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Chapter 2 - Fade

"... nun mein."

Aries' Augen weiteten sich vor Schock, als ihr ganzer Körper von den kalten Lippen auf ihren erstarrte. Zweimal blinzelte sie, beobachtete, wie er den Kopf zurückzog und dann mit seinem Daumen über die Ecke ihrer Lippen strich.

"Fad", sagte er gleichgültig und zuckte mit den Schultern. "Aber akzeptabel."

Ihr Herz sank, als sie erkannte, was für eine Person dieser Mann war. Er unterschied sich nicht von dem Mann, der ihr endloses Leid beschert hatte. Doch... sie bereute es nicht.

Die Welt dieses Mannes war schon immer so gewesen. Sie holte tief Luft und lockerte ihren Griff auf dem Boden.

Als ein subtiles Lächeln auf ihrem Gesicht erschien, hob er kurz überrascht die Augenbrauen, bevor er grinste. Er nickte zufrieden mit dem Kopf, froh, dass sie nicht zurückgewichen war.

"Hah... was für ein entzückendes Lächeln." Er schnalzte mit der Zunge und deutete auf sie, als er in der Ferne eine vertraute Stimme hörte. Er drehte den Kopf in Richtung der Stimme und sah einen Mann auf sich zulaufen.

"Eure Majestät! Was macht Ihr -- !!"

Aries und Abel drehten sich um und betrachteten seinen jungen Berater, der einige Meter entfernt stehen blieb. Seine Augen weiteten sich sofort, und sein Blick wanderte von der Leiche am Boden über die Frau bis zu seinem Kaiser. Es war für ihn ein Leichtes, die Situation zu erfassen, denn er kannte den unberechenbaren Kaiser allzu gut.

"Conan, Ihr seht blass und erschöpft aus. Ich frage mich, warum?" wunderte sich Abel, während er langsam aufstand und seinem juristischen Berater gegenübertrat.

Conan keuchte entgeistert. Hatte er ihn richtig verstanden? Abel wusste nicht, warum er erschöpft aussah?! Wer würde nicht in Panik geraten, wenn eine tickende Zeitbombe wie Abel plötzlich an diesem Ort verschwand? Aus Erfahrung mit dem Kaiser würde es ihn nicht wundern, wenn dieser jemanden beleidigte und so einen Krieg provozierte.

"Eure Majestät, wie... warum..." Conan blickte auf die Leiche, die nicht weit entfernt von seinem Kaiser lag, und seufzte verzweifelt. Je mehr er erkannte, dass dieser Tyrann trotz seiner zahlreichen Ermahnungen schon wieder ein Problem verursacht hatte, desto hilfloser und ärgerlicher fühlte er sich.

"Eure Majestät!" rief er verzweifelt aus. "Ich habe Euch schon so oft daran erinnert, aber..."

"Mein lieber Conan." Abel lachte, als er auf seinen Berater zuging und ihm die Hand auf die Schulter legte. "Es wird keine politische Unhöflichkeit hervorrufen, wenn niemand die Leiche sieht, nicht wahr? Sie werden einfach annehmen, er hat sich... verlaufen."

Conan ließ einen resignierten Seufzer hören, als er zu ihm aufblickte. "Eure Majestät, warum tut Ihr mir das immer wieder an? Das Große Herz-Reich hätte beinahe Krieg gegen uns geführt, und jetzt das?"

"Komm schon, Conan. Hör auf zu weinen." Abels Lächeln wurde breiter und er drückte Conans Schulter. "Macht das sauber und bringt sie mit. Sie ist mein neues Haustier."

Conan wandte seinen Blick dorthin, wo Abel mit dem Daumen deutete. Sofort traf er auf Aries' smaragdgrüne Augen und seufzte ungläubig, denn sie tat ihm schon leid. Abel klopfte ihm leicht auf die Schulter und ging weg, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Aries starrte in der Zwischenzeit regungslos auf seinen Rücken. Sie hätte erleichtert sein sollen, dass sie endlich den Fesseln des Kronprinzen von Maganti entkommen war. Aber das Wissen, dass sie gerade eine weitere, noch härtere Fessel angelegt bekam, hielt sie davon ab, sich zu freuen.

"Hallo." Sie wandte ihren Blick ab von der Dunkelheit, in die Abel verschwunden war, zu Conan hin. Er hockte sich vor ihr nieder und bot ihr ein warmes Lächeln, ganz das Gegenteil von Abels diabolischem Grinsen.

Conan betrachtete sie, bemerkte die Blutergüsse auf ihrer bloßen Haut und ihre zerzauste Kleidung. Er seufzte, denn er konnte nicht verstehen, warum Abel einen Krieg mit einem anderen Reich für dieses Mädchen riskieren würde.

"Lasst uns gehen, meine Dame." Er winkte, ohne ihr falsche Beruhigungen oder dergleichen anzubieten. "Seine Majestät hat entschieden."

Aries studierte seine Augen und lächelte bitter. "Mhm."

Conan half ihr auf und führte sie zu den Quartieren, in denen die Delegation von Haimirich untergebracht war. Aries wusste, dass ihr Leben genauso oder sogar schlimmer sein könnte als ihr Leben im Maganti-Reich. Von Abel oder dem Reich, das sie als Haustier aufgenommen hatte, hatte sie keine hohen Erwartungen.

Alles, was für sie zählte, war zu überleben. Sie würde nichts unversucht lassen, um zu leben, und sei es nur für einen weiteren Tag.

Und so wurde Aries zum Haustier des gefürchteten Tyrannen.Tage, Wochen und ein ganzer Monat waren vergangen, seit der Kaiser von Haimirich Aries bei sich aufgenommen hatte. Doch sie hatte Abel seit jener Nacht nie wieder zu Gesicht bekommen. Selbst nach ihrer Rückkehr ins Haimiricher Reich forderte er sie nicht zu sich. Das gab ihr Spielraum, durchzuatmen und sich zu sammeln.

