich sicher fragen, wo das Ding abgeblieben ist, aber ich bringe es bestimmt bald wieder zurück... Vermutlich.]
Bedächtig legte sie den Kristall in den Mörser und fing an, ihn sanft zu mahlen und zu zerstoßen, wobei sie vorsichtig Druck ausübte.
[Vorsicht ist besser als Nachsicht,] dachte sie und biss sich auf die Lippe, während sie arbeitete. [Ich habe keine Ahnung, wie robust dieser Kristall ist. Ob die Magie einfach verfliegt, sobald er zerbricht... oder explodiert. Das wäre weniger gut, oder?]
Nach einigen Minuten vorsichtigen Mahlens hatte sie eine kleine Menge glitzernden Kristallpulvers gewonnen, während der größte Teil des Kristalls unversehrt blieb.
"Erster Schritt, erledigt", murmelte sie, füllte das Pulver in ein sauberes Taschentuch und faltete es ordentlich zusammen.
Dann ging sie hinaus in den Garten, um einen passenden Stein zu suchen.
[Nicht zu groß und nicht zu klein, er muss nur das Zaubersiegel tragen können.]
Sie fand einen geeigneten Stein und brachte ihn auf ihr Zimmer, legte ihn auf den Schreibtisch neben das Taschentuch mit dem Kristallpulver.
[Jetzt wird es knifflig.]
Sie holte eines der magischen Bücher, die sie sich aus dem Arbeitszimmer ihres Vaters "geliehen" hatte, blätterte darin und fand schließlich, wonach sie suchte.
"Illuminieren", las sie laut und folgte mit ihrem Finger dem komplizierten Zaubersiegel. "Ein einfacher Lichtzauber. Ich hätte nicht erwartet, hier etwas Nützlicheres zu finden. Aber zum Testen muss es reichen."
Mit ruhiger Hand schnitzte sie mit einem kleinen Messer das Zaubersiegel präzise in die Oberfläche des Steins.
Nachdem das Siegel fertig war, streute sie das Kristallpulver vorsichtig in die Rillen und beobachtete, wie es sich absetzte und leise zu glimmen begann.
[Der Moment der Wahrheit.]
Sie atmete tief ein und sprach die notwendigen Worte.
"Illumina, car ei."
Einen Augenblick lang geschah nichts.
[Ach komm schon, lass mich jetzt nicht im Stich -]
Dann erwachte der Stein mit einem plötzlichen Leuchten zum Leben, das Zaubersiegel brannte hell und gleichmäßig.
"Heilige Scheiße", flüsterte Melisa, ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. "Es funktioniert... tatsächlich."
Gefesselt beobachtete sie das pulsierende und schimmernde Licht, das tanzende Schatten auf die Wände ihres Zimmers warf.
[ICH HABE ES GESCHAFFT! OHNE EIGENE MAGIE EINEN ZAUBER AUSGEFÜHRT! I-]
Aber während sie noch ihren Triumph genoss, bemerkte sie, wie das Licht begann zu schwinden, der Glanz nachließ und erlosch, wie eine Kerze deren Docht zu Ende geht.
"Nein, nein, nein, komm zurück!" zischte sie und klopfte gegen den Stein, als könnte sie damit die Magie neu entfachen.
Aber es half nichts. Binnen Sekunden war der Stein wieder nur ein Stein, das Zaubersiegel dunkel und leblos.
Melisa ließ sich in ihren Stuhl sinken und fuhr sich durch die Haare.
[Okay, also nicht perfekt. Aber es ist ein Anfang. Ich muss herausfinden, wie ich es länger anhalten lasse und wie ich es mache, ohne gleich den ganzen Kristall zu verbrauchen.]
Sie blickte auf die dürftigen Reste des Kristallpulvers und ihre Stirn legte sich in nachdenkliche Falten.
[Vielleicht wäre das Ergebnis besser, wenn ich mehr vom Geisterkristall verwenden würde. Ich werde es nochmal versuchen.] Sie nickte sich zu. [Und wenn ich das herausgefunden habe, dann erwartet mich die echte Herausforderung: Das Ganze in klingende Münze verwandeln. Ich habe nicht vor, in meiner ersten Woche hier obdachlos zu werden!]
Sie sah zu dem Rest des Geisterkristalls hinüber.
[... Aber diesen Gedanken im Hinterkopf...]
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Melisa betrat das Geschäft des alten Mannes, einen fest umklammerten Beutel in der Hand, entschlossen funkelten ihre Augen.
[Los alter Mann, mach dich bereit deinen Verstand und dein Portemonnaie zu öffnen.]
Der Ladenbesitzer blickte sie an, als sie eintrat, und seine Augenbrauen hoben sich anerkennend."Ah, der junge Nim kehrt zurück", sagte der Ladenbesitzer mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme. "Und das auch noch mit einer Tasche. Hast du mir etwas mitgebracht?"
Melisa marschierte zum Tresen und platzierte die Tasche mit einem selbstsicheren Klacken darauf.
