Es klopft dreimal an meiner Zimmertür. Ich bin nicht überrascht, schließlich sitze ich schon seit einer Stunde auf meiner Bettkante und warte. Nervös wippe ich mit dem Fuß. Nach dem Klopfen dauert es nicht lange und die Tür wird aufgesperrt. Herein kommen zwei Wachen in kompletter polierter Stahlrüstung mit blauem Umhang und... meine Augen werden groß, als ich sehe, wer noch hereinkommt.
Prinz Eldor betritt den Raum und bleibt vor mir stehen. Er wird auch an der Auslese teilnehmen, mit dem Unterschied, dass er sein ganzes Leben damit verbracht hat, dafür zu trainieren. Aus meiner Kindheit kommen Erinnerungen hoch. Wie ich mit meinen Geschwistern und Eldor im Garten gespielt habe. Er war öfter bei uns Zuhause, in Bonaris, mit seiner Mutter zu Besuch. Meine Familie pflegte engen Kontakt zu jedem Land unseres Kontinents, das war meinem Vater immer sehr wichtig. Die Königin Nora war eine gute Freundin meiner Mutter. Mein Bruder Jakob war sehr eng mit dem Prinzen befreundet. Wut kocht in mir hoch als er nun vor mir steht, dieser Verräter. Wir waren Freunde, vor dem Überfall auf unser Land. Ich hab die Zeit mit ihm immer genossen. Eldor war ein charmanter witziger Kerl. Nun fühle ich nur noch Verachtung für ihn. Was er meinem Bruder und meiner Familie angetan hat ist unverzeihlich. Die fünf Jahre über seit dem ich hier in Nordela gefangen bin hat er mich keines Blickes gewürdigt.
Kein einziges Wort mit mir getauscht.
Ich war ihm egal.
Die Freundschaft mit mein Bruder war ihm egal.
Der Prinz denkt nur an das Königreich Nordela und an sich selbst. Er folgt blind den Befehlen des Königs. Egal welche Konsequenzen es für andere hat. Ich hasse ihn so sehr, dass ich vergesse zu atmen, wenn ich ihn ansehe.
"Bist du fertig?", fragt er mürrisch und mustert mich von oben bis unten. Selbstbewusst verschränkt er die Arme vor der Brust und betrachtet mein graues Kleid, dass ich gestern schon getragen habe, meine unordentlich geflochtenen Haare und meine tiefen Augenringe.
Eldor, ist im Gegenzug zu mir, perfekt gekleidet. Seine schwarze Lederhose ist sauber in seine Stiefel gesteckt. Über seinem langärmligen schwarzen Hemd trägt er eine lederne Weste, über der ein Waffengürtel quer über seine Brust geht. Dieser ist besetzt mit fünf silbernen Dolchen. Seitlich an seinen Beinen sind ebenfalls noch größere Dolche befestigt. An seinen Händen trägt er warme Lederhandschuhe und um seine Schultern hängt, der für ihn typische, schwarze Pelzumhang. Schließlich herrscht draußen klirrende Kälte und der geliebte Prinz sollte nicht frieren.
"Was hast du da an?"
Er zieht eine Augenbraue hoch und lässt leicht angewidert seinen Blick über mein einfaches schlichtes Kleid schweifen.
"So schaffst du es nicht mal bis zur Kaserne, bevor du erfrierst."
Die Wachen schmunzeln amüsiert.
"Ich hätte mich ja gerne wärmer angezogen, aber ich hab nichts anderes. Und es gestaltet sich für mich ziemlich schwierig einfach zur nächsten Schneiderin zu gehen."
"Na dann ist es doch gut, dass ich dir etwas mitgebracht habe."
Eldor deutet auf die Wache neben sich, die einen Stapel Kleidung in den Armen hält.
"Zieh das an und komm dann raus. Und beeile dich wir haben es eilig."
