Es gibt diesen Spruch: Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus. Netter Gedanke. Wirklich. Aber was, wenn das Leben dir keine normalen, saftig-gelben Zitronen gibt, sondern vertrocknete, schrumpelige, viel zu saure Dinger, die dir direkt ins Auge spritzen? Und was, wenn du mitten in diesem Chaos stehst, ohne Zucker, ohne Wasser, ohne irgendein Mittel, um aus dem sauren Mist tatsächlich etwas Genießbares zu machen? Dann stehst du da, mit einer Grimasse im Gesicht und fragst dich, ob es nicht klüger gewesen wäre, einfach alles hinzuschmeißen. Genau so fühlt sich mein Leben gerade an.
Seit Tagen geht diese dämliche Geschichte mit dem Video viral. Überall tauchen Posts auf. Leute, die mich nicht kennen, haben plötzlich eine Meinung zu mir. Die einen finden es „erfrischend", dass ich mich von meinen „perfekten" Schwestern unterscheide. Die anderen halten mich für eine unhöfliche, griesgrämige Bedienung, die sich mal zusammenreißen sollte. Es gibt Kommentare, die sagen, dass ich „cool" wirke, andere sagen, ich sei nur neidisch. Neidisch. Auf was bitte? Darauf, dass meine Schwestern ihr ganzes Leben nach Likes ausrichten? Dass sie Stunden damit verbringen, das perfekte Selfie zu machen? Dass sie sich über jedes Detail ihres Körpers den Kopf zerbrechen, weil sie in einem System gefangen sind, das ihnen einredet, dass sie nur dann wertvoll sind, wenn sie perfekt aussehen? Wenn das Erfolg ist, dann bin ich verdammt froh, gescheitert zu sein. Und als wäre das nicht genug, muss ich mich auch noch mit Viktoria herumschlagen. „Du wirst dich jetzt benehmen", verkündet sie beim Abendessen mit ihrer typischen Eiseskälte. „Du hast genug Aufmerksamkeit auf dich gezogen. Ich erwarte, dass du beim Ball zumindest den Anschein von Anstand wahrst." „Oh, natürlich", sage ich und schneide mit meinem Messer demonstrativ ein Stück Salat in winzige Teile. „Ich werde mich benehmen. Ich werde mich sogar so sehr benehmen, dass die Leute denken, ich hätte eine Gehirnwäsche hinter mir." Viktoria kneift die Lippen zusammen. „Ich meine es ernst, Ella."
„Ich auch." „Das ist eine Chance für uns alle." „Für uns? Oder für dich?" „Du bist Teil dieser Familie." Ich lache bitter. „Ach ja? Das ist mir neu." Ihre Augen verengen sich. „Hör auf, dich in Selbstmitleid zu suhlen. Ich erwarte von dir, dass du dich zusammenreißt. Du wirst dort sein, du wirst dich anständig kleiden, du wirst lächeln und du wirst nicht mit diesem ständigen Trotzverhalten alles ruinieren." Ich starre sie an. „Und wenn ich es doch tue?" Sie lehnt sich zurück, ein leises, überlegenes Lächeln auf den Lippen. „Dann überlege ich mir, ob du wirklich noch einen Platz in diesem Haus hast." Bumm. Die Drohung hängt im Raum, schwer wie Blei. Ich wusste, dass es irgendwann darauf hinauslaufen würde. Dass sie mich immer nur geduldet hat, weil es einfacher war, als mich ganz loszuwerden. Aber jetzt? Jetzt hat sie endlich eine Gelegenheit, mich in die Enge zu treiben. Ich atme langsam aus.
„Weißt du was, Viktoria?" sage ich leise. „Wenn du mich loswerden willst, dann sag es einfach. Hör auf, so zu tun, als ginge es hier um irgendwas anderes." Für einen Moment flackert etwas in ihren Augen. Vielleicht Wut. Vielleicht Überraschung. Vielleicht eine Spur von… Unsicherheit? Dann ist es weg. „Iss auf", sagt sie nur kühl.
Ich schiebe meinen Teller weg und stehe auf. Ich habe keinen Hunger mehr.