Albträume.
Sie gehörten zusammen mit Inkubus und Sukkubus zur Gattung der Traumwandler, was der Grund war, weshalb Dämonenfürst Natha sagte, sie seien verwandt. Doch während Letztere sich an der Energie anderer Menschen labten, indem sie deren fleischliche Begierden stimulierten, griffen Albträume die psychische Energie ihrer Opfer an, indem sie deren Ängste manipulierten. Sie waren eine Art Fluchdämon, ähnlich wie die Banshee, doch der Fluch eines Albtraumes zielte auf den Geist und die Seele des Opfers ab.
Aus diesem Grund kannten sich Albträume auch so gut mit der Seele eines Menschen aus, ähnlich wie Vampire sich mit der Karte der menschlichen Blutgefäße auskannten. Geist und Seele waren schließlich ihre Beute. Nightmare wurde auch Soul Tracker genannt, da sie die Fähigkeit besaßen, ein Zielmal auf der Seele eines Menschen zu setzen, was ihnen auch dabei half, einen lang anhaltenden Fluch auszusprechen.
Bizarrerweise machte das sie zum Erzfeind des Lichs – welchen ich für einen der Dämonenfürsten hielt – denn ein Albtraum konnte die wahre Seele eines Menschen aufspüren, egal wie viele und welche Art von Phylakterien ein Lich benutzte.
Das war alles, was ich aus Valmeiers Erinnerungen wusste. Ich hatte keine Ahnung, wie akkurat diese Informationen waren, denn ich hegte inzwischen einige Zweifel.
Nicht an seinen Fähigkeiten, nein, aber...
"Du machst ein lustiges Gesicht", kicherte Natha und schenkte mir sein ungezwungenes, leichtes Lächeln.
Ja, genau das. Dieses Lächeln, sein Gesicht und seine Ausstrahlung brachten all meine Vorstellungen über meine Wahrnehmung des Dämonenfürsten ins Wanken.
Wo war der erschreckende Teil? Die grausame Geschichte? Warum war er so freundlich, sanft und aufschlussreich? Bis jetzt war er um Längen besser im Umgang mit Valmeier als das ganze Königreich oder Lenaar.
"Ich dachte, Nightmare sähe furchteinfößend aus...", gab ich vorsichtig zu bedenken und beobachtete seine Reaktion.
Deswegen hatte ich Zweifel. War es logisch, dass ein Dämon, der die Ängste der Menschen anvisierte und sich an ihrer mentalen Energie ergötzte, so gut aussah und sich so sanftmütig verhielt?
Auf meinen Kommentar hin lächelte der Dämonenfürst jedoch tiefgründig. So sehr, dass es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte.
Warum? Warum lächelte er so? War er verärgert?
Die silbernen Augen, die zuvor sanft zu Halbmonden verengt waren, wirkten nun kalt und blickten ohne Ausdruck zu mir herüber. Und dennoch lächelte er – nicht amüsiert und gewiss nicht freudig. Er sah nicht wütend aus, aber auch nicht glücklich. Er schien einfach nur verwirrend zu sein.
Ich hatte keine Vorstellung davon, was er jetzt vorhatte. Wäre es der Zorn gewesen, hätte Metta, der rote Riese, entweder mürrisch dreingeschaut oder gelacht, da der Dämon leicht zu durchschauen war. Aber Natha war einfach nur verwirrend, wie gestern Abend, als er so zuvorkommend wirkte, aber so streng wurde, als ich Einspruch erhob. Es war unheimlich und gespenstisch, und...
Oh.Oh!
Ich hob meinen Blick und sah ihn an - mir war gar nicht bewusst geworden, dass ich ihn gesenkt hatte. Plötzlich erinnerte ich mich an einen Film aus meinem früheren Leben über Agenten, die mit Aliens zu tun hatten. Was war unheimlicher: ein offensichtlich furchteinflößender Außerirdischer oder ein kleines Mädchen, das ein Mathematikbuch liest?
Was war unheimlicher: Ein stämmiger Mann, der die Faust vor dir ballt, oder ein freundlich wirkender Kollege mit einem Messer hinter deinem Rücken? Ein Antagonist, der behauptet, die Welt zu zerstören, oder ein Kamerad, der insgeheim dein Team sabotiert?
Ein riesiger roter Dämon, dessen Territorium du bedrohst, oder der heldenhaft aussehende Gefährte, der ohne Gewissensbisse Soldaten auslöscht, um sich selbst zu retten?
