Raven Black hallt es in meinem Kopf immer und immer wieder.
Der Name meines besten Freundes. Er ist mit mir zusammen aufgewachsen sein Vater war der engste Berater des Königs Erich, mein Vater. Gemeinsam haben wir das Schloss unsicher gemacht. Uns sind alle möglichen Streiche eingefallen. Meine Geschwister mussten so einiges mit uns mitmachen.
Nun ist er hier bei der Auslese im Königreich Nordela. Seine zerzausten hellbraunen Haare fallen mir sofort ins Auge, als er sich aus seiner Reihe löst, um zu der Truppe zu gehen, zu der er zugeteilt wurde. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich kurz sein Gesicht sehen kann. Seine Gesichtszüge wirken ernst, ganz anders als früher. Er sieht müde aus und älter. Ja, es sind fünf Jahre vergangen seit ich ihn das letzte mal gesehen habe. Aber dennoch wirkt er... anders. Der Raven, den ich gekannt habe, hatte immer ein spitzbübisches Lächeln im Gesicht und für jeden Spaß zu haben.
Wie ist er hier nur gelandet? Warum nimmt er an der Auslese teil? Ich muss mit ihm reden. Aber...
"Das nächste Team ist der Wolf Trupp besteht aus den Rekruten:
Eldor Jern,
Ingrid Goldstring,
Ron Conner,
Finly Floum,
Kay Kampan,
Ryan Orl und
Valeria Caelum."
Gedanklich bin ich immer noch bei Raven, aber als mein Name aufgerufen wird reißt es mich aus meinen Gedanken. Hab ich gerade richtig gehört. Ich bin mit den Prinzen in einer Truppe? Das ist doch niemals ein dummer Zufall, dass ich ausgerechnet in einem Team mit ihm bin. Langsam löse ich mich aus meiner Reihe. Mein Name wurde laut gesagt also wissen jetzt alle, dass ich die Prinzessin von Bonaris bin. Mit langen Schritten gehe ich geradewegs zu meiner, gerade Vorgelesenen Gruppe und stelle mich stumm neben sie. Auf dem Weg nach vorne liegen alle Blicke auf mir und ein lautes raunen geht durch die Reihen. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe mich vorzustellen. Als ich in die Gesichter der anderen Truppenmitglieder blicke, weiß ich sofort, dass sie wissen wer ich bin, genau so wie alle anderen Rekruten in der gesamten Kaserne. Ab jetzt bin ich eine Zielscheibe, von der Eldor bereits gestern schon geredet hat. Ich bin es gewohnt, dass man mich hasst. Hier in der Kaserne bin ich auf mich allein gestellt. So blöd es klingt, aber im Schloss hatte ich immer eine gewisse... Sicherheit durch die Gefangenschaft.
Eldor sieht mich nicht an. Sein Blick ist auf dem Kommandant gerichtet, der mit einem Räuspern versucht die Menge wieder zu beruhigen. Meine Kehle wird eng, als mir klar wird in welch einer beschissener Situation ich mich hier, bei der Auslese, befinde.
Mein Blick sucht nach der einzigen Person, der ich hier in der Kaserne vertrauen kann. Schnell finde ich Raven wieder in der Menschenmenge.
Offensichtlich hat er meinen Namen auch gehört und erkannt, denn seine blaubraunen Augen sind direkt auf mich gerichtet. Unsere Blicke treffen sich und ich sehe in seinem das blanke Entsetzen, als er mich sieht.
Wie oft habe ich mich gefragt, ob er noch lebt. Wo er gerade ist? Wie der den Überfall der Nordelianer auf unser Königreich überstanden hat?
Und jetzt. Ist er hier. Würde mich nicht jeder hier anstarren, weil ich die verhasste bonarische Prinzessin bin, wäre ich schon längst bei ihm und würde mich um seinen Hals werfen.
Widerwillig wende ich meinen Blick ab und sehe wieder nach vorne zum Podest, ehe ich es mir doch noch anders überlege.
