Emily ging es nicht gut. Sie hatte Albträume, das war nichts Neues. Doch was neu war, war die Intensität ihrer schlechten Träume.
Es waren nicht mehr nur diffuse Eindrücke von kaum erinnerten Dingen, wenn sie erwachte. Die Albträume hatten nun eine Deutlichkeit, die zuvor nie dagewesen war.
Ertrinken, Ersticken, Würgen.
Das war das wiederkehrende Motiv ihrer Träume und sie hielten daran fest. Jede Nacht erwachte sie in einer Pfütze ihres eigenen Schweißes und fühlte sich, als könnte sie nicht atmen, egal wie sehr sie sich auch mühte. Und weit davon entfernt nachzulassen, nahmen die Albträume an Heftigkeit zu. Ihre Bastelschublade füllte sich stetig. Ein Zeugnis der vielen Stunden, in denen sie wach war, mit Nadel und Faden fest im Griff. Ihre Hände bewegten sich unablässig, in dem Versuch, die Gespenster ihrer Träume zu vertreiben.
Es war sogar so weit gekommen, dass sie ihre Handarbeiten in ihrer Handtasche versteckte und sie heimlich in verschiedenen Spendensammlungen in der Stadt hinterließ. Die Schublade, in der sie diese aufbewahrte, quoll mittlerweile über.
Ihre Mutter warf ihr immer häufiger besorgte Blicke zu, von denen sie glaubte, Emily bemerke sie nicht.
Emily kannte ihre Mutter; bald würde sie von bloßem Beobachten zu direkten Fragen übergehen. Und Emily zweifelte daran, dass sie ihr Geheimnis bewahren konnte, sollte ihre Mutter entscheiden, mit all ihrer mütterlichen Besorgnis zu intervenieren.
Sie musste etwas unternehmen, doch allein bei dem Gedanken, wieder Schlaftabletten zu nehmen, brach ihr der kalte Schweiß aus. Ja, die Tabletten streckten sie nieder. Ihr Körper versank in völlige Dunkelheit. Aber genau darin lag das Problem. Mit den Tabletten schlief sie tief und konnte nicht mehr aufwachen; sie hielten sie unter Wasser. Nach Albtraum um Albtraum quälte sie sich, doch die Tabletten ließen nicht von ihr ab. Und in Nächten, in denen sie überhaupt nicht träumte, fühlte sie sich beim Aufwachen, als wäre der Welt ihre Farbe genommen worden.
Keine Freude, keine Wut. Einfach nichts in ihr.
Doch je länger die Nächte wurden, umso mehr dachte Emily über die Tabletten nach. Sie zu nehmen würde nichts ändern, doch sie war erschöpft.
Unerträglich müde.
Vielleicht würden sie ihr eine Auszeit verschaffen, nur eine kleine Unterbrechung. Das war alles, was sie brauchte, ein wenig ungestörter Schlaf. Sie musste nur die Tabletten kaufen, sie einnehmen, und dann würde vielleicht alles wieder besser werden.
Letztlich zögerte sie zu lange und machte schließlich einen gewaltigen Fehler bei der Arbeit. Es war etwas, das sie schon tausendmal zuvor getan hatte. Etwas, das sie im Schlaf hätte erledigen können. Aber am Ende passierte der Fehler, als sie hellwach war.
Sie bereitete sich auf ein Meeting mit einem Kunden vor, den Derek seit Wochen umworben hatte. Und während sie die Präsentationsfolien durchging, löschte Emily versehentlich einige der Folien.
Das hätte kein großes Problem sein sollen, denn sie hatten von allem eine Sicherheitskopie. Und die Backup-Datei wäre sehr nützlich gewesen, wenn sie im Moment erkannt hätte, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
Aber das hatte sie nicht.
Stattdessen folgte sie Derek in das Meeting und saß entspannt dabei, während er seinen Vortrag hielt. Sie erkannte erst, dass etwas nicht stimmte, als er zur nächsten Folie wechseln wollte und nichts geschah.
Seine Augen suchten die ihren im Raum, eine Frage darin.
'Was ist los?' Und Emily konnte ihm nur einen entschuldigenden Blick zuwerfen.
'Es tut mir leid', signalisierte sie, so gut sie konnte, und bewegte sich. Der Kunde hatte noch nicht bemerkt, dass etwas nicht stimmte.
Niemand fand es merkwürdig, als die Assistentin des Geschäftsführers an Dereks Laptop ging und zu tippen begann, ihre Finger huschten über die Tastatur.
Vertrauensvoll fuhr Derek fort zu reden, vertiefte Punkte, die er bereits angesprochen hatte und baute darauf auf.
In dieser Zeit gelang es Emily, die gesicherte Datei zu finden und aufzurufen. Der projizierte Bildschirm flackerte nur kurz, bevor er wieder erschien. Ein Umstand, der sich leicht erklären ließ, als Sekunden später das Licht zuckte. Der Kunde dachte, es läge am Strom, und nicht an ihr, die mit ihrem Handy herumhantierte.
Derek beendete die Präsentation ohne Probleme und am Ende unterzeichneten sie einen Vertrag. Der Kunde war schon nach dieser einen Präsentation überzeugt und mochte, was er sah.
Von da an gab es nur noch Lächeln, Händeschütteln und Jubel. Doch Emily konnte trotz ihres eigenen Lächelns nicht an der Freude teilhaben.
Sie hätte es fast verdorben, und als sie zu Derek herüberblickte, wusste sie, dass ihr Fehler nicht übersehen werden würde.
Sie hatte Ärger am Hals.