Als ich den veränderten Blick in meinen Augen sah, nahm er wieder einen gelassenen Gesichtsausdruck an und fragte mich: "Sehe ich jetzt furchteinflößender aus?"
Der furchteinflößendste aller mentalen Angriffe basierte auf einer trügerischen Erscheinung.
Ein Traum wurde erst dann zum Albtraum, wenn man bereits zum Schlaf verlockt worden war. Aber würde jemand freiwillig schlafen, wenn er wüsste, dass ihn ein Alptraum erwartet? Die Antwort ist nein. Genau aus diesem Grund entwickelten einige Leute Schlaflosigkeit, weil sie nach traumatischen Ereignissen ständig von Alpträumen verfolgt wurden. Sie weigerten sich zu schlafen, wenn sie wussten, dass es furchteinflößend werden würde. Genau wie die Menschen sich weigern würden, einem unheimlich aussehenden Mann zu folgen, aber kein Problem damit hätten, einer schwach wirkenden Frau zu folgen.
Instinktiv schluckte ich, obwohl es nichts zu schlucken gab außer meinem eigenen Speichel.
"Gut", das halbmondförmige Glitzern kehrte in seine Augen zurück. "Du befindest dich im Territorium der Dämonen, du solltest dich nicht in Sicherheit wiegen."
Als ich lediglich blinzelte, anstatt zu antworten, fuhr er fort: "Du bist ein Priester, der die Hilfe eines Dämons sucht. Obwohl du es absurd findest, eine Bindung mit mir einzugehen, hast du scheinbar nicht darüber nachgedacht, wie verletzlich deine Identität in diesem Land ist."
Ätzend...
"Ich weiß nicht, ob du nach dem Krieg abstumpft bist oder ob du schon immer so ahnungslos warst", seine Augen wurden für einen Moment schärfer, um dann wieder ihre gewohnte Ruhe anzunehmen, "aber du solltest vorsichtiger sein."
Nun, es ließ sich nicht ändern. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich weder ein Priester noch Teil des Kriegseinsatzes war. Ich war lediglich ein Patient auf Lebenszeit, der nach einer Heilung suchte. Da ich nie allein der Armee der Dämonen - oder irgendwelchen Feinden - gegenüberstand, kannte ich die echten Folgen davon nicht, jemandes Feind zu sein. Hätte ich in die Augen der Dämonensoldaten geschaut, die ich getötet hatte, wäre ich vielleicht vorsichtiger geworden und hätte die Konsequenzen besser einschätzen können. Wenn ich derjenige gewesen wäre, der ihr Leben mit meinen Händen beendet hätte, hätte ich mich vielleicht schuldiger gefühlt.
Aber ich war nicht Valmeier. Ich hatte mich von seinen Taten oder seiner Identität distanziert.
Ich hatte keine Ahnung, wie es sich anfühlt, jemanden zum Feind zu haben, jemanden, der meinen Tod wünscht. Ich starb auch ohne das Zutun anderer. Aber wenn jemand, der meinesgleichen getötet hatte, vor mir erschien und in einer verwundbaren Lage um Hilfe bat... könnte ich den Wunsch unterdrücken, diese Person einfach loswerden zu wollen?
Das brachte mich ins Grübeln; würde mir ein anderer Dämonenfürst das Amrita geben?"Dann..." Ich sah ihn wieder an – und die lockere Frühstücksstimmung im Raum hatte sich verflüchtigt. "Warum hilfst du mir?"
Nein, das traf es nicht. Es gab keine Garantie dafür, dass er mir wirklich helfen wollte. Was wir hatten, war ein Vertrag, eine Abmachung.
Eine Vereinbarung, deren Konditionen mir nicht wirklich klar waren.
"Warum hast du diesem Vertrag zugestimmt?" fragte ich noch einmal und rieb mir das Brandzeichen auf dem Handrücken.
"Das ist nicht ganz richtig", kicherte der Dämonenfürst. "Du bist es, der dem Vertrag, den ich vorgeschlagen habe, zugestimmt hat."
"Tomate, tomahto", rollte ich mit den Augen. "Warum schlägst du dann so einen Vertrag vor?"
Seine silbernen Augen funkelten schelmisch. "Es wäre doch langweilig, wenn ich es dir einfach sagen würde..."
Haa... natürlich wäre es das.
"Du kannst es ja herausfinden", fügte er hinzu.
Wie denn? Anstatt über seine 'Großzügigkeit' überrascht zu sein, fasste ich sie eher als Herausforderung auf. Ich hatte es nicht einmal geschafft, herauszufinden, wo wir waren, wie sollte ich dann verstehen, was er mit mir vorhatte?
