Mir wird schlecht als ich mich umdrehe und hinter mir der König steht.
Auf seinem Gesicht bildet sich ein leichtes herablassendes Lächeln.
"Meine liebe Valeria verbeuge dich oder willst du lieber wieder den Stock spüren. Oder noch besser vielleicht sollte ich diesmal nicht dich, sondern Ida an deiner Stelle bestrafen und du siehst dabei zu. Wie wäre das?"
Ich erwidere nichts, sondern Blicke zu meinen Füßen und mache widerwillig einen tiefen Knicks.
***
Meine Handgelenke schmerzen noch von den rauen Seile, das tagelang an meiner Haut gescheuert hat. Nach einer vier tägigen Reise eingesperrt in einer Kutsche sind wir gestern am Schloss in der Hauptstadt Nordelas angekommen. Nun sitzen Ida und ich in einem leeren Raum mit zwei Pritschen. Es ist nicht direkt der Kerker, aber das macht unsere Lage in keinster Weise besser. Den König haben wir bis jetzt noch nicht gesehen. Auch keiner der Prinzen hat sich uns gezeigt. Wir reden kaum. Sitzen einfach nur stumm da. Meine Augen sind geschwollen vom vielen Weinen. Uns wird widerliches Essen ab und zu gebracht ansonsten sind wir komplett isoliert.
Alleine.
Unsere Eltern wurden hingerichtet.
Unser Bruder von Eldor ermordet.
Die Einwohner von Bonaris wurden erschlagen und misshandelt.
Wir haben nur noch uns beide. Zwei verlorene Prinzessinnen.
***
"Na also geht doch. Also kommen wir gleich zum Punkt. Ich weiß doch, dass du nicht der gesprächigste Typ bist. Also hat dich Ida schon in meinen Deal für euch beide eingeweiht?"
"Welcher Deal?", frage ich und bemühe mich meine Stimme monoton und desinteressiert klingen zu lassen. Während mein Herz verräterisch wild galoppiert. Ich habe Angst.
"Ich werde euch beide die Freiheit schenken, wenn du eine Aufgabe erfüllst."
Mein Gesicht ist ausdruckslos und ich blicke in seine Augen. Er grinst schelmisch.
Alvar kratzt sich am Bart mit seiner Hand, an jedem seiner Finger glänzt ein anderer Edelstein.
"Ich habe mir gedacht, da du doch so eine Kämpferin bist, die niemals aufgibt, könntest du doch auch die 4 Prüfungen der Auslese bestreiten und im Gegenzug schenke ich dir die Freiheit. Dir und deiner Schwester. Ihr dürft hingehen, wo ihr wollt. Frei wie ein Vogel."
Ein Grinsen breitet sich auf seinem abscheulichen Gesicht aus. Als er auf mich und meine Schwester deutet. Er will mich umbringen. Nur das kann der Grund sein, dass er mir diesen Vorschlag bringt.
***
Ich weiß nicht wie viele Tage wir jetzt schon hier in diesem Gefängnis sitzen. Der kleine Raum ist Fensterlos. Nur durch eine kleine Öffnung in der Tür dringt Sonnenschein und macht es uns möglich etwas zu sehen. Langsam werde ich hier verrückt. Meine Lippen sind spröde. Seit dem Angriff habe ich mich nicht gewaschen. Ida weint fast die Ganze zeit über. Bis sie vor Erschöpfung einschläft, aber sofort wieder zu weinen beginnt wenn sie aufwacht.
Meine Hände sind blutig, weil ich seit tagen gegen die Tür hämmere. Aber niemand beachtet mich. Ich wünsche ich wäre tot.
***
Ich blicke in Alvars böse grinsendes Gesicht.
"Und wenn ich es nicht schaffe?", frage ich mit belegter Stimme.
Die Chancen stehen gut, dass ich die vier Prüfungen nicht bestehe, nicht überlebe. Ich bin weder trainiert im Kampf noch bin ich sportlich oder geschickt. Die Prüfungen sind mir unbekannt. Ich weiß nicht wie oder was man zu bewältigen hat. Nur eins weiß ich in den letzten Jahren sind immer mindestens die Hälfte der Rekruten nicht zurückgekehrt. Und selbst wenn es zu einem Wunder käme und ich alles überlebe, weiß ich nicht was mich in der Mine des Lebenskristalls hier in Nordela erwartet.
In unserem Heimatkönigreich Bonaris war ich nur ein einziges Mal in der Mine des Lebens. Es war ein heiliger Ort und man durfte diesen nur einmal im Jahr betreten zum Fest der Göttin Esta. Auch unser Königreich hatte Ritual, in dem wir uns als Würdig für die Gottesgabe erweisen mussten. Es mussten aber dafür keine Menschen sterben. Zu meinem 21. Geburtstag wäre es so weit gewesen. Der genaue Ablauf des Rituals in Bonaris wussten nur die Tempeldiener. Aber ich habe noch nie von jemanden gehört, der Außerhalb seines Königreiches, in dem man geboren wurde, eine Gottesgabe bekommen hat. Ich weiß nicht, ob das möglich ist oder ob es die Götter zulassen würden. Meine Mutter wollte mich all das Lernen, aber bevor es dazukam, wurden überfielen uns die Truppen von Nordela. Die Jahre hier im Schloss hatte ich keinen Lehrer, der mich auf ein Ritual vorbereiten würde, also wusste ich so gut wie nichts über die Lebenskristalle.
