Mitten im Wald erhob sich eine kalt wirkende Steinmauer mit einer Höhe von ca. 15 Metern vor uns. Sie war aus großen groben Granitsteinen gebaut. Wir sind da. Ein beklemmendes Gefühl erfasst mich. Das ist also der Ort, an dem ich meinen Tod finde. Oder bestenfalls meine Freiheit.
Das große Holztor steht offen. Links und rechts vor dem Haupteingang stehen zwei vollausgestattete Wachen, bewaffnet mit Langschwertern, die dem Prinzen zur Begrüßung zunicken, als wir durch das Tor reiten. Hinter den Mauern herrscht reges Treiben. Aufgeregt laufen junge Rekruten mit Gepäck herum, die wohl auch gerade angekommen sind. Innen besteht die Anlage aus mehreren gleich aussehenden Gebäuden, die wahrscheinlich als Unterkünfte für die Arbeiter und Rekruten genutzt werden. Die Fachwerkhäuser sind aus roten Ziegeln erbaut worden und sehen aus als ob eine Renovierung mal dringend notwendig wäre. Einen Stall für die Pferde, mit einer kleinen Weide dahinter, befindet sich direkt neben dem Eingangstor. Ein großer Sport und Übungsplatz befindet sich in der Mitte der Kaserne. Direkt daneben ist ein Versammlungsplatz und Podium für Reden. Zentral dahinter steht ein großes wuchtiges herrenhausartiges Versammlungsgebäude. Alles wirkt als wäre es schon mehrere Hunderte Jahre alt. Was bestimmt auch der Fall ist. Die Risse und das morsche Holz in den Fassaden weisen daraufhin.
Still reiten wir nebeneinander zu den Stallungen. Unsere restliche Reise hier her war sehr ereignislos. Wir wechselten kein Wort mehr miteinander. Was auch vielleicht das Beste war. Ich nutzte die Zeit, um nachzudenken und zu verarbeiten was gerade passiert war. Wünschte mir Ida wäre jetzt hier, damit ich mit jemanden darüber reden könnte. Aber das war sie nicht. Erst nach der erfolgreichen Absolvierung der ersten Prüfung würde ich sie wieder sehen. Zumindest hat mir das der König so versprochen.
Beim Pferdestall angekommen schwang sich Eldor von seinem Pferd und reckte und dehnte sich stöhnend. Gleich kam ein Mann auf uns zu.
"Prinz Eldor! Schön das sie gut angekommen sind.", begrüßte ihn ein dunkelblonder Mann mittleren Alters, der vor dem Stall stand und anscheinend auf uns gewartet hat. Er hat ein streng aussehendes Gesicht und trägt eine schwarze Uniform. Müde steige ich auch vom Pferd ab und schwinge meinen kleinen Jutesack, mit allem was ich besitze, auf meinen Rücken.
"Und in Begleitung wie ich sehe. Sie müssen Prinzessin Valeria sein. Ist schön sie kennenzulernen. Ich bin der leitende Kommandant dieser Kaserne. Mein Name ist Iratus."
Ich nicke ihm zur Begrüßung zu und sage: "Ebenfalls schön ihre Bekanntschaft zu machen." Eine leere Floskel, die ich schon als Kind lernen musste.
"Wie war die Anreise? Ich hoffe doch ohne große Schwierigkeiten.", fragt er wendet sich von mir ab und richtet die Frage an Eldor.
"Bestens. Nichts Erwähnenswertes.", meint der Prinz mit einem lächeln und wirft einen kurzen überprüfenden Blick zu mir.
Ich schnaube verächtlich.
Nur ein Mordversuch und eine Hinrichtung.
Also nichts Besonderes.
"Das ist schön zu hören. Am besten ich zeige euch gleich eure Zimmer. Es ist schon spät und die Anreise war bestimmt kräftezehrend. Ihr müsst komplett durchgefroren sein." Kommandant Iratus weist uns freundlich den Weg zu den Unterkünften. Wir kommen an mehreren gleich aussehenden Gebäuden vorbei, bei denen es sich wohl bei allen um Quartiere handelt.
Gemeinsam bleiben wir vor einem der vielen Gebäude aus roten Steinen stehen an der eine kleine Treppe zur Haustür führt. Im Haus ist der Gang dämmrig mit Kerzenleuchten beleuchtet. An der ersten Tür links bleibt er stehen und zieht einen alten Schlüssel aus seiner Jackentasche um ihn ins Schlüsselloch zu stecken und die Tür aufzuschließen.
"Der König meinte es wäre am besten, wenn wir euch und eure Begleitung ein gemeinsames Zimmer zu teilen. Es ist zwar nicht ganz nach unseren Regeln. Normalerweise sind Männer und Frauen strickt getrennt, aber auf Befehl des Königs und dieser besonderen Situation lässt sich natürlich eine Ausnahme machen.", erklärt Iratus höflich und wirft uns eine wissenden Blick zu.
Ich werde bitte was? Nein. Niemals.
"Ich teile mir niemals ein Zimmer mit... ihm!" Ich deute auf Eldor und merke es im Nachhinein, dass ich vielleicht ein bisschen zu laut geschrien habe.
"Es war der Wunsch des Königs.", meinte Kommandant Iratus und stellt damit klar das es keine andere Wahlmöglichkeiten für mich gibt.