Er wirft den Stapel auf das Bett und die drei Männer verlassen das Zimmer. Stumm sehe ich auf den Stoffhaufen. Es sind in etwa die gleichen Kleidungsteile wie Eldor anhat, nur sehe ich bei mir keine Dolche. Hätte mich auch gewundert, wenn sie mich freiwillig bewaffnen würden.
Vor mir liegen eine schwarze enge Lederhose, gefütterte Winterstiefel, ein lang ärmliches dunkles Oberteil, das aus einem festen gefutterten Stoff gefertigt wurde. Und dann ist da noch der schönste Umhang, den ich seit Jahren gesehen habe. In den letzten Jahren habe ich mich nie hoffen getraut, jemals wieder so etwas Edles anziehen zu dürfen. Der Umhang besteht aus einem tannengrünen Stoff mit goldenen Stickereien an den Rändern. Innen ist er mit einem weichen hellgrauen Pelz gefüttert und die Kapuze ist ebenfalls mit einem hellgrauen Pelz umrandet. Alle Sachen passen mir weitestgehend. Gut, die Stiefel sind etwas zu eng, aber als ich mich im Spiegel betrachte, finde ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder schön.
Ich öffne die Tür und trete nach draußen. Eldor lehnt auf der gegenüber liegenden Wand und betrachtet mich.
Er stößt sich von der Mauer ab und läuft voraus. Zögerlicher folge ich ihm, ohne ein Wort zu sagen. Die zwei grimmig blickende Wachen folgen uns ebenfalls.
Trotz der Jahre, die ich hier verbracht habe, kenne ich die meisten Gänge und Zimmern des Schlosses nicht. Mir war es nicht erlaubt, mich umzusehen. Die meisten Schlossflügel waren für mich komplette Sperrzone. Neugierig sehe ich mich um. Eldor geht zielsicher den Flur entlang auf ein Treppenhaus zu. Die leicht gekrümmte Holztreppe führt uns zum Erdgeschoss. Wieder gehen wir einen geraden Gang entlang, bis wir links zu einer großen Holztür ankommen, die nach draußen in den Innenhof führt.
Es schneit leicht, als wir nach draußen treten. Staunend blicke ich nach oben. Wann war ich das letzte Mal draußen? Es muss Monate her sein als uns der König, das letzte Mal, erlaubt hat in den Garten zu gehen. Vor mir ragt das Schlosstor, das in die Freiheit für, in den Himmel. Wie oft habe ich versucht, es bis hier herzuschaffen? Nie habe ich es auch nur annähernd so weit geschafft. Eldor folgt meinen Blick auf das Eiserne Tor.
„Solltest du fliehen, muss ich dich wohl oder übel töten.", meint Eldor monoton und betrachtet dabei das Tor.
„Ich würde nie fliehen. Nicht ohne meine Schwester. Ich habe es ihr versprochen."
„Gut so. Meine Sachen sind neu und ich bin nicht schaff darauf, sie mit Blut zu besudeln."
Kurz wirft er mir noch einen prüfenden Blick zu, als ob er in meinem Gesicht die Wahrheit sehen könnte, eher er seinen Weg fortsetzt und Richtung Stallungen geht. Es ist die Wahrheit, dass ich ohne Ida hier bestimmt nicht weglaufe.
Vier große braune Pferde stehen gesattelt für uns bereit vor dem großen Hoftor.
"Mein Prinz, wie gewünscht eure Pferde.", der Stahlbursche verbeugt sich tief und sieht demütig zu Boden, aber Eldor schenkt ihm keine große Beachtung.
"Ich hoffe du kannst noch reiten.", meint er und wendet sich an mich.
In Bonaris hatte ich ein schwarzes Pferd namens Henry. Wo es wohl heute ist? Ob er überhaupt noch lebt?
