Chereads / Die vier Wächter - Das Eisherz / Chapter 2 - Kapitel 1

Chapter 2 - Kapitel 1

Schwere Schritte hallten den langen Gang entlang. Es waren die Schritte meiner zwei Wachen, die mich stets begleiten, wenn ich mein Zimmer verließ. Ich Valeria, Prinzessin von Bonaris, bin eine Gefangene. Ein Souvenir des Königs von Nordela, sein persönliches Spielzeug. Ein Andenken an seine glorreiche Schlacht gegen mein Land. Wir waren auf dem Weg zum Thronsaal. Dort wird der König Alvar die neuen Rekruten des diesjährigen Auslese-Rituals begutachten und den Ball zur Feier der Entsendung eröffnen. Die mutigen Freiwilligen müssen sich in den nächsten Wochen als würdig erweisen und vier Prüfungen bestehen, um vom Lebensstrom des Planeten den Gottessegen zu bekommen, danach würden sie im Reich je nach ihrer Gottesgabe, die sehr unterschiedlich sein können, eingesetzt werden.

Mittlerweile sind meine Schwester Ida und ich schon über fünf Jahre hier gefangen.

Fünf Jahre ist es her, dass unser Land Bonaris von dem König Alvar angegriffen und überrannt wurde.

Fünf Jahre, in denen wir in seinem Königreich Nordela gedemütigt und misshandelt werden.

Fünf Jahre, in denen ich mit allen Mitteln versucht habe, meine kleine Schwester zu beschützen und die Wut des Königs, den Mörder meiner restlichen Familie, möglichst immer auf mich zu richten.

Anfangs habe ich alles mögliche versucht, um mit Ida hierher zu entkommen. Aber vergebens. Nicht mal annähernd haben wir es zum Schlosstor geschafft. Nun versucht uns der König uns so gut es geht voneinander zu trennen.

Ich habe sie jetzt schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen. Wir haben getrennt Zimmer, die wir gewöhnlich nur einmal pro Tag verlassen dürfen.

Letzte Woche haben die Wachen vergessen, abends mein Zimmer abzuschließen. Ich habe aus Verzweiflung wieder einen Fluchtversuch gestartet.

Aber ich kam nur bis zur abgesperrten Zimmertür meiner Schwester, dort entdeckte mich eine Wache, die mich zum König Alvar schleppte, damit er sich eine Bestrafung für mich überlegt.

Für gewöhnlich braucht er nicht einmal einen Grund, um mich zu bestrafen. Beleidigungen, Peitschenhieben oder Schläge, je nachdem wie seine Laune gerade ist. Anfangs habe ich mich noch gewehrt. Doch das konnte ich nur einige Monate lang durchhalten.

Jetzt nehme ich es nur noch hin. Ich bin stiller geworden.

Mein Rücken brennt immer noch von den zehn Peitschenhieben, die der König mir als Bestrafung für den Ausbruch aus meinem Zimmer geben ließ. Die Wunden sind noch nicht ganz verheilt, deswegen ist mein Gang auch so steif. Um so wenig Schmerzen wie möglich zu haben, versuche ich meine Bewegung weitestgehend einzuschränken.

Wir kamen der großen schwarzen Tür am Ende des Ganges näher. Ein Bediensteter öffnete diese, als wir vor dem Saal ankamen, um uns einzulassen.

Hinter der Tür erstreckte sich ein langer, hoher Saal. Die Decke wird von großen grauen Säulen aus rohem Stein gestützt. Diese Stützen wurden von Fackeln und dem königlichen Wappen, einem weißen Wolf im Wald auf einem blauen Hintergrund, geschmückt. Der Boden war ebenfalls aus Stein gefertigt. Ein schwarzer Teppich verlief von der Eingangstür bis zum Thron, der auf einem erhöhten Podest stand. Der wuchtige Thron war aus schwarzem Holz gefertigt, seine Lehne war sicher 2 Meter hoch und kunstvolle Schnörkel und Runen waren in das Holz eingeschnitzt. Hohe Fenster ragen vom Boden bis zur Decke an der rechten Seite der Halle entlang. Das Glas war aus verschiedenen Blautönen, die das Licht der Sonne, das in den Raum fiel, noch kühler wirken ließ, als es ohnehin schon war.

