Roll, du knarrendes Miststück!
Sunny drückte sich mit aller Macht gegen den Wagen. Die vier Ochsen, die ihn einst gezogen hatten, waren jetzt tot, und an ihrer Stelle versuchten drei erschöpfte Sklaven, die Arbeit zu übernehmen. Selbst mit der Steigung der Straße, die ihnen half, war die Geschwindigkeit des Wagens quälend langsam. Der Tyrann hingegen bewegte sich viel schneller.
Nachdem er Hero mit einem tödlichen Wischer seiner unteren Arme zurückgestoßen hatte, hob er die anderen beiden Arme zu seinem Hals und versuchte, die Kette zu greifen, die um ihn herum wie eine Schlinge gewickelt war. Doch diesmal wurde die Furcht einflößende Physiognomie des Bergkönigs zum Nachteil: seine langen, schrecklichen Knochenkrallen waren ideal, um Fleisch aufzureißen, nicht aber das beste Werkzeug für präzise Manipulationen. Es dauerte eine Weile, bis der Tyrann die Kette so zu fassen bekam, dass er sich nicht selbst das Genick aufschlitzte.
Doch zu diesem Zeitpunkt war der Wagen bereits nahe am Rand der Klippe.
'Komm schon! Nur noch ein kleines Stück mehr!'
Was dann passierte, geschah sehr schnell. Die Hinterräder des Wagens rutschten endlich von der Straße und hingen über den dunklen, scheinbar bodenlosen Abgrund darunter. Das Geschöpf drehte sich um und starrte mit seinen fünf milchigen, toten Augen ausdruckslos auf die drei Sklaven. Der Wagen geriet ins Trudeln, warf Shifty und Scholar von den Füßen und hielt dann ausbalanciert auf seiner Mittelachse an.
Sunny war der Einzige, der noch stand. Er warf dem riesigen Monster einen letzten Blick zu und stieß dann mit aller Kraft mit seiner Schulter gegen die Frontseite des Wagens.
Der Wagen verlor schließlich das Gleichgewicht und rutschte über den Rand, wobei seine Unterseite ohrenbetäubend über die zerklüfteten Felsen kratzte. Sunny fiel nach vorn und landete auf den Knien, gerade so dass er nicht mit dem Wagen die Klippe hinuntergestürzt. Er drehte den Kopf zum Tyrannen und schenkte ihm ein boshaftes Lächeln.
Der Bergkönig machte einen Bewegung, um sich auf den abgemagerten Sklaven zu stürzen, aber es war bereits zu spät. Einen Augenblick später spannte sich die Kette an seinem Hals straff und er wurde mit gewaltiger Kraft zurückgerissen, über den Rand der Klippe geworfen wie eine Lumpenpuppe. Das Geschöpf fiel lautlos in die Dunkelheit, als ob es sich weigern würde, zu glauben, dass es von einem winzigen Menschen besiegt worden war.
'Verreck endlich, du Bastard.' dachte Sunny.
Dann holte er tief Luft und sank zu Boden, völlig erschöpft.
'Habe ich die Prüfung bestanden?'
Er lag auf den kalten Steinen, starrte in den Nachthimmel und wartete auf die vertraute, aber schwer fassbare Stimme, die seinen Sieg verkünden würde. Doch anstelle dessen holten ihn Wellen des Schmerzes ein, die er zuvor ignoriert hatte.
Sunny stöhnte, er fühlte sich am ganzen Körper verletzt. Besonders seine vom Sklaventreiber ausgepeitschte und von den Knochenstacheln einer neugeborenen Larve durchbohrte Rückenhaut schmerzte. Zudem fing er an zu zittern, erneut von der furchtbaren Kälte überwältigt.
'Wohl doch nicht.'
Seine Gedanken waren behäbig und verschwommen.
'Was muss ich noch tun?'
Eine dunkle Gestalt erschien über ihm. Es war Hero, ruhig und so gutaussehend wie immer. Seine Rüstung war schmutzig und zerkratzt, aber ansonsten schien der junge Soldat völlig in Ordnung zu sein. Er streckte eine Hand zu Sunny aus.
'Steh auf. Du wirst erfrieren.'
Sunny seufzte und akzeptierte, dass sein erster Alptraum noch nicht zu Ende war. Dann klemmte er die Zähne zusammen und erhob sich langsam, ohne auf Heros ausgestreckte Hand zu achten.
Um sie herum war ein Bild der völligen Verwüstung. Bis auf die drei Sklaven und Hero waren alle Mitglieder der Karawane tot. Ihre Körper lagen über den Boden verstreut, schrecklich verstümmelt oder in Stücke gerissen. Hier und da war ein ekelhafter Kadaver einer Larve zu sehen. Die Schatten, die das Lagerfeuer warf, tanzten munter über den Steinboden, unbeeindruckt von diesem morbiden Anblick.
