Während Arlan dem Augenblick frönte, wurde er durch ein Stimmengewirr aus seiner Träumerei gerissen.
"Eure Hoheit! Wo seid Ihr?"
"Ein Bote aus der Hauptstadt ist eingetroffen! Eure Hoheit, wir müssen sofort zum Schloss zurückkehren!"
Ah!
Gerade als Arlan seine Arme anspannte, um sich zu erheben, durchzuckte ein scharfer Schmerz seinen Oberkörper, und er wurde von der maskierten Frau umgeworfen, die die Gelegenheit nutzte, um sich zu befreien. Ihre Bewegungen waren um ein Vielfaches schneller als die eines Elite-Ritters. Obwohl er versuchte, sie zu packen, konnte sie sich im letzten Moment aus seinem Griff befreien.
Arlan erwischte nur das Tuch, das ihren Kopf bedeckte, und konnte so einen Blick auf eine Kaskade rotbrauner Locken erhaschen, die ihr auf der Flucht hinterher flogen.
Der Prinz setzte sich mit einem resignierten Seufzer auf. Sie hatte sich nach dem Angriff nicht einmal nach ihm umgedreht.
'Wie entschlossen.'
Nachdem sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, betrachtete Arlan die Wunde an seiner Hüfte genauer. Blut befleckte seine hellblaue Tunika und ließ sie schlimmer aussehen, als sie war.
'Sie hat nicht tief getroffen. Es scheint, sie wollte mich nicht töten.'
Als er in die Richtung blickte, in der sie verschwunden war, blieb ein amüsiertes Lächeln auf seinem Gesicht zurück.
"Kleiner, ich werde dafür sorgen, dass ich dich finde und mich für deine 'Freundlichkeit' revanchiere. Deine Dreistigkeit, königliches Blut zu vergießen, wird nicht ungestraft bleiben."
Arlan kam wieder auf die Beine und machte sich auf den Weg zurück zu seinen Rittern.
"Eure Hoheit, Ihr blutet!", rief der jüngere Ritter Rafal, als er Arlan aus dem Schutz der Bäume hervortreten sah.
Arlan zuckte mit den Schultern. "Nur ein Kratzer." Mit gemessenen Schritten schlenderte er dorthin, wo er sein Pferd abgestellt hatte, scheinbar unbeeindruckt von dem Blut, das sein Gewand befleckt hatte.
Rafal warf einen besorgten Blick auf Imbert, dessen Gesichtsausdruck unverändert blieb. Die königlichen Ritter folgten ihrem Lehnsherrn schweigend, als dieser den Wald verließ.
Der Kronprinz von Griven, flankiert von seinen beiden treuesten Rittern, lenkte seine Pferde in Richtung des Hauptgebäudes des Wimark-Anwesens.
Schon bald erreichten sie ein elegantes, von üppigen Gärten umgebenes Herrenhaus, wo eine Kutsche mit dem Wappen der königlichen Familie Cromwell am Eingang wartete.
Alle Bediensteten in der Umgebung hielten beim Anblick des gut aussehenden Prinzen zu Pferd inne. Sie zollten ihm zwar ihren Respekt, aber keiner wagte es, sich ihm zu nähern, auch nicht der Stallknecht, nachdem er abgestiegen war.
Arlan stand in dem Ruf, freundlich und liebenswürdig zu sein, aber er war ausgesprochen streng, was seinen Besitz anging - nur diejenigen, denen er vertraute, durften ihn anfassen. Arlan und Imbert machten sich schweigend auf den Weg ins Herrenhaus der Wimarks und überließen ihre Pferde Rafal, der sich persönlich um die Ställe kümmerte.
Der Bote aus der Hauptstadt erwartete ihn im Salon.
Als er Arlan erblickte, erhob sich der Bote in seiner Rüstung schnell und salutierte. Er war ein bekanntes Gesicht, ein Ritter des Rosenordens, der direkt seiner Mutter, der Königin von Griven, unterstellt war.
"Seid gegrüßt, Eure Hoheit, der Kronprinz."
Arlan schlenderte hinüber, ließ sich in einem Sessel nieder und winkte einem Diener, ihm Tee einzuschenken. "Was ist denn los?"
