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Chapter 2 - Der Vampirfürst

Der Mann vor ihr sah ganz anders aus, als sie es erwartet hatte. Seine Augen waren nicht blutrot. Auch waren keine Reißzähne zu sehen; anscheinend hatte er überhaupt keine. Zudem war er nicht so blass wie die Vampire, die sie zuvor getroffen hatte. Im Vergleich zu Menschen war seine Haut zwar hell, aber nicht jenes krankhafte Weiß, das sie bei anderen Vampiren bemerkt hatte. Doch das Auffälligste war, dass er einfach... atemberaubend schön war.

Evie war wie verzaubert, doch als sie jemanden räuspern hörte, kehrte sie schlagartig in die Gegenwart zurück.

Sie konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden und hob langsam ihre Hand, um sie in seine ausgestreckte zu legen. Seine Augen waren von einem silbrig-grauen Schimmer, ähnlich dem hellen Mond, und sie schienen vor Leben zu strotzen, als würden unzählige Sterne in ihnen kreisen. Dann waren da noch seine Wimpern – unverschämt lang und dicht für einen Mann. Seine Lippen, sein Kiefer, seine Nase... jedes Detail an ihm raubte ihr die Sprache. Sie hatte noch nie einen Menschen - oder ein Wesen - mit einer solchen Schönheit und Perfektion gesehen. Doch da musste sie sich erinnern, dass er streng genommen kein Mensch war.

Sie sagte sich, sie solle wegschauen, doch aus irgendeinem Grund konnte sie es nicht. Es war, als würde er – sobald sich ihre Blicke trafen – einen Zauber über sie legen.

Als ihre Hand die seine berührte, zuckte sie fast zurück, weil ihr Herzschlag noch lauter zu pochen begann. Er geleitete sie, sich neben ihn zu stellen, bevor er ihre Hand losließ. Als er ihre Hand freigab, spürte sie die kühle Luft dort, wo seine Hand gewesen war, und da realisierte sie, dass seine Haut nicht kalt war. Vampirhaut sollte kalt wie die von Leichen sein, so sagten es die menschlichen Soldaten.

Doch seine Hände waren alles andere als kalt. Warum war das so? Warum fühlte sich seine Hand warm an? Das konnte doch nicht nur ihre Einbildung sein!

Evie hatte keine Zeit, über dieses Rätsel nachzudenken, denn die Zeremonie begann unverzüglich. Man konnte leicht erkennen, dass alle nur darauf warteten, dass diese Hochzeit vorbei war. Die anwesenden Menschen waren erleichtert, dass die Vampire endlich ihren Ort und ihr Reich verlassen würden, während die Vampire sicherlich ebenso erpicht darauf waren, den Menschen ihren Wunsch zu erfüllen, diesen Ort zu verlassen und in ihr eigenes Reich zurückzukehren. Zum ersten Mal stimmten Menschen und Vampire in etwas überein.

Und so endete die Hochzeit, ganz wie alle gehofft hatten, hastig.

Evie war zuvor bei Hochzeiten anderer Prinzessinnen und Adligen zugegen gewesen und hätte fast schmunzeln müssen über die Eile, mit der man ihre eigene, die eine so besondere Gelegenheit sein sollte, durchführte und beendete. Aber andererseits konnte sie es niemandem verübeln. Niemand hatte sich diese Hochzeit gewünscht. Jeder, die Braut und der Bräutigam eingeschlossen, war zu dieser Verbindung gezwungen worden.

Ein tiefer, leiser Seufzer entwich Evies Lippen, als die Menschen begannen, sich zügig zu regen und auseinanderzugehen. Sie konnte nicht fassen, wie schnell der Saal sich leerte.

Ihr Mann reichte ihr erneut seine Hand. Evie hatte sich natürlich darauf eingestellt. Sie würde direkt nach der Hochzeit ins Nördliche Reich, das Land der Vampire, reisen und hatte sich daher schon von ihrer Familie verabschiedet, bevor die Vampire überhaupt ankamen.

Etwas zitternd legte Evie ihre Hand in seine. Ihre Augen brannten, doch sie schwor sich, nicht zu weinen. Sie blickte zu ihrer Mutter, als der Vampirprinz sie zur Tür führte.

Ihre Mutter weinte und schluchzte leise, und Evie musste all ihre Kraft aufbringen, um nicht in Tränen auszubrechen. Evie wandte den Blick ab und konzentrierte sich stattdessen auf den Weg vor sich. Als die Frischvermählten die Tür erreichten, hielt Evie inne und blickte ein letztes Mal zurück. Unbewusst klammerte sie sich an die Hand ihres Mannes, drehte sich dann zu ihm um und machte schließlich einen Schritt nach vorne. Das war alles, was sie von jetzt an tun konnte: mutig in ihre Zukunft gehen, einen Schritt nach dem anderen, um herauszufinden, was das Schicksal für sie bereithielt.