Der Thron war leer. Der König war noch nicht da. Es waren auch noch nicht alle Adeligen in der Halle. Etwa 100 Rekruten standen links neben dem Thron in Reih und Glied und warteten.

Mein Blick schweift suchend durch den Raum. Vielleicht war Ida auch schon hier. Ich musste sie sehen um zu wissen ob es ihr gut geht. Schnell wurde ich fündig und steuerte mit meinen Wachen im Schlepptau auf sie zu. Im Stillen betete ich, dass meine stetigen Begleiter mich ohne Einwände zu meiner Schwester lassen. Idas Blick findet den meine und ein leichtes lächeln, das aber nicht ganz ihre Augen erreicht, umspielt ihren Mund. Ihre braunen Haare sind zu einem strengen Knoten zusammen gebunden. Sie hat, genau wie ich über der Gesicht verteilt, leichte Sommersprossen. Ida trägt das gleiche Kleid wie ich. Es besteht aus einem grauen rauen Stoff, der ohne figurbetonten Schnitt wie ein Sack an uns hängt. Ihre grün-braun gesprenkelten Augen sehen müde in die meinen.

Obwohl sie erst 18 Jahre ist, wirkt sie schon erwachsen. Die letzten fünf Jahre haben sie viel zu schnell altern lassen.

Ich bin fünf Jahre älter als sie. Die Zeit hier im Norden hat auch mich körperlich verändert. Mein einst glänzendes, lockiges kastanienbraunes Haar ist jetzt matt. Meine Haut ist blasser geworden und dunkle Augenringe zeichnen sich unter meinen grünen Augen ab.

Ich stelle mich neben Ida, zwischen die Säulen, lasse aber einen Meter Abstand zwischen uns.

„Wie geht es dir?", frage ich leise und erschrecke mich von meiner eigenen rauen Stimme. Es waren die ersten Worte, die ich heute gesprochen habe. Mit wem sollte ich auch sonst reden? Meistens bin ich alleine in meinem Zimmer - meinem Gefängnis - eingesperrt. Ich blicke sie nicht an, sondern sehe nach vorne.

„Es ist alles in Ordnung. Und.. bei dir?", flüstert sie zurück.

„Alles in Ordnung, ich..." Ich werfe einen kurzen Blick in ihr Gesicht. Ihr einst so strahlendes Gesicht ist komplett emotionslos. Ermutigend lächle ich sie an. Ein Lächeln, auch meine Lippen zu bekommen, kostet mich all meine Kraft. Ihre Augen wirken matt, leer und traurig.

„Ruhe jetzt!", befiehlt eine Wache von Ida und wirft uns eine wütenden Blick zu.

Ohne weitere Worte richten wir beide unseren Blick auf den Boden vor uns. Stehen ruhig nebeneinander und schweigen uns an. Es ist schön, einfach bei ihr zu sein. Zu wissen, dass sie lebt.

***

Wir müssen hier so schnell wie möglich raus!", schreit uns unsere Magd Leena an, als sie in das Zimmer stürmt und packt mich und Ida grob am Arm. Sie zieht uns aus dem Raum und in den lichtdurchfluteten Gang entlang. Es ist gerade Abend und die Sonne steht schon tief am Horizont. Ich verstehe nicht ganz, was passiert ist. Aber sobald ich Leenas Gesichtsausdruck gesehen habe weiß ich, dass es ernst ist. Aus dem Gang vor uns ist lautes Geschrei zu hören. Schnell zieht uns Leena in einen Nebengang, der normalerweise nur von Bediensteten genutzt wird.

Aua! Du tust mir weh!", jammert meine Schwester Ida und zieht an ihren Arm, um ihn aus ihrem Griff zu befreien.

Sie hat offensichtlich den Ernst unserer Lage hier noch nicht begriffen. Die Soldaten aus Nordela haben es in den Palast geschafft, das ist die einzige logische Erklärung. Mein Vater, der König von Bonaris, war heute schon den ganzen Tag so unruhig und hat uns auf mein Schlafgemach geschickt und meinte, wir sollten vorerst dort bleiben.

Sei doch still!", baffe ich sie wütend an.

Wie kann sie nur so kindisch sein, sie ist doch schon 13 Jahre alt. Unsere Magd lässt uns los, als wir an der schmalen Holztreppe ankommen, die nach unten in die Küche führt.

