'"Ein Brief vom Herzog von Everwyn ist eingetroffen", erklärte Graf Alaric, obwohl seine Stimme kalt blieb. "Er macht einen Heiratsantrag."
Die Erwähnung des Namens des Herzogs ließ jede Hoffnung in ihr erlöschen. Der Herzog von Everwyn.
Allein die Nennung seines Namens ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Der Herzog war mächtig, aber auch gefürchtet. Man sprach über ihn in gedämpften Flüstertönen, und sein Ruf war alles andere als beruhigend.
Welche Gründe er auch immer für seinen Antrag haben mochte, es war unwahrscheinlich, dass sie mit Liebe oder Zuneigung zu tun hatten. Da musste mehr dahinterstecken.
"Der Herzog von Everwyn?", wiederholte sie, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Sie richtete ihren Blick auf ihren Vater und schüttelte ungläubig den Kopf. Das konnte einfach nicht wahr sein. Nicht DER Herzog.
"Ich muss mich verhört haben", sagte sie mit zitternder Stimme. "Du meinst nicht etwa DEN Herzog, oder?"
Doch der Ausdruck im Gesicht ihres Vaters blieb unverändert hart. Es gab keinen Fehler.
"Doch, Seraphina", sagte er mit entschiedener Stimme. "Ich meine DEN Herzog."
...
Die schnelle und unerschütterliche Reaktion des Grafen ließ Seraphina sich gefangen fühlen. Die Familie Everwyn. Eine Dynastie, umgeben von düsteren Gerüchten und unheilvollen Geflüstern.
Das Gerede über Seraphina selbst war nichts im Vergleich zu den unerhörten Geschichten, die sich um die Everwyns rankten.
Die Leute sprachen in gedämpften Tönen und verbreiteten Gerüchte, die jedem das Blut in den Adern gefrieren ließen.
Obwohl der Herzog von Everwyn einen solchen Titel führte, hieß es, seine Abstammung sei makelhaft. Die Geschichten stellten ihn als alles andere als edel dar. Und obwohl er einen so hohen Titel innehatte, zeigte er sich nur selten in der Öffentlichkeit, was die Spekulationen noch anheizte.
Manche sagten, der Herzog habe Dämonenblut in seinen Adern; andere behaupteten, er erfreue sich am Töten und sei von einem Geruch nach Blut umgeben, den er nicht loswerden könne, egal wie oft er sich wusch.
Der jetzige Herzog von Everwyn hatte sich bereits auf dem Schlachtfeld einen furchteinflößenden Ruf erarbeitet.
Als blutrünstiger Krieger bekannt, hatten selbst seine Verbündeten Angst vor ihm. Sein Anblick jagte jedem Furcht ein, der seinen Weg kreuzte, und schon die Erwähnung seines Namens ließ die Menschen erschaudern.
In eine solche Familie einzuheiraten, kam einem Todesurteil für Seraphina gleich. Wie sollte jemand, der so zart und zerbrechlich war wie sie, in einer Welt bestehen, die von Gewalt und Tod geprägt war?
"Ich kann ihn nicht heiraten!" entfuhr es Seraphina, ihre Stimme zitterte vor Angst.
"Du kannst nicht? Glaubst du etwa, du hättest eine Wahl?" Graf Alarics Stimme dröhnte durch den Raum, sein Gesicht gefärbt vor Wut."Glauben Sie, dass Sie eine Zukunft haben, wenn Sie dieses Spiel ablehnen? Willst du rausgeworfen werden, ohne Geld, um die Medizin zu bezahlen, die dich am Leben erhält?"
"Nein. Nein, es ist nur ..." Seraphinas Stimme stockte, ihre Entschlossenheit zerbrach unter dem Gewicht des Zorns ihres Vaters.
Sie wollte argumentieren, sagen, dass vielleicht ein anderer Vorschlag zu gegebener Zeit kommen könnte. Aber als sie dort stand und dem Zorn ihres Vaters gegenüberstand, fand sie nicht den Mut, diese Worte auszusprechen. Stattdessen biss sie sich auf die Lippe und hielt ihren Protest zurück.
