Wenn es eine Sache gibt, die mich mehr nervt als meine Stiefmutter und meine Stiefschwestern, dann ist es die absurde Faszination der Gesellschaft für Prinzessinnen. Ernsthaft, was soll das? Ich verstehe ja, dass kleine Mädchen sich von glitzernden Kleidern und Krönchen angezogen fühlen, aber irgendwann muss doch der Punkt kommen, an dem man realisiert, dass das ganze Konzept völlig bescheuert ist. Eine Prinzessin ist im Grunde nichts anderes als eine Frau, die aufgrund von Geburt oder Heirat in einem goldenen Käfig sitzt, immer perfekt aussehen muss und dann darauf hoffen darf, dass niemand sie auf politischer Ebene ausnutzt. Klingt nach einem super Leben. Und doch dreht sich seit Wochen alles um den Prinzen. Ja, genau den. Den reichen, attraktiven, königlichen Thronfolger, der beschlossen hat, seinen eigenen persönlichen Casting-Event zu veranstalten, weil es offenbar zu anstrengend ist, jemanden auf normalem Wege kennenzulernen. Statt einfach mal wie ein normaler Mensch ein Date zu haben, organisiert er also einen glamourösen Ball, zu dem sämtliche Frauen eingeladen sind, die in irgendeiner Weise als potenzielle „Zukünftige" infrage kommen. Was für eine absolute Reality-Show. Und das Schlimmste daran? Alle machen mit. Wirklich alle. Meine Stiefschwestern führen seit Tagen intensive Diskussionen darüber, welches Kleid sie tragen sollen, welche Schuhe am besten zum perfekten Instagram-Moment passen und ob man Highlighter auf den Schultern tragen sollte, um „im Ballsaal zu schimmern". Ich würde mich ja fragen, ob sie das ernst meinen, aber leider weiß ich, dass sie es tun. Und Viktoria? Sie ist natürlich voll dabei. Sie sieht das Ganze als geschäftliche Gelegenheit. Denn wenn eine ihrer „perfekten" Töchter sich den Prinzen schnappt, dann wäre das nicht nur ein gesellschaftlicher Aufstieg, sondern auch ein fantastischer PR-Move für ihr Unternehmen. Ich dagegen kann gar nicht so oft mit den Augen rollen, wie ich es eigentlich gerne würde. „Ella, ich habe mit dir geredet." Ich blicke von meinem Buch auf. Ich sitze in der Küche, habe mir eine Tasse Tee gemacht und versuche, so zu tun, als würde mich der Trubel um den Ball nicht interessieren. Viktoria steht in der Tür, mit verschränkten Armen und einem ungeduldigen Blick. „Hast du überhaupt zugehört?" „Nicht wirklich", sage ich ehrlich. Sie seufzt genervt. „Ich sagte, dass du morgen mit uns zum Stylisten kommst." „Warum sollte ich das tun?" „Weil du nicht auf diesem Ball auftauchen kannst, wie du jetzt aussiehst." „Danke für das Kompliment." „Ella." Ihr Tonfall ist scharf. „Ich erwarte von dir, dass du dich zusammenreißt. Ich weiß nicht, was dein Problem mit dem Ball ist, aber du wirst dabei sein. Und du wirst dich benehmen. Und du wirst vernünftig aussehen." Ich schnaube. „Sorry, aber ich habe eine Prinzessinnenallergie." Livia, die auf dem Barhocker neben mir sitzt und sich gerade ihre Nägel lackiert, wirft mir einen abschätzigen Blick zu. „Das ist nicht witzig, Ella. Nicht jeder ist so anti-alles wie du." „Anti-alles?" Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Ja." Sie wedelt mit der Hand, als wolle sie mich in eine Schublade stecken und für erledigt erklären. „Du bist immer so… so abweisend. Du hasst Kleider, du hasst Partys, du hasst Romantik… kein Wunder, dass du noch nie einen Freund hattest." „Wow. Danke für die tiefenpsychologische Analyse." „Das ist doch wahr!", mischt sich Sophia ein, die bis eben noch damit beschäftigt war, Selfies zu machen. „Wann hast du dich das letzte Mal für irgendwas begeistert? Mal ehrlich, Ella, du könntest echt mal ein bisschen mehr Interesse zeigen. Das Leben ist nicht nur Sarkasmus und Sneaker." „Mein Leben schon." „Das ist traurig." Ich zucke die Schultern. „Ich komme klar." Viktoria, die uns bis jetzt beobachtet hat, hebt nur eine Augenbraue. „Genau das ist das Problem. Du bist viel zu zufrieden mit deinem mittelmäßigen Dasein. Aber das hier ist eine Chance, Ella. Eine Gelegenheit, dich zu zeigen. Einen Eindruck zu hinterlassen. Und ich werde nicht zulassen, dass du sie vermasselst." „Für wen genau ist das eine Gelegenheit? Für mich? Oder für dich?" Ein kurzer Moment der Stille. Dann ihr typisches, kaltes Lächeln. „Beides." Ich schüttele den Kopf. „Vergiss es. Ich gehe da hin, weil du mich zwingst. Aber ich werde mich nicht für euch verbiegen." „Das werden wir ja sehen." Mit diesen Worten dreht sie sich um und verlässt die Küche. Livia und Sophia tauschen einen Blick, bevor auch sie mir einen letzten abschätzigen Blick zuwerfen und dann in ihr eigenes Universum aus Beauty-Tipps und Social-Media-Posts zurückkehren. Ich sitze allein am Tisch, trinke meinen Tee und seufze leise. Eine Prinzessin werde ich ganz sicher nicht. Aber wenn sie mich schon zu diesem verdammten Ball zwingen – dann werde ich wenigstens dafür sorgen, dass es für alle eine unvergessliche Nacht wird.