Die alten Holzstufen ächzen unter unseren Schritten. Die große Küche, die normalerweise voller Leben ist, ist menschenleer. Alle Töpfe und Vorräte liegen verstreut auf dem Boden. Teller und Schüsseln liegen zerbrochen überall im Raum. Wir treten in die Küche und umrunden die Arbeitsfläche, um auf der anderen Seite zur Tür zu kommen, die nach draußen in den Hof führt, als Ida plötzlich laut aufschreit. Hinter dem Tisch in der Mitte liegt ein lebloser Körper, unser Koch Fridolin. Seine glasigen Augen sind weit aufgerissen und starren zur Decke. Eine große Blutlache hat sich um ihn gebildet. Sein Bauch wurde brutal aufgeschlitzt. Entsetzt starre ich auf die Leiche, ich habe noch nie etwas so Grausames gesehen.

Der Schrei kam von hier, da bin ich mir sicher!", ruft eine männliche Stimme hinter uns aus dem Gang. Die dumpfen Schritte kommen immer näher.

Los lauft weiter! Ich versuche sie aufzuhalten. Flieht in den Garten und dann in den Wald!" Leena greift nach einem großen Messer und schickt uns in den Hof.

Ida rührt sich nicht von der Stelle. Sie starrt immer noch geschockt Fridolin's Körper an.

Ida, komm jetzt!" Ich packe sie am Arm und zerre sie aus der Tür in den kleinen Innenhof. Gemeinsam stolpern wir nach draußen. Der Hof ist leer, den Göttern sei Dank. Scheiße, wo sollen wir nur hin. Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, wie wir am schnellsten in den Wald kommen, also laufe ich einfach Richtung Schlossgarten.

Zwischen Blumen und Hecken laufe ich voraus und Ida folgt mir. Die Hecken sind hoch und lassen nur noch düster das Licht der untergehenden Sonne hindurch. Ich kenne mich hier gut aus, kenne hier jeden Quadratmeter. Im Garten hinten ist eine hohe Steinmauer, die ich schon hunderte Male hochgeklettert bin. Das ist der schnellste Weg aus dem Schloss, weg von den Nordelaner. Wir befinden uns ungefähr in der Mitte des Gartens nahe dem Springbrunnen, als ich meinen Bruder Jakob hinter einer Hecke höre.

Was soll das? Ich habe dir vertraut."

Durch den Busch kann ich meinen Bruder und seinen Freund Eldor sehen. Beide stehen sich gegenüber und sind in Kampfstellung, haben ihr Schwert gezogen und sind bereit zum Kampf. Hinter Eldor stehen noch zwei weitere nordelanische Soldaten in voller Rüstung.

"Ich wünschte, ich hätte eine Wahl!", meint Eldor, und Schmerz und Trauer blitzt in seinen Augen.

"Eldor, man hat immer eine Wahl!", entgegnet ihm mein Bruder.

"Dann kennst du meinen Va... König nicht."

Abrupt bleibe ich stehen. Ich muss Jakob helfen. Durch die Hecke kann ich fast nichts erkennen. Aber ich muss eine Möglichkeit finden, ihn aus dieser Situation zu befreien. Ida rechnet nicht mit meinem plötzlichen Halt und läuft in mich hinein. Durch den Schupps kann ich mein Gleichgewicht nicht mehr halten und falle aus unserer Deckung hervor. Überrascht wandern alle Blicke zu uns.

"Val... Ida... Was?"

Jakob kommt einige Schritte auf uns zu, wird aber sofort von Eldor abgeblockt. Panik liegt auf seinem Gesicht.

Eldor sieht über seine Schulter zu mir. Zornig sehe ich in seine himmelblauen Augen. Wut kocht in meinem Bauch. Wie kann er es nur wagen, sich gegen uns zu stellen? Wir haben ihn immer willkommen geheißen. Er war ein guter Freund meiner ganzen Familie, er war ein Teil meiner Familie. Er war mein Freund.

"Lauft weg! Zu unserem Ort. Ich schaffe das schon allein.", ruft uns Jakob voller Verzweiflung zu und schlägt mit dem Schwert nach Eldor. Schnell fängt er sich wieder und legt seine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Bruder, um den Angriff abzuwehren.

