Wenn ich eine Superkraft hätte, dann wäre es nicht die Fähigkeit zu fliegen, durch Wände zu gehen oder Gedanken zu lesen. Nein. Meine Superkraft ist Sarkasmus. Und heute Abend muss ich sie so dringend einsetzen wie noch nie.
Ich wusste ja, dass dieser Ball anstrengend werden würde. Ich wusste, dass ich mit jeder Menge oberflächlicher Menschen konfrontiert sein würde, die sich für wahnsinnig wichtig halten. Aber ich war nicht darauf vorbereitet, in eine Konversation nach der anderen gezogen zu werden, in der mein letzter Funken Verstand auf eine harte Probe gestellt wird. „Oh, Ella, nicht wahr?" Eine blondgelockte Dame mit einem Kleid, das vermutlich mehr kostet als meine gesamte Existenz, taxiert mich von oben bis unten. „Du bist doch die Schwester von Livia und Sophia?" Ich setze mein bestes falsches Lächeln auf. „Ja. Überraschung, es gibt noch eine von uns." „Ach, wie entzückend." Sie kichert in ihr Champagnerglas. „Und… was machst du so?" „Im Moment? Ich versuche zu überleben." Sie blinzelt, unsicher, ob sie lachen soll oder nicht. Ich nehme ihr die Entscheidung ab, indem ich mir einen Schluck von meinem Drink genehmige und mich umdrehe, bevor sie auf die Idee kommt, mir weitere Fragen zu stellen, die mich direkt ins Koma befördern.
Doch kaum habe ich mich umgedreht, steht schon der nächste Kandidat bereit. Ein Typ mit perfekt gegeltem Haar, der so aussieht, als hätte er sein Lächeln in einem Werbespot für Zahnpasta trainiert. „Ah, du bist also die berühmte Ella." Ich runzle die Stirn. „Famous last words." Er lacht – natürlich einstudiert –, bevor er mir seine Hand hinhält. „Felix. Von der und der Familie." Ich schüttele seine Hand, weil es unhöflich wäre, es nicht zu tun. „Ella. Von den Chaosgeschwistern." „Ich habe ja gehört, dass du… sagen wir, etwas unkonventionell bist." „Unkonventionell ist ein sehr höfliches Wort für das, was meine Stiefmutter über mich sagt." Er grinst. „Ich finde es erfrischend. Endlich mal jemand, der sich nicht verstellt." Ich mustere ihn. Er sieht ehrlich interessiert aus, aber ich traue diesen Ballgästen nicht über den Weg. Meistens bedeutet „erfrischend" einfach nur „unterhaltsam für fünf Minuten, bevor ich mich wieder wichtigeren Leuten zuwende". „Also, Ella, was hältst du von diesem Abend?" fragt er und nimmt einen Schluck aus seinem Glas. „Oh, fantastisch. Nichts liebe ich mehr als unbequeme Kleider, aufgesetzte Gespräche und die ständige Angst, dass ich mich auf der Tanzfläche blamiere." Er lacht erneut. „Du bist echt nicht wie die anderen hier." „Tja, einer muss ja die Statistik sprengen." Ich will gerade weiterziehen, als eine weitere Stimme sich einmischt. „Ella, du bist wirklich die Unterhalterin des Abends." Ich drehe mich um – und natürlich steht da Adrian. Der Prinz. Der Typ, mit dem ich vor einer Stunde noch auf dem Boden lag. Er grinst mich an, die Art von Grinsen, die sagt: Ich weiß genau, dass du gerade innerlich leidest, aber ich genieße es trotzdem. Felix räuspert sich. „Adrian, alter Freund! Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt." „Oh ja", sagt Adrian entspannt. „Ella hat mir bereits sehr eindrucksvoll gezeigt, dass sie sich nicht an gesellschaftliche Konventionen hält." „Ich nenne es Individualismus", sage ich trocken.
Felix schmunzelt. „Dann bin ich ja gespannt, was du als Nächstes planst."
„Vermutlich einen dramatischen Abgang in einer Wolke aus Sarkasmus und genervtem Augenrollen." Adrian lacht. „Das würde mich nicht überraschen." Ich seufze. „Ich hasse es, vorhersehbar zu sein." „Dann überrasche mich." Ich schiebe mein Glas in Adrians Hand. „Halte das mal kurz." Dann drehe ich mich auf dem Absatz um und marschiere Richtung Buffet – weil, wenn ich diesen Abend schon durchstehen muss, dann wenigstens mit vollem Magen. Während ich mich durch die Reihen von perfekt angerichteten Häppchen schlage, höre ich hinter mir Adrians Stimme. „Weißt du, ich glaube, du bist mein Highlight des Abends." Ich drehe mich halb um, hebe eine Augenbraue und grinse. „Dann hast du definitiv zu wenig Spaß in deinem Leben, Prinz Charming." Und mit diesen Worten greife ich mir das größte Stück Schokoladentorte, das ich finden kann, und lasse ihn stehen.