Aber ich hatte das Gefühl, dass alles so beabsichtigt war. Wie eine Art Quest, um mich aufzurütteln. Eine Möglichkeit, mir klarzumachen, dass ich ihm nichts entgegensetzen konnte. Vielleicht auch eine Art, mich gefügig zu machen.
Unbewusst murmelte ich laut. "Wie könnte ich überhaupt..."
"Versuche doch einfach, deine Fantasie zu benutzen", winkte er ab, und sein entspannter Gesichtsausdruck schien zu sagen, dass ich es locker angehen sollte. Als er mich ansah, glitzerte es in seinen silbernen Augen. "Und denk ruhig mehr an mich, wenn du schon dabei bist."
War es schlimm... dass mein Herz kurz aussetzte?
Verdammte Autorin! Warum hatte sie seinen Charakter nach jemandem modelliert, in den ich verliebt war? Es war schon schlimm genug, dass der Dämonenfürst das Gesicht und die Stimme des Arztes hatte – doch auch sein Verhalten... Und dieses Gesicht und diese Stimme und diese Neigung deuteten darauf hin, dass er mich zu seiner Braut machen wollte...
Ich schüttelte leicht den Kopf, als wollte ich einen bitteren Nachgeschmack loswerden. Nein, ich durfte mich nicht von jemandem beeinflussen lassen, dessen Eigenschaft es war, mit den Gedanken der Menschen zu spielen. Tief einatmend, um meinen Kopf zu klären und meinen Herzschlag zu beruhigen, fiel mein Blick wieder auf das Mal.
"Also gut", räusperte ich mich und deutete auf das Brandzeichen in meiner Hand. "Was bedeutet dieses Zeichen?"
Ich sah dasselbe Zeichen auch auf seiner Handfläche und er schien ziemlich glücklich zu sein, dass ich danach fragte, denn er betrachtete es mit einem sanften Lächeln. "Du fragst endlich nach dem Richtigen."
Jedoch antwortete er nicht sofort, sondern fing erst an zu essen. Also setzte ich mein Essen fort, da ich nichts anderes tun konnte, als zu warten. Nachdem ich noch ein weiteres Stück der Mahlzeit zu mir genommen hatte, begann er zu sprechen.
"Wie du zuvor gesagt hast, haben wir einen Vertrag. Und ein Vertrag ist nicht komplett ohne ein Siegel, richtig?"
"Ein Siegel... wie funktioniert das Ding?" Ich kniff die Augen zusammen und studierte das Zeichen erneut. Jetzt, wo ich es näher betrachtete, bestand jede Linie im Zeichen aus Runen, es war fast so, als hätte jemand einen zweiseitigen Vertrag in dieses kleine Symbol verwandelt. Gibt es dort Bedingungen und Klauseln?
"Es ist ein Zeichen, das einen unerfüllten Vertrag symbolisiert. Das bedeutet, es wird nicht verschwinden, bevor wir unseren Vertrag abgeschlossen haben", er machte eine Pause, aß weiter, bevor er fortfuhr. "Für mich bleibt es bestehen, bis dein Manakreislauf vollständig geheilt ist."
Das bedeutete, meins würde nicht verschwinden, bis ich seine... Braut werde – oh Gott, das klang so seltsam. Vielleicht empfand Natha meine Verwirrung und mein Zögern, denn er konnte meine Gedanken 'spüren'. Wenn es ihn verärgerte, zeigte er es nicht.
Stattdessen fügte er hinzu, fast so, als ob er mir einen Ausweg bieten wollte. "Wenn es dir besser geht, werde ich deinen Teil des Handels nicht einfordern, bevor wir mit meinem fertig sind."
Meine Augenbraue hob sich und mein Gesicht erhellte, während ich meinen Rücken aufrichtete.
"Also kümmern wir uns zuerst darum, dich wiederherzustellen", sagte er, als wäre ich eine Art kaputter Gegenstand. Aber ich war zu erleichtert, um mich deswegen zu sorgen.
Vielleicht war ich auch zu erleichtert, um das Funkeln und das enttäuschte Zucken in seinen mondähnlichen Augen nicht zu bemerken, als der Dämonenfürst meine Stimmung wahrnahm.
"Das macht dich so glücklich?" lächelte der Dämonenfürst. "Du bist froh, dass du noch nicht meine Braut sein musst?"
Ähm...
"Obwohl du dich gestern Nacht so sehr an mich geklammert hast?"
'Oh, ich bin erledigt...'