Der Professor beendet, dann doch noch seine endlos erscheinenden Aufzählung der Einteilung und übergibt das Wort wieder an den Kommandanten Iratus.
"Der weitere Tagesverlauf ist ihnen überlassen. Sie sollen eine klare Hierarchie in euren Truppen Festlegen. Der Truppenanführer sollte sich am Abend bei mir melden. Und vergesst nicht zu üben. Wer gut kämpft hat bessere Chancen. Haltet die Augen offen. Vertrauen ist schön aber auch tödlich." Dann klatscht er in seine Hände und die drei Verlassen das Podest. Gleich ist die Versammlung unruhig. Alle Rekruten strömen mit ihren zugeteilten Truppen auseinander.
Als ich mich umdrehe um Raven zu suchen, kann ich ihn in der Menge nirgendwo entdecken.
"Da haben wir also das Glück mit dem hübschen Prinz und meiner Lieblingsprinzessin in einer Truppe zu sein.", meint das Mädchen rechts neben Eldor und lächelt mich falsch an. Sich stützt besitzergreifend ihren Ellbogen auf die Schulter von Eldor. Ihre langen Haare sind zusammengebunden und erleuchten in einem zarten rosa Ton. Ihre hellblauen Augen, die mich an den Himmel bei Gewitter erinnern, verengen sich und mustern mich argwöhnisch.
"Ingrid halt die Klappe. Es ist zu früh um schon streit anzufangen.", ermahnt Eldor sie, der sie offensichtlich schon kennt und entfernt sich einen Schritt von ihr, damit ihr Arm von seiner Schulter abrutscht und ins Leere fällt.
"Wenn du meinst." Ingrid zuckt mit den Schultern. Sie schnappt sich wieder einen Arm von Eldor und hackt sich bei ihm unter. Wie aufdringlich. Okay, vielleicht kennen sie sich doch schon etwas besser.
"Also wie lautet der Plan?", frag er Typ rechts neben Eldor und verschränkt seine Arme vor der Brust. Alles an ihm ist der Inbegriff von einen typischen nordelischen Soldaten.
"Suchen wir uns erst mal eine ruhige Ecke.", schlägt der Prinz vor und geht zusammen mit Ingrid, die immer noch seinen Arm umklammert, voraus.
Um nicht mehr in der winterlichen Kälte frieren zu müssen entscheidet sich Eldor, dass der beste Platz für unsere Kennenlernrunde im etwas beheizten Gang im Versammlungsgebäude ist. Das massive Gebäude sieht riesig von außen aus. Darin befinden sich unter andrem die Schulungsräume, ein paar Trainingsräume und die Büros der Professoren. Unsere ganze Gruppe hat es sich in einer Nische im Gang bequem gemacht. Sonst herrscht Ruhe im gesamten Gebäude. Der Prinz übernimmt ohne nach zu fragen das Kommando und beginnt mit der Vorstellungsrunde. Unsere Truppe besteht aus insgesamt sieben Rekruten.
Da wären zum einen Eldor, der Prinz.
Natürlich ich, die gehasste Prinzessin. Und...
Ingrid Goldstring, die wie sich herausstellt die Tochter eines angesehenen Beraters des Nordelischen Königs ist. Ihre blonden, ja fast weißen, Haare haben hellrosa Strähnchen und sind zu einem engen dicken Zopf zusammengebunden. Diesen hat sie über ihre Schulter gelegt. Sie ist wirklich hübsch. Hier Gesichtszuge sind fein und symmetrisch. Ihr Lippen erinnern mich an ein Herz. Große graue Augen, die an einen stürmischen Himmel erinnern, genau so wie ihr Temperament, wenn ich sie richtig einschätze.
Ron Conner, der offensichtlich ein sehr guter Freund von Eldor ist. Denn allen Anschein nach stehen sie sich sehr nahe. Ron ist groß und gut gebaut. Seine dunkelbraunen Haare und braunen Augen lassen auf eine Herkunft aus Nordela deuten. Seine Mutter ist eine Hofdame der Königin, was wohl sein gutes Verhältnis zu Eldor erklärt.