"In der Tat", erwiderte sie, ein schelmisches Grinsen erschien auf ihrem Gesicht. "Innovationen."
Sie griff in die Tasche und zog eine der Runen hervor, die sie angefertigt hatte.
"Seht her und staunt!", präsentierte sie und hielt die Rune hoch, damit der Ladenbesitzer sie begutachten konnte. "Eine magische Rune, die Zaubersprüche wirken kann, ohne dass man angeborene Magiefähigkeiten benötigt!"
Der alte Mann beugte sich vor, blickte mit Interesse auf die Rune.
"Ist das wahr?" murmelte er und strich sich nachdenklich über den Bart.
Melisa nickte energisch, ihre Begeisterung wuchs.
"Ja, genau darum geht es! Mit diesen Runen kann jeder Magie ausüben, unabhängig von seiner Abstammung oder Ausbildung. Stellt euch vor! Bauern, die ihre Ernte mit Wachstumszaubern belegen. Krieger, die ihre Waffen mit elementarer Kraft verstärken, und selbst Hausfrauen, die mit einem Zauber zusätzliches Licht für ihre Arbeit erschaffen!"
Sie legte die Rune auf den Tresen und machte eine einladende Geste darauf.
"Und ich, Melisa Blackflame, biete dir die Möglichkeit, diese bahnbrechenden Artefakte exklusiv zu vertreiben. Natürlich gegen ein angemessenes Entgelt."
Der Mann schwieg, blickte jedoch mit einem undurchschaubaren Ausdruck auf die Rune herab.
[Na los, schluck den Köder. Das ist die Chance deines Lebens, und du wärst ein Narr, wenn du sie ausschlägst!]
Anstatt jedoch zu seinem Geldbeutel zu greifen, drehte sich der Ladeninhaber um, bückte sich und durchwühlte für einen Moment den Bereich unterhalb des Tresens.
[Ähm, okay. Nicht gerade die Reaktion, die ich erwartet habe, aber vielleicht holt er einen Vertrag oder ähnliches für mich zum Unterschreiben.]
Als der alte Mann sich wieder aufrichtete, hatte er jedoch keinen Vertrag in der Hand. Stattdessen stellte er eine große, staubige Kiste mit einem dumpfen Knall auf den Tresen.
Melisa blinzelte verdutzt.
"Was ist das?", fragte sie und warf der Kiste einen misstrauischen Blick zu.
Der alte Mann lachte leise und schüttelte den Kopf.
"Das, meine Liebe", sagte er, griff in die Kiste und zog eine Handvoll kleiner, aufwendig geschnitzter Gegenstände heraus, "das ist mein Vorrat an magischen Runen."
Melisas Kinn fiel herunter, und ihre Augen weiteten sich vor Schock.
"W-Was?"
Der Ladenbesitzer legte die Runen auf den Ladentisch und breitete sie vor ihr aus, so dass sie sie sehen konnte.
"Runen existieren bereits seit Jahrhunderten, junge Nim. Sie sind die letzte große Erfindung in der Magie. Geschickt von Handwerkern geschnitzt und mit magischer Energie versehen, erlauben sie selbst denjenigen ohne magische Begabung, eine Vielzahl an Zaubersprüchen und Verzauberungen zu wirken."
Er hob eine von Melisas Runen auf und betrachtete sie genauer.
"Zugegeben, deine Runen sind nicht schlecht. Sehr rudimentär, aber durchaus nicht übel. Für jemanden deines Alters hast du Talent, Fräulein. Aber ich befürchte, du hast hier nichts Neues erfunden."
Melisa fühlte sich, als hätte sie einen Schlag in den Magen bekommen, der ihr sämtlichen Wind aus den Segeln genommen hatte.
[IST DAS DEIN ERNST?]
Sie starrte ungläubig auf die Kiste mit den Runen und ihre Gedanken überschlugen sich.
[All die harte Arbeit, all die Versuche... und alles umsonst? Ich bin wieder am Anfang?]
Der alte Mann musste die Verzweiflung in ihrem Gesicht gesehen haben, denn sein Gesichtsausdruck wurde etwas milder.
"Lass dich nicht entmutigen, mein Kind", sagte er und tätschelte sanft ihre Hand. "Du hast einen klugen Kopf und einen findigen Geist. Mach weiter, und wer weiß? Eines Tages erfindest du vielleicht wirklich etwas, das die Welt verändert."
Melisa hörte ihm kaum zu, zu sehr war sie mit ihrer eigenen Enttäuschung und Frustration beschäftigt.
[Blöde Magie. Blöde Runen. Alles blöd!]
Sie schnappte ihre Tasche, stopfte ihre eigenen wertlosen Kreationen zurück hinein.
"Danke für dein Zuhören", murmelte sie und drehte sich um, um zu gehen.
Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Laden, während ihre Träume von magischer Innovation und finanzieller Rettung zu Staub zerfielen.
[Zurück auf Los. Verdammt!]