Im Auto auf dem Weg nach Hause öffnete Amelie den Klatsch-Feed, der vor Jahren von den wohlhabenden Damen ihres Bekanntenkreises ins Leben gerufen worden war. Sie betrachtete ihn wie eine "digitale Teeparty", allerdings mit mehr Gästen, von denen einige nicht einmal eingeladen waren.
Das Durchsehen des über Nacht angehäuften Klatsches gehörte zu ihrer morgendlichen Routine; sie musste gut informiert bleiben, um in ihrer Position zu glänzen.
Heute machte sie keine Ausnahme. Während sie die Nachrichten durchblätterte, erblickte sie schließlich das, was sie seit dem Aufwachen befürchtet hatte – das Gerücht, dass Richard Clark eine neue "Freundin" hatte, hatte sich bereits herumgesprochen.
'Ich hätte es kommen sehen sollen... Selbst wenn meine Freunde es nicht ausgeplaudert haben, gibt es überall Augen und Ohren. Es wundert mich eigentlich, dass es immer noch auf diesen privaten Feed beschränkt ist und nicht offen in den Medien diskutiert wird.'
Amelie war sofort verärgert. Obwohl die meisten Leute das Interesse an den Affären der Reichen verloren hatten, waren es doch die Ehefrauen anderer reicher Männer, die immer noch gerne darüber tratschten. Es wäre töricht zu denken, dass sie dieses Mal verschont bleiben würde.
Ihr Wagen hielt vor dem Haupteingang des Anwesens. Mrs. Ashford stieg aus und warf einen schnellen Blick auf das große Haus – es war das erste Mal seit Jahren, dass ihr das sonst unveränderliche Gebäude so erstaunlich anders vorkam.
Der Fahrer öffnete ihr die Tür und im Moment, in dem Amelie eintrat, bemerkte sie eine Frau, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Die Fremde hatte einen weißen Gips am linken Bein und stützte sich auf weiße Kunststoffkrücken, als sie auf Amelie zusteuerte.
„Hallo!", rief die unbekannte Frau mit einem freudigen Lächeln aus.
Amelie erstarrte auf der Stelle. Der Gruß der Frau machte sie sprachlos.
Sie nahm sich einen Moment Zeit, um das Aussehen der Fremden genauer zu betrachten. Sie sah genauso aus, wie ihre Assistentin es ihr tags zuvor beschrieben hatte: Ihr dunkelbraunes Haar war glatt und reichte kaum über die Schultern; ihre Haut war hell, zeigte aber einen olivfarbenen Unterton; ihre jugendlichen Gesichtszüge waren zart und frisch, und ihre großen braunen Augen funkelten vor Neugier.
Sie war etwas größer als Amelie, doch ihre Statur war ähnlich. Sie trug einfache, weite Jeansshorts und ein schlichtes schwarzes T-Shirt. Offensichtlich kam sie nicht aus derselben Gesellschaftsschicht wie Richard.
'Nun, sie sieht tatsächlich süß aus,' gestand Amelie sich leise ein. 'Ihr haftet etwas Unschuldiges an. Ich nehme an, viele Männer fühlen sich von solchen Frauen angezogen, weil es sie beschützend sein lässt.'
Zuletzt fiel ihr Blick auf den weißen Gips am Bein der Frau. 'Was mag wohl passiert sein…'
Als sie sich dabei erwischte, wie sie tatsächlich über die Umstände dieser Frau nachdachte, verbannte Amelie die nutzlosen Gedanken schnell aus ihrem Kopf.
'Jetzt, wo ich sie gesehen habe, gibt es keinen Grund mehr, weiterhin Umgang zu pflegen.'
Amelie nickte der Frau flüchtig zu und ging auf die Treppe zu, als sie ihre Stimme wieder hörte: „Warte einen Moment, Lily!"
Mrs. Ashford erstarrte erneut, ein leises Frösteln überkam sie.