Finly Floum, ein etwas kleinerer Kerl mit schulterlangen dunkelblauen Haaren und grasgrünen Augen. Er ist der Sohn eines Händlers und offensichtlich schon ziemlich weit im Land herumgekommen.
Kay Kampan, ist ein nicht sehr gesprächiger Typ. Er stellt sich bloß mit seinem Namen vor und schweigt dann wieder. Seine schulterbreite und Muskelmasse erinnert an einen Bullen. Er blickt die ganze Zeit grimmig drein. Seine Arme sind voll tätowiert mit den verschiedensten Mustern und Figuren. Er hat eine Glatze und er trägt einen drei Tage Bart.
Und zu guter Letzt ist da noch Ryan Orl, ein Dürrer junger Kerl. Seine braune Haut ist selten ihr im Norden. Er trägt hat dunkelbraune kurzgeschorene Haare. Ryan stammt aus einem Dorf aus der nähe. Seine Familie verdient Geld durch das Jagen und sammeln im Wald. Er ist hier zu Auslese gekommen um ein besseres Leben danach zu haben.
"Also dann kennen wir uns jetzt alle. Ich hoffe es hat niemand was dagegen das ich unser Truppenanführer werde.", fragend blickt Eldor in die Runde, obwohl seine Aussage eigentlich keine Frage war. Keiner von unserer Gruppe hat etwas dagegen einzuwenden. Alle nicken nur zustimmend. Ich stehe nur still da.
"Gut. Um eins klar zu stellen in unserer Truppe dulde ich keine lebensgefährlichen Auseinandersetzungen. Ihr könnt mit den anderen Teilnehmern machen was ihr wollt. Aber hier unter uns sollten wir uns gegenseitig respektieren. Sonst werde ich mir Bestrafungen ausdenken und jeder weis, dass ich kein Problem damit habe Blut zu vergießen.", fährt er fort. Sein Tonfall trieft nur vor Autorität. Man muss nicht gut in Menschenkenntnissen sein um zu sehen das er seine neue Rolle als Anführer genießt. Da bleibt für mich nur zu hoffen, dass er diese neue Macht nicht gegen mich einsetzt.
Nach einer kleinen Rede von ihm, die alle ohne Widerworte sich anhören, gehen wir geschlossen zur Kantine, die sich im diesem Gebäude befindet. Ohne Frühstück knurrt mir bereits der Magen. Es herrscht die ganze Zeit über unangenehmes Schweigen zwischen uns. Nur Ingrid Eldor und Ron unterhalten sich ab und an. Da alle drei am Königshof aufgewachsen sind kennen sie sich gut. Nach dem warmen Gulasch treffen wir uns in der Übungshalle, auf Eldors Befehl hin. Ständig rechne ich damit das er mich wegen gestern anspricht. Schließlich habe ich ihn geschlagen. Ein kleiner Bluterguss unter seinen Bartstoppeln auf seiner rechten Wange ist Beweis dafür, dass es wirklich passiert ist. Aber er ignoriert mich die ganze Zeit über komplett. Was ich natürlich gut finde. Glaube ich.
"Ich will sehen was ihr drauf habt, damit ich unsere Chancen für die erste Prüfung besser einschätzen kann. Und damit ich für jedem von euch eine passende Aufgabe finde, die ihm am besten liegt, um unsere Stärken perfekt auszuschöpfen."
Die Übungshalle ist schon von ein paar anderen Teams belegt, aber wir finden schnell noch eine freie Übungsfläche zum trainieren. Die Halle besteht aus mehreren Kampfplätzen. An den Regalen außen sind Holzschwerter aber auch Metallschwerter und andere Gegenstände, die man sich nehmen kann, um mit ihnen im Kampf zu üben. In der Halle ist der Putz schon rissig und bröckelt an einigen Stellen ab. Der Holzboden ist abgenutzt und splittrig. Alles in allem wirkt der Raum alt und verschlissen.