In dem Zimmer, das ungefähr 15 Quadratmeter groß ist, steht jeweils links und rechts ein schmales Bett. Ein kleines Fenster befindet sich an der Stirnseite des Zimmers. Außerdem ist da noch eine Kommode, ein Schrank ein Schreibtisch und ein kleiner Ofen. Der Holzboden knarzt als ich in die Mitte des Zimmers gehe und mich zu den beiden Männern umdrehe.
"Danke für die persönliche Einführung, Kommandant Iratus. Ich regle das schon mit Prinzessin Valeria. Es scheint, als ob die Anreise doch etwas zu anstrengend für sie war. Machen sie sich keine Sorgen um uns. Wir werden uns schon zurechtfinden.", entschuldigt Eldor mein, für eine Prinzessin, untypisches Verhalten.
"Gut dann lasse ich sie jetzt am besten alleine, damit sie sich ausruhen können. Morgen bitte um 7 Uhr pünktlich am Appellplatz zur Eröffnung der Auslese sein. Ich erwarte großes von ihnen, eure Hoheit. Enttäuschen sie mich und vor allem den König nicht. Sie sind ab morgen wie jeder andere, vergessen sie das nicht. Adelstitel haben es bei der Auslese keinerlei Bedeutung."
"Ich weiß.", stoßt Eldor aus zusammen gebissenen Zähnen hervor und seine zuvor vorgetäuschte Freundlichkeit ist verschwunden.
Mit einem Lächeln auf den Lippen lässt uns der Kommandant alleine in dem Zimmer, in unserem Zimmer zurück.
Kaum ist die Tür ins Schloss gefallen, wende ich mich an Eldor.
„Ich werde niemals mit dir hier zusammen in einem Zimmer wohnen."
Genervt schnaubt er und geht zum kleinen Ofen in der Ecke um Feuer zu machen. Der Boden knarzt unser seinem Gewicht, als er sich hinkniet und dann anfängt kleine Holzstücke in den Ofen zu schichten.
„Valeria, ich fürchte, du hast keine andere Wahl. Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich auch nicht gerade begeistert bin mit dir hier zusammen in einem Raum zu sein. Dir ist doch bestimmt klar, dass du ohne mich hier keinen einzigen Tag überleben würdest. Also nimm meine Hilfe an, die ich dir hiermit anbiete, und sei kein Narr."
„Deine Hilfe? Wobei? Ich brauche deine Hilfe nicht!"
„Ach bist du dir da sicher?", er sieht von seinem Versuch das Feuer zu machen auf und blickt belustigt über die Schulter zu mir.
„Alles ist besser als mit dir hier auch nur noch eine Minute länger zu verbringen." Mit verschränkten Armen stelle ich mich vor ihm.
„Dir ist aber schon bekannt, dass dich jeder hier Tod sehen will, oder? Als Bonarische Prinzessin hast du eine Zielscheibe auf der Stirn. Ich meine mir kann es ja egal sein, wenn du stirbst." Er zuckt emotionslos mit den Schultern. „Aber was passiert dann mit deiner lieben kleinen Schwester. So wie ich meinen Halbbruder kenne, wird er wohl kein besonders netter Ehemann für sie sein, fürchte ich."
Wütend schnappe ich nach Luft. Wie kann er es wagen mich, in gewisser Weise, erpressen zu wollen? Mein letzter Faden der Zurückhaltung reist und ich springe auf ihn zu. Dadurch, dass er bereits auf dem Boden kniet, ist er von meinem Angriff überrascht und ich kann ihn überrumpeln. Meine Faust landet einen Treffer an seinem Kiefer. Er verliert das Gleichgewicht als ich mich gegen ihn werfe und landet mit dem Rücken auf dem Boden. Wild und unkontrolliert schlage ich weiter auf ihn ein. Alles, was heute passiert ist, prasselt auf mich nieder. Alle Ängste und den ganzen Zorn, lasse ich durch meine Schläge gegen ihn heraus.
"Du bist ein Monster! Ein Mörder!", schreie ich dabei. Seine Überraschung von meinem Angriff hat Eldor schnell überwunden und wehrt nun meine Arme ab um mich davon abzuhalten ihm immer weiter ins Gesicht zu schlagen.
"Du denkst wirklich, dass du eine Chance gegen mich hast?"
Auf seinem Gesicht erscheint ein selbstsicheres arrogantes grinsen. Was mich noch wütender macht. Er greift nach meinen Oberschenkeln und dreht uns schnell um, sodass plötzlich ich diejenige bin, die auf dem Rücken liegt und er auf mir sitzt. Er packt meine wild herum fuchtelnden Arme und hält sie über meinen Kopf fest. Zornig sehe ich in seine himmelblauen Augen, während ihr mich siegessicher anlächelt.
"Gut, ich gebe dir drei Tage. Und danach wirst du mich anflehen hier mit dir in einem Zimmer zu sein." Sein Gesicht kommt meinem noch ein Stück näher.
"Heute Nacht such ich mir ein anderes Zimmer zum Schlafen.", haucht er. Angewidert drehe ich mein Gesicht zur Seite um ihn nicht länger ansehen zu müssen. Mit einem Ruck springt er auf und zieht sich zurück. Er nimmt seinen Rucksack, der auf einem der Betten steht und geh zur Tür. Schwer atmend liege ich immer noch auf dem Boden. Eldor dreht sich noch einmal kurz zu mir um und sieht mich an. Kurz blitzt in seine Augen etwas auf, was ich nicht deuten kann.
"Ich hoffe du weißt wie man Feuer macht. Die Nächte hier sind kalt." Dann geht er und lässt mich alleine in unserem Raum.
In meinem Raum.