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Chapter 7 - Über

Knochenerschütterndes Knurren erfüllte Evies Ohren, als die Tür der Kutsche geschlossen wurde. Ihre Augen waren immer noch weit aufgerissen, und ihre Hand verharrte in der Luft - ein vergeblicher Versuch, ihren Mann am Wegfahren zu hindern. Allein an den monströsen Lauten erkannte sie, dass die Bestien erschienen waren. Doch warum? Es war doch noch gar nicht Nacht!

Evie spürte, wie ihre Kehle austrocknete. Ihr Gesicht wurde noch blasser, während die Geräusche lauter und drängender wurden. Die Bestien näherten sich, und es schien nicht nur zwei oder drei zu sein. Sie hörte das Heulen eines ganzen Rudels. Ihre Hände flogen zitternd zu ihrem Herz, als die Angst sich durch ihren ganzen Körper verbreitete. Was würde jetzt passieren? Würde sie hier sterben?

Dumpfe Geräusche, die sich anhörten wie ein Schwert, das in Fleisch schnitt, durchdrangen die Luft, und das Knurren wurde immer aggressiver. Sie spürte, wie erschütternde Schläge die Kutsche zum Schwanken brachten. Sie sehnte sich danach, Gavriels Stimme zu hören, doch alles, was ihr zu Ohren kam, waren die übermächtigen Geräusche der Schlacht, Geräusche, die sie nie hatte hören wollen. "Bitte, werd nicht verletzt! Du kannst mich hier nicht alleine lassen! Lass mich wissen, dass du noch da bist!", flüsterte Evie und zitterte auf dem Boden der Kutsche.

Zusammengekauert auf dem Boden, schleppte sich Evie mit der letzten Kraft, die sie aufbringen konnte, zur Tür. Ihr Geist und ihr Körper waren wie taub vor Furcht und Kälte. In diesem Moment wollte sie nur wissen, dass ihr Mann noch am Leben war. Die lauten, barbarischen Geräusche wurden zu einem nebensächlichen Echo in ihrem benommenen Bewusstsein, während sie sich darauf konzentrierte, zur Tür zu gelangen, um nach ihrem Mann Ausschau zu halten.

Mit zitternden Händen griff Evie nach der Türklinke, doch bevor sie sie berühren konnte, erschütterte ein weiterer Schlag die Kutsche - verursacht wohl von einem großen Etwas, hoffentlich einer toten Bestie, die dagegengestoßen war. Sie wurde gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert.

Evie stieß einen Schmerzensschrei aus, als ihr Körper hart gegen die Wand prallte. Es schien, als ob ihr Albtraum wieder zum Leben erwacht war - der furchterregendste, den sie je gehabt hatte. Vor Jahren war Evie bei einer Reise von Vampiren attackiert worden, und dieses Erlebnis hatte sie seitdem immer wieder in ihren Alpträumen durchlebt. Doch damals war ihre Mutter bei ihr, und viele Wächter begleiteten sie zum Schutz. Der Kampf damals war erbittert, Evie starr vor Angst, aber ihre Mutter hatte sie die ganze Zeit im Arm gehalten, ihr versichert, dass ihre Wächter hervorragende Soldaten waren und sie in Sicherheit wären, bis der Kampf vorüber sei.

Diesmal war alles anders. Sie hatte niemanden, an den sie sich klammern konnte, niemanden, der ihr in dieser entsetzlichen Lage sagte, dass sie in Sicherheit war, dass sie ihre Feinde besiegen würden. Und noch schrecklicher war der Gedanke, dass sie keine Wächter hatten. Konnte ihr Mann, selbst wenn er ein Vampirprinz war, wirklich gegen so viele Bestien bestehen und überleben? Was, wenn... was, wenn ihr Mann bereits...

Die Angst in ihrem Herzen war übermächtig, und sie fand es immer schwerer zu atmen. Doch immer noch kroch sie erneut zur Tür. In dem Moment, als sie die Klinke berührte, bemerkte sie, dass ihre Welt unheimlich still wurde. Ein Beben durchfuhr Evies Körper, und sie schluckte. Was war geschehen? War es vorbei? Ging es ihm gut?Evie biss sich auf die zitternden Lippen und stieß die Tür auf. Der eisige Wind umfing sie, doch sie erstarrte nicht wegen der Kälte. Stattdessen stockte ihr der Atem beim Anblick dessen, was sich vor ihr erstreckte.

Gigantische, pelzige, blutverschmierte, aschgraue Bestien lagen übersät am Boden. Sie glichen riesigen Wölfen. Überall im weißen Schnee verstreut lagen abgetrennte Körperteile, die das Weiß blutrot färbten. Evies Blick fiel auf ein Männerbein – sie hoffte inständig, dass es dem Kutscher gehörte und nicht ihrem Mann – liegend neben dem Kopf einer der Bestien. Der Anblick ließ die bereits blasse Evie nahezu kreidebleich werden. Das Blutbad vor ihren Augen versetzte sie in einen Zustand völliger Taubheit, so dass sie nicht mehr wusste, ob sie noch atmete.

Und dann sah sie ihn, den Vampirprinzen, den sie hatte sehen wollen. Er stand zwischen drei riesigen Bestien, die um ihn herum gefallen waren. Er war unbeweglich wie eine Statue, sein Atem ging schwer nach der Anstrengung, während er seine Umgebung absuchte, das Schwert gesenkt vor sich. Seine Klinge war in Blut getaucht und sein schwarzer Mantel wehte hinter ihm im Wind.

Als er sich umdrehte und ihren Blick traf, schien die Welt stillzustehen. Seine Augen, die normalerweise wie ein beruhigendes Paar silberner Monde wirkten, waren verschwunden. Sie waren ersetzt durch ein intensives Paar blutroter Augen, der Blick der Bestien aus ihrer Wirklichkeit und ihren Albträumen. Sie fühlte sich, als würde der Gott des Todes sie anstarren, und ihr Körper fiel rückwärts auf den Boden der Kutsche.

Als er sich ihr näherte, wich Evie instinktiv zurück, bis ihr Rücken die gegenüberliegende Wand des Wagens berührte. Sie war wie ein verängstigtes kleines Kaninchen, das zitterte, weil ein wilder Wolf es entdeckt hatte und nun darauf zuging, sie zu erlegen und zu verschlingen.

Der Mann hielt inne, einige Sekunden lang, bei dem Anblick ihrer Reaktion. Dann setze er sich wieder in Bewegung, ging weiter auf die Kutsche zu und stoppte an der Tür. Evie hatte ihr Gesicht gegen ihre Knie gepresst, als könnte sie ihre Angst vermindern, indem sie ihn nicht anschaute. Sie umklammerte sich selbst in Embryostellung, zitterte unaufhörlich.

Gavriel betrachtete sie, und beim Anblick von ihr kam ihm der Gedanke, dass sie einem kleinen weißen Hasen glich, der aus Angst zusammengekauert war, da ein hungriger Wolf ihn in die Enge getrieben hatte. Sein Kiefer fest zusammengedrückt, blieb er dennoch ruhig, reinigte sein Schwert leise und steckte es weg.

Er blieb an der Tür stehen. „Evielyn", rief er sanft. „Es ist vorbei. Du musst jetzt keine Angst mehr haben. Ich bin hier, fürchte dich nicht."