"Dann bist du höchstwahrscheinlich Tod." Meint er beiläufig und begutachtet seine Fingernägel.
"Und was ist dann mit Ida?"
"Oh ach so deine Schwester wird die Frau meines Sohnes Aegir werden. Sie wird ein wunderbares Leben hier am Hof haben. Da bin ich mir sicher."
Mein Blick wandert zur jetzigen Königin Nora, die immer noch still auf ihrem Hocker sitzt und in die Leere starrt. Ich habe die Königin noch nie lachen gesehen oder überhaupt einen anderen Gesichtsausdruck, außer Trauer, Angst und eine nicht lesbare Maske. Nein, das darf meiner kleinen Schwester nicht passieren.
"Was passiert, wenn ich mich weigere?"
Er lachte laut auf. Als ob ich einen Witz gemacht hätte.
"Haha. Wir beide wissen doch, dass du das nicht tun würdest."
***
Die Tür schwingt knarzend auf. Kühle Luft flutet den erbärmlich riechenden Raum. Meine Augen brennen bei dem vielen Licht, das jetzt durch die offene Tür kommt.
„Kommt mit der König will euch sehen."
Der Wächter rümpfte die Nase. "Aber zu vor müsst ihr euch... ansehnlich frisch machen."
Dienerinnen des Schlosses badeten uns und kleideten uns an. Anfangs versuchte ich mich zu wehren, aber eigentlich hatte ich nichts dagegen den Schmutz von meiner Haut zu schrubben. Nun stand Ida und ich, gewaschen, gekämmt und mit frischen Kleidern vor der großen Thronsaaltür. Langsam schwang die Tür auf und vor uns erstreckte sich der große Saal. Der schwarze Teppich führte geradewegs zum Thron, in dem der König gelangweilt auf ein Stück Papier starrte. Sein Berater stand links von ihm und sie unterhielten sich leise. Bis er uns bemerkt. Auf seinem Gesicht breitet ein böses Grinsen aus. Ein unangenehmer Schauer durchfährt, bei seinem Anblick, meinen ganzen Körper. Wie kann ein so schlechter Mensch hier einfach ruhig sitzen und sein Leben genießen? Bei seinem Anblick frage ich mich wie viele Familien er wohl schon zerstört hat? Wie viele leben durch seine Befehle schon sinnlos beendet wurden?
"Da sind sie ja endlich. Meine Lieben Gäste!"
Verachtung verzieht mein Gesicht. Ida starrt auf den schwarzen Teppich.
"Ihr solltet euren Retter gebürtig danken, schließlich habe ich euch verschont vor dem sicheren Tod. Also verbeugt euch schon vor mir. Vor eurem neuen König."
Die Abscheu an mir verwandelt sich zu blanken Zorn. Dieser widerliche Bastard.
"Eher sterbe ich.", spuckt ich ihm die drei Wörter ins Gesicht und sehe ihn zornig an.
"Pass auf Liebes. Solche Wünsche gehen eher in Erfüllung, als man denkt." Der König überreicht den Zetteln in seiner Hand seinem Berater und erhebt sich von seinem Thron.
Langsam und bedrohlich, wie eine Wildkatze, schreitet er die Stufen herunter. Trotzig sehe ich ihm immer noch in sein hässliches Gesicht. Er bleibt vor mir stehen und packt mein Kinn mit seiner Hand. Er wendet meinen Kopf von links nach rechts und begutachtet mich.
"Du bist ein hübsches kleines Ding.", murmelt er mir zu sich selbst als zu mir. Voll Ekel Rümpfe ich die Nase. Mir wird schlecht bei seiner Berührung.
"Lass mich los.", Presse ich zwischen den Zähnen hervor.
"Sonst was?", amüsiert hebt er eine Augenbraue und fordert mich heraus. Und ich mache das erste dass mir einfällt.
Ich spucke ihn ins Gesicht. Sofort lässt Alvar mich los.
Wäre meine Situation hier nicht so aussichtslos und deprimierend hätte ich bei seinem überraschenden Anblick lachen müssen. Schnell verschwindet seine Überraschung und Wut blitzt in seinen Augen auf.
"Benimmt sich so etwa eine Prinzessin in Bonaris?"
Erstreckt seine Hand aus und ein Diener bringt ihn ohne Worte ein feuchtes Tuch mit dem er sein Gesicht abwischen kann.
"Dann zeige ich euch mal wie wir hier in Nordela mit Respektlosigkeit umgehen."