Der Bote stand gerade kurz davor zu antworten, als er die Blutflecken auf dem Gewand des Kronprinzen bemerkte. Seine Augen weiteten sich. "Eure Hoheit, seid Ihr verletzt? Wo ist der Arzt?", wollte er fragen, doch Arlan, ungerührt in seinem Ausdruck, gab ihm ein Zeichen, fortzufahren. "Kommen Sie zur Sache. Was ist die Botschaft?"
Der Bote unterdrückte seine unausgesprochenen Worte. Vielleicht wussten es die Leute auf dem Land nicht, aber für jene in der Hauptstadt war die mächtigste Person im Königreich nicht der König oder die Königin von Griven – es war Kronprinz Arlan.
"Eure Hoheit, ich bringe eine Botschaft von Ihrer Majestät, Königin Julien." Arlan nippte gelassen an seinem Tee, scheinbar entspannt, als würde er dem Klatsch am Nachmittag lauschen. "Die königliche Eskorte für die Hochzeit von Prinz Lenard, dem Zweiten Prinzen, wird in zwei Tagen nach Abetha aufbrechen. Die Königin bittet Euch, noch heute in die Hauptstadt zurückzukehren, da eine Verzögerung den Zeitplan durcheinanderbringen würde."
"Das wird nicht nötig sein", entgegnete Arlan. "Wie bitte?", fragte der Bote. "Ich habe gehört, dass das Schiff des Königs von Megaris einen Stopp in Selve City im Süden einlegt. Informiert meine Eltern, dass ich dorthin reisen werde, um als Vertreter der königlichen Familie unsere geschätzten Gäste zu begrüßen. Ich werde mich ihrer Gruppe anschließen und mit ihnen nach Abetha reisen."
Der Bote wagte es nicht, Arlans Entscheidung in Frage zu stellen. "Ich werde Eurer Majestät Eure Nachricht übermitteln." Nachdem der Bote gegangen war, trank Arlan seinen Tee aus und machte sich auf den Weg zurück in sein Zimmer, um sich frisch zu machen. Inzwischen hatte sich ein weiterer Ritter, Rafal, zu ihnen gesellt. Als sie jedoch gerade den Salon verlassen wollten, näherte sich der Butler des Anwesens.
Der Butler, ein älterer, gebildeter Mann namens John, verneigte sich. "Eure Hoheit, die Herzogin lädt Euch zum Abendessen im hinteren Garten ein." Arlan musterte den Diener mit zusammengezogenen Augenbrauen. Während der kurzen Zeit, in der er eine Tasse Tee genossen hatte, war die Herzogin bereits über seine kleinen Morgenabenteuer informiert worden.
Er merkte an: "Es scheint, als würden die Diener hier in der Kunst der Spionage herausragen. Soll ich eine Empfehlung für Euer Personal aussprechen, damit es eine Laufbahn in diesem Bereich in Betracht zieht?" "Eure Hoheit scherzen", entgegnete John mit einem vielsagenden Lächeln, während er das Haupt senkte.
Arlan erwiderte das Lächeln. "Bitte sagt ihr, dass ich das Abendessen mit meiner lieben Schwester einnehmen werde." Der Butler nickte und ging hinaus, den Kopf immer noch respektvoll gesenkt.
Arlan hätte vielleicht weniger nachgiebig reagiert, wenn jemand anders ihn so genau beobachtet hätte, doch weil es seine ältere Schwester war, blieb ihm nichts anderes übrig, als es, wenn auch widerwillig, zu akzeptieren. Der Prinz war ein junger Mann in seinen Mitte Zwanzigern, ein vollwertiger Erwachsener, doch die Herzogin von Wimark neigte immer noch dazu, ihren jüngeren Bruder zu verhätscheln, als wäre er noch ein Kind.
Zurück in seinem Gästezimmer, fand Arlan bereits ein warmes Bad vor sowie einen Satz frischer Kleidung, die die Diener ohne seine Aufforderung bereitgestellt hatten. Als er seine blutbefleckte Kleidung auszog, fiel ihm ein Stück schwarzer Stoff aus der Tasche. Es war das Kopftuch, das der kühne Eindringling zurückgelassen hatte.
Arlan legte das schwarze Tuch beiseite, ein Hauch von Belustigung in seinen Augen. "Einen verlorenen Gegenstand seinem Eigentümer zurückzugeben, ist doch das mindeste, oder?"