Wir teilen uns in zweier Teams auf und ich lande dummerweise mit Kay, dem Muskelprotz, zusammen auf der Kampffläche.
Na toll.
Eldor bleibt alleine und sieht sich uns nacheinander an. Er hat wohl die meisten Nahkampferfahrung als Prinz, was ich nicht von mir behaupten kann. Obwohl es in Bonaris keine Seltenheit ist, dass Frauen in der Kampfkunst ausgebildet werden, hatte ich mich früher nie für Kämpfe interessiert. Jetzt wünschte ich mir es wäre anders gewesen. Ich liebte es mit dem Bogen auf die Jagt zu gehen oder an meinen Messerwurftechniken zu arbeiten. Aber bei Nahkämpfen war ich eine Niete. Jeder nimmt sich ein Holzschwert aus dem Regal. Unsicher greife ich mir auch eins und drehe es in meinen Händen hin und her. An die Grundtechniken kann ich mich noch erinnern, aber die werden hier bestimmt nicht der Maßstab sein. Ohne Vorwarnung beginnt Kay sein Schwert gegen mich zu schwingen. Erschrocken springe ich zurück. Es gelingt mir seinen ersten Schlägen geradeso auszuweichen. Doch dann trifft er mich mit Schwung am Bein. Ein dumpfer Schmerz lässt mich auf keuchen und ich lasse mein Schwert fallen. Kay sagt nichts, seine neutrale Mine ist unverändert.
"Erste Lektion! Lass deine Waffe fallen und du bist Tod.", ruft mir Eldor scharf zu.
Ganze weitere 5 Male werde ich von dem riesigen muskulösen Kerl besiegt. Mittlerweile tut mir alles weh. Schweiß rinnt mir von der Stirn. Ich bekomme sicher unzählige blaue Flecken, an den Armen und Beinen... und an der Hüfte. Frustriert setze ich mich auf den Boden. Das ganze Training über hat mich Eldor nicht aus den Augen gelassen. Immer wieder hat er mir etwas zugerufen und mich somit vor den anderen bloßgestellt. Mit großem Abstand bin ich die schlechteste in unserer Gruppe.
Wer hätte das Gedacht?
"Nächstes Mal will aber ich gegen die Prinzessin kämpfen. Scheint nicht allzu anstrengend zu sein.", meint Ingrid und lacht mich amüsiert aus. Finly stimmt mit ein und lacht grunzend. Gedemütigt rapple ich mich auf, lege mein Schwert zurück ins Regal und setzt mich müde auf die Holzbank neben dem Kampfplatz.
„Gut, das wars für heute. Ruht euch erstmals aus und morgen treffen wir uns wieder hier nach der Unterrichtsstunde bei Professor Cerus.", meint Eldor und mustert uns nacheinander. Nicht nur ich bin fertig für heute. Auch Ingrid sitzt auf der Kampffläche mit ausgestreckten Beinen und Finly liegt sogar völlig flach auf dem Boden und streckt alle Viere von sich. Ron wischt sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Kay allerdings hat sich nicht hingesetzt und zeigt auch sonst keine Anzeichen von Müdigkeit. Ich bezweifle langsam, ob er ein Mensch ist.
Erleichtert, darüber dass die Übung endlich vorbei ist, erhebe ich mich und mache mich auf den Weg nach draußen. Kann es kaum erwarten endlich alleine zu sein, weswegen ich mich auch nicht umdrehe, um zu sehen wo die anderen hinwollen oder was sie heute noch vorhaben. Das ist mir alles völlig egal. Ich ziehe mir meinen Mantel wieder über und möchte gerade die Turnhalle verlassen als mich jemand zurückruft.
„He Valeria!" Ich drehe mich um und sehe Finly vor mir stehen und neben ihm Ryan.