***
Zurück in meinen Zimmer gehe ich vor meinem einfachen Holzbett auf und ab. Das etwa 10 qm große Raum ist nicht so elegant und edel eingerichtet wie alle anderen Gästezimmer hier im Schloss. Ein einfacher Holzboden, ein Bett, ein Schreibtisch, ein Schrank. Alles ohne besonderen Anstrich und ohne Farbe, nur altes Holz. Die Wände sind weiß, der Putz bröckelt an einigen Stellen ab. Das Fenster im Zimmer kann ich zwar öffnen, davor ist aber ein Eisengitter. Selbst wenn das Gitter nicht da wäre, würden eine 20 Meter tiefe Schlucht, direkt unter meinem Fenster, eine Flucht unmöglich machen.
Es ist spätnachts oder vielleicht auch schon früh morgens, aber schlafen kann ich heute definitiv nicht.
Der König will mich umbringen. Meine Schwester zwangsverheiraten mit seinen schrecklichen Sohn Aegir.
Nein. Nein. Nein. Scheiße. Das kann alles nicht wahr sein.
Wir sind verloren. Mein Herz hämmert gegen meine Brust. Ich kann das alles hier nicht mehr. Kalter Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Diese Prüfungen kann ich nicht bestehen. Ich werde sterben. Meine Schwester, Ida, sie wird ihr Leben lang in diesem verdammten Schloss gefangen sein.
Ich bekomme keine Luft mehr. Meine Kehle schnürt sich zu. Meine Lungen funktionieren nicht mehr. Ich brauche Sauerstoff. Frische Luft.
Schnell renne ich zum Fenster und reiße es auf. Eiskalte Winternachtluft strömt mir entgegen und füllt meine Lungen. Mein Puls rast immer noch, aber ich bekomme wieder mehr Sauerstoff und kann mich beruhigen.
Der König hatte recht. Ich habe sein Angebot angenommen.
Sein Ziel ist es, mich aus dem Weg zu räumen. Aber anstatt mich einfach hinzurichten, will er noch ein Spiel mit mir spielen, ein schrecklich grauenhaftes Spiel.
Morgen früh werde ich abgeholt und zur Kaserne gebracht, in der alle Kandidaten für die Auslese untergebracht werden. Soweit ich weiß, befindet sich diese irgendwo einen halben Tagesritt östlich von der Hauptstadt, in der ich mich gerade befinde.
Den König hab ich angebettelt um meine Schwester noch einmal, vor meiner Abreise, zusehen. Vergebens.
Erst wenn ich die erste Prüfung schaffe, darf ich sie wieder sehen.
Also bleibt mir wohl nichts anderes übrig als zu kämpfen. Ich werde nicht kampflos aufgeben.
Mein Puls beruhigt sich wieder einigermaßen, also schließe ich das Fenster wieder.
Auf dem Boden vor mir liegt ein Jutesack mit all meinen wenigen Kleidungsstücken. Ich habe keine Besitztümer, durfte von Zuhause nichts mitnehmen, damit hat sich das Packen für die Reise schnell erledigt.
Vielleicht sollte ich doch noch versuchen, eine bisschen zu schlafen. Auch wenn es nur noch drei Stunden sind bis ich von den Soldaten, abgeholt werde.
Ich streife mir mein graues Kleid vom Körper. Es fällt steif zu Boden.
Sehe in den Spiegel vor mir. Man kann meine Rippen sehen. Als Gefangener bekommt man hier nicht regelmäßig gutes Essen. Anfangs habe ich mich geweigert, irgendetwas zu mir zu nehmen, bis Ida mich dazu gezwungen hat. Ich drehe mich um und betrachte meinen nackten Rücken, über den meine gelockten Haare fallen. Als ich diese zu Seite schiebe kommen die Wunden der Peitschenhiebe zum Vorschein. Rote Striche ziehen sich über meinen ganzen Rücken teils schon geheilt und vernarbt, teils noch frisch rot und bei jeder Bewegung schmerzend.
Unter den Narben verbirgt sich mein Geburtsmal. Es umfasst meinen halben Rücken. Das Mal sieht aus wie ein Baum mit vier großen abzweigenden Ästen, die in kringelnden Linien enden. Es ist schön.
Meine Mutter ist nie dazu gekommen, mir die genaue Bedeutung davon zu erklären. Es ist etwas Besonderes, einzigartig und es ist wichtig. Mehr weiß ich darüber nicht.
Der König war überrascht, als er es bei meiner ersten Bestrafung auf meinen Rücken sah und hat laut gelacht.
„Du bist eine der Vier. Was hab ich nur für ein Glück.", meinte er und ließ mich dann von seiner Wache auspeitschen.
Über meinen Kopf streife ich mir mein Nachthemd. Stöhnend lege ich mich ins Bett. Meine Augen brennen vor Erschöpfung, trotzdem finde ich keinen Schlaf.
Was habe ich getan damit mich der König so sehr hasst? Warum hasste er meine Familie so sehr? Warum..