Trotz ihres Altersunterschiedes von deutlich über sechs Jahren, und obwohl sie es äußerst ungehörig fand, hätte Amelie die informelle Anrede noch hinnehmen können. Aber sie "Lily" zu nennen? Diesen Spitznamen durften nur ihr nahestehende Personen verwenden. Dass diese Frau ihn kannte, machte sie wirklich wütend.
Um ihre aufkeimende Verärgerung zu besänftigen, drehte sich Amelie schließlich um und hob fragend eine Augenbraue. „Wie bitte?"Ihr kalter Ton erschreckte die neue Frau sichtlich. Sie wandte einen Moment lang den Blick ab und fuhr sich mit einer Haarsträhne herum. Dann, als ob nichts geschehen wäre, lächelte sie wieder und sagte,
"Oh, das tut mir leid. Ich hätte mich zuerst vorstellen sollen. Mein Name ist Samantha Blackwood. Ich bin eine Freundin deines Mannes von der Universität. Sie können mich aber Sam nennen, so nennen mich sowieso alle."
"Nun ... schön, Sie kennenzulernen." Aus irgendeinem Grund konnte Amelie sich nicht dazu durchringen, den Namen der Frau auszusprechen. Sie betrachtete ihr Aussehen noch einmal.
Eine Freundin von der Universität? Obwohl wir in verschiedenen Fachbereichen waren, weiß ich, dass Richard von Freunden umgeben war, als wir studierten, aber sie sieht zu jung aus, um eine von ihnen zu sein.'
Amelie nickte ihr wieder zu und drehte sich um. 'Das sollte reichen. Wenn Richard auch nur einen Funken Anstand in sich hat, wird er mich nicht dazu bringen, ihr noch einmal über den Weg zu laufen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Mrs. Ashford wollte weggehen, aber die Frau weigerte sich, das Gespräch zu beenden.
"Warten Sie einen Moment!" Sie packte Amelie am Arm, und diese zog ihn augenblicklich weg, als würde sie von kochendem Wasser verbrannt. Ihre Reaktion ließ die Frau zurückschrecken, ihr Gesicht wurde etwas ängstlich.
Amelie zog erneut die Augenbrauen hoch. Sie fand das Verhalten der Frau nicht nur seltsam, sondern auch unecht. Es kam ihr vor, als würde sie schauspielern.
"Gibt es sonst noch etwas?" Amelie schaute der Frau direkt in die Augen und verlangte eine Antwort.
Samantha antwortete zaghaft: "Nun, ich wollte mich dafür bedanken, dass ich hier bleiben darf. Ich bin Ihnen sehr dankbar."
"Ich habe Sie nicht hierbleiben lassen. Das war mein Mann. Richten Sie ihm Ihre Dankbarkeit aus. Ich bin sicher, Sie werden einen Weg finden." Amelie wollte nicht so verbittert klingen, aber sie konnte es nicht verhindern.
Die Frau schien diese Bitterkeit völlig ignoriert zu haben. "Ja, nun ... aber es ist trotzdem schön, sich kennenzulernen. Wir werden uns ja schließlich noch oft sehen."
Mrs. Ashford umklammerte die Griffe ihrer Handtasche fest, ihre Irritation erreichte ihren Höhepunkt.
'Oft sehen?'
Samantha fuhr fröhlich fort: "Wie auch immer, darf ich Sie Lily nennen, wenn ich Sie sehe? Du kannst mich Sam nennen. Das tut jeder."
Amelie schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hasste die bloße Vorstellung, dass die Geliebte ihres Mannes sie Lily nannte. Sie hasste die Vorstellung, dass sie sie überhaupt ansprach.
Schließlich stieß sie ein leises Ausatmen aus und antwortete: "Sie werden mich Mrs. Ashford nennen, und ich werde Sie Miss Blackwood nennen. Das sollte genügen."
Nicht gewillt, diese unangenehme Begegnung noch länger hinauszuzögern, wollte Amelie wieder weggehen, als Samantha rief: "Richard!"