Bei uns haben Jakob, Eldor und ich öfter Pferderennen durch den Wald veranstaltet. Damals war noch Frieden und meine Familie herrschte glücklich über ihr Königreich. Er weiß genau, dass ich eine gute Reiterin bin. Viele Male habe ich die Rennen gegen ihn und meinen Bruder gewonnen. Beim Gedanken daran kann ich fast den dichten grünen Wald sehen, den Frühlingsduft in der Nase riechen und die galoppierenden Hufe auf dem Laubboden hören. Damals waren wir 12 Jahre. Es kommt mir vor, wie ein anderes Leben.
Wütend sehe ich ihn an. Alles, was ich ihm jetzt gerne an den Kopf geworfen hätte, wäre nicht gut für mich gewesen. Eine Strafe kann ich jetzt nicht riskieren. Denn vielleicht zieht der König dann doch sein Angebot der Freiheit für uns zurück. Aber die Wut in meinem Bauch lässt nicht nach. Umso länger ich ihm gegenüber stehe, umso größer wird der Hass. Mörder. Denke ich nur.
Am liebsten würde ich mich auf ihn stürzen, meine Faust in sein Gesicht schlagen immer und immer wieder. Meine Hände ballen sich zu Fäusten. Aber anstatt mich auf ihn zu stürzen oder ihn zu beleidigen meine ich nur:
"Soweit ich mich erinnern kann, war ich immer die bessere Reiterin."
Überraschung blitzt in seinen Augen auf. Er hat offenbar mit etwas anderem gerechnet. Kurz räusperte er sich.
"Gut, dann hoffe ich, dass du es nicht verlernt hast."
Gekonnt schwinge ich mich auf eines der Pferde. Die drei Männer folgen meinem Beispiel und sitzen sich ebenfalls auf. Mein letzter Ritt ist sehr lange her.
Wahrscheinlich reite ich geradewegs in den Tod. Trotzdem hüpft mein Herz vor Freude als das Tor aufgeht und die Freiheit so nah wie seit langem nicht mehr ist. Dennoch habe ich kein Interesse daran zu fliehen. Ich kann Ida nicht ihrem Schicksal im Schloss überlassen.
-
Die Winterlandschaft ist atemberaubend. Komplett zugeschneite Bäume und Wiesen. Alles ist weiß und glitzert im leichten Sonnenschein. Der eisige Wind verwandelt die großen Tannen in gefrorene Gestalten. Hätte ich nicht meine neuen Handschuhe an, wären mir schon nach wenigen Minuten die Finger abgefroren. Kleine Eiskristalle peitschen in mein Gesicht, ich ziehe meine Kapuze weiter nach unten. Eldor reitet neben mir. Er verfolgt aufmerksam jede meiner Bewegungen, so als ob ich jeden Moment verschwinden könnte oder ihn angreifen würde, aber er sagt kein Wort zu mir, was mir gerade recht kommt. Es würde mit sowie so nur wütend machen. Die beiden Wachen namens Sven und Harald reiten hinter uns unterhalten sich vulgär über irgendwelche Bordelle in denen sie schon waren und wo die Frauen die größten... naja ist ja auch egal.
Nach einiger Zeit reiten wir durch ein Dorf. Es besteht nur aus fünf kleinen Holzhäusern, die still in der Schnee verwehten Landschaft stehen. Nur der Rauch aus den Kaminen lässt darauf schließen, dass die Häuschen bewohnt sind. Der Prinz macht unerwartet halt vor einer der kleinen Hütten und springt von seinem schwarzen Pferd.
"Wartet hier! Ich bin gleich wieder da. Passt solange auf Prinzessin Valeria auf.", befiehlt er. Es ist das erste Mal seit dem Angriff das er meinen Namen ausspricht.
Es bleibt keine Zeit für Widerreden, denn schon war er im Vorgarten des Hauses und klopfte drei Mal an die schlichte Holztür, nach wenigen Augenblicken öffnet eine schöne Frau mit schwarzen langen Haaren die Tür. Sie lächelt Eldor freundlich an und tritt zur Seite damit er eintreten kann.
"Na wunderbar. Lässt uns einfach in der Kälte hier stehen.", meint Sven mürrisch.