Auch Sunny war zu erschöpft, um sich darum zu sorgen.
Shifty und Scholar waren bereits auf den Beinen und schauten Hero mit müder Besorgnis an. Mit oder ohne Ketten, sie waren noch immer Sklaven, und er war noch immer ein Sklavenhalter. Nachdem der Soldat ihre angespannten Blicke bemerkte, seufzte er.
'Kommt näher ans Feuer, alle miteinander. Wir müssen uns aufwärmen und besprechen, was wir als nächstes tun wollen.'
Ohne ihre Antwort abzuwarten drehte sich Hero um und ging weg. Nach einem kurzen Zögern folgten die Sklaven.
Einige Zeit später saßen die vier um das Lagerfeuer und genossen die angenehme Wärme. Shifty und Scholar saßen dicht beieinander und hielten einen sicheren Abstand von Hero. Sunny saß abseits von allen - nicht weil er einen bestimmten Grund hatte, einem mehr als den anderen zu misstrauen, sondern einfach, weil er Menschen im Allgemeinen nicht mochte.
In seiner Kindheit war Sunny immer ein Außenseiter gewesen. Es war nicht so, dass er nie versucht hatte, sich jemandem zu nähern, er schien einfach die Fähigkeit dazu zu fehlen. Als ob es eine unsichtbare Mauer gäbe, die ihm und anderen Menschen im Weg stand. Wenn er es in Worten ausdrücken müsste, würde Sunny sagen, dass er ohne ein kleines, aber wichtiges Zahnrad in seinem Gehirn geboren wurde, das alle anderen zu haben schienen.
Als Ergebnis war er oft in der Verwirrung und von menschlichem Verhalten verdutzt, und seine Versuche, es nachzuahmen, jedoch fleißig, fielen unweigerlich flach. Diese Seltsamkeit machte andere ungemütlich. Kurz gesagt, er war ein bisschen anders - und wenn Menschen etwas hassten, dann sind es jene, die anders sind als sie.
Mit der Zeit hatte Sunny einfach gelernt, niemandem zu nahe zu kommen und hatte sich in seiner Ausgestoßenen-Rolle bequem eingerichtet. Diese Gewohnheit hatte ihm gut gedient, da sie ihn nicht nur unabhängig machte, sondern ihn auch mehrfach davor bewahrte, von zwielichtigen Gestalten in den Rücken gestochen zu werden.
Deshalb war er auch nicht erfreut, den Rest dieses Alptraums mit drei Fremden zu teilen. Anstatt zu versuchen, ein Gespräch zu beginnen, saß Sunny still für sich und war in Gedanken versunken.
Nach ein paar Minuten durchbrach nun die Stimme von Hero endlich die Stille:
'Sobald die Sonne aufgeht, werden wir sammeln, was wir an Essen und Wasser finden können, und den Berg wieder hinuntergehen.'
Shifty warf ihm einen trotzigen Blick zu.
'Warum sollten wir zurückgehen? Um wieder in Ketten gelegt zu werden?'
Der junge Soldat seufzte.
'Wir können getrennte Wege gehen, sobald wir die Berge verlassen haben. Aber bis dahin bin ich immer noch für euer Leben verantwortlich. Wir können die Straße nicht weiter hinaufgehen, weil der Weg über den Pass lang und beschwerlich ist. Ohne die Vorräte, die auf dem Wagen gelagert waren, seid ihr so gut wie tot. Deshalb ist der Rückweg unsere beste Chance.'
Scholar öffnete den Mund, um etwas zu sagen, entschied sich dann aber anders und blieb stumm. Shifty fluchte offenbar überzeugt von den rationalen Worten von Hero.
'Wir können nicht nach unten gehen.'
Alle drei wandten sich überrascht an Sunny.
Shifty lachte und blickte zu dem Soldaten.
'Hören Sie nicht auf ihn, Euer Lordschaft. Dieser Junge steht unter göttlicher Obhut. Er ist verrückt, genau das will ich damit sagen.'
Hero runzelte die Stirn und sah die Sklaven an.
'Beide seid ihr nur dank der Tapferkeit dieses Kindes am Leben. Schämt ihr euch nicht, ihn so zu beschimpfen?'
Shifty zuckte mit den Schultern, er schämte sich keineswegs. Der junge Soldat schüttelte den Kopf.
'Ich für meinen Teil würde seine Gründe gerne hören. Sagen Sie mir, warum können wir nicht nach unten gehen?'
Sunny bewegte sich unbehaglich unter der Aufmerksamkeit aller.
'Weil das Monster nicht tot ist.'