Zum Glück wurde sie mit Respekt behandelt und rundum versorgt. Man badete sie, kleidete sie hübsch und achtete auf ihre Ernährung, fast so, als wäre sie eine Prinzessin; ein Leben, das sie führte – oder vielmehr ein noch prächtigeres – bevor das tragische Schicksal ihr kleines Königreich ereilte.

KLOPF KLOPF!

Aries blickte auf, als die Tür vor ihr aufging. Ihr war gesagt worden, dass Conan sie heute in ihrem Zimmer besuchen würde, um nach ihr zu sehen. Was auch immer das bedeutete – Aries hatte eine vage Ahnung. Nun, da sie im Reich waren, musste sie damit rechnen, dass Abel sie bald herbeirufen würde, um ihre... Pflichten zu erfüllen.

Conan steckte seinen Kopf durch die Tür und lächelte. "Darf ich eintreten, meine Dame?"

"Äh, ja, selbstverständlich." Etwas unbeholfen stand sie auf, neigte den Kopf zum Zeichen ihrer Demut und setzte sich erst wieder, als Conan es ihr gestattete, während er sich ihr gegenüber in den Sessel setzte.

Aries umklammerte ihren Rock und beobachtete, wie Conan die Bücher zwischen ihnen auf den Tisch legte. Ihre Augenbrauen hoben sich in Erwartung.

"Könnt Ihr die Sprache unseres Reiches lesen, meine Dame?", fragte er, während er sich aufrichtete. Sein Blick ruhte auf ihr. "Ihr könnt unsere Sprache sprechen, aber könnt Ihr sie auch lesen? Wenn ja, wäre das von Vorteil, dann wäre es leichter, Euch alles beizubringen, was Ihr über das Reich und Seine Majestät wissen müsst."

Sie betrachtete das Buch, auf dem 'Geschichte' stand. Ja, sie konnte und sprach die Sprache des Reiches. Eigentlich beherrschte sie noch weitere Sprachen, die sie in ihrer Jugend gehalten war zu lernen.

"Ja, das kann ich", erwiderte sie, während ihre Wimpern leicht zuckten und sie ihren Blick zu Conan hob.

Conan schaukelte seinen Kopf, beeindruckt von dieser Frau. Seit Abel sie aufgenommen hatte, lag es in seiner Verantwortung, Aries' Hintergrund zu überprüfen. Er wusste bereits, dass sie aus dem kleinen Königreich Rikhill stammte, das über Nacht durch das Maganti-Reich in den Untergang getrieben wurde.

Sie war die Kriegsbeute gewesen, die der Kronprinz aus dem Maganti-Reich mit nach Hause genommen hatte. Ihre gesamte Familie war gestorben; sie allein hatte überlebt. Noch schlimmer war, dass sie nun mit dem Mann zusammenleben musste, der ihre Familie ermordet hatte. Trotzdem war es erstaunlich, dass sie ihren klaren Verstand bewahrt hatte angesichts der Hölle, die sie durchgemacht hatte.

"Dann ist das gut", meinte Conan und lächelte, um die Stille zu brechen. "Das sind die Bücher, die ich für Euch zusammengestellt habe. Lest und studiert sie, während wir nach passenden Lehrern für Euch suchen."

Aries nickte nur stumm. "Ich danke Euch."

Conan betrachtete ihre scheue Art und seufzte innerlich. Diese Frau war zu gefügig, dachte er. So würde sie vielleicht nicht lange durchhalten. Abel war zu launenhaft. Doch das war nicht das Problem von Conan.

"Nun gut, dann hoffe ich, dass Ihr Euch gut einleben werdet." Conan erhob sich nach einem kurzen Moment. Gerade als er gehen wollte, rief Aries ihn leise.

"Wegen –" Sie stockte, als sie sah, wie Conan den Kopf zurückwandte. "Bezüglich Seiner Majestät…"

"Oh? Er ist zurzeit sehr beschäftigt. Macht Euch keine Sorgen. Sobald er einige wichtige Angelegenheiten geregelt hat, wird er nach Euch rufen." Er versuchte, sie zu beruhigen, und lächelte, bevor er den Raum verließ.

Aries starrte auf die geschlossene Tür und ließ einen flachen Atemzug entweichen. "Das war nicht meine Sorge", hauchte sie leise.

Für sie wäre es besser gewesen, wenn Abel für die nächsten zehn Jahre zu beschäftigt wäre, um sie zu sehen. Aber natürlich würde jeder andere meinen, dem Kaiser dienen zu dürfen sei eine Ehre.

"Nun gut", murmelte sie und blickte auf die Bücher auf dem Tisch, während sie sich auf die Unterlippe biss.

"Ich habe ihn darum gebeten, mich aufzunehmen, also muss ich natürlich lernen, wie ich ihm gefallen kann", murmelte sie leise, streckte ihren Arm aus und nahm ein Buch. Als sie es öffnete, holte sie tief Luft.

"Schließlich war er die Person, die mich aus der Hölle gerettet hat." Ihre Augenlider senkten sich voller Abscheu, als sie sich an das tragische Leben erinnerte, das sie in den Händen des Kronprinzen von Maganti erlebt hatte. "Er war es, der mich aus den Klauen jenes Wahnsinnigen befreit hat." – Tief im Inneren wusste Aries jedoch, dass eigentlich ihre eigenen Bemühungen sie gerettet hatten, denn sie hatte den Mut aufgebracht, eine noch tiefere Hölle zu betreten.