"Ja und er fickt da drin bestimmt eine seiner Huren.", antwortet Harald ihm.
"Da hätte ich jetzt auch nichts dagegen. Zwei warme Schenkel um meine Hüfte."
Stumm sitze ich auf dem Pferd und starre auf die Tür in der Eldor verschwunden ist. Ich versuche das Gespräch der beiden Männer hinter mir auszublenden. Was macht er da drinnen? Wir sollten doch so schnell wie möglich zur Kaserne.
"Weißt du, ich hab noch nie eine Prinzessin gefickt.", sagt Harald und lacht laut. Das erweckt meine Aufmerksamkeit. Nervös rutsche ich auf meinem Sattel hin und her. Starre auf die Hütte und wage es nicht die beiden Männer hinter mir anzusehen.
Niemand wird eine Prinzessin anrühren schließlich ist es das höchste Gebot, als Ritter, sie zu schützen und zu behüten, rede ich mir ein. Zumindest in Bonaris war das so. Aber vielleicht sind unsere zwei Begleiter überhaupt keine Ritter.
Zweifel kommen in mir hoch. Scheiße, was soll ich tun.
In Nordela wird man zu einer Heirat gezwungen, wenn der König eine gute Partie ausgewählt hat, die ihm einen gewissen Vorteil bringt. In meinem Reich war so was undenkbar. Meine Mutter Dagmar hat meinen Vater Erik geliebt. Ich dachte lange Zeit, dass Kinder nur zwischen Liebenden entstehen können. Mittlerweile bin ich aber eines Besseren belehrt worden. Der König ist der beste Beweis dafür, dass Kinder auch aus Hass und Angst entstehen können, sonst wäre Eldor wohl nicht am Leben.
Ich war noch nie verliebt. Hatte nie die Chance mich zu verlieben. Es gab mal einen Jungen an unseren Hof mit dem ich meinen ersten Kuss hatte, aber weiter bin ich nie gegangen. Damals war es nur kindliche Neugier. Nach den fünf Jahren in Gefangenschaft voll mit Demütigung und Bestrafung habe ich meine Zweifel das ich jemals jemanden in mein Herz lassen werde. Denn, wenn ich eins gelernt habe in diesen fünf Jahren dann war es das Liebe immer eine Schwäche für den Feind ist.
Ein Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Harald ist aus seinem Sattel auf den Boden gesprungen und kommt langsam auf mich zu.
"Ich habe keinen Bock mir hier den Arsch abzufrieren. Wir zwei könnten auch hier kurz in die Gasse verschwinden. Du hattest bestimmt noch nie einen richtigen Kerl. Und ich hatte schon lange nicht mehr eine hübsche Frau.", sagt er während er immer näher auf mich zukommt. Ekel durchfährt mich und breitet sich in meinen Bauch aus. Erschrocken drehe ich mich in seine Richtung als er neben meinem Pferd auftaucht. Seine Hand greift meinen Oberschenkel und packt fest zu.
"Lass mich sofort los! Du hässlicher Bastard!", fauche ich ihn an.
Meine Versuche ihm mit meinem Fuß ins Gesicht zu treten scheitern, als er mein Bein mit beiden Händen packt und daran zieht. Erschrocken schnappe ich nach Luft. Gerade so kann ich mein Gleichgewicht noch halten, um nicht vom Pferd zu rutschen.
"Hey, Harald lass das lieber. Dem Prinzen wird das nicht gefallen."
Sven sieht nervös zur Tür bleibt aber auf seinem Ross sitzen.
"Mir scheiß egal, er hat da drin seinen Spaß und ich nehme mir hier draußen die Prinzessin vor. Stimmts kleine und jetzt komm darunter. Wir haben nicht ewig Zeit."
Seine Hände packen mich an meiner Hüfte und wieder versucht er mich zu sich zu ziehen.
"Verpiss dich!", rufe ich leicht panisch als ich das Gleichgewicht verliere und drohe aus dem Sattel zu rutschen.