"Was dann? Willst du das Haus von Alaric ruinieren?", verlangte der Graf mit scharfer, ungeduldiger Stimme.
"Nein..." flüsterte Seraphina. "Ich werde heiraten."
Da sie nur einen Antrag vor sich hatte, wusste Seraphina, dass sie keine wirkliche Wahl hatte. Heiraten war keine Option mehr - es war eine Notwendigkeit. Die trostlose Realität ihrer Situation traf sie hart.
Sie konnte entweder eine Gefangene in ihrem eigenen Zimmer bleiben oder dem Tod in den Armen eines Mannes ins Auge sehen, dessen Ruf auf Blut und Terror beruhte.
Der Graf räusperte sich und betrachtete den niedergeschlagenen Blick seiner Tochter. "Nun gut. Wenn es dir gelingt, den Herzog zu heiraten, wird das Ansehen unserer Familie wiederhergestellt sein."
Seine Worte waren kalt, ohne jede Sorge um ihr Wohlergehen. Für Graf Alaric ging es nur um den Status der Familie, und Seraphina war nur das Mittel zum Zweck.
Sie seufzte leise und erkannte, dass die Ambitionen ihres Vaters das Einzige waren, was für ihn zählte. Ihre Gefühle, ihre Ängste - all das hatte keinen Platz in seinen Plänen.
Damit begannen die Vorbereitungen für die Hochzeit, die mit großer Effizienz vorankamen. Die Hochzeit wurde in aller Eile arrangiert, und der Termin rückte mit jedem Tag näher. Eine Woche vor der Hochzeit wurde Seraphina zu dem Bankett geschickt, das ihr letztes als unverheiratete Frau sein sollte.
Normalerweise hätte sie die Einladung mit dem Hinweis auf ihre Gesundheit abgelehnt. Doch dieses Mal war es anders. Sie wurde als Verlobte des Herzogs geschickt, als Symbol für das steigende Ansehen der Familie. Es war keine Wahl, es war eine Pflicht.
Wie erwartet, wandte sich niemand auf dem Bankett an Seraphina. Selbst diejenigen, die neugierig auf ihre bevorstehende Heirat mit dem furchterregenden Herzog von Everwyn waren, hielten Abstand.
Sie zogen es vor, aus der Ferne zu tratschen und miteinander zu flüstern, anstatt sie direkt anzusprechen. Im Laufe des Abends tanzten und lachten die Leute und schenkten ihr keinerlei Beachtung.
"Hm", seufzte Seraphina leise, als sie allein inmitten der ausgelassenen Stimmung stand. Ihr ganzes Leben war von anderen diktiert worden, von ihrer Geburt bis zu ihrer Heirat. Jede Entscheidung war für sie getroffen worden, und es war schmerzlich klar, dass sich dieses Muster fortsetzen würde. Sie hatte nicht einmal das Recht, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden, geschweige denn über ihren eigenen Ehemann.
Mit einem weiteren Seufzer verließ sie den belebten Saal und schlich sich auf eine ruhige Terrasse. Die kühle Nachtluft war eine willkommene Abwechslung zu der erstickenden Atmosphäre drinnen. Sie lehnte sich an das Geländer und zitterte leicht, als der kalte Marmorboden ein Frösteln durch ihre dünnen Schuhe schickte.
Nach heute Abend würde ihr Leben wieder von Hochzeitsvorbereitungen bestimmt sein. Sie war es bereits leid - müde von den endlosen Geschenken, die sich in ihrem Zimmer stapelten, müde von den Erwartungen, die auf ihren Schultern lasteten.
Ich wünschte, es gäbe nur eine Sache, die ich entscheiden könnte", dachte Seraphina, und ihr Herz war schwer von der Last ihres Schicksals.
Wie als Antwort auf ihren unausgesprochenen Wunsch wurde ihr plötzlich ein schwerer Mantel über die Schultern gelegt, der sie vor dem kalten Luftzug schützte. Von der unerwarteten Wärme aufgeschreckt, blickte sie auf und sah einen Mann neben sich stehen.