Ich kümmere mich um den Prinzen! Ihr nehmt die Prinzessinnen gefangen! LOS!", schreit Eldor seine Soldaten an. So schnell wie meine Beine mich tragen, laufe ich mit Ida an meiner Hand los. Doch wir kamen nicht weit, denn hinter der nächsten Abbiegung liefen wir genau in die Hände weiterer Kämpfer. Verzweifelt sehe ich mich um. Hinter und vor uns stehen zwei Soldaten. Wir sitzen in der Falle...

***

Die letzten Adeligen strömten in den Thronsaal, dann ist es auch schon so weit.

Der König betritt den Thronsaal mit seiner Familie im Schlepptau. Es wird sofort still. Keiner wagt es, sich noch zu bewegen. Alle stehen entlang des schwarzen Teppichs und verbeugen sich, sobald König Alvar an ihnen vorbei schreitet. Eine Krone aus Ebenholz und funkelnden blauen Saphiren schmückt sein Haupt. Er hat dunkelbraune Haare, die wegen seines Alters schon grau meliert sind. Sein grauenvolles Gesicht, das ich so sehr hasse, ist verdeckt von einem gräulichen Vollbart. Seine braunen Augen waren so dunkel, dass sie fast vollkommen schwarz wirkten. Ein langer, wuchtiger Pelzmantel aus Wolfsfell lag um seine Schultern und reichte bis zum Boden. Darunter trug er eine royal blaue bestickte Tunika und eine silberne Kette mit einem Wolfskopfanhänger, das Symbol des Königreiches Nordela. Er war ein großer, breit gebauter Mann. Ein richtiger Krieger, sowie es hier im Norden üblich ist.

Neben ihm, dem Herrscher des Landes, schreitet seine Frau Königin Nora den Teppich entlang. Sie stammt ursprünglich aus dem Königreich Sumanien, das erkennt man an ihrer hellbraunen Haut. Ihre strahlend blauen Augen sind ebenfalls typisch für die Südländer. Das schwarze Haar ist prachtvoll nach oben gesteckt und mit Perlen verziert. Sie trägt ein prachtvolles blaues Barockkleid mit unzähligen Glitzersteinen und Rüschen.

Hinter dem Königspaar folgen die drei Söhne des Königs. Alle drei Prinzen hatten ihre typischen Lederklamotten mit einem nordischen Pelzumhang an, alles in Schwarz und braun gehalten.

Der älteste Sohn namens Aegir und somit auch der Kronprinz gleicht seinem mittleren Bruder Blaer fast wie ein Zwilling. Beide sehen dem König sehr ähnlich. Sie sind muskulös und groß, haben beide braune, wellige Haare und erdige Augen. Aegir und Blaer hatten die gleiche Mutter, die erste Königin namens Disa, die bei der Geburt eines dritten Kindes vor 25 Jahren gestorben ist, und das Kind mit ihr.

Der König heiratete daraufhin Nora, die jetzige Königin.

Der jüngste Sohn des Königs, Eldor, war auch ihr Sohn. Seine himmelblauen Augen und seine gebräunte Haut lassen daran keine Zweifel aufkommen. Er hat keine großen Ähnlichkeiten mit seinem Vater. Seine Schultern sind nicht so breit wie die seiner Brüder und er hat auch keine typischen braunen Haare, sondern Pechschwarze.

Und ich hasse sie alle drei.

Ich hasste sie so sehr.

Sie waren bei dem Kampf in unserem Schloss dabei.

Sie waren bei der Ermordung meiner Familie da.

Sie haben ihre Schwerter in hilflose Bedienstete gestoßen. Zeigten kein Mitleid. Es war ein reines Massaker.

Und mein Bruder...

Eldor. Er hat ihn ermordet. Vor meinen Augen.

Beim Gedanken steigen mir Tränen in die Augen. Meine Kehle schnürt sich zu.

Nein, ich darf jetzt keine Schwäche zeigen. Ich muss stark sein, bei der Göttin Esta, für uns beide. Ida und mich.

Ich starre vor mir auf dem Boden, um mich wieder zu beruhigen.

Stolz lässt Alvar sich auf seinem Thron nieder. Die Königin nimmt neben ihm auf einen unscheinbaren Hocker Platz und starrt stumm auf ihre Hände in ihrem Schoß. Die drei Prinzen stellen sich rechts neben der erhöhten Bühne des Thrones in einer Reihe auf.

Der König räuspert sich und spricht dann mit lauter Stimme:

"Heute ist wieder ein ganz besonderer Tag in Nordela. Heute ist die Mondnacht. Die Nacht, in der wir zu Ehren Narfi, unserem Gott, die diesjährigen Rekruten zur Auslese schicken. Es freut mich, in diesem Jahr wieder viele mutige Freiwillige aussenden zu dürfen, die den vier Prüfungen zum Trotz unseren Gott Narfi würdigen wollen. Ihr werdet es sicher nicht alle schaffen. Für die Schwachen unter euch werden die Prüfungen tödlich enden. Das ist auch gut so, denn nicht jeder kann eine Gabe von unserem Kriegergott bändigen."

Er blickt auf die ca. 200 Rekruten, die reglos in ordentlichen Reihen seitlich vor dem Thron stehen. Alle tragen die gleiche Uniform aus dunkelblauem Leder und grauem Pelz. Es sind fast keine Frauen dabei. Vielleicht jeder 10. Rekrut ist eine Frau.

"In diesem Jahr ist wieder einer meiner Söhne bereit eine außergewöhnlich Gabe von Narfi zu bekommen. Eldor, ich bin mir sicher, dass deine Gabe groß wird genau sowie die Mächte deiner Brüder. Er wird unser Königreich stärken, genauso wie ihr alle unser Volk stärken werdet, wenn ihr erfolgreich seid. Also lass uns heute ein wundervolles Fest der Mondnacht, für die tapferen Rekruten, feiern, die unser Reich besser machen werden. Musik an."

Die Musikkapelle beginnt zu spielen und Ballmusik ertönt. Alle jubeln und klatschen.

Leute begeben sich zum Buffet und auf die Tanzfläche. Wir werden von den Einwohnern hier gemieden. Keiner von ihnen würde je ein Wort mit uns wechseln. Aus Angst davor, dem König etwas nicht recht zu machen. Oder weil man jeden Tag gesagt bekommt, dass man Fremden nicht trauen darf und sie hassen soll.

Unsere Wachen stehen etwas abseits von uns an den Säulen und beobachten Ida und mich streng. Aber ich denke, es ist uns jetzt wohl erlaubt, miteinander zu reden.

"Du musst aufhören.", sagt Ida leise aus dem Nichts und ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht.

"Was meinst du?" Verwirrt sehe ich sie an. Sie wirkt nervös und zupft an ihrem Ärmel herum.

"Die Fluchtversuche... Sie bringen nur unnötige Schwierigkeiten. Ich... Wir sind jetzt schon so lange hier. Du musst einsehen, dass hier unser neues Zuhause ist. Ich glaube nicht, dass wir es je schaffen werden und wenn wir uns benehmen, wird es bestimmt von Tag zu Tag besser und..."

"Nein.. Was... was sagst du da? Zu Hause?", frage ich wispernd und schüttle Geistesabwesend den Kopf. Doch Ida spricht einfach weiter: „... der König wird bestimmt mit den Bestrafungen aufhören. Ich habe vor drei Tagen ein Gespräch mit ihm gehabt. Er hat mir versichert, dass wir wieder zusammen in einem Zimmer untergebracht werden. Du musst nur damit aufhören. Aufhören mit den Widerspenstigen verhalten."

Tränen steigen in ihre Augen, doch sie wischt sie schnell mit dem Ärmel weg.

"Nein! Wie kannst du nur diese Hölle hier als unser Zuhause bezeichnen? Weißt du denn nicht mehr, was er mit unseren Eltern..."

Meine Stimme bricht ab. Ich kann nicht weiter sprechen. Der Schmerz ist zu groß.

"Sag mir nicht, du glaubst ihm auch nur ein Wort? Er würde uns nie gut behandeln. Nie."

Ihre Finger zittern und ihr kullert eine Träne über die Wange.

"Bitte. Hör mir zu...", setzt sie an und verstummt abrupt. Sie stellt sich aufrecht hin und neigt den Blick zu Boden, bevor sie sich verbeugt.

Ich weiß genau, wer hinter mir steht, bevor ich mich